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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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noth zu schützen, hierin müsse ihm seine Wichtigkeit für
den Staat, seine Verpflichtungen für denselben begreif-
lich gemacht werden, es müsse ihm an's Herz gelegt
werden, welchen großen Einfluß er auf das Wohl des
Ganzen habe, und so müsse er auch mit Ehrfurcht be-
handelt werden, daraus werde die Selbstachtung entste-
hen, die doch eigentlich jedem Menschen mehr gelte wie
jeder andre Vortheil, und so würden die Opfer, die das
Schicksal fordert, ungezwungen gebracht werden, wie
die Mutter, die ihr eignes Kind nährt, auch demselben
mit Freuden ihr letztes aufopfert; so würde das unmit-
telbare Gefühl dem Wohl des Ganzen wesentlich zu
sein, gewiß jedes Opfer bringen, um sich diese Würde
zu erhalten; keine Revolutionen würden dann mehr ent-
stehen, denn der gewitzigte Staatsgeist in allen würde
jeder gerechten Forderung vorgreifen, und das würde
eine Religion sein, die jeder begreife und wo das ganze
Tagewerk ein fortwährendes Gebet sei, denn alles was
nicht in diesem Sinn geschehe, das sei Sünde; er sagte
dies noch viel schöner und wahrer, ich bin nur dieser
Weisheit nicht gewachsen und kann es nicht so wieder
geben.

So bin ich denn auf einmal von meiner Beichte
abgekommen, ich wollte Dir noch manches sagen was

noth zu ſchützen, hierin müſſe ihm ſeine Wichtigkeit für
den Staat, ſeine Verpflichtungen für denſelben begreif-
lich gemacht werden, es müſſe ihm an's Herz gelegt
werden, welchen großen Einfluß er auf das Wohl des
Ganzen habe, und ſo müſſe er auch mit Ehrfurcht be-
handelt werden, daraus werde die Selbſtachtung entſte-
hen, die doch eigentlich jedem Menſchen mehr gelte wie
jeder andre Vortheil, und ſo würden die Opfer, die das
Schickſal fordert, ungezwungen gebracht werden, wie
die Mutter, die ihr eignes Kind nährt, auch demſelben
mit Freuden ihr letztes aufopfert; ſo würde das unmit-
telbare Gefühl dem Wohl des Ganzen weſentlich zu
ſein, gewiß jedes Opfer bringen, um ſich dieſe Würde
zu erhalten; keine Revolutionen würden dann mehr ent-
ſtehen, denn der gewitzigte Staatsgeiſt in allen würde
jeder gerechten Forderung vorgreifen, und das würde
eine Religion ſein, die jeder begreife und wo das ganze
Tagewerk ein fortwährendes Gebet ſei, denn alles was
nicht in dieſem Sinn geſchehe, das ſei Sünde; er ſagte
dies noch viel ſchöner und wahrer, ich bin nur dieſer
Weisheit nicht gewachſen und kann es nicht ſo wieder
geben.

So bin ich denn auf einmal von meiner Beichte
abgekommen, ich wollte Dir noch manches ſagen was

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[164/0174] noth zu ſchützen, hierin müſſe ihm ſeine Wichtigkeit für den Staat, ſeine Verpflichtungen für denſelben begreif- lich gemacht werden, es müſſe ihm an's Herz gelegt werden, welchen großen Einfluß er auf das Wohl des Ganzen habe, und ſo müſſe er auch mit Ehrfurcht be- handelt werden, daraus werde die Selbſtachtung entſte- hen, die doch eigentlich jedem Menſchen mehr gelte wie jeder andre Vortheil, und ſo würden die Opfer, die das Schickſal fordert, ungezwungen gebracht werden, wie die Mutter, die ihr eignes Kind nährt, auch demſelben mit Freuden ihr letztes aufopfert; ſo würde das unmit- telbare Gefühl dem Wohl des Ganzen weſentlich zu ſein, gewiß jedes Opfer bringen, um ſich dieſe Würde zu erhalten; keine Revolutionen würden dann mehr ent- ſtehen, denn der gewitzigte Staatsgeiſt in allen würde jeder gerechten Forderung vorgreifen, und das würde eine Religion ſein, die jeder begreife und wo das ganze Tagewerk ein fortwährendes Gebet ſei, denn alles was nicht in dieſem Sinn geſchehe, das ſei Sünde; er ſagte dies noch viel ſchöner und wahrer, ich bin nur dieſer Weisheit nicht gewachſen und kann es nicht ſo wieder geben. So bin ich denn auf einmal von meiner Beichte abgekommen, ich wollte Dir noch manches ſagen was

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/174>, abgerufen am 27.04.2024.