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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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schiene *). Solch eine Spiegelung nach oben nach unten, wie
sie leer, so vorübergehend ist sie, und doch geht darin Morgen-
strahl und Leben, Aussicht und Hoffnung auf, ein ewiges geisti-
ges Menschenopfer. Sehe jeder nur frey und ganz, wie er ge-
stellt, und einer ist dem andern nothwendig, keinem ist das
astralische Verhältniß entzogen, jeder ist ein Künstler, der das
mittheilen kann, was ihm eigenthümlich im All, die andern zu
erklären. Dem aber sind die Aspecten besonders günstig, dem
ein wichtiges allgemeines Wirken mühlos vorbereitet, der ohne
Arbeit erndtet und alle ernährt im gottähnlichen Leben: So wird
es dem, der viel und innig das Volk berührt, ihm ist die
Weisheit in der Bewährung von Jahrhunderten ein offnes Buch
in die Hand gegeben, daß er es allen verkünde, Lieder, Sagen,
Sprüche, Geschichten und Prophezeihungen, Melodieen **), er

*)
Der Schein, was ist der, dem das Wesen fehlt?
Das Wesen, wär es? Wenn es nicht erschiene?
Göthe's Eugenie.
Auch das ist wahr, jedes an seiner Stelle.
**) Diese Sammlung sey dem Leser eine Probe von dem, was wir wünschen.
Wer der Gelegenheit und Lust ermangelt, was er entdeckt, bekannt zu
machen, dem erbiethen wir uns, mein Freund Clemens Brentano in
Heidelberg und ich in Berlin (abzugeben im Viereck n. 4.) zur schnellen
Herausgabe. Die zahlreichen Schweizer-Lieder (beym Staubbach wurden
mir unzählige gesungen, aber ich konnte keines verstehen und heraus-
bringen), verdienten ganz besonders eine treue Aufzeichnung von einem
würdigen Gelehrten des Landes, es giebt große Heldengedichte noch
unter dem Volke, so liest ein alter Mann in Meiringen ein sehr merk-
würdiges Gedicht über die Entstehung des Völkchens den Reisenden vor.
Sehr willkommen würden mir klargedachte Zeichnungen zu diesen Ge-
dichten seyn, die in ihrer gestaltreichen bestimmten Darstellung dem
Zeichner ein Schatz von Erfindung seyn können, wenn er ihn besprechen
und heben kann. Ihn aufmerksam auf solche einzelne Bilder zu machen,
würde vielleicht das Vergnügen rauben und ihm nur die Arbeit lassen.

ſchiene *). Solch eine Spiegelung nach oben nach unten, wie
ſie leer, ſo voruͤbergehend iſt ſie, und doch geht darin Morgen-
ſtrahl und Leben, Auſſicht und Hoffnung auf, ein ewiges geiſti-
ges Menſchenopfer. Sehe jeder nur frey und ganz, wie er ge-
ſtellt, und einer iſt dem andern nothwendig, keinem iſt das
aſtraliſche Verhaͤltniß entzogen, jeder iſt ein Kuͤnſtler, der das
mittheilen kann, was ihm eigenthuͤmlich im All, die andern zu
erklaͤren. Dem aber ſind die Aſpecten beſonders guͤnſtig, dem
ein wichtiges allgemeines Wirken muͤhlos vorbereitet, der ohne
Arbeit erndtet und alle ernaͤhrt im gottaͤhnlichen Leben: So wird
es dem, der viel und innig das Volk beruͤhrt, ihm iſt die
Weisheit in der Bewaͤhrung von Jahrhunderten ein offnes Buch
in die Hand gegeben, daß er es allen verkuͤnde, Lieder, Sagen,
Spruͤche, Geſchichten und Prophezeihungen, Melodieen **), er

