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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Künste zusammentreffen, das Ziel, wohin sie insgesammt colli-
niren, im Interesse, und zwar in einem angenehmen Interesse
finden wollen. Ich möchte nun wohl ein allgemeineres, ent-
schiedneres, wärmeres, angenehmeres, interessanteres Interesse
wissen, als das Essen. Eben so verhält sich die Sache, wenn
man mit Sulzer das Wesen der Künste in Einprägung sinn-
licher Kraft setzt.

Das, worauf Winckelmann so besonders drang, das
Uebertreffen der Wirklichkeit, die stete Aufforderung: die Kunst
soll die Natur übertreffen, gilt bei unserer Frage im vollgiltig-
sten Sinne. Der Mensch soll nicht essen wie das Thier, der Ci-
vilisirte nicht, wie der Wilde, der "schönsinnige Mensch soll auch
schön essen und den Stoff vergeistigen" -- die Natur durch
den Geist beherrschen. "Die Gesetze, nach welchen der Künstler
verfährt, sind allerdings zwar Naturgesetze, aber er verfolgt sie
mit Bewußtsein und Freiheit."

Der Eßkünstler ist aber der eigentliche Magister naturae,
Directeur de la nature.

"Es soll die bildende Kunst eine stumme Dichtkunst sein." --
"Das Schöne soll das Wahre sein in der vollendetsten Form." --

Dieß Wenige mag mehr als genug sein. Was ist damit
gesagt? -- Der Horror vacui ist besondere Pflicht des Künst-
lers, also auch des Eßkünstlers, und also laß' ich's genug sein.

Viel ließe sich sagen über die Veredlung der Menschheit
durch die Eßkunst. Wozu aber solche Redereien? Wird sich die
Menschheit es angelegen sein lassen, die Eßkunst zu veredeln, so
wird umgekehrt die reciproke Rückwirkung nicht ausbleiben.
Doch wird auch darüber besonders zu disseriren Anlaß nicht aus-
bleiben, wie denn dieser Kyklos von Vorlesungen keine irgend
beachtungswerthe Richtung und Beziehung, welche der Gegen-
stand darbietet, außer Acht lassen wird.

Denn habe ich in dieser ersten Vorlesung nur Einleitendes
und Andeutendes über die Weltanschauung des Eßkünstlers, über

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Kuͤnſte zuſammentreffen, das Ziel, wohin ſie insgeſammt colli-
niren, im Intereſſe, und zwar in einem angenehmen Intereſſe
finden wollen. Ich moͤchte nun wohl ein allgemeineres, ent-
ſchiedneres, waͤrmeres, angenehmeres, intereſſanteres Intereſſe
wiſſen, als das Eſſen. Eben ſo verhaͤlt ſich die Sache, wenn
man mit Sulzer das Weſen der Kuͤnſte in Einpraͤgung ſinn-
licher Kraft ſetzt.

Das, worauf Winckelmann ſo beſonders drang, das
Uebertreffen der Wirklichkeit, die ſtete Aufforderung: die Kunſt
ſoll die Natur uͤbertreffen, gilt bei unſerer Frage im vollgiltig-
ſten Sinne. Der Menſch ſoll nicht eſſen wie das Thier, der Ci-
viliſirte nicht, wie der Wilde, der „ſchoͤnſinnige Menſch ſoll auch
ſchoͤn eſſen und den Stoff vergeiſtigen“ — die Natur durch
den Geiſt beherrſchen. „Die Geſetze, nach welchen der Kuͤnſtler
verfaͤhrt, ſind allerdings zwar Naturgeſetze, aber er verfolgt ſie
mit Bewußtſein und Freiheit.“

Der Eßkuͤnſtler iſt aber der eigentliche Magister naturae,
Directeur de la nature.

