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Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gefühls nennen wir Liebe. Wir lieben nur uns im Weibe; aber das Weib kann gar nicht lieben. In der Leidenschaft ist es Bacchantin; ohne Leidenschaft kann es nur rechnen. Darum fliehe die Weiber, wenn du dir nicht Muth zutrauest, sie zu beherrschen. Es ist kein Kinderauge so unschuldig, daß du nicht schon darin die Katzentücke wahrnehmen wirst, das schlaue Hinhorchen auf das, was gilt. Nur Die, welche nichts zu verlieren haben, sind zur Aufopferung bereit. Am fürchterlichsten sind die Weiber, welche herrschen, und unselig die Reiche, wo Frauen auf dem Throne sitzen, weil in dem Schwanken zwischen tyrannischen Launen und nachgiebiger Schwäche jede Sicherheit aufhört. Siehe dieses England, wohin ich gehe, wie seine Königin Anna es vom Gipfel der Macht an den Rand des Abgrundes gebracht hat, und wehe dem armen Lande, das wir jetzt verlassen, wo eine neue Anna regieren soll, um selbst regiert zu werden von Furcht, Kitzel und den wechselnden Launen ihrer wechselnden Günstlinge.

Sie waren ausgestiegen, um sich zu trennen. Als der Neffe auf sein Pferd wollte, um den Rückweg anzutreten, bemerkte er eine vorüberziehende Zigeunerbande. Theosophus' Blicke verdüsterten sich, und ein bittres Lächeln zuckte über die Lippen, indem er ausrief: Ibi veritas! -- Was wollt Ihr damit sagen, verehrter Ohm? -- Anfragen, mein Neffe, in die Wolken, woher, was den Weisesten der Weisen mit dem Schleier von Sais verdeckt bleibt, diesem Gesindel ohne Ab-

gefühls nennen wir Liebe. Wir lieben nur uns im Weibe; aber das Weib kann gar nicht lieben. In der Leidenschaft ist es Bacchantin; ohne Leidenschaft kann es nur rechnen. Darum fliehe die Weiber, wenn du dir nicht Muth zutrauest, sie zu beherrschen. Es ist kein Kinderauge so unschuldig, daß du nicht schon darin die Katzentücke wahrnehmen wirst, das schlaue Hinhorchen auf das, was gilt. Nur Die, welche nichts zu verlieren haben, sind zur Aufopferung bereit. Am fürchterlichsten sind die Weiber, welche herrschen, und unselig die Reiche, wo Frauen auf dem Throne sitzen, weil in dem Schwanken zwischen tyrannischen Launen und nachgiebiger Schwäche jede Sicherheit aufhört. Siehe dieses England, wohin ich gehe, wie seine Königin Anna es vom Gipfel der Macht an den Rand des Abgrundes gebracht hat, und wehe dem armen Lande, das wir jetzt verlassen, wo eine neue Anna regieren soll, um selbst regiert zu werden von Furcht, Kitzel und den wechselnden Launen ihrer wechselnden Günstlinge.

Sie waren ausgestiegen, um sich zu trennen. Als der Neffe auf sein Pferd wollte, um den Rückweg anzutreten, bemerkte er eine vorüberziehende Zigeunerbande. Theosophus' Blicke verdüsterten sich, und ein bittres Lächeln zuckte über die Lippen, indem er ausrief: Ibi veritas! — Was wollt Ihr damit sagen, verehrter Ohm? — Anfragen, mein Neffe, in die Wolken, woher, was den Weisesten der Weisen mit dem Schleier von Sais verdeckt bleibt, diesem Gesindel ohne Ab-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:11:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:11:53Z)

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/66>, abgerufen am 28.04.2024.