Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Und der Gedanke ist so natürlich. Du schau¬
derst ja fast."

"Ich begreife es oft nicht, warum ich nicht mehr
Dank für sie fühle, aber -- aber lassen wir das!
Walter, verrathe mich nicht, und deute es mir nicht
schlimm, es ist mir oft, als möchte ich je eher je
lieber aus diesem Hause fort. Es ist mir so heiß,
so bang oft --"

"Aber weißt Du, in welches ich Dich führen
könnte? Ein armer Gelehrter, -- würdest Du aus
Deinem Reichthum mir in eine Hütte folgen?"

"Sie sah ihn mit ihrem klaren Lächeln an: "Ja,
Walter. Ich bin ja nicht für den Reichthum geboren.
Wer weiß, wenn sie meiner überdrüssig wird, setzt sie
mich hinaus. Da müßte ich mir vorsorglich ein Ob¬
dach suchen. -- O pfui! keinen Scherz. -- Aber ich
habe mir es auch gedacht, daß Du zu stolz sein könn¬
test, weil Du arm bist. O ich liebe Dich so stolz,
wenn Du den reichen und vornehmen Herren kein
Wort, keinen Blick schuldig bleibst. Wie viele bücken
sich und kriechen, Du gehst grade. -- Nein, Walter,
auch darum nicht, nicht, weil ich Dir zu Hülfe kom¬
men wollte -- Ach, hilf mir doch -- das Schwerste
ist heraus, und das Allerschwerste steckt noch in der
Brust."

Sie barg ihr Gesicht an seinem Halse. Er strich über
ihre Stirn; er bat sie zu denken, sie sei in der Kirche
wie die fromme Katholikin, von der sie neulich ge¬
lesen, und er ihr Beichvater.

„Und der Gedanke iſt ſo natürlich. Du ſchau¬
derſt ja faſt.“

„Ich begreife es oft nicht, warum ich nicht mehr
Dank für ſie fühle, aber — aber laſſen wir das!
Walter, verrathe mich nicht, und deute es mir nicht
ſchlimm, es iſt mir oft, als möchte ich je eher je
lieber aus dieſem Hauſe fort. Es iſt mir ſo heiß,
ſo bang oft —“

„Aber weißt Du, in welches ich Dich führen
könnte? Ein armer Gelehrter, — würdeſt Du aus
Deinem Reichthum mir in eine Hütte folgen?“

„Sie ſah ihn mit ihrem klaren Lächeln an: „Ja,
Walter. Ich bin ja nicht für den Reichthum geboren.
Wer weiß, wenn ſie meiner überdrüſſig wird, ſetzt ſie
mich hinaus. Da müßte ich mir vorſorglich ein Ob¬
dach ſuchen. — O pfui! keinen Scherz. — Aber ich
habe mir es auch gedacht, daß Du zu ſtolz ſein könn¬
teſt, weil Du arm biſt. O ich liebe Dich ſo ſtolz,
wenn Du den reichen und vornehmen Herren kein
Wort, keinen Blick ſchuldig bleibſt. Wie viele bücken
ſich und kriechen, Du gehſt grade. — Nein, Walter,
auch darum nicht, nicht, weil ich Dir zu Hülfe kom¬
men wollte — Ach, hilf mir doch — das Schwerſte
iſt heraus, und das Allerſchwerſte ſteckt noch in der
Bruſt.“

