Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Reste von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenstern
sich erhalten; spinneumwebt, verdunkelt von Staub
und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um
dem Sonnenschein, der eindrang, eine dumpfe,
gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu
ihrer Stimmung. Ob der Schein sie lockte, ob eine
Ahnung?

Sie war eingetreten. Sie sah nichts von den
Schrecken. Vielleicht waren sie schon entfernt. Auf
den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der
Königin die Rettungspost gebracht. Sein Pferd hatte
sich losgerissen von den Vorreitern, die es auf einen
Wink des Stallmeisters am Zügel führen sollten.
Der Mann selbst war ja nicht mehr im Stande, es zu
lenken. Im Dorf war das Thier gestürzt mit seinem
Herrn -- ein heftiger, tödtlicher Blutsturz. Louis
Bovillard hatte sich nicht mehr aufrichten können,
der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen lassen.

Der Sonnenschein fiel durch die gelben Schei¬
ben grade auf sein Gesicht, als Adelheid eintrat.
Sie schrie nicht auf, sie rang nicht die Hände, ihre
Knie zitterten nicht. Schien es doch, als sei es nur
die Erfüllung von etwas, was sie längst gewußt.
Die Hände faltend blieb sie noch in der Entfernung
stehen und blickte auf ihn, wie man zum ersten Mal
den Grabstein eines theuren Verblichenen erblickt.
Nicht einmal eine Thräne stürzte aus ihrem Auge.
Aber etwas hätte sie befremden mögen, -- auf der
Stufe drunter die jugendliche Gestalt eines Weibes;

20*

Reſte von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenſtern
ſich erhalten; ſpinneumwebt, verdunkelt von Staub
und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um
dem Sonnenſchein, der eindrang, eine dumpfe,
gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu
ihrer Stimmung. Ob der Schein ſie lockte, ob eine
Ahnung?

Sie war eingetreten. Sie ſah nichts von den
Schrecken. Vielleicht waren ſie ſchon entfernt. Auf
den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der
Königin die Rettungspoſt gebracht. Sein Pferd hatte
ſich losgeriſſen von den Vorreitern, die es auf einen
Wink des Stallmeiſters am Zügel führen ſollten.
Der Mann ſelbſt war ja nicht mehr im Stande, es zu
lenken. Im Dorf war das Thier geſtürzt mit ſeinem
Herrn — ein heftiger, tödtlicher Blutſturz. Louis
Bovillard hatte ſich nicht mehr aufrichten können,
der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen laſſen.

Der Sonnenſchein fiel durch die gelben Schei¬
ben grade auf ſein Geſicht, als Adelheid eintrat.
Sie ſchrie nicht auf, ſie rang nicht die Hände, ihre
Knie zitterten nicht. Schien es doch, als ſei es nur
die Erfüllung von etwas, was ſie längſt gewußt.
Die Hände faltend blieb ſie noch in der Entfernung
ſtehen und blickte auf ihn, wie man zum erſten Mal
den Grabſtein eines theuren Verblichenen erblickt.
Nicht einmal eine Thräne ſtürzte aus ihrem Auge.
Aber etwas hätte ſie befremden mögen, — auf der
Stufe drunter die jugendliche Geſtalt eines Weibes;

20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0317" n="307"/>
Re&#x017F;te von bunten Scheiben in den Spitzbogenfen&#x017F;tern<lb/>
&#x017F;ich erhalten; &#x017F;pinneumwebt, verdunkelt von Staub<lb/>
und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um<lb/>
dem Sonnen&#x017F;chein, der eindrang, eine dumpfe,<lb/>
gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu<lb/>
ihrer Stimmung. Ob der Schein &#x017F;ie lockte, ob eine<lb/>
Ahnung?</p><lb/>
        <p>Sie war eingetreten. Sie &#x017F;ah nichts von den<lb/>
Schrecken. Vielleicht waren &#x017F;ie &#x017F;chon entfernt. Auf<lb/>
den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der<lb/>
Königin die Rettungspo&#x017F;t gebracht. Sein Pferd hatte<lb/>
&#x017F;ich losgeri&#x017F;&#x017F;en von den Vorreitern, die es auf einen<lb/>
Wink des Stallmei&#x017F;ters am Zügel führen &#x017F;ollten.<lb/>
Der Mann &#x017F;elb&#x017F;t war ja nicht mehr im Stande, es zu<lb/>
lenken. Im Dorf war das Thier ge&#x017F;türzt mit &#x017F;einem<lb/>
Herrn &#x2014; ein heftiger, tödtlicher Blut&#x017F;turz. Louis<lb/>
Bovillard hatte &#x017F;ich nicht mehr aufrichten können,<lb/>
der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Der Sonnen&#x017F;chein fiel durch die gelben Schei¬<lb/>
ben grade auf &#x017F;ein Ge&#x017F;icht, als Adelheid eintrat.<lb/>
Sie &#x017F;chrie nicht auf, &#x017F;ie rang nicht die Hände, ihre<lb/>
Knie zitterten nicht. Schien es doch, als &#x017F;ei es nur<lb/>
die Erfüllung von etwas, was &#x017F;ie läng&#x017F;t gewußt.<lb/>
Die Hände faltend blieb &#x017F;ie noch in der Entfernung<lb/>
&#x017F;tehen und blickte auf ihn, wie man zum er&#x017F;ten Mal<lb/>
den Grab&#x017F;tein eines theuren Verblichenen erblickt.<lb/>
Nicht einmal eine Thräne &#x017F;türzte aus ihrem Auge.<lb/>
Aber etwas hätte &#x017F;ie befremden mögen, &#x2014; auf der<lb/>
Stufe drunter die jugendliche Ge&#x017F;talt eines Weibes;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0317] Reſte von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenſtern ſich erhalten; ſpinneumwebt, verdunkelt von Staub und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um dem Sonnenſchein, der eindrang, eine dumpfe, gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu ihrer Stimmung. Ob der Schein ſie lockte, ob eine Ahnung? Sie war eingetreten. Sie ſah nichts von den Schrecken. Vielleicht waren ſie ſchon entfernt. Auf den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der Königin die Rettungspoſt gebracht. Sein Pferd hatte ſich losgeriſſen von den Vorreitern, die es auf einen Wink des Stallmeiſters am Zügel führen ſollten. Der Mann ſelbſt war ja nicht mehr im Stande, es zu lenken. Im Dorf war das Thier geſtürzt mit ſeinem Herrn — ein heftiger, tödtlicher Blutſturz. Louis Bovillard hatte ſich nicht mehr aufrichten können, der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen laſſen. Der Sonnenſchein fiel durch die gelben Schei¬ ben grade auf ſein Geſicht, als Adelheid eintrat. Sie ſchrie nicht auf, ſie rang nicht die Hände, ihre Knie zitterten nicht. Schien es doch, als ſei es nur die Erfüllung von etwas, was ſie längſt gewußt. Die Hände faltend blieb ſie noch in der Entfernung ſtehen und blickte auf ihn, wie man zum erſten Mal den Grabſtein eines theuren Verblichenen erblickt. Nicht einmal eine Thräne ſtürzte aus ihrem Auge. Aber etwas hätte ſie befremden mögen, — auf der Stufe drunter die jugendliche Geſtalt eines Weibes; 20*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/317
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/317>, abgerufen am 29.05.2024.