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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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Dich mit speculativen Gedanken über Gott und Reli-
gion zu behelligen, weil ich in Landshut viel in der Bi-
bel gelesen habe und in Luther's Schriften. Jetzt ist
mir alles so rund wie die Weltkugel, wo denn gar nichts
zu bedenken ist, weil wir nirgend wo herunter fallen
können, deine Lieder singe ich im gehen in der freien
Natur, da finden sich die Melodieen von selbst die mei-
ner Erfindung den rechten Rythmus geben; in der Wild-
niß mach ich bedeutende Fortschritte, das heißt kühne
Sätze von einer Klippe zur andern. Da hab ich einen
kleinen Tummelplatz von Eichhörnchen entdeckt, unter
einem Baum lagen eine große Menge dreieckiger Nüsse,
auf dem Baum saßen zum wenigstens ein Dutzend Eich-
hörnchen und warfen mir die Schalen auf den Kopf,
ich blieb still unten liegen und sah durch die Zweige ih-
ren Balletsprüngen und mimischen Tanz zu, was man
mit so großem Genuß verzehren sieht das macht einem
auch unwiderstehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch
voll dieser Nüsse, die man Bucheckern nennt, gesammelt,
und die ganze Nacht dran geknuspert wie die Eichhörn-
chen; wie schön speisen die Thiere des Waldes wie an-
muthig bewegen sie sich dabei, und wie beschreibt sich
in ihren Bewegungen der Charakter ihrer Nahrungs-
mittel. Man sieht der Ziege gleich an daß sie gerne

Dich mit ſpeculativen Gedanken über Gott und Reli-
gion zu behelligen, weil ich in Landshut viel in der Bi-
bel geleſen habe und in Luther's Schriften. Jetzt iſt
mir alles ſo rund wie die Weltkugel, wo denn gar nichts
zu bedenken iſt, weil wir nirgend wo herunter fallen
können, deine Lieder ſinge ich im gehen in der freien
Natur, da finden ſich die Melodieen von ſelbſt die mei-
ner Erfindung den rechten Rythmus geben; in der Wild-
niß mach ich bedeutende Fortſchritte, das heißt kühne
Sätze von einer Klippe zur andern. Da hab ich einen
kleinen Tummelplatz von Eichhörnchen entdeckt, unter
einem Baum lagen eine große Menge dreieckiger Nüſſe,
auf dem Baum ſaßen zum wenigſtens ein Dutzend Eich-
hörnchen und warfen mir die Schalen auf den Kopf,
ich blieb ſtill unten liegen und ſah durch die Zweige ih-
ren Balletſprüngen und mimiſchen Tanz zu, was man
mit ſo großem Genuß verzehren ſieht das macht einem
auch unwiderſtehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch
voll dieſer Nüſſe, die man Bucheckern nennt, geſammelt,
und die ganze Nacht dran geknuſpert wie die Eichhörn-
chen; wie ſchön ſpeiſen die Thiere des Waldes wie an-
muthig bewegen ſie ſich dabei, und wie beſchreibt ſich
in ihren Bewegungen der Charakter ihrer Nahrungs-
mittel. Man ſieht der Ziege gleich an daß ſie gerne

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[227/0237] Dich mit ſpeculativen Gedanken über Gott und Reli- gion zu behelligen, weil ich in Landshut viel in der Bi- bel geleſen habe und in Luther's Schriften. Jetzt iſt mir alles ſo rund wie die Weltkugel, wo denn gar nichts zu bedenken iſt, weil wir nirgend wo herunter fallen können, deine Lieder ſinge ich im gehen in der freien Natur, da finden ſich die Melodieen von ſelbſt die mei- ner Erfindung den rechten Rythmus geben; in der Wild- niß mach ich bedeutende Fortſchritte, das heißt kühne Sätze von einer Klippe zur andern. Da hab ich einen kleinen Tummelplatz von Eichhörnchen entdeckt, unter einem Baum lagen eine große Menge dreieckiger Nüſſe, auf dem Baum ſaßen zum wenigſtens ein Dutzend Eich- hörnchen und warfen mir die Schalen auf den Kopf, ich blieb ſtill unten liegen und ſah durch die Zweige ih- ren Balletſprüngen und mimiſchen Tanz zu, was man mit ſo großem Genuß verzehren ſieht das macht einem auch unwiderſtehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch voll dieſer Nüſſe, die man Bucheckern nennt, geſammelt, und die ganze Nacht dran geknuſpert wie die Eichhörn- chen; wie ſchön ſpeiſen die Thiere des Waldes wie an- muthig bewegen ſie ſich dabei, und wie beſchreibt ſich in ihren Bewegungen der Charakter ihrer Nahrungs- mittel. Man ſieht der Ziege gleich an daß ſie gerne

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/237>, abgerufen am 01.05.2024.