Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

in dem ein starker Regen fiel; es war grade alles im
ersten Grün, die Sonne schien durch den Regen. Als
ich an Deine Thür kam, hört' ich Dich schon von
Weitem sprechen; ich rief, -- Du hörtest nicht, -- da
sah ich Dich auf derselben Bank sitzen, hinter welcher
im vorigen Jahr die schöne breite Malve noch spät ge-
wachsen war; -- gegenüber lag auch die Katze wie da-
mals, und als ich zu Dir kam, sagtest Du auch wieder:
Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen
Augen, die mag ich nicht so nah. -- Hier wachte ich
auf, aber weil mir der Traum so lieb war, konnt'
ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei
Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die
solche Zutraulichkeit erlaubt. -- Du! der einen Kreis
des Lebendigen umfasset, in dem wir alle Dein Ver-
trauen in so mächtigen Zügen schon eingesogen haben.
Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die rasch in mei-
nem Herzen aufsteigt, wenn auch nur in Gedanken, vor
Dir auszusprechen; aber so ein Traum stürzt wie ein
angeschwollner Strom über den Damm. Es mag sich
einer schwer entschließen eine Reise nach der Sonne zu
thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht an-
kömmt, davon abhält; -- mir gilt in solchen Augen-

in dem ein ſtarker Regen fiel; es war grade alles im
erſten Grün, die Sonne ſchien durch den Regen. Als
ich an Deine Thür kam, hört' ich Dich ſchon von
Weitem ſprechen; ich rief, — Du hörteſt nicht, — da
ſah ich Dich auf derſelben Bank ſitzen, hinter welcher
im vorigen Jahr die ſchöne breite Malve noch ſpät ge-
wachſen war; — gegenüber lag auch die Katze wie da-
mals, und als ich zu Dir kam, ſagteſt Du auch wieder:
Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen
Augen, die mag ich nicht ſo nah. — Hier wachte ich
auf, aber weil mir der Traum ſo lieb war, konnt'
ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei
Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die
ſolche Zutraulichkeit erlaubt. — Du! der einen Kreis
des Lebendigen umfaſſet, in dem wir alle Dein Ver-
trauen in ſo mächtigen Zügen ſchon eingeſogen haben.
Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die raſch in mei-
nem Herzen aufſteigt, wenn auch nur in Gedanken, vor
Dir auszuſprechen; aber ſo ein Traum ſtürzt wie ein
angeſchwollner Strom über den Damm. Es mag ſich
einer ſchwer entſchließen eine Reiſe nach der Sonne zu
thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht an-
kömmt, davon abhält; — mir gilt in ſolchen Augen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="211"/>
in dem ein &#x017F;tarker Regen fiel; es war grade alles im<lb/>
er&#x017F;ten Grün, die Sonne &#x017F;chien durch den Regen. Als<lb/>
ich an Deine Thür kam, hört' ich Dich &#x017F;chon von<lb/>
Weitem &#x017F;prechen; ich rief, &#x2014; Du hörte&#x017F;t nicht, &#x2014; da<lb/>
&#x017F;ah ich Dich auf der&#x017F;elben Bank &#x017F;itzen, hinter welcher<lb/>
im vorigen Jahr die &#x017F;chöne breite Malve noch &#x017F;pät ge-<lb/>
wach&#x017F;en war; &#x2014; gegenüber lag auch die Katze wie da-<lb/>
mals, und als ich zu Dir kam, &#x017F;agte&#x017F;t Du auch wieder:<lb/>
Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen<lb/>
Augen, die mag ich nicht &#x017F;o nah. &#x2014; Hier wachte ich<lb/>
auf, aber weil mir der Traum &#x017F;o lieb war, konnt'<lb/>
ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei<lb/>
Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die<lb/>
&#x017F;olche Zutraulichkeit erlaubt. &#x2014; Du! der einen Kreis<lb/>
des Lebendigen umfa&#x017F;&#x017F;et, in dem wir alle Dein Ver-<lb/>
trauen in &#x017F;o mächtigen Zügen &#x017F;chon einge&#x017F;ogen haben.<lb/>
Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die ra&#x017F;ch in mei-<lb/>
nem Herzen auf&#x017F;teigt, wenn auch nur in Gedanken, vor<lb/>
Dir auszu&#x017F;prechen; aber &#x017F;o ein Traum &#x017F;türzt wie ein<lb/>
ange&#x017F;chwollner Strom über den Damm. Es mag &#x017F;ich<lb/>
einer &#x017F;chwer ent&#x017F;chließen eine Rei&#x017F;e nach der Sonne zu<lb/>
thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht an-<lb/>
kömmt, davon abhält; &#x2014; mir gilt in &#x017F;olchen Augen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0243] in dem ein ſtarker Regen fiel; es war grade alles im erſten Grün, die Sonne ſchien durch den Regen. Als ich an Deine Thür kam, hört' ich Dich ſchon von Weitem ſprechen; ich rief, — Du hörteſt nicht, — da ſah ich Dich auf derſelben Bank ſitzen, hinter welcher im vorigen Jahr die ſchöne breite Malve noch ſpät ge- wachſen war; — gegenüber lag auch die Katze wie da- mals, und als ich zu Dir kam, ſagteſt Du auch wieder: Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht ſo nah. — Hier wachte ich auf, aber weil mir der Traum ſo lieb war, konnt' ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die ſolche Zutraulichkeit erlaubt. — Du! der einen Kreis des Lebendigen umfaſſet, in dem wir alle Dein Ver- trauen in ſo mächtigen Zügen ſchon eingeſogen haben. Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die raſch in mei- nem Herzen aufſteigt, wenn auch nur in Gedanken, vor Dir auszuſprechen; aber ſo ein Traum ſtürzt wie ein angeſchwollner Strom über den Damm. Es mag ſich einer ſchwer entſchließen eine Reiſe nach der Sonne zu thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht an- kömmt, davon abhält; — mir gilt in ſolchen Augen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/243
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/243>, abgerufen am 28.04.2024.