Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Was Sie da sagen, sagte sie nach einer Weile,
ist sehr schön gesagt, aber --"

"Sie wollen mich nicht verstehen. Die wahre
Tugend hat das mit der wahren Schönheit gemein,
daß sie ihren Werth nicht kennt und weil sie ihn
nicht kennt, begreift sie nicht die Wirkungen, die sie
auf Andere ausübt."

"Das hat mir aber noch kein Mensch gesagt,
sagte sie, und mein Mann am wenigsten."

"Ei, wer wird denn zum Verräther werden! --
Die Knospe weiß nicht, daß sie zur Blume sich ent¬
falten wird, und wenn es ein Zauberer ihr verriethe,
wer weiß ob die Rosenblätter dann so roth aufgingen!
Das Nichtbewußtsein ist es, was der Blumen Farbe
und Duft nährt, die süße Scham, daß sie sich selbst
dem Lichte zeigen werden. Dies das Mysterium der
Natur und der Liebe, meine Gnädige."

"Sie sprechen ja ganz wie Jean Paul!"

"Wäre der vielleicht der Glückliche!"

Die Baronin bat ihn, mit seinen Ueberschweng¬
lichkeiten inne zu halten, und wollte sich doch aus¬
schütten vor Lachen. "In Jean Paul sind wir Alle
verliebt."

"Eine doch vielleicht mehr als die andere. Prüfen
Sie Ihr Herz!" wiederholte der Legationsrath mit
einem ernsten Tone.

"Na, ich bitte Sie, Herr Legationsrath. Sie
denken doch nicht, im Ernst? Man macht es mit wie
die Andern. Jean Paul --"

„Was Sie da ſagen, ſagte ſie nach einer Weile,
iſt ſehr ſchön geſagt, aber —“

„Sie wollen mich nicht verſtehen. Die wahre
Tugend hat das mit der wahren Schönheit gemein,
daß ſie ihren Werth nicht kennt und weil ſie ihn
nicht kennt, begreift ſie nicht die Wirkungen, die ſie
auf Andere ausübt.“

„Das hat mir aber noch kein Menſch geſagt,
ſagte ſie, und mein Mann am wenigſten.“

„Ei, wer wird denn zum Verräther werden! —
Die Knoſpe weiß nicht, daß ſie zur Blume ſich ent¬
falten wird, und wenn es ein Zauberer ihr verriethe,
wer weiß ob die Roſenblätter dann ſo roth aufgingen!
Das Nichtbewußtſein iſt es, was der Blumen Farbe
und Duft nährt, die ſüße Scham, daß ſie ſich ſelbſt
dem Lichte zeigen werden. Dies das Myſterium der
Natur und der Liebe, meine Gnädige.“

„Sie ſprechen ja ganz wie Jean Paul!“

„Wäre der vielleicht der Glückliche!“

Die Baronin bat ihn, mit ſeinen Ueberſchweng¬
lichkeiten inne zu halten, und wollte ſich doch aus¬
ſchütten vor Lachen. „In Jean Paul ſind wir Alle
verliebt.“

„Eine doch vielleicht mehr als die andere. Prüfen
Sie Ihr Herz!“ wiederholte der Legationsrath mit
einem ernſten Tone.

„Na, ich bitte Sie, Herr Legationsrath. Sie
denken doch nicht, im Ernſt? Man macht es mit wie
die Andern. Jean Paul —“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0127" n="117"/>
        <p>&#x201E;Was Sie da &#x017F;agen, &#x017F;agte &#x017F;ie nach einer Weile,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;chön ge&#x017F;agt, aber &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie wollen mich nicht ver&#x017F;tehen. Die wahre<lb/>
Tugend hat das mit der wahren Schönheit gemein,<lb/>
daß &#x017F;ie ihren Werth nicht kennt und weil &#x017F;ie ihn<lb/>
nicht kennt, begreift &#x017F;ie nicht die Wirkungen, die &#x017F;ie<lb/>
auf Andere ausübt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das hat mir aber noch kein Men&#x017F;ch ge&#x017F;agt,<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, und mein Mann am wenig&#x017F;ten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ei, wer wird denn zum Verräther werden! &#x2014;<lb/>
Die Kno&#x017F;pe weiß nicht, daß &#x017F;ie zur Blume &#x017F;ich ent¬<lb/>
falten wird, und wenn es ein Zauberer ihr verriethe,<lb/>
wer weiß ob die Ro&#x017F;enblätter dann &#x017F;o roth aufgingen!<lb/>
Das Nichtbewußt&#x017F;ein i&#x017F;t es, was der Blumen Farbe<lb/>
und Duft nährt, die &#x017F;üße Scham, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dem Lichte zeigen werden. Dies das My&#x017F;terium der<lb/>
Natur und der Liebe, meine Gnädige.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;prechen ja ganz wie Jean Paul!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wäre der vielleicht der Glückliche!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Baronin bat ihn, mit &#x017F;einen Ueber&#x017F;chweng¬<lb/>
lichkeiten inne zu halten, und wollte &#x017F;ich doch aus¬<lb/>
&#x017F;chütten vor Lachen. &#x201E;In Jean Paul &#x017F;ind wir Alle<lb/>
verliebt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eine doch vielleicht mehr als die andere. Prüfen<lb/>
Sie Ihr Herz!&#x201C; wiederholte der Legationsrath mit<lb/>
einem ern&#x017F;ten Tone.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Na, ich bitte Sie, Herr Legationsrath. Sie<lb/>
denken doch nicht, im Ern&#x017F;t? Man macht es mit wie<lb/>
die Andern. Jean Paul &#x2014;&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] „Was Sie da ſagen, ſagte ſie nach einer Weile, iſt ſehr ſchön geſagt, aber —“ „Sie wollen mich nicht verſtehen. Die wahre Tugend hat das mit der wahren Schönheit gemein, daß ſie ihren Werth nicht kennt und weil ſie ihn nicht kennt, begreift ſie nicht die Wirkungen, die ſie auf Andere ausübt.“ „Das hat mir aber noch kein Menſch geſagt, ſagte ſie, und mein Mann am wenigſten.“ „Ei, wer wird denn zum Verräther werden! — Die Knoſpe weiß nicht, daß ſie zur Blume ſich ent¬ falten wird, und wenn es ein Zauberer ihr verriethe, wer weiß ob die Roſenblätter dann ſo roth aufgingen! Das Nichtbewußtſein iſt es, was der Blumen Farbe und Duft nährt, die ſüße Scham, daß ſie ſich ſelbſt dem Lichte zeigen werden. Dies das Myſterium der Natur und der Liebe, meine Gnädige.“ „Sie ſprechen ja ganz wie Jean Paul!“ „Wäre der vielleicht der Glückliche!“ Die Baronin bat ihn, mit ſeinen Ueberſchweng¬ lichkeiten inne zu halten, und wollte ſich doch aus¬ ſchütten vor Lachen. „In Jean Paul ſind wir Alle verliebt.“ „Eine doch vielleicht mehr als die andere. Prüfen Sie Ihr Herz!“ wiederholte der Legationsrath mit einem ernſten Tone. „Na, ich bitte Sie, Herr Legationsrath. Sie denken doch nicht, im Ernſt? Man macht es mit wie die Andern. Jean Paul —“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/127
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/127>, abgerufen am 29.04.2024.