Einmal schon, im Kloster hatten mich die Geister bewogen, mich ihnen zu gesellen, in den hellen Mond- nächten lockten sie mich; ich durchwanderte wunderliche dunkle Gänge, in denen ich die Wasser rauschen hörte, ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich; der Mond schien in sein bewegtes Wasser und gewan- dete die Geister, die auf seinem wogenden Spiegel sich mir zeigten in Silberglanz; -- sie kamen, sie bedeute- ten mein fragendes Herz, und verschwanden wieder, es kamen andere, sie legten Geheimnisse auf meine Zunge, berührten alle Lebenskeime in meiner Brust, bezeichneten mich mit ihrem Siegel, sie verhüllten meinen Willen, meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich ausgegangen war.
Wie war das? -- wie beriethen sie mich? -- durch welche Sprache gab sich ihre Lehre kund? -- und wie soll ich Dir darlegen, daß es so war? -- und was sie mir lehrten? --
Die Mondnacht deckte mich im süßen, tiefen Kin- desschlaf, dann trat sie aus sich selbst hervor und be- rührte mich an meinen Augen, daß sie ihrem Licht er- wachten, und senkte sich mit magnetischer Gewalt in meine Brust, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,
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Einmal ſchon, im Kloſter hatten mich die Geiſter bewogen, mich ihnen zu geſellen, in den hellen Mond- nächten lockten ſie mich; ich durchwanderte wunderliche dunkle Gänge, in denen ich die Waſſer rauſchen hörte, ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich; der Mond ſchien in ſein bewegtes Waſſer und gewan- dete die Geiſter, die auf ſeinem wogenden Spiegel ſich mir zeigten in Silberglanz; — ſie kamen, ſie bedeute- ten mein fragendes Herz, und verſchwanden wieder, es kamen andere, ſie legten Geheimniſſe auf meine Zunge, berührten alle Lebenskeime in meiner Bruſt, bezeichneten mich mit ihrem Siegel, ſie verhüllten meinen Willen, meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich ausgegangen war.
Wie war das? — wie beriethen ſie mich? — durch welche Sprache gab ſich ihre Lehre kund? — und wie ſoll ich Dir darlegen, daß es ſo war? — und was ſie mir lehrten? —
Die Mondnacht deckte mich im ſüßen, tiefen Kin- desſchlaf, dann trat ſie aus ſich ſelbſt hervor und be- rührte mich an meinen Augen, daß ſie ihrem Licht er- wachten, und ſenkte ſich mit magnetiſcher Gewalt in meine Bruſt, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,
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Einmal ſchon, im Kloſter hatten mich die Geiſter
bewogen, mich ihnen zu geſellen, in den hellen Mond-
nächten lockten ſie mich; ich durchwanderte wunderliche
dunkle Gänge, in denen ich die Waſſer rauſchen hörte,
ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich;
der Mond ſchien in ſein bewegtes Waſſer und gewan-
dete die Geiſter, die auf ſeinem wogenden Spiegel ſich
mir zeigten in Silberglanz; — ſie kamen, ſie bedeute-
ten mein fragendes Herz, und verſchwanden wieder, es
kamen andere, ſie legten Geheimniſſe auf meine Zunge,
berührten alle Lebenskeime in meiner Bruſt, bezeichneten
mich mit ihrem Siegel, ſie verhüllten meinen Willen,
meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich
ausgegangen war.
Wie war das? — wie beriethen ſie mich? — durch
welche Sprache gab ſich ihre Lehre kund? — und wie
ſoll ich Dir darlegen, daß es ſo war? — und was ſie
mir lehrten? —
Die Mondnacht deckte mich im ſüßen, tiefen Kin-
desſchlaf, dann trat ſie aus ſich ſelbſt hervor und be-
rührte mich an meinen Augen, daß ſie ihrem Licht er-
wachten, und ſenkte ſich mit magnetiſcher Gewalt in
meine Bruſt, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/109>, abgerufen am 16.06.2024.
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