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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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gebung eine rein konventionelle, ganz unsinnliche Verkehrs¬
form zu üben, daß sie in dieser Sprache auch das noch
ausdrücken, was ganz und gar nicht so abstrakt gemeint
ist. Wie manches Mädchen meint mit einem Mann
nichts als Geistesinteressen und Seelenfreundschaft zu tei¬
len, während sie, -- oft unbewußt, -- nichts andres
begehrt als seine Liebe, seinen Besitz. -- Für eine kleine
Grisette ist die menschliche Anteilnahme eines Mannes
das bei weitem seltenere, gewissermaßen ausgeschlossene,
-- für die Dame unsrer Gesellschaft ist es die rücksichts¬
lose Auslebung des Weibes."

Kaum hatte er diese Tirade vorgebracht, als unglück¬
licherweise die Gesellschaft aufbrach. Mitten im Stühle¬
rücken und Durcheinanderreden faßte eine von den Da¬
men Fenia unter den Arm und schnitt ihm ihre Ant¬
wort ab. Es kam nicht mehr über ein höchst unin¬
teressantes Geschwätz aller mit allen hinaus.

Dennoch flanierte er neben ihnen her durch die
nächtlichen Straßen, machte im "Chien qui fume" das
unvermeidliche Nachtessen von Zwiebelsuppe und Austern
mit, und beschaute sich mit den andern in der Früh¬
dämmerung durch die breiten Spiegelfenster des Restaurants
das großartig malerische Bild der Wareneinfuhr in die
Hallen. Dabei erfuhr er von einem russischen Jour¬
nalisten, der Fenias Eltern gekannt hatte, wenigstens
etwas vom äußern Umriß ihres Lebens. Von Geburt
war sie Moskowitin, begleitete aber schon früh ihren er¬
krankten Vater, einen ehemaligen Militärarzt, nach Süd¬
deutschland und der Schweiz, wo sie ihre Universitäts¬
studien begann, -- und nach seinem Tode mit Hilfe von

gebung eine rein konventionelle, ganz unſinnliche Verkehrs¬
form zu üben, daß ſie in dieſer Sprache auch das noch
ausdrücken, was ganz und gar nicht ſo abſtrakt gemeint
iſt. Wie manches Mädchen meint mit einem Mann
nichts als Geiſtesintereſſen und Seelenfreundſchaft zu tei¬
len, während ſie, — oft unbewußt, — nichts andres
begehrt als ſeine Liebe, ſeinen Beſitz. — Für eine kleine
Griſette iſt die menſchliche Anteilnahme eines Mannes
das bei weitem ſeltenere, gewiſſermaßen ausgeſchloſſene,
— für die Dame unſrer Geſellſchaft iſt es die rückſichts¬
loſe Auslebung des Weibes.“

Kaum hatte er dieſe Tirade vorgebracht, als unglück¬
licherweiſe die Geſellſchaft aufbrach. Mitten im Stühle¬
rücken und Durcheinanderreden faßte eine von den Da¬
men Fenia unter den Arm und ſchnitt ihm ihre Ant¬
wort ab. Es kam nicht mehr über ein höchſt unin¬
tereſſantes Geſchwätz aller mit allen hinaus.

Dennoch flanierte er neben ihnen her durch die
nächtlichen Straßen, machte im „Chien qui fume“ das
unvermeidliche Nachteſſen von Zwiebelſuppe und Auſtern
mit, und beſchaute ſich mit den andern in der Früh¬
dämmerung durch die breiten Spiegelfenſter des Reſtaurants
das großartig maleriſche Bild der Wareneinfuhr in die
Hallen. Dabei erfuhr er von einem ruſſiſchen Jour¬
naliſten, der Fenias Eltern gekannt hatte, wenigſtens
etwas vom äußern Umriß ihres Lebens. Von Geburt
war ſie Moskowitin, begleitete aber ſchon früh ihren er¬
krankten Vater, einen ehemaligen Militärarzt, nach Süd¬
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[15/0019] — 15 — gebung eine rein konventionelle, ganz unſinnliche Verkehrs¬ form zu üben, daß ſie in dieſer Sprache auch das noch ausdrücken, was ganz und gar nicht ſo abſtrakt gemeint iſt. Wie manches Mädchen meint mit einem Mann nichts als Geiſtesintereſſen und Seelenfreundſchaft zu tei¬ len, während ſie, — oft unbewußt, — nichts andres begehrt als ſeine Liebe, ſeinen Beſitz. — Für eine kleine Griſette iſt die menſchliche Anteilnahme eines Mannes das bei weitem ſeltenere, gewiſſermaßen ausgeſchloſſene, — für die Dame unſrer Geſellſchaft iſt es die rückſichts¬ loſe Auslebung des Weibes.“ Kaum hatte er dieſe Tirade vorgebracht, als unglück¬ licherweiſe die Geſellſchaft aufbrach. Mitten im Stühle¬ rücken und Durcheinanderreden faßte eine von den Da¬ men Fenia unter den Arm und ſchnitt ihm ihre Ant¬ wort ab. Es kam nicht mehr über ein höchſt unin¬ tereſſantes Geſchwätz aller mit allen hinaus. Dennoch flanierte er neben ihnen her durch die nächtlichen Straßen, machte im „Chien qui fume“ das unvermeidliche Nachteſſen von Zwiebelſuppe und Auſtern mit, und beſchaute ſich mit den andern in der Früh¬ dämmerung durch die breiten Spiegelfenſter des Reſtaurants das großartig maleriſche Bild der Wareneinfuhr in die Hallen. Dabei erfuhr er von einem ruſſiſchen Jour¬ naliſten, der Fenias Eltern gekannt hatte, wenigſtens etwas vom äußern Umriß ihres Lebens. Von Geburt war ſie Moskowitin, begleitete aber ſchon früh ihren er¬ krankten Vater, einen ehemaligen Militärarzt, nach Süd¬ deutſchland und der Schweiz, wo ſie ihre Univerſitäts¬ ſtudien begann, — und nach ſeinem Tode mit Hilfe von

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/19>, abgerufen am 27.04.2024.