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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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daß es eine Selbsttäuschung war, als ich einen Mo¬
ment glaubte, daß sie im Zorn von mir scheiden
wolle. Eine Heilige kann nicht zürnen.

""Um so schmerzlicher trifft es mein Herz, daß
ich dem Rufe nicht folgen kann. Meine Verhält¬
nisse, meine Ehre gebieten mir, hier zu bleiben. Die
Dame, um deren Hand ich mich bewerbe, wird eine
Aufwallung, zu der ich mich hinreißen ließ, verges¬
sen, und die Gerüchte, die man über eine Ent¬
zweiung aussprengt, selbst widerlegen. Wenn die
geringen Gaben, welche die Natur mir schenkte, die
Kenntnisse, welche ich mir erwarb, in Mancher Augen
mir vielleicht eine höhere Sphäre anweisen, so fühle
ich doch nur zu sehr, daß der Mensch, der immer in
weiteren Peripherieen sein Glück sucht, so oft das
übersieht, was ihm zunächst liegt, und worauf Natur
oder Geburt ihn gleichsam hinstieß. Meine physika¬
lischen und chemischen Kenntnisse berechtigen mich
zum Glauben, daß ich in der Tuchfabrikation Ver¬
besserungen einführen werde, welche dem Lande, dem
ich fortan gehören will, von, wenn auch nur gerin¬
gem, doch von Nutzen sein werden. Lächelt Fürstin
Gargazin darüber, so denkt sie doch vielleicht milder,
wenn sie den Spruch sich zuruft von dem, der sich
selbst erniedrigt.

""Und doch würde ich Ihrem Rufe folgen, wenn
nicht die heiligste Pflicht mich fesselte. Jene Aus¬
sichten bei Seite gesetzt, in diesem Augenblick kenne
ich nur eine Pflicht, eine unschuldig verfolgte Frau,

daß es eine Selbſttäuſchung war, als ich einen Mo¬
ment glaubte, daß ſie im Zorn von mir ſcheiden
wolle. Eine Heilige kann nicht zürnen.

„„Um ſo ſchmerzlicher trifft es mein Herz, daß
ich dem Rufe nicht folgen kann. Meine Verhält¬
niſſe, meine Ehre gebieten mir, hier zu bleiben. Die
Dame, um deren Hand ich mich bewerbe, wird eine
Aufwallung, zu der ich mich hinreißen ließ, vergeſ¬
ſen, und die Gerüchte, die man über eine Ent¬
zweiung ausſprengt, ſelbſt widerlegen. Wenn die
geringen Gaben, welche die Natur mir ſchenkte, die
Kenntniſſe, welche ich mir erwarb, in Mancher Augen
mir vielleicht eine höhere Sphäre anweiſen, ſo fühle
ich doch nur zu ſehr, daß der Menſch, der immer in
weiteren Peripherieen ſein Glück ſucht, ſo oft das
überſieht, was ihm zunächſt liegt, und worauf Natur
oder Geburt ihn gleichſam hinſtieß. Meine phyſika¬
liſchen und chemiſchen Kenntniſſe berechtigen mich
zum Glauben, daß ich in der Tuchfabrikation Ver¬
beſſerungen einführen werde, welche dem Lande, dem
ich fortan gehören will, von, wenn auch nur gerin¬
gem, doch von Nutzen ſein werden. Lächelt Fürſtin
Gargazin darüber, ſo denkt ſie doch vielleicht milder,
wenn ſie den Spruch ſich zuruft von dem, der ſich
ſelbſt erniedrigt.

„„Und doch würde ich Ihrem Rufe folgen, wenn
nicht die heiligſte Pflicht mich feſſelte. Jene Aus¬
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[226/0236] daß es eine Selbſttäuſchung war, als ich einen Mo¬ ment glaubte, daß ſie im Zorn von mir ſcheiden wolle. Eine Heilige kann nicht zürnen. „„Um ſo ſchmerzlicher trifft es mein Herz, daß ich dem Rufe nicht folgen kann. Meine Verhält¬ niſſe, meine Ehre gebieten mir, hier zu bleiben. Die Dame, um deren Hand ich mich bewerbe, wird eine Aufwallung, zu der ich mich hinreißen ließ, vergeſ¬ ſen, und die Gerüchte, die man über eine Ent¬ zweiung ausſprengt, ſelbſt widerlegen. Wenn die geringen Gaben, welche die Natur mir ſchenkte, die Kenntniſſe, welche ich mir erwarb, in Mancher Augen mir vielleicht eine höhere Sphäre anweiſen, ſo fühle ich doch nur zu ſehr, daß der Menſch, der immer in weiteren Peripherieen ſein Glück ſucht, ſo oft das überſieht, was ihm zunächſt liegt, und worauf Natur oder Geburt ihn gleichſam hinſtieß. Meine phyſika¬ liſchen und chemiſchen Kenntniſſe berechtigen mich zum Glauben, daß ich in der Tuchfabrikation Ver¬ beſſerungen einführen werde, welche dem Lande, dem ich fortan gehören will, von, wenn auch nur gerin¬ gem, doch von Nutzen ſein werden. Lächelt Fürſtin Gargazin darüber, ſo denkt ſie doch vielleicht milder, wenn ſie den Spruch ſich zuruft von dem, der ſich ſelbſt erniedrigt. „„Und doch würde ich Ihrem Rufe folgen, wenn nicht die heiligſte Pflicht mich feſſelte. Jene Aus¬ ſichten bei Seite geſetzt, in dieſem Augenblick kenne ich nur eine Pflicht, eine unſchuldig verfolgte Frau,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/236>, abgerufen am 28.04.2024.