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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Polen! Sollte die Monarchin dies zugeflüsterte Wort
beruhigen? Unter dem blauen Rock sei Herz und
Verlaß, hatte man sie gelehrt. Wenn nun Tausende
von Herzen darunter schlugen, auf die kein Verlaß
war, und Friedrichs Disciplin fehlte! Daß diese
nicht mehr sei, hatte sie in Weimar, Naumburg, selbst
in Berlin von so vielen klagenden Stimmen gehört.
Auf dem Kirchhofe fangen Maraudeure, die ihre Beute
von Lobeda theilten, unter wildem Gekreisch das Räu¬
berlied: Ein freies Leben führen wir, ein Leben
voller Wonne! -- Die Königin, während der Um¬
spannung einen Augenblick abgestiegen, hatte in die
offene Kirche treten wollen, der Geistliche aber bat
sie, umzukehren, es seien da Verwundete, Sterbende
untergebracht. Es mochte noch mancher andere An¬
blick sein, nicht geeignet für die Augen einer zarten
Frau. Am Ausgang hatte sie ein hingesunkenes jun¬
ges Weib bemerkt, die Züge des Todes auf ihrem
blassen, schönen Gesicht. Der Prediger wollte den
Anblick mit seinem Rücken decken, aber die edleren Züge
des Mädchens in der widerwärtigen Umgebung in¬
teressirten unwillkürlich die Königin. Wie kommt die
Unglückliche hierher? Der Geistliche hatte die Achseln
gezückt: "Eins von den Geschöpfen, welche die Sol¬
daten mitschleppen, oder sie laufen ihnen von selbst
nach. So was gehört freilich nicht in ein Gottes¬
haus, aber wer kann's hindern. Sie haben sie auch
wohl arg mitgenommen da bei der Plünderung in
Lobeda und geschlagen. Sie blutete." Die Königin

Polen! Sollte die Monarchin dies zugeflüſterte Wort
beruhigen? Unter dem blauen Rock ſei Herz und
Verlaß, hatte man ſie gelehrt. Wenn nun Tauſende
von Herzen darunter ſchlugen, auf die kein Verlaß
war, und Friedrichs Disciplin fehlte! Daß dieſe
nicht mehr ſei, hatte ſie in Weimar, Naumburg, ſelbſt
in Berlin von ſo vielen klagenden Stimmen gehört.
Auf dem Kirchhofe fangen Maraudeure, die ihre Beute
von Lobeda theilten, unter wildem Gekreiſch das Räu¬
berlied: Ein freies Leben führen wir, ein Leben
voller Wonne! — Die Königin, während der Um¬
ſpannung einen Augenblick abgeſtiegen, hatte in die
offene Kirche treten wollen, der Geiſtliche aber bat
ſie, umzukehren, es ſeien da Verwundete, Sterbende
untergebracht. Es mochte noch mancher andere An¬
blick ſein, nicht geeignet für die Augen einer zarten
Frau. Am Ausgang hatte ſie ein hingeſunkenes jun¬
ges Weib bemerkt, die Züge des Todes auf ihrem
blaſſen, ſchönen Geſicht. Der Prediger wollte den
Anblick mit ſeinem Rücken decken, aber die edleren Züge
des Mädchens in der widerwärtigen Umgebung in¬
tereſſirten unwillkürlich die Königin. Wie kommt die
Unglückliche hierher? Der Geiſtliche hatte die Achſeln
gezückt: „Eins von den Geſchöpfen, welche die Sol¬
daten mitſchleppen, oder ſie laufen ihnen von ſelbſt
nach. So was gehört freilich nicht in ein Gottes¬
haus, aber wer kann's hindern. Sie haben ſie auch
wohl arg mitgenommen da bei der Plünderung in
Lobeda und geſchlagen. Sie blutete.“ Die Königin

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[297/0307] Polen! Sollte die Monarchin dies zugeflüſterte Wort beruhigen? Unter dem blauen Rock ſei Herz und Verlaß, hatte man ſie gelehrt. Wenn nun Tauſende von Herzen darunter ſchlugen, auf die kein Verlaß war, und Friedrichs Disciplin fehlte! Daß dieſe nicht mehr ſei, hatte ſie in Weimar, Naumburg, ſelbſt in Berlin von ſo vielen klagenden Stimmen gehört. Auf dem Kirchhofe fangen Maraudeure, die ihre Beute von Lobeda theilten, unter wildem Gekreiſch das Räu¬ berlied: Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne! — Die Königin, während der Um¬ ſpannung einen Augenblick abgeſtiegen, hatte in die offene Kirche treten wollen, der Geiſtliche aber bat ſie, umzukehren, es ſeien da Verwundete, Sterbende untergebracht. Es mochte noch mancher andere An¬ blick ſein, nicht geeignet für die Augen einer zarten Frau. Am Ausgang hatte ſie ein hingeſunkenes jun¬ ges Weib bemerkt, die Züge des Todes auf ihrem blaſſen, ſchönen Geſicht. Der Prediger wollte den Anblick mit ſeinem Rücken decken, aber die edleren Züge des Mädchens in der widerwärtigen Umgebung in¬ tereſſirten unwillkürlich die Königin. Wie kommt die Unglückliche hierher? Der Geiſtliche hatte die Achſeln gezückt: „Eins von den Geſchöpfen, welche die Sol¬ daten mitſchleppen, oder ſie laufen ihnen von ſelbſt nach. So was gehört freilich nicht in ein Gottes¬ haus, aber wer kann's hindern. Sie haben ſie auch wohl arg mitgenommen da bei der Plünderung in Lobeda und geſchlagen. Sie blutete.“ Die Königin

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/307>, abgerufen am 29.04.2024.