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Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.

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Die Möglichkeit der Verfügung über irgend ein Eigentum über das Leben hinaus aus der Hand zu geben, ungenützt zu lassen, ist die Fahrlässigkeit eines Unkultivierten!

Das Testament und seine Art ist das Zeichen aller Kultur-Grade in einem testierenden Organismus! Dein Testament bist du!

Hier allein kannst du, losgelöst von Zwang und Leidenschaft der Stunde und des Tages, gleichsam träumerisch, versunken in eine Zeit, da das Irdische nichts mehr für Dich bedeutet, deinen in freier Geistigkeit, in freier Seelenruhe geläuterten Willen wirken lassen!

Das bisher durch tausend Rücksichten geknebelte Menschentum in dir mag in dieser Stunde der Entrücktheit aus diesem verworrenen Getriebe "Leben", nun erblühen, sich dieses einzige Mal vielleicht entfalten, und, während du bisher als starrer Ich-Mensch leben musstest im Kampf ums Dasein, erwachse in dieser kurzen Stunde der Testament-Abfassung deine bis dahin unterdrückte Menschenfreundschaft!

Gerechtigkeit und Sanftmut, Weisheit, Voraussicht, edle Menschenkenntnis, befeuert und gestärkt durch seinen lebhaften philosophischen Trieb, seine Dankbarkeit für das gütige Schicksal des Daseins, das einem Eigentum verlieh, zu beweisen, vereinigen sich nun in dem Organismus eines kultivierten Testators zu einer seine bisherigen Lebenskräfte in eins zusammenfassenden und das Gebäude seines

Die Möglichkeit der Verfügung über irgend ein Eigentum über das Leben hinaus aus der Hand zu geben, ungenützt zu lassen, ist die Fahrlässigkeit eines Unkultivierten!

Das Testament und seine Art ist das Zeichen aller Kultur-Grade in einem testierenden Organismus! Dein Testament bist du!

Hier allein kannst du, losgelöst von Zwang und Leidenschaft der Stunde und des Tages, gleichsam träumerisch, versunken in eine Zeit, da das Irdische nichts mehr für Dich bedeutet, deinen in freier Geistigkeit, in freier Seelenruhe geläuterten Willen wirken lassen!

Das bisher durch tausend Rücksichten geknebelte Menschentum in dir mag in dieser Stunde der Entrücktheit aus diesem verworrenen Getriebe „Leben“, nun erblühen, sich dieses einzige Mal vielleicht entfalten, und, während du bisher als starrer Ich-Mensch leben musstest im Kampf ums Dasein, erwachse in dieser kurzen Stunde der Testament-Abfassung deine bis dahin unterdrückte Menschenfreundschaft!

Gerechtigkeit und Sanftmut, Weisheit, Voraussicht, edle Menschenkenntnis, befeuert und gestärkt durch seinen lebhaften philosophischen Trieb, seine Dankbarkeit für das gütige Schicksal des Daseins, das einem Eigentum verlieh, zu beweisen, vereinigen sich nun in dem Organismus eines kultivierten Testators zu einer seine bisherigen Lebenskräfte in eins zusammenfassenden und das Gebäude seines

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[192/0192] Die Möglichkeit der Verfügung über irgend ein Eigentum über das Leben hinaus aus der Hand zu geben, ungenützt zu lassen, ist die Fahrlässigkeit eines Unkultivierten! Das Testament und seine Art ist das Zeichen aller Kultur-Grade in einem testierenden Organismus! Dein Testament bist du! Hier allein kannst du, losgelöst von Zwang und Leidenschaft der Stunde und des Tages, gleichsam träumerisch, versunken in eine Zeit, da das Irdische nichts mehr für Dich bedeutet, deinen in freier Geistigkeit, in freier Seelenruhe geläuterten Willen wirken lassen! Das bisher durch tausend Rücksichten geknebelte Menschentum in dir mag in dieser Stunde der Entrücktheit aus diesem verworrenen Getriebe „Leben“, nun erblühen, sich dieses einzige Mal vielleicht entfalten, und, während du bisher als starrer Ich-Mensch leben musstest im Kampf ums Dasein, erwachse in dieser kurzen Stunde der Testament-Abfassung deine bis dahin unterdrückte Menschenfreundschaft! Gerechtigkeit und Sanftmut, Weisheit, Voraussicht, edle Menschenkenntnis, befeuert und gestärkt durch seinen lebhaften philosophischen Trieb, seine Dankbarkeit für das gütige Schicksal des Daseins, das einem Eigentum verlieh, zu beweisen, vereinigen sich nun in dem Organismus eines kultivierten Testators zu einer seine bisherigen Lebenskräfte in eins zusammenfassenden und das Gebäude seines

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Zitationshilfe: Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/192>, abgerufen am 29.04.2024.