Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

glückseligen Klang ihres gedämpften Lachens und mit dem
Eindruck der brütenden Sonnenwärme um uns. Wer
will abwägen, wie unendlich zufällig, wie rein äußerlich
bedingt es vielleicht ist, wenn mir bei dieser Erinnerung
zum erstenmal ein wunderlicher Schauer über den Rücken
gelaufen sein mag? Sind es aber nicht tausendfach Zu¬
fälle, die unser verborgenstes Leben mit heimlicher Gewalt¬
thätigkeit durch das prägen, was sie früh, ganz früh, durch
unsre Nerven und durch unsre Träume hindurchzittern
lassen? Oder liegt es vielleicht noch weiter zurück, und
zwitschert uns, schon während wir noch in der Wiege
schlummern, ein Vögelchen in unsern Schlaf hinein,
was wir werden müssen, und woran wir leiden sollen?
Ich weiß es nicht, -- vielleicht ist es auch weder eines
Zufalls noch eines Wundervögelchens Stimme, die es
uns zuraunt, sondern längst vergangener Jahrhunderte
Gewohnheiten, längst verstorbener Frauen Sklavenselig¬
keiten raunen und flüstern dabei in uns selber nach: in
einer Sprache, die nicht mehr die unsre ist, und die wir
nur in einem Traum, einem Schauer, einem Nerven¬
zittern noch verstehn --.

Meine Eltern sah ich immer nur in wahrhaft muster¬
hafter Ehe, -- in einer jener Ehen, die gewiß selten genug
vorkommen, wo das heranwachsende Kind in seiner
intimen Umgebung fast nichts wahrnimmt, als wohl¬
thuende Harmonie ohne Erregungen. Mit dieser Har¬
monie verhielt es sich aber so: mein liebes Mütterchen
that alles, was mein Vater wollte, er aber alles, was
ich wollte. Seiner ursprünglichen Abstammung nach
vielleicht wendischen Blutes, war er von beiden der Tem¬

glückſeligen Klang ihres gedämpften Lachens und mit dem
Eindruck der brütenden Sonnenwärme um uns. Wer
will abwägen, wie unendlich zufällig, wie rein äußerlich
bedingt es vielleicht iſt, wenn mir bei dieſer Erinnerung
zum erſtenmal ein wunderlicher Schauer über den Rücken
gelaufen ſein mag? Sind es aber nicht tauſendfach Zu¬
fälle, die unſer verborgenſtes Leben mit heimlicher Gewalt¬
thätigkeit durch das prägen, was ſie früh, ganz früh, durch
unſre Nerven und durch unſre Träume hindurchzittern
laſſen? Oder liegt es vielleicht noch weiter zurück, und
zwitſchert uns, ſchon während wir noch in der Wiege
ſchlummern, ein Vögelchen in unſern Schlaf hinein,
was wir werden müſſen, und woran wir leiden ſollen?
Ich weiß es nicht, — vielleicht iſt es auch weder eines
Zufalls noch eines Wundervögelchens Stimme, die es
uns zuraunt, ſondern längſt vergangener Jahrhunderte
Gewohnheiten, längſt verſtorbener Frauen Sklavenſelig¬
keiten raunen und flüſtern dabei in uns ſelber nach: in
einer Sprache, die nicht mehr die unſre iſt, und die wir
nur in einem Traum, einem Schauer, einem Nerven¬
zittern noch verſtehn —.

