war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderstehlich, wenn Sie mit großen Kinderaugen mich ansieht, in de- nen der genügendste Genuß funkelt. So lös'te sich meine Zunge, und nach und nach manches vom Herzen, was man sonst nicht leicht wieder ausspricht.
Am 2. Oktober.
Die Mutter ist listig, wie sie mich zum Erzählen bringt, so sagt sie: Heute ist ein schöner Tag, heut geht der Wolfgang gewiß nach seinem Gartenhaus, es muß noch recht schön da sein, nicht wahr, es liegt im Thal? -- Nein es liegt am Berg, und der Garten geht auch Berg auf, hinter dem Haus, da sind große Bäume, von schönem Wuchs und reich belaubt. -- So! und da bist Du Abends mit ihm hingeschlendert aus dem römischen Haus? -- Ja, ich hab's Ihr ja schon zwanzigmal er- zählt; -- so erzähl's noch einmal. Hattet Ihr denn Licht im Haus? -- Nein, wir saßen vor der Thür auf der Bank, und der Mond schien hell. -- Nun! und da ging ein kalter Wind? -- Nein, es war gar nicht kalt, es war warm, und die Luft ganz still und wir waren
war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderſtehlich, wenn Sie mit großen Kinderaugen mich anſieht, in de- nen der genügendſte Genuß funkelt. So löſ'te ſich meine Zunge, und nach und nach manches vom Herzen, was man ſonſt nicht leicht wieder ausſpricht.
Am 2. Oktober.
Die Mutter iſt liſtig, wie ſie mich zum Erzählen bringt, ſo ſagt ſie: Heute iſt ein ſchöner Tag, heut geht der Wolfgang gewiß nach ſeinem Gartenhaus, es muß noch recht ſchön da ſein, nicht wahr, es liegt im Thal? — Nein es liegt am Berg, und der Garten geht auch Berg auf, hinter dem Haus, da ſind große Bäume, von ſchönem Wuchs und reich belaubt. — So! und da biſt Du Abends mit ihm hingeſchlendert aus dem römiſchen Haus? — Ja, ich hab's Ihr ja ſchon zwanzigmal er- zählt; — ſo erzähl's noch einmal. Hattet Ihr denn Licht im Haus? — Nein, wir ſaßen vor der Thür auf der Bank, und der Mond ſchien hell. — Nun! und da ging ein kalter Wind? — Nein, es war gar nicht kalt, es war warm, und die Luft ganz ſtill und wir waren
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war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde
mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderſtehlich,
wenn Sie mit großen Kinderaugen mich anſieht, in de-
nen der genügendſte Genuß funkelt. So löſ'te ſich meine
Zunge, und nach und nach manches vom Herzen, was
man ſonſt nicht leicht wieder ausſpricht.
Am 2. Oktober.
Die Mutter iſt liſtig, wie ſie mich zum Erzählen
bringt, ſo ſagt ſie: Heute iſt ein ſchöner Tag, heut geht
der Wolfgang gewiß nach ſeinem Gartenhaus, es muß
noch recht ſchön da ſein, nicht wahr, es liegt im Thal?
— Nein es liegt am Berg, und der Garten geht auch
Berg auf, hinter dem Haus, da ſind große Bäume, von
ſchönem Wuchs und reich belaubt. — So! und da biſt
Du Abends mit ihm hingeſchlendert aus dem römiſchen
Haus? — Ja, ich hab's Ihr ja ſchon zwanzigmal er-
zählt; — ſo erzähl's noch einmal. Hattet Ihr denn
Licht im Haus? — Nein, wir ſaßen vor der Thür auf
der Bank, und der Mond ſchien hell. — Nun! und da
ging ein kalter Wind? — Nein, es war gar nicht kalt,
es war warm, und die Luft ganz ſtill und wir waren
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/204>, abgerufen am 13.10.2024.
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