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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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ausgestaltet worden ist: wohl aber geht ihre eigene Meinung naturnotwendig jedesmal dahin, daß es von diesem Fest nie ein Erwachen geben werde. Und hierin allein liegt, was ihren Leichtsinn erhebt, ja ihn unter Umständen jeder Größe beigesellen kann.

Zuständen, die hoch über das Mittelmaß hinausreichen, entschwindet das Zeitbewußtsein, die Vorstellung eines noch möglichen Nacheinander, infolge ihrer alles einheitlich und ungeheuer konzentrierenden Kraft; grade solche, sich an ihrer eignen Heftigkeit am allerraschesten verbrauchenden, deshalb vergänglichsten, Zustände sind infolgedessen wie von tiefer Ewigkeit umgeben, - und erst dieser von ihnen unabtrennbare, fast mystisch unter all dem übrigen wirkende, Akzent läßt ihr Glück selig, ihr Weh tragisch erscheinen. Zwei Menschen, die vollen Ernst machen mit diesem Vergänglich-Ewigsten, es als einzigen Maßstab an ihr Tun anlegen, keine Treue wollen als die ihres Seligseins aneinander, leben einer anbetungswürdigen Tollheit: wenn auch menschlich-schöner oft, als manche lange, echte Treue aussieht, die, unbewußt vielleicht, doch nur einer Verlustfurcht oder Lebensfurcht, einer Habgier oder Schwäche, entstammte. Sie bringen es mit allem Aufwand ihrer glühenden Farben zu einer halbfertigen Liebesskizze nur, aber mehr tiefstes Können und Vollenden kann sich darin aussprechen als in manchem ausgeführten Lebensgemälde. In solchen Fällen ist es geradezu, als sammle sich um den echten Liebesleichtsinn, angezogen von seinem kühnen Glauben, oft alles Große auch, jede Gesinnung der Zartheit und der Aufrichtigkeit, - die nur mehr eins noch fürchtet: ihre ureigene Ethik zu verletzen, weil alles, was außer ihr ist, unter ihr ist.

ausgestaltet worden ist: wohl aber geht ihre eigene Meinung naturnotwendig jedesmal dahin, daß es von diesem Fest nie ein Erwachen geben werde. Und hierin allein liegt, was ihren Leichtsinn erhebt, ja ihn unter Umständen jeder Größe beigesellen kann.

Zuständen, die hoch über das Mittelmaß hinausreichen, entschwindet das Zeitbewußtsein, die Vorstellung eines noch möglichen Nacheinander, infolge ihrer alles einheitlich und ungeheuer konzentrierenden Kraft; grade solche, sich an ihrer eignen Heftigkeit am allerraschesten verbrauchenden, deshalb vergänglichsten, Zustände sind infolgedessen wie von tiefer Ewigkeit umgeben, – und erst dieser von ihnen unabtrennbare, fast mystisch unter all dem übrigen wirkende, Akzent läßt ihr Glück selig, ihr Weh tragisch erscheinen. Zwei Menschen, die vollen Ernst machen mit diesem Vergänglich-Ewigsten, es als einzigen Maßstab an ihr Tun anlegen, keine Treue wollen als die ihres Seligseins aneinander, leben einer anbetungswürdigen Tollheit: wenn auch menschlich-schöner oft, als manche lange, echte Treue aussieht, die, unbewußt vielleicht, doch nur einer Verlustfurcht oder Lebensfurcht, einer Habgier oder Schwäche, entstammte. Sie bringen es mit allem Aufwand ihrer glühenden Farben zu einer halbfertigen Liebesskizze nur, aber mehr tiefstes Können und Vollenden kann sich darin aussprechen als in manchem ausgeführten Lebensgemälde. In solchen Fällen ist es geradezu, als sammle sich um den echten Liebesleichtsinn, angezogen von seinem kühnen Glauben, oft alles Große auch, jede Gesinnung der Zartheit und der Aufrichtigkeit, – die nur mehr eins noch fürchtet: ihre ureigene Ethik zu verletzen, weil alles, was außer ihr ist, unter ihr ist.

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[59/0059] ausgestaltet worden ist: wohl aber geht ihre eigene Meinung naturnotwendig jedesmal dahin, daß es von diesem Fest nie ein Erwachen geben werde. Und hierin allein liegt, was ihren Leichtsinn erhebt, ja ihn unter Umständen jeder Größe beigesellen kann. Zuständen, die hoch über das Mittelmaß hinausreichen, entschwindet das Zeitbewußtsein, die Vorstellung eines noch möglichen Nacheinander, infolge ihrer alles einheitlich und ungeheuer konzentrierenden Kraft; grade solche, sich an ihrer eignen Heftigkeit am allerraschesten verbrauchenden, deshalb vergänglichsten, Zustände sind infolgedessen wie von tiefer Ewigkeit umgeben, – und erst dieser von ihnen unabtrennbare, fast mystisch unter all dem übrigen wirkende, Akzent läßt ihr Glück selig, ihr Weh tragisch erscheinen. Zwei Menschen, die vollen Ernst machen mit diesem Vergänglich-Ewigsten, es als einzigen Maßstab an ihr Tun anlegen, keine Treue wollen als die ihres Seligseins aneinander, leben einer anbetungswürdigen Tollheit: wenn auch menschlich-schöner oft, als manche lange, echte Treue aussieht, die, unbewußt vielleicht, doch nur einer Verlustfurcht oder Lebensfurcht, einer Habgier oder Schwäche, entstammte. Sie bringen es mit allem Aufwand ihrer glühenden Farben zu einer halbfertigen Liebesskizze nur, aber mehr tiefstes Können und Vollenden kann sich darin aussprechen als in manchem ausgeführten Lebensgemälde. In solchen Fällen ist es geradezu, als sammle sich um den echten Liebesleichtsinn, angezogen von seinem kühnen Glauben, oft alles Große auch, jede Gesinnung der Zartheit und der Aufrichtigkeit, – die nur mehr eins noch fürchtet: ihre ureigene Ethik zu verletzen, weil alles, was außer ihr ist, unter ihr ist.

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/59>, abgerufen am 28.04.2024.