Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.

Bild:
<< vorherige Seite

Tod, alles Gesetzen unterworfen, die der Mensch niemals ganz durchdringt, voll Weisheit, voller Unergründlichkeit, ein lichter Weg und eine dunkle Wirrnis!

Wo Gesetze unerbittlich ehern herrschen, die der Mensch nicht enträtseln, nicht bekämpfen kann, da, da lernte es der Dichter, der Bienenzüchter während 20 Jahren, die Menschen, losgelöst vom Tages-Gesetze, in antizipierten Entwicklungsstadien der Seele zu erfassen, die gleichsam bereits ausserhalb des Irdischen sich befinden und wohin ausser der wissende Blick Gottes nur noch der ahnende Blick des Dichters zu dringen vermag!

[Abbildung]

Obmann.

Es war in einer ganz kleinen Provinzstadt, ich war Obmann der Geschworenen. Lauter Bauern. Eine "Madonna" von siebzehn Jahren war angeklagt. Sie hatte in einem Stalle geboren. Sie lehnte in dem schmerzlichen Augenblicke an der Stallwand. Das Kind war direkt, wie sie sagte, auf die Steinfliesen heruntergefallen. Den Schädel eingedrückt. Niemand glaubte es ihr.

Der Verführer sass im Gerichtssaale.

Wie ein Verführer - - - schön und roh, gemein bis in die Knochen. Was ging es ihn an?! Hätte sie sich nicht -!?

Meine Bauern-Kollegen sagten zu mir: "Na, na, Sie, dös kennen mir. Wenn mir nix kennen, dös

Tod, alles Gesetzen unterworfen, die der Mensch niemals ganz durchdringt, voll Weisheit, voller Unergründlichkeit, ein lichter Weg und eine dunkle Wirrnis!

Wo Gesetze unerbittlich ehern herrschen, die der Mensch nicht enträtseln, nicht bekämpfen kann, da, da lernte es der Dichter, der Bienenzüchter während 20 Jahren, die Menschen, losgelöst vom Tages-Gesetze, in antizipierten Entwicklungsstadien der Seele zu erfassen, die gleichsam bereits ausserhalb des Irdischen sich befinden und wohin ausser der wissende Blick Gottes nur noch der ahnende Blick des Dichters zu dringen vermag!

[Abbildung]

Obmann.

Es war in einer ganz kleinen Provinzstadt, ich war Obmann der Geschworenen. Lauter Bauern. Eine „Madonna“ von siebzehn Jahren war angeklagt. Sie hatte in einem Stalle geboren. Sie lehnte in dem schmerzlichen Augenblicke an der Stallwand. Das Kind war direkt, wie sie sagte, auf die Steinfliesen heruntergefallen. Den Schädel eingedrückt. Niemand glaubte es ihr.

Der Verführer sass im Gerichtssaale.

Wie ein Verführer – – – schön und roh, gemein bis in die Knochen. Was ging es ihn an?! Hätte sie sich nicht –!?

Meine Bauern-Kollegen sagten zu mir: „Na, na, Sie, dös kennen mir. Wenn mir nix kennen, dös

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="138"/>
Tod, alles Gesetzen unterworfen, die der Mensch niemals ganz durchdringt, voll Weisheit, voller Unergründlichkeit, ein lichter Weg und eine dunkle Wirrnis!</p>
        <p>Wo Gesetze unerbittlich ehern herrschen, die der Mensch nicht enträtseln, nicht bekämpfen kann, da, da lernte es der Dichter, der Bienenzüchter während 20 Jahren, die Menschen, losgelöst vom Tages-Gesetze, in antizipierten Entwicklungsstadien der Seele zu erfassen, die gleichsam bereits ausserhalb des Irdischen sich befinden und wohin ausser der <hi rendition="#g">wissende</hi> Blick Gottes nur noch der <hi rendition="#g">ahnende</hi> Blick des Dichters zu dringen vermag!</p>
        <figure/><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Obmann</hi>.</p>
        <p>Es war in einer ganz kleinen Provinzstadt, ich war Obmann der Geschworenen. Lauter Bauern. Eine &#x201E;<hi rendition="#g">Madonna</hi>&#x201C; von siebzehn Jahren war angeklagt. Sie hatte in einem Stalle geboren. Sie lehnte in dem schmerzlichen Augenblicke an der Stallwand. Das Kind war direkt, wie sie sagte, auf die Steinfliesen heruntergefallen. Den Schädel eingedrückt. Niemand glaubte es ihr.</p>
        <p>Der Verführer sass im Gerichtssaale.</p>
        <p>Wie ein Verführer &#x2013; &#x2013; &#x2013; schön und roh, gemein bis in die Knochen. Was ging es ihn an?! Hätte sie sich nicht &#x2013;!?</p>
        <p>Meine Bauern-Kollegen sagten zu mir: &#x201E;Na, na, Sie, dös kennen mir. Wenn mir nix kennen, dös
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0138] Tod, alles Gesetzen unterworfen, die der Mensch niemals ganz durchdringt, voll Weisheit, voller Unergründlichkeit, ein lichter Weg und eine dunkle Wirrnis! Wo Gesetze unerbittlich ehern herrschen, die der Mensch nicht enträtseln, nicht bekämpfen kann, da, da lernte es der Dichter, der Bienenzüchter während 20 Jahren, die Menschen, losgelöst vom Tages-Gesetze, in antizipierten Entwicklungsstadien der Seele zu erfassen, die gleichsam bereits ausserhalb des Irdischen sich befinden und wohin ausser der wissende Blick Gottes nur noch der ahnende Blick des Dichters zu dringen vermag! [Abbildung] Obmann. Es war in einer ganz kleinen Provinzstadt, ich war Obmann der Geschworenen. Lauter Bauern. Eine „Madonna“ von siebzehn Jahren war angeklagt. Sie hatte in einem Stalle geboren. Sie lehnte in dem schmerzlichen Augenblicke an der Stallwand. Das Kind war direkt, wie sie sagte, auf die Steinfliesen heruntergefallen. Den Schädel eingedrückt. Niemand glaubte es ihr. Der Verführer sass im Gerichtssaale. Wie ein Verführer – – – schön und roh, gemein bis in die Knochen. Was ging es ihn an?! Hätte sie sich nicht –!? Meine Bauern-Kollegen sagten zu mir: „Na, na, Sie, dös kennen mir. Wenn mir nix kennen, dös

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-18T07:14:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-18T07:14:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-18T07:14:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/138
Zitationshilfe: Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/138>, abgerufen am 28.04.2024.