Sie barg ihr Geſicht an ſeinem Halſe. Er ſtrich über
ihre Stirn; er bat ſie zu denken, ſie ſei in der Kirche
wie die fromme Katholikin, von der ſie neulich ge¬
leſen, und er ihr Beichvater.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0238" n="228"/>
        <p>&#x201E;Und der Gedanke i&#x017F;t &#x017F;o natürlich. Du &#x017F;chau¬<lb/>
der&#x017F;t ja fa&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich begreife es oft nicht, warum ich nicht mehr<lb/>
Dank für &#x017F;ie fühle, aber &#x2014; aber la&#x017F;&#x017F;en wir das!<lb/>
Walter, verrathe mich nicht, und deute es mir nicht<lb/>
&#x017F;chlimm, es i&#x017F;t mir oft, als möchte ich je eher je<lb/>
lieber aus die&#x017F;em Hau&#x017F;e fort. Es i&#x017F;t mir &#x017F;o heiß,<lb/>
&#x017F;o bang oft &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber weißt Du, in welches ich Dich führen<lb/>
könnte? Ein armer Gelehrter, &#x2014; würde&#x017F;t Du aus<lb/>
Deinem Reichthum mir in eine Hütte folgen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;ah ihn mit ihrem klaren Lächeln an: &#x201E;Ja,<lb/>
Walter. Ich bin ja nicht für den Reichthum geboren.<lb/>
Wer weiß, wenn &#x017F;ie meiner überdrü&#x017F;&#x017F;ig wird, &#x017F;etzt &#x017F;ie<lb/>
mich hinaus. Da müßte ich mir vor&#x017F;orglich ein Ob¬<lb/>
dach &#x017F;uchen. &#x2014; O pfui! keinen Scherz. &#x2014; Aber ich<lb/>
habe mir es auch gedacht, daß Du zu &#x017F;tolz &#x017F;ein könn¬<lb/>
te&#x017F;t, weil Du arm bi&#x017F;t. O ich liebe Dich &#x017F;o &#x017F;tolz,<lb/>
wenn Du den reichen und vornehmen Herren kein<lb/>
Wort, keinen Blick &#x017F;chuldig bleib&#x017F;t. Wie viele bücken<lb/>
&#x017F;ich und kriechen, Du geh&#x017F;t grade. &#x2014; Nein, Walter,<lb/>
auch darum nicht, nicht, weil ich Dir zu Hülfe kom¬<lb/>
men wollte &#x2014; Ach, hilf mir doch &#x2014; das Schwer&#x017F;te<lb/>
i&#x017F;t heraus, und das Aller&#x017F;chwer&#x017F;te &#x017F;teckt noch in der<lb/>
Bru&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie barg ihr Ge&#x017F;icht an &#x017F;einem Hal&#x017F;e. Er &#x017F;trich über<lb/>
ihre Stirn; er bat &#x017F;ie zu denken, &#x017F;ie &#x017F;ei in der Kirche<lb/>
wie die fromme Katholikin, von der &#x017F;ie neulich ge¬<lb/>
le&#x017F;en, und er ihr Beichvater.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0238] „Und der Gedanke iſt ſo natürlich. Du ſchau¬ derſt ja faſt.“ „Ich begreife es oft nicht, warum ich nicht mehr Dank für ſie fühle, aber — aber laſſen wir das! Walter, verrathe mich nicht, und deute es mir nicht ſchlimm, es iſt mir oft, als möchte ich je eher je lieber aus dieſem Hauſe fort. Es iſt mir ſo heiß, ſo bang oft —“ „Aber weißt Du, in welches ich Dich führen könnte? Ein armer Gelehrter, — würdeſt Du aus Deinem Reichthum mir in eine Hütte folgen?“ „Sie ſah ihn mit ihrem klaren Lächeln an: „Ja, Walter. Ich bin ja nicht für den Reichthum geboren. Wer weiß, wenn ſie meiner überdrüſſig wird, ſetzt ſie mich hinaus. Da müßte ich mir vorſorglich ein Ob¬ dach ſuchen. — O pfui! keinen Scherz. — Aber ich habe mir es auch gedacht, daß Du zu ſtolz ſein könn¬ teſt, weil Du arm biſt. O ich liebe Dich ſo ſtolz, wenn Du den reichen und vornehmen Herren kein Wort, keinen Blick ſchuldig bleibſt. Wie viele bücken ſich und kriechen, Du gehſt grade. — Nein, Walter, auch darum nicht, nicht, weil ich Dir zu Hülfe kom¬ men wollte — Ach, hilf mir doch — das Schwerſte iſt heraus, und das Allerſchwerſte ſteckt noch in der Bruſt.“ Sie barg ihr Geſicht an ſeinem Halſe. Er ſtrich über ihre Stirn; er bat ſie zu denken, ſie ſei in der Kirche wie die fromme Katholikin, von der ſie neulich ge¬ leſen, und er ihr Beichvater.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/238
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/238>, abgerufen am 05.05.2024.