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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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"Steht zu Falkenstein ein tiefer Thurn,
"Wohl zwischen zwei hohen Mauren,
"So will ich an den Mauren stehn,
"Und will ihm helfen trauren." --
Sie ging den Thurm wohl um und wieder um:
"Feinslieb, bist du darinnen?
"Und wenn ich dich nicht sehen kann,
"So komm ich von meinen Sinnen."
Sie ging den Thurm wohl um und wieder um,
Den Thurm wollt sie aufschließen:
"Und wenn die Nacht ein Jahr lang wär;
"Keine Stund thät mich verdrießen!
"Ei dürft ich scharfe Messer tragen,
"Wie unsers Herrn sein Knechte,
"Ich thät mit'm Herrn von Falkenstein,
"Um meinen Herzliebsten fechten!" --
"Mit einer Jungfrau fecht ich nicht,
"Das wär mir immer ein Schande!
"Ich will dir deinen Gefangnen geben;
"Zieh mit ihm aus dem Lande!" --
"Wohl aus dem Lande, da zieh ich nicht,
"Hab niemand was gestohlen:
"Und wenn ich was hab liegen lahn,
"So darf ichs wieder holen."


„Steht zu Falkenſtein ein tiefer Thurn,
„Wohl zwiſchen zwei hohen Mauren,
„So will ich an den Mauren ſtehn,
„Und will ihm helfen trauren.“ —
Sie ging den Thurm wohl um und wieder um:
„Feinslieb, biſt du darinnen?
„Und wenn ich dich nicht ſehen kann,
„So komm ich von meinen Sinnen.“
Sie ging den Thurm wohl um und wieder um,
Den Thurm wollt ſie aufſchließen:
„Und wenn die Nacht ein Jahr lang waͤr;
„Keine Stund thaͤt mich verdrießen!
„Ei duͤrft ich ſcharfe Meſſer tragen,
„Wie unſers Herrn ſein Knechte,
„Ich thaͤt mit'm Herrn von Falkenſtein,
„Um meinen Herzliebſten fechten!“ —
„Mit einer Jungfrau fecht ich nicht,
„Das waͤr mir immer ein Schande!
„Ich will dir deinen Gefangnen geben;
„Zieh mit ihm aus dem Lande!“ —
„Wohl aus dem Lande, da zieh ich nicht,
„Hab niemand was geſtohlen:
„Und wenn ich was hab liegen lahn,
„So darf ichs wieder holen.“


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[256/0265] „Steht zu Falkenſtein ein tiefer Thurn, „Wohl zwiſchen zwei hohen Mauren, „So will ich an den Mauren ſtehn, „Und will ihm helfen trauren.“ — Sie ging den Thurm wohl um und wieder um: „Feinslieb, biſt du darinnen? „Und wenn ich dich nicht ſehen kann, „So komm ich von meinen Sinnen.“ Sie ging den Thurm wohl um und wieder um, Den Thurm wollt ſie aufſchließen: „Und wenn die Nacht ein Jahr lang waͤr; „Keine Stund thaͤt mich verdrießen! „Ei duͤrft ich ſcharfe Meſſer tragen, „Wie unſers Herrn ſein Knechte, „Ich thaͤt mit'm Herrn von Falkenſtein, „Um meinen Herzliebſten fechten!“ — „Mit einer Jungfrau fecht ich nicht, „Das waͤr mir immer ein Schande! „Ich will dir deinen Gefangnen geben; „Zieh mit ihm aus dem Lande!“ — „Wohl aus dem Lande, da zieh ich nicht, „Hab niemand was geſtohlen: „Und wenn ich was hab liegen lahn, „So darf ichs wieder holen.“

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/265>, abgerufen am 27.04.2024.