Wer die Bedeutung des Trinkens, besonders des Wein- trinkens, für die Menschheit kennt, wer noch besonders erwägt, daß diese Vorlesungen in Deutscher Sprache, für Deutsch re- dende Männer und von einem Deutschen verabfaßt sind, wird unmöglich von einer einzigen derselben, wie der heutigen, irgend etwas Umfassendes oder gar Erschöpfendes erwarten. Der Wein allein ist so viel besungen und besprochen, daß man, wollte man nur alles das lesen, kaum Zeit zum Trinken übrig behielte. Die Kunst zu trinken erforderte und verdiente einen eigenen Kyklos von Vorlesungen.
Ich muß mich hier durchaus darauf beschränken, über das Trinken blos in so weit zu sprechen, als es auf das Essen Be- ziehung hat.
Hier ist nun die erste Frage: Soll man überhaupt zum Essen trinken?
Meinen sehr verehrten Herrn Zuhörern kann es unmöglich entgangen sein, daß, wenn ich vom Essen rede, ich keine spielen- den Flöten- und Flageolet-Vorübungen und leichten Diver- tissements, sondern etwas vollstimmig Besetztes, etwas Ge- wichtigeres im Sinne habe. Wie ich überhaupt oft Eigentliches meine, wenn ich es auch für schleppend halte, es dabei jedes- mal zu sagen, so ist auch hier vom eigentlichen Essen, von einem eigentlichen Mahl die Rede; denn ein Glas oder eine Flasche Wein zu einem Würstlein, einem Neunauge, einigem Ca-
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Eilfte Vorleſung. Vom Trinken.
Wer die Bedeutung des Trinkens, beſonders des Wein- trinkens, fuͤr die Menſchheit kennt, wer noch beſonders erwaͤgt, daß dieſe Vorleſungen in Deutſcher Sprache, fuͤr Deutſch re- dende Maͤnner und von einem Deutſchen verabfaßt ſind, wird unmoͤglich von einer einzigen derſelben, wie der heutigen, irgend etwas Umfaſſendes oder gar Erſchoͤpfendes erwarten. Der Wein allein iſt ſo viel beſungen und beſprochen, daß man, wollte man nur alles das leſen, kaum Zeit zum Trinken uͤbrig behielte. Die Kunſt zu trinken erforderte und verdiente einen eigenen Kyklos von Vorleſungen.
Ich muß mich hier durchaus darauf beſchraͤnken, uͤber das Trinken blos in ſo weit zu ſprechen, als es auf das Eſſen Be- ziehung hat.
Hier iſt nun die erſte Frage: Soll man uͤberhaupt zum Eſſen trinken?
Meinen ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrern kann es unmoͤglich entgangen ſein, daß, wenn ich vom Eſſen rede, ich keine ſpielen- den Floͤten- und Flageolet-Voruͤbungen und leichten Diver- tiſſements, ſondern etwas vollſtimmig Beſetztes, etwas Ge- wichtigeres im Sinne habe. Wie ich uͤberhaupt oft Eigentliches meine, wenn ich es auch fuͤr ſchleppend halte, es dabei jedes- mal zu ſagen, ſo iſt auch hier vom eigentlichen Eſſen, von einem eigentlichen Mahl die Rede; denn ein Glas oder eine Flaſche Wein zu einem Wuͤrſtlein, einem Neunauge, einigem Ca-
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[[243]/0257]
Eilfte Vorleſung.
Vom Trinken.
Wer die Bedeutung des Trinkens, beſonders des Wein-
trinkens, fuͤr die Menſchheit kennt, wer noch beſonders erwaͤgt,
daß dieſe Vorleſungen in Deutſcher Sprache, fuͤr Deutſch re-
dende Maͤnner und von einem Deutſchen verabfaßt ſind, wird
unmoͤglich von einer einzigen derſelben, wie der heutigen,
irgend etwas Umfaſſendes oder gar Erſchoͤpfendes erwarten.
Der Wein allein iſt ſo viel beſungen und beſprochen, daß man,
wollte man nur alles das leſen, kaum Zeit zum Trinken uͤbrig
behielte. Die Kunſt zu trinken erforderte und verdiente einen
eigenen Kyklos von Vorleſungen.
Ich muß mich hier durchaus darauf beſchraͤnken, uͤber das
Trinken blos in ſo weit zu ſprechen, als es auf das Eſſen Be-
ziehung hat.
Hier iſt nun die erſte Frage: Soll man uͤberhaupt zum
Eſſen trinken?
Meinen ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrern kann es unmoͤglich
entgangen ſein, daß, wenn ich vom Eſſen rede, ich keine ſpielen-
den Floͤten- und Flageolet-Voruͤbungen und leichten Diver-
tiſſements, ſondern etwas vollſtimmig Beſetztes, etwas Ge-
wichtigeres im Sinne habe. Wie ich uͤberhaupt oft Eigentliches
meine, wenn ich es auch fuͤr ſchleppend halte, es dabei jedes-
mal zu ſagen, ſo iſt auch hier vom eigentlichen Eſſen, von einem
eigentlichen Mahl die Rede; denn ein Glas oder eine Flaſche
Wein zu einem Wuͤrſtlein, einem Neunauge, einigem Ca-
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. [243]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/257>, abgerufen am 04.12.2023.
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