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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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wohnheiten und Gebräuche denn auch schon ziemlich in der
ganzen Welt Eingang gefunden.

Wie zart schmiegt sich der Geburt eines Menschen der
Taufschmauß an! Wie bedeutend berührt sich das Brautbette
und die Tafel des Hochzeitmahls! Wie tröstend wird selbst der
bittre Schmerz tiefbetrübter Trauergäste durch süße Torten und
Kuchen und herzerquickende Weine gemildert und beschwichtigt!

Das kleinste Familienereigniß wie die wichtigste weltge-
schichtliche Begebenheit, eine Verlobung wie eine Krönung, eine
gewonnene Schlacht wie eine verlorne Doctordisputation; der
Ausbau einer Kleinkinderschule wie eines Ständehauses, eine
silberne oder goldne Hochzeit wie ein Friedensschluß, ein Reichs-
tag wie ein Meisterwerden, -- wie wird, wie kann alles das
anders celebrirt, ja überhaupt festlich verwirklicht werden, als
durch Essen? Hält doch selbst der Aermste einen Festtag ohne
Braten für einen Widerspruch.

"Vor Tisch und nach Tisch" nennt man schön und pas-
send die zwei Hälften des Tages, als der Zeit, in welcher der
Mensch wacht, wirkt und ißt. Mit dem Abendessen nimmt
der Mensch vom Tage wie vom Essen Abschied, und der Schlaf
wird deßhalb auch mit Recht ein Bruder des Todes genannt.

Nach alledem sollte man nun freilich sich zur Annahme berech-
tigt glauben, so allgemeine Anerkennung und Ausübung müßte
auch allgemein Sinn und Bewußtsein für die Sache aufge-
schlossen haben. Daß dem aber nicht so sei, wurde schon ge-
zeigt und beklagt.

Und nun zur Beantwortung der Frage: was heißt, mensch-
licherweise zu reden, Essen?

Das Essen ist ein Kunstwerk, welches, wie jedes andere,
mit kluger Wahl des Gegenstandes, mit innerlicher und äußer-
licher Zweckmäßigkeit, nach richtiger Proportion, mit Geschmack,
ohne Uebereilung und Ueberladung, für den Essenden nicht nur,
sondern auch für den Anschauenden erfreulich, ausgeführt sein

wohnheiten und Gebraͤuche denn auch ſchon ziemlich in der
ganzen Welt Eingang gefunden.

Wie zart ſchmiegt ſich der Geburt eines Menſchen der
Taufſchmauß an! Wie bedeutend beruͤhrt ſich das Brautbette
und die Tafel des Hochzeitmahls! Wie troͤſtend wird ſelbſt der
bittre Schmerz tiefbetruͤbter Trauergaͤſte durch ſuͤße Torten und
Kuchen und herzerquickende Weine gemildert und beſchwichtigt!

Das kleinſte Familienereigniß wie die wichtigſte weltge-
ſchichtliche Begebenheit, eine Verlobung wie eine Kroͤnung, eine
gewonnene Schlacht wie eine verlorne Doctordisputation; der
Ausbau einer Kleinkinderſchule wie eines Staͤndehauſes, eine
ſilberne oder goldne Hochzeit wie ein Friedensſchluß, ein Reichs-
tag wie ein Meiſterwerden, — wie wird, wie kann alles das
anders celebrirt, ja uͤberhaupt feſtlich verwirklicht werden, als
durch Eſſen? Haͤlt doch ſelbſt der Aermſte einen Feſttag ohne
Braten fuͤr einen Widerſpruch.

„Vor Tiſch und nach Tiſch“ nennt man ſchoͤn und paſ-
ſend die zwei Haͤlften des Tages, als der Zeit, in welcher der
Menſch wacht, wirkt und ißt. Mit dem Abendeſſen nimmt
der Menſch vom Tage wie vom Eſſen Abſchied, und der Schlaf
wird deßhalb auch mit Recht ein Bruder des Todes genannt.

Nach alledem ſollte man nun freilich ſich zur Annahme berech-
tigt glauben, ſo allgemeine Anerkennung und Ausuͤbung muͤßte
auch allgemein Sinn und Bewußtſein fuͤr die Sache aufge-
ſchloſſen haben. Daß dem aber nicht ſo ſei, wurde ſchon ge-
zeigt und beklagt.

Und nun zur Beantwortung der Frage: was heißt, menſch-
licherweiſe zu reden, Eſſen?

Das Eſſen iſt ein Kunſtwerk, welches, wie jedes andere,
mit kluger Wahl des Gegenſtandes, mit innerlicher und aͤußer-
licher Zweckmaͤßigkeit, nach richtiger Proportion, mit Geſchmack,
ohne Uebereilung und Ueberladung, fuͤr den Eſſenden nicht nur,
ſondern auch fuͤr den Anſchauenden erfreulich, ausgefuͤhrt ſein

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[13/0027] wohnheiten und Gebraͤuche denn auch ſchon ziemlich in der ganzen Welt Eingang gefunden. Wie zart ſchmiegt ſich der Geburt eines Menſchen der Taufſchmauß an! Wie bedeutend beruͤhrt ſich das Brautbette und die Tafel des Hochzeitmahls! Wie troͤſtend wird ſelbſt der bittre Schmerz tiefbetruͤbter Trauergaͤſte durch ſuͤße Torten und Kuchen und herzerquickende Weine gemildert und beſchwichtigt! Das kleinſte Familienereigniß wie die wichtigſte weltge- ſchichtliche Begebenheit, eine Verlobung wie eine Kroͤnung, eine gewonnene Schlacht wie eine verlorne Doctordisputation; der Ausbau einer Kleinkinderſchule wie eines Staͤndehauſes, eine ſilberne oder goldne Hochzeit wie ein Friedensſchluß, ein Reichs- tag wie ein Meiſterwerden, — wie wird, wie kann alles das anders celebrirt, ja uͤberhaupt feſtlich verwirklicht werden, als durch Eſſen? Haͤlt doch ſelbſt der Aermſte einen Feſttag ohne Braten fuͤr einen Widerſpruch. „Vor Tiſch und nach Tiſch“ nennt man ſchoͤn und paſ- ſend die zwei Haͤlften des Tages, als der Zeit, in welcher der Menſch wacht, wirkt und ißt. Mit dem Abendeſſen nimmt der Menſch vom Tage wie vom Eſſen Abſchied, und der Schlaf wird deßhalb auch mit Recht ein Bruder des Todes genannt. Nach alledem ſollte man nun freilich ſich zur Annahme berech- tigt glauben, ſo allgemeine Anerkennung und Ausuͤbung muͤßte auch allgemein Sinn und Bewußtſein fuͤr die Sache aufge- ſchloſſen haben. Daß dem aber nicht ſo ſei, wurde ſchon ge- zeigt und beklagt. Und nun zur Beantwortung der Frage: was heißt, menſch- licherweiſe zu reden, Eſſen? Das Eſſen iſt ein Kunſtwerk, welches, wie jedes andere, mit kluger Wahl des Gegenſtandes, mit innerlicher und aͤußer- licher Zweckmaͤßigkeit, nach richtiger Proportion, mit Geſchmack, ohne Uebereilung und Ueberladung, fuͤr den Eſſenden nicht nur, ſondern auch fuͤr den Anſchauenden erfreulich, ausgefuͤhrt ſein

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/27>, abgerufen am 30.04.2024.