Meine Eltern ſah ich immer nur in wahrhaft muſter¬
hafter Ehe, — in einer jener Ehen, die gewiß ſelten genug
vorkommen, wo das heranwachſende Kind in ſeiner
intimen Umgebung faſt nichts wahrnimmt, als wohl¬
thuende Harmonie ohne Erregungen. Mit dieſer Har¬
monie verhielt es ſich aber ſo: mein liebes Mütterchen
that alles, was mein Vater wollte, er aber alles, was
ich wollte. Seiner urſprünglichen Abſtammung nach
vielleicht wendiſchen Blutes, war er von beiden der Tem¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="104"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 104 &#x2014;<lb/></fw>glück&#x017F;eligen Klang ihres gedämpften Lachens und mit dem<lb/>
Eindruck der brütenden Sonnenwärme um uns. Wer<lb/>
will abwägen, wie unendlich zufällig, wie rein äußerlich<lb/>
bedingt es vielleicht i&#x017F;t, wenn mir bei die&#x017F;er Erinnerung<lb/>
zum er&#x017F;tenmal ein wunderlicher Schauer über den Rücken<lb/>
gelaufen &#x017F;ein mag? Sind es aber nicht tau&#x017F;endfach Zu¬<lb/>
fälle, die un&#x017F;er verborgen&#x017F;tes Leben mit heimlicher Gewalt¬<lb/>
thätigkeit durch das prägen, was &#x017F;ie früh, ganz früh, durch<lb/>
un&#x017F;re Nerven und durch un&#x017F;re Träume hindurchzittern<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en? Oder liegt es vielleicht noch weiter zurück, und<lb/>
zwit&#x017F;chert uns, &#x017F;chon während wir noch in der Wiege<lb/>
&#x017F;chlummern, ein Vögelchen in un&#x017F;ern Schlaf hinein,<lb/>
was wir werden mü&#x017F;&#x017F;en, und woran wir leiden &#x017F;ollen?<lb/>
Ich weiß es nicht, &#x2014; vielleicht i&#x017F;t es auch weder eines<lb/>
Zufalls noch eines Wundervögelchens Stimme, die es<lb/>
uns zuraunt, &#x017F;ondern läng&#x017F;t vergangener Jahrhunderte<lb/>
Gewohnheiten, läng&#x017F;t ver&#x017F;torbener Frauen Sklaven&#x017F;elig¬<lb/>
keiten raunen und flü&#x017F;tern dabei in uns &#x017F;elber nach: in<lb/>
einer Sprache, die nicht mehr die un&#x017F;re i&#x017F;t, und die wir<lb/>
nur in einem Traum, einem Schauer, einem Nerven¬<lb/>
zittern noch ver&#x017F;tehn &#x2014;.</p><lb/>
        <p>Meine Eltern &#x017F;ah ich immer nur in wahrhaft mu&#x017F;ter¬<lb/>
hafter Ehe, &#x2014; in einer jener Ehen, die gewiß &#x017F;elten genug<lb/>
vorkommen, wo das heranwach&#x017F;ende Kind in &#x017F;einer<lb/>
intimen Umgebung fa&#x017F;t nichts wahrnimmt, als wohl¬<lb/>
thuende Harmonie ohne Erregungen. Mit die&#x017F;er Har¬<lb/>
monie verhielt es &#x017F;ich aber &#x017F;o: mein liebes Mütterchen<lb/>
that alles, was mein Vater wollte, er aber alles, was<lb/>
ich wollte. Seiner ur&#x017F;prünglichen Ab&#x017F;tammung nach<lb/>
vielleicht wendi&#x017F;chen Blutes, war er von beiden der Tem¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0108] — 104 — glückſeligen Klang ihres gedämpften Lachens und mit dem Eindruck der brütenden Sonnenwärme um uns. Wer will abwägen, wie unendlich zufällig, wie rein äußerlich bedingt es vielleicht iſt, wenn mir bei dieſer Erinnerung zum erſtenmal ein wunderlicher Schauer über den Rücken gelaufen ſein mag? Sind es aber nicht tauſendfach Zu¬ fälle, die unſer verborgenſtes Leben mit heimlicher Gewalt¬ thätigkeit durch das prägen, was ſie früh, ganz früh, durch unſre Nerven und durch unſre Träume hindurchzittern laſſen? Oder liegt es vielleicht noch weiter zurück, und zwitſchert uns, ſchon während wir noch in der Wiege ſchlummern, ein Vögelchen in unſern Schlaf hinein, was wir werden müſſen, und woran wir leiden ſollen? Ich weiß es nicht, — vielleicht iſt es auch weder eines Zufalls noch eines Wundervögelchens Stimme, die es uns zuraunt, ſondern längſt vergangener Jahrhunderte Gewohnheiten, längſt verſtorbener Frauen Sklavenſelig¬ keiten raunen und flüſtern dabei in uns ſelber nach: in einer Sprache, die nicht mehr die unſre iſt, und die wir nur in einem Traum, einem Schauer, einem Nerven¬ zittern noch verſtehn —. Meine Eltern ſah ich immer nur in wahrhaft muſter¬ hafter Ehe, — in einer jener Ehen, die gewiß ſelten genug vorkommen, wo das heranwachſende Kind in ſeiner intimen Umgebung faſt nichts wahrnimmt, als wohl¬ thuende Harmonie ohne Erregungen. Mit dieſer Har¬ monie verhielt es ſich aber ſo: mein liebes Mütterchen that alles, was mein Vater wollte, er aber alles, was ich wollte. Seiner urſprünglichen Abſtammung nach vielleicht wendiſchen Blutes, war er von beiden der Tem¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/108
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/108>, abgerufen am 09.05.2024.