*)
Der Schein, was iſt der, dem das Weſen fehlt?
Das Weſen, waͤr es? Wenn es nicht erſchiene?
Goͤthe's Eugenie.
Auch das iſt wahr, jedes an ſeiner Stelle.
**) Dieſe Sammlung ſey dem Leſer eine Probe von dem, was wir wuͤnſchen.
Wer der Gelegenheit und Luſt ermangelt, was er entdeckt, bekannt zu
machen, dem erbiethen wir uns, mein Freund Clemens Brentano in
Heidelberg und ich in Berlin (abzugeben im Viereck n. 4.) zur ſchnellen
Herausgabe. Die zahlreichen Schweizer-Lieder (beym Staubbach wurden
mir unzaͤhlige geſungen, aber ich konnte keines verſtehen und heraus-
bringen), verdienten ganz beſonders eine treue Aufzeichnung von einem
wuͤrdigen Gelehrten des Landes, es giebt große Heldengedichte noch
unter dem Volke, ſo lieſt ein alter Mann in Meiringen ein ſehr merk-
wuͤrdiges Gedicht uͤber die Entſtehung des Voͤlkchens den Reiſenden vor.
Sehr willkommen wuͤrden mir klargedachte Zeichnungen zu dieſen Ge-
dichten ſeyn, die in ihrer geſtaltreichen beſtimmten Darſtellung dem
Zeichner ein Schatz von Erfindung ſeyn koͤnnen, wenn er ihn beſprechen
und heben kann. Ihn aufmerkſam auf ſolche einzelne Bilder zu machen,
wuͤrde vielleicht das Vergnuͤgen rauben und ihm nur die Arbeit laſſen.
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[462[472]/0481] ſchiene *). Solch eine Spiegelung nach oben nach unten, wie ſie leer, ſo voruͤbergehend iſt ſie, und doch geht darin Morgen- ſtrahl und Leben, Auſſicht und Hoffnung auf, ein ewiges geiſti- ges Menſchenopfer. Sehe jeder nur frey und ganz, wie er ge- ſtellt, und einer iſt dem andern nothwendig, keinem iſt das aſtraliſche Verhaͤltniß entzogen, jeder iſt ein Kuͤnſtler, der das mittheilen kann, was ihm eigenthuͤmlich im All, die andern zu erklaͤren. Dem aber ſind die Aſpecten beſonders guͤnſtig, dem ein wichtiges allgemeines Wirken muͤhlos vorbereitet, der ohne Arbeit erndtet und alle ernaͤhrt im gottaͤhnlichen Leben: So wird es dem, der viel und innig das Volk beruͤhrt, ihm iſt die Weisheit in der Bewaͤhrung von Jahrhunderten ein offnes Buch in die Hand gegeben, daß er es allen verkuͤnde, Lieder, Sagen, Spruͤche, Geſchichten und Prophezeihungen, Melodieen **), er *) Der Schein, was iſt der, dem das Weſen fehlt? Das Weſen, waͤr es? Wenn es nicht erſchiene? Goͤthe's Eugenie. Auch das iſt wahr, jedes an ſeiner Stelle. **) Dieſe Sammlung ſey dem Leſer eine Probe von dem, was wir wuͤnſchen. Wer der Gelegenheit und Luſt ermangelt, was er entdeckt, bekannt zu machen, dem erbiethen wir uns, mein Freund Clemens Brentano in Heidelberg und ich in Berlin (abzugeben im Viereck n. 4.) zur ſchnellen Herausgabe. Die zahlreichen Schweizer-Lieder (beym Staubbach wurden mir unzaͤhlige geſungen, aber ich konnte keines verſtehen und heraus- bringen), verdienten ganz beſonders eine treue Aufzeichnung von einem wuͤrdigen Gelehrten des Landes, es giebt große Heldengedichte noch unter dem Volke, ſo lieſt ein alter Mann in Meiringen ein ſehr merk- wuͤrdiges Gedicht uͤber die Entſtehung des Voͤlkchens den Reiſenden vor. Sehr willkommen wuͤrden mir klargedachte Zeichnungen zu dieſen Ge- dichten ſeyn, die in ihrer geſtaltreichen beſtimmten Darſtellung dem Zeichner ein Schatz von Erfindung ſeyn koͤnnen, wenn er ihn beſprechen und heben kann. Ihn aufmerkſam auf ſolche einzelne Bilder zu machen, wuͤrde vielleicht das Vergnuͤgen rauben und ihm nur die Arbeit laſſen.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 462[472]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/481>, abgerufen am 16.05.2024.