Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Ertrag der großen Güter steigt, ihre adligen Besitzer
zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt sich durch
die bekannten Künste im Hypothekenbuch ins Enorme
hinaufschrauben. Ein Krieg und dieser Werth sinkt.
Und sollen die Junker ihn wünschen, denen im Heere,
am Hofe, selbst in der Regierung die obersten Stellen
nach wie vor reservirt sind! So viel Bürgerliche sich
auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeschwun¬
gen, sie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben
in die Klasse der Bevorzugten über. Sollen die Kauf¬
leute einen Krieg wünschen, oder auch nur eine Aen¬
derung? -- Sie seufzen unter starken Abgaben, aber
der Handel blüht und sie werden reich. Die übrigen
Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünkt¬
lich. Wenn ein Krieg die Kassen leert, woher dann
die Besoldung nehmen."

"Ist das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht
Künstler, Handwerker, Männer der Wissenschaft, kleinere
Grundbesitzer, Bauern, die unter einer drückenden
Eintheilung der Lasten seufzen?"

"Sie seufzen wohl, aber sie sprechen nicht mit.
Und wenn sie zu sprechen Lust hätten, so haben sie noch
nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußen's
Volkssinn steckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und
nun betrachten Sie auf den Wachtparaden diese schwer¬
fälligen, alten Officiere, diese Pontacsnasen, diese Ca¬
pitaine, die kaum die Schärpe um den Leib pressen,
in der sie drei Viertel ihrer Compagnie verschluckten.

Ertrag der großen Güter ſteigt, ihre adligen Beſitzer
zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt ſich durch
die bekannten Künſte im Hypothekenbuch ins Enorme
hinaufſchrauben. Ein Krieg und dieſer Werth ſinkt.
Und ſollen die Junker ihn wünſchen, denen im Heere,
am Hofe, ſelbſt in der Regierung die oberſten Stellen
nach wie vor reſervirt ſind! So viel Bürgerliche ſich
auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeſchwun¬
gen, ſie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben
in die Klaſſe der Bevorzugten über. Sollen die Kauf¬
leute einen Krieg wünſchen, oder auch nur eine Aen¬
derung? — Sie ſeufzen unter ſtarken Abgaben, aber
der Handel blüht und ſie werden reich. Die übrigen
Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünkt¬
lich. Wenn ein Krieg die Kaſſen leert, woher dann
die Beſoldung nehmen.“

„Iſt das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht
Künſtler, Handwerker, Männer der Wiſſenſchaft, kleinere
Grundbeſitzer, Bauern, die unter einer drückenden
Eintheilung der Laſten ſeufzen?“

„Sie ſeufzen wohl, aber ſie ſprechen nicht mit.
Und wenn ſie zu ſprechen Luſt hätten, ſo haben ſie noch
nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußen's
Volksſinn ſteckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und
nun betrachten Sie auf den Wachtparaden dieſe ſchwer¬
fälligen, alten Officiere, dieſe Pontacsnaſen, dieſe Ca¬
pitaine, die kaum die Schärpe um den Leib preſſen,
in der ſie drei Viertel ihrer Compagnie verſchluckten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="94"/>
Ertrag der großen Güter &#x017F;teigt, ihre adligen Be&#x017F;itzer<lb/>
zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt &#x017F;ich durch<lb/>
die bekannten Kün&#x017F;te im Hypothekenbuch ins Enorme<lb/>
hinauf&#x017F;chrauben. Ein Krieg und die&#x017F;er Werth &#x017F;inkt.<lb/>
Und &#x017F;ollen die Junker ihn wün&#x017F;chen, denen im Heere,<lb/>
am Hofe, &#x017F;elb&#x017F;t in der Regierung die ober&#x017F;ten Stellen<lb/>
nach wie vor re&#x017F;ervirt &#x017F;ind! So viel Bürgerliche &#x017F;ich<lb/>
auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufge&#x017F;chwun¬<lb/>
gen, &#x017F;ie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben<lb/>
in die Kla&#x017F;&#x017F;e der Bevorzugten über. Sollen die Kauf¬<lb/>
leute einen Krieg wün&#x017F;chen, oder auch nur eine Aen¬<lb/>
derung? &#x2014; Sie &#x017F;eufzen unter &#x017F;tarken Abgaben, aber<lb/>
der Handel blüht und &#x017F;ie werden reich. Die übrigen<lb/>
Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünkt¬<lb/>
lich. Wenn ein Krieg die Ka&#x017F;&#x017F;en leert, woher dann<lb/>
die Be&#x017F;oldung nehmen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht<lb/>
Kün&#x017F;tler, Handwerker, Männer der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, kleinere<lb/>
Grundbe&#x017F;itzer, Bauern, die unter einer drückenden<lb/>
Eintheilung der La&#x017F;ten &#x017F;eufzen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;eufzen wohl, aber &#x017F;ie &#x017F;prechen nicht mit.<lb/>
Und wenn &#x017F;ie zu &#x017F;prechen Lu&#x017F;t hätten, &#x017F;o haben &#x017F;ie noch<lb/>
nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußen's<lb/>
Volks&#x017F;inn &#x017F;teckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und<lb/>
nun betrachten Sie auf den Wachtparaden die&#x017F;e &#x017F;chwer¬<lb/>
fälligen, alten Officiere, die&#x017F;e Pontacsna&#x017F;en, die&#x017F;e Ca¬<lb/>
pitaine, die kaum die Schärpe um den Leib pre&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
in der &#x017F;ie drei Viertel ihrer Compagnie ver&#x017F;chluckten.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0104] Ertrag der großen Güter ſteigt, ihre adligen Beſitzer zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt ſich durch die bekannten Künſte im Hypothekenbuch ins Enorme hinaufſchrauben. Ein Krieg und dieſer Werth ſinkt. Und ſollen die Junker ihn wünſchen, denen im Heere, am Hofe, ſelbſt in der Regierung die oberſten Stellen nach wie vor reſervirt ſind! So viel Bürgerliche ſich auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeſchwun¬ gen, ſie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben in die Klaſſe der Bevorzugten über. Sollen die Kauf¬ leute einen Krieg wünſchen, oder auch nur eine Aen¬ derung? — Sie ſeufzen unter ſtarken Abgaben, aber der Handel blüht und ſie werden reich. Die übrigen Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünkt¬ lich. Wenn ein Krieg die Kaſſen leert, woher dann die Beſoldung nehmen.“ „Iſt das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht Künſtler, Handwerker, Männer der Wiſſenſchaft, kleinere Grundbeſitzer, Bauern, die unter einer drückenden Eintheilung der Laſten ſeufzen?“ „Sie ſeufzen wohl, aber ſie ſprechen nicht mit. Und wenn ſie zu ſprechen Luſt hätten, ſo haben ſie noch nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußen's Volksſinn ſteckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und nun betrachten Sie auf den Wachtparaden dieſe ſchwer¬ fälligen, alten Officiere, dieſe Pontacsnaſen, dieſe Ca¬ pitaine, die kaum die Schärpe um den Leib preſſen, in der ſie drei Viertel ihrer Compagnie verſchluckten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/104
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/104>, abgerufen am 05.05.2024.