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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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zählen, der sich am andern Tag vor uns ausbreitete? --
wo sich der Vorhang allmählig vor Gottes Herrlichkeit
theilet, und man sich nur verwundert, daß alles so ein-
fach ist in seiner Größe. Nicht einen, aber hundert
Berge sieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz
frei, von keinem Gegenstand bedeckt, es jauchzt und
triumphirt ewig da oben, die Gewitter schweben wie
Raubvögel zwischen den Klüften, verdunkeln einen Au-
genblick mit ihren breiten Fittigen die Sonne, das geht
so schnell und doch so ernst, es war auch alles begei-
stert. In den kühnsten Sprüngen, von den Bergen her-
ab bis zu den Seen ließ sich der Übermuth aus, tausend
Gaukeleien wurden in's Steingerüst gerufen, so verleb-
ten wir wie die Priesterschaft der Ceres bei Brod, Milch
und Honig ein paar schöne Tage; zu ihrem Andenken
wurde noch zuletzt ein Granatschmuck von mir ausein-
ander gebrochen, jeder nahm sich einen Stein und den
Namen eines Berges, den man von hier aus sehen
konnte, und nennen sich die Ritter vom Granatorden,
gestiftet auf dem Watzmann bei Salzburg.

Von da ging die Reise nach Wien, es trennten sich
die Gäste von uns, bei Sonnenaufgang fuhren wir
über die Salza, hinter der Brücke ist ein großes Pul-
vermagazin, hinter dem standen sie alle, um Savigny

zählen, der ſich am andern Tag vor uns ausbreitete? —
wo ſich der Vorhang allmählig vor Gottes Herrlichkeit
theilet, und man ſich nur verwundert, daß alles ſo ein-
fach iſt in ſeiner Größe. Nicht einen, aber hundert
Berge ſieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz
frei, von keinem Gegenſtand bedeckt, es jauchzt und
triumphirt ewig da oben, die Gewitter ſchweben wie
Raubvögel zwiſchen den Klüften, verdunkeln einen Au-
genblick mit ihren breiten Fittigen die Sonne, das geht
ſo ſchnell und doch ſo ernſt, es war auch alles begei-
ſtert. In den kühnſten Sprüngen, von den Bergen her-
ab bis zu den Seen ließ ſich der Übermuth aus, tauſend
Gaukeleien wurden in's Steingerüſt gerufen, ſo verleb-
ten wir wie die Prieſterſchaft der Ceres bei Brod, Milch
und Honig ein paar ſchöne Tage; zu ihrem Andenken
wurde noch zuletzt ein Granatſchmuck von mir ausein-
ander gebrochen, jeder nahm ſich einen Stein und den
Namen eines Berges, den man von hier aus ſehen
konnte, und nennen ſich die Ritter vom Granatorden,
geſtiftet auf dem Watzmann bei Salzburg.

Von da ging die Reiſe nach Wien, es trennten ſich
die Gäſte von uns, bei Sonnenaufgang fuhren wir
über die Salza, hinter der Brücke iſt ein großes Pul-
vermagazin, hinter dem ſtanden ſie alle, um Savigny

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[187/0197] zählen, der ſich am andern Tag vor uns ausbreitete? — wo ſich der Vorhang allmählig vor Gottes Herrlichkeit theilet, und man ſich nur verwundert, daß alles ſo ein- fach iſt in ſeiner Größe. Nicht einen, aber hundert Berge ſieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz frei, von keinem Gegenſtand bedeckt, es jauchzt und triumphirt ewig da oben, die Gewitter ſchweben wie Raubvögel zwiſchen den Klüften, verdunkeln einen Au- genblick mit ihren breiten Fittigen die Sonne, das geht ſo ſchnell und doch ſo ernſt, es war auch alles begei- ſtert. In den kühnſten Sprüngen, von den Bergen her- ab bis zu den Seen ließ ſich der Übermuth aus, tauſend Gaukeleien wurden in's Steingerüſt gerufen, ſo verleb- ten wir wie die Prieſterſchaft der Ceres bei Brod, Milch und Honig ein paar ſchöne Tage; zu ihrem Andenken wurde noch zuletzt ein Granatſchmuck von mir ausein- ander gebrochen, jeder nahm ſich einen Stein und den Namen eines Berges, den man von hier aus ſehen konnte, und nennen ſich die Ritter vom Granatorden, geſtiftet auf dem Watzmann bei Salzburg. Von da ging die Reiſe nach Wien, es trennten ſich die Gäſte von uns, bei Sonnenaufgang fuhren wir über die Salza, hinter der Brücke iſt ein großes Pul- vermagazin, hinter dem ſtanden ſie alle, um Savigny

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/197>, abgerufen am 29.04.2024.