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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Bemerkung, man wisse ja nicht, ob das Wasser nicht
zu tief sei? Darauf wandte Karoline ein, sie wollten
am Rande bleiben, und es zuerst versuchen. Adelheid
erröthete jetzt, sie fühlte, daß sie nicht ganz die Wahr¬
heit gesagt, sie wußte nicht, und zweifelte sogar, ob
ihre Eltern es erlauben würden. Jülli sagte: "So
lassen wir es lieber; wer weiß, ob es chere tante auch
recht ist!"

"Wer wird denn ma chere tante fragen, wenn
sie nicht bei ist!" lachte Karoline, aber der Blick, den
ihr Jülli zuwarf, schien sie doch unschlüssig zu machen.

Man unterhandelte und kam überein, daß man
sich nur die Strümpfe ausziehen wolle, und ein
wenig die Füße baden, das gebe Erfrischung für
den ganzen Leib, und sei auch gar nicht gefährlich.
Die Füße sich waschen, ohne die Eltern zu fragen,
sei doch wohl erlaubt, dachte Adelheid. Nur ihren
kleinen Bruder hatte die Mutter einmal geohrfeigt,
als er beim Regen sich die Strümpfe ausgezogen
und durch den ausgetretenen Rinnstein gewatet war.
Die Züchtigung hatte er indeß ausdrücklich nur er¬
halten, weil das die Straßenjungen thäten, weil
es sich in einer Stadt nicht schicke, und weil der
Rinnstein ein schmutziges Wasser sei.

Diese drei Gründe griffen ja hier nicht Platz.
Die Strümpfe und Schuhe flogen auf den Rasen,
und sechs zierliche Füße plätscherten im Wasser. Die
Mädchen faßten sich an, um die Kühlung gemein¬
schaftlich zu genießen. Karoline zog die andern unmerk¬

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Bemerkung, man wiſſe ja nicht, ob das Waſſer nicht
zu tief ſei? Darauf wandte Karoline ein, ſie wollten
am Rande bleiben, und es zuerſt verſuchen. Adelheid
erröthete jetzt, ſie fühlte, daß ſie nicht ganz die Wahr¬
heit geſagt, ſie wußte nicht, und zweifelte ſogar, ob
ihre Eltern es erlauben würden. Jülli ſagte: „So
laſſen wir es lieber; wer weiß, ob es chère tante auch
recht iſt!“

„Wer wird denn ma chère tante fragen, wenn
ſie nicht bei iſt!“ lachte Karoline, aber der Blick, den
ihr Jülli zuwarf, ſchien ſie doch unſchlüſſig zu machen.

Man unterhandelte und kam überein, daß man
ſich nur die Strümpfe ausziehen wolle, und ein
wenig die Füße baden, das gebe Erfriſchung für
den ganzen Leib, und ſei auch gar nicht gefährlich.
Die Füße ſich waſchen, ohne die Eltern zu fragen,
ſei doch wohl erlaubt, dachte Adelheid. Nur ihren
kleinen Bruder hatte die Mutter einmal geohrfeigt,
als er beim Regen ſich die Strümpfe ausgezogen
und durch den ausgetretenen Rinnſtein gewatet war.
Die Züchtigung hatte er indeß ausdrücklich nur er¬
halten, weil das die Straßenjungen thäten, weil
es ſich in einer Stadt nicht ſchicke, und weil der
Rinnſtein ein ſchmutziges Waſſer ſei.

Dieſe drei Gründe griffen ja hier nicht Platz.
Die Strümpfe und Schuhe flogen auf den Raſen,
und ſechs zierliche Füße plätſcherten im Waſſer. Die
Mädchen faßten ſich an, um die Kühlung gemein¬
ſchaftlich zu genießen. Karoline zog die andern unmerk¬

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[179/0193] Bemerkung, man wiſſe ja nicht, ob das Waſſer nicht zu tief ſei? Darauf wandte Karoline ein, ſie wollten am Rande bleiben, und es zuerſt verſuchen. Adelheid erröthete jetzt, ſie fühlte, daß ſie nicht ganz die Wahr¬ heit geſagt, ſie wußte nicht, und zweifelte ſogar, ob ihre Eltern es erlauben würden. Jülli ſagte: „So laſſen wir es lieber; wer weiß, ob es chère tante auch recht iſt!“ „Wer wird denn ma chère tante fragen, wenn ſie nicht bei iſt!“ lachte Karoline, aber der Blick, den ihr Jülli zuwarf, ſchien ſie doch unſchlüſſig zu machen. Man unterhandelte und kam überein, daß man ſich nur die Strümpfe ausziehen wolle, und ein wenig die Füße baden, das gebe Erfriſchung für den ganzen Leib, und ſei auch gar nicht gefährlich. Die Füße ſich waſchen, ohne die Eltern zu fragen, ſei doch wohl erlaubt, dachte Adelheid. Nur ihren kleinen Bruder hatte die Mutter einmal geohrfeigt, als er beim Regen ſich die Strümpfe ausgezogen und durch den ausgetretenen Rinnſtein gewatet war. Die Züchtigung hatte er indeß ausdrücklich nur er¬ halten, weil das die Straßenjungen thäten, weil es ſich in einer Stadt nicht ſchicke, und weil der Rinnſtein ein ſchmutziges Waſſer ſei. Dieſe drei Gründe griffen ja hier nicht Platz. Die Strümpfe und Schuhe flogen auf den Raſen, und ſechs zierliche Füße plätſcherten im Waſſer. Die Mädchen faßten ſich an, um die Kühlung gemein¬ ſchaftlich zu genießen. Karoline zog die andern unmerk¬ 12*

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/193>, abgerufen am 29.04.2024.