„Es ſoll die bildende Kunſt eine ſtumme Dichtkunſt ſein.“ —
„Das Schoͤne ſoll das Wahre ſein in der vollendetſten Form.“ —

Dieß Wenige mag mehr als genug ſein. Was iſt damit
geſagt? — Der Horror vacui iſt beſondere Pflicht des Kuͤnſt-
lers, alſo auch des Eßkuͤnſtlers, und alſo laß’ ich’s genug ſein.

Viel ließe ſich ſagen uͤber die Veredlung der Menſchheit
durch die Eßkunſt. Wozu aber ſolche Redereien? Wird ſich die
Menſchheit es angelegen ſein laſſen, die Eßkunſt zu veredeln, ſo
wird umgekehrt die reciproke Ruͤckwirkung nicht ausbleiben.
Doch wird auch daruͤber beſonders zu diſſeriren Anlaß nicht aus-
bleiben, wie denn dieſer Kyklos von Vorleſungen keine irgend
beachtungswerthe Richtung und Beziehung, welche der Gegen-
ſtand darbietet, außer Acht laſſen wird.

Denn habe ich in dieſer erſten Vorleſung nur Einleitendes
und Andeutendes uͤber die Weltanſchauung des Eßkuͤnſtlers, uͤber

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[17/0031] Kuͤnſte zuſammentreffen, das Ziel, wohin ſie insgeſammt colli- niren, im Intereſſe, und zwar in einem angenehmen Intereſſe finden wollen. Ich moͤchte nun wohl ein allgemeineres, ent- ſchiedneres, waͤrmeres, angenehmeres, intereſſanteres Intereſſe wiſſen, als das Eſſen. Eben ſo verhaͤlt ſich die Sache, wenn man mit Sulzer das Weſen der Kuͤnſte in Einpraͤgung ſinn- licher Kraft ſetzt. Das, worauf Winckelmann ſo beſonders drang, das Uebertreffen der Wirklichkeit, die ſtete Aufforderung: die Kunſt ſoll die Natur uͤbertreffen, gilt bei unſerer Frage im vollgiltig- ſten Sinne. Der Menſch ſoll nicht eſſen wie das Thier, der Ci- viliſirte nicht, wie der Wilde, der „ſchoͤnſinnige Menſch ſoll auch ſchoͤn eſſen und den Stoff vergeiſtigen“ — die Natur durch den Geiſt beherrſchen. „Die Geſetze, nach welchen der Kuͤnſtler verfaͤhrt, ſind allerdings zwar Naturgeſetze, aber er verfolgt ſie mit Bewußtſein und Freiheit.“ Der Eßkuͤnſtler iſt aber der eigentliche Magister naturae, Directeur de la nature. „Es ſoll die bildende Kunſt eine ſtumme Dichtkunſt ſein.“ — „Das Schoͤne ſoll das Wahre ſein in der vollendetſten Form.“ — Dieß Wenige mag mehr als genug ſein. Was iſt damit geſagt? — Der Horror vacui iſt beſondere Pflicht des Kuͤnſt- lers, alſo auch des Eßkuͤnſtlers, und alſo laß’ ich’s genug ſein. Viel ließe ſich ſagen uͤber die Veredlung der Menſchheit durch die Eßkunſt. Wozu aber ſolche Redereien? Wird ſich die Menſchheit es angelegen ſein laſſen, die Eßkunſt zu veredeln, ſo wird umgekehrt die reciproke Ruͤckwirkung nicht ausbleiben. Doch wird auch daruͤber beſonders zu diſſeriren Anlaß nicht aus- bleiben, wie denn dieſer Kyklos von Vorleſungen keine irgend beachtungswerthe Richtung und Beziehung, welche der Gegen- ſtand darbietet, außer Acht laſſen wird. Denn habe ich in dieſer erſten Vorleſung nur Einleitendes und Andeutendes uͤber die Weltanſchauung des Eßkuͤnſtlers, uͤber 2

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/31>, abgerufen am 30.04.2024.