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Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.

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edler Rist, deine lieblichen rosigen und beweglichen Zehen, deine Mitmenschen mit dem ungewohnten Anblicke deiner Nacktheiten zu versöhnen imstande sind?!?

Ich sah einst im Sommer auf der See-Esplanade zwei Kinder von 9 und 11 Jahren mit Sandalen und nackten Füssen.

Die Schönheit des Anblickes kämpfte einen Augenblick lang mit der Un-Gewohnheit. Aber das Künstlerisch-Vollkommenetrug den Sieg davon.

Nur wünschte ich es mir sogleich innerlich dringend, nicht alle anwesenden Kinder auf der Esplanade von nun an mit nackten Füssen in Riemen-Sandalen spazieren gehen zu sehen.

Die "Gunst des Schicksals" spreche da stets das letzte Wort, und die "perfide Eitelkeit" sogleich tölpelhaft mitkonkurrierender Mütter würde die "hygienisch-diätetische" Welt zwar fördern, aber der "ästhetischen Welt" zugleich schreckliche Opfer auferlegen!

Der Fuss, nackt in Riemen-Sandalen, ist das gewiss gleichsam von der Natur vorbestimmte und vorausgeträumte Ideal.

Aber zu dieser letzten und höchsten Entwicklung des Fusses muss man erst gleichsam die griechischen Götter der Schönheit versöhnt haben durch ästhetische Vollkommenheit!

Bleibe solange verhüllt, eingesargt, oh Mensch, in deinem Gewande, bis du durch Schicksal

edler Rist, deine lieblichen rosigen und beweglichen Zehen, deine Mitmenschen mit dem ungewohnten Anblicke deiner Nacktheiten zu versöhnen imstande sind?!?

Ich sah einst im Sommer auf der See-Esplanade zwei Kinder von 9 und 11 Jahren mit Sandalen und nackten Füssen.

Die Schönheit des Anblickes kämpfte einen Augenblick lang mit der Un-Gewohnheit. Aber das Künstlerisch-Vollkommenetrug den Sieg davon.

Nur wünschte ich es mir sogleich innerlich dringend, nicht alle anwesenden Kinder auf der Esplanade von nun an mit nackten Füssen in Riemen-Sandalen spazieren gehen zu sehen.

Die „Gunst des Schicksals“ spreche da stets das letzte Wort, und die „perfide Eitelkeit“ sogleich tölpelhaft mitkonkurrierender Mütter würde die „hygienisch-diätetische“ Welt zwar fördern, aber der „ästhetischen Welt“ zugleich schreckliche Opfer auferlegen!

Der Fuss, nackt in Riemen-Sandalen, ist das gewiss gleichsam von der Natur vorbestimmte und vorausgeträumte Ideal.

Aber zu dieser letzten und höchsten Entwicklung des Fusses muss man erst gleichsam die griechischen Götter der Schönheit versöhnt haben durch ästhetische Vollkommenheit!

Bleibe solange verhüllt, eingesargt, oh Mensch, in deinem Gewande, bis du durch Schicksal

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[195/0195] edler Rist, deine lieblichen rosigen und beweglichen Zehen, deine Mitmenschen mit dem ungewohnten Anblicke deiner Nacktheiten zu versöhnen imstande sind?!? Ich sah einst im Sommer auf der See-Esplanade zwei Kinder von 9 und 11 Jahren mit Sandalen und nackten Füssen. Die Schönheit des Anblickes kämpfte einen Augenblick lang mit der Un-Gewohnheit. Aber das Künstlerisch-Vollkommenetrug den Sieg davon. Nur wünschte ich es mir sogleich innerlich dringend, nicht alle anwesenden Kinder auf der Esplanade von nun an mit nackten Füssen in Riemen-Sandalen spazieren gehen zu sehen. Die „Gunst des Schicksals“ spreche da stets das letzte Wort, und die „perfide Eitelkeit“ sogleich tölpelhaft mitkonkurrierender Mütter würde die „hygienisch-diätetische“ Welt zwar fördern, aber der „ästhetischen Welt“ zugleich schreckliche Opfer auferlegen! Der Fuss, nackt in Riemen-Sandalen, ist das gewiss gleichsam von der Natur vorbestimmte und vorausgeträumte Ideal. Aber zu dieser letzten und höchsten Entwicklung des Fusses muss man erst gleichsam die griechischen Götter der Schönheit versöhnt haben durch ästhetische Vollkommenheit! Bleibe solange verhüllt, eingesargt, oh Mensch, in deinem Gewande, bis du durch Schicksal

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Zitationshilfe: Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/195>, abgerufen am 29.04.2024.