Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Achsel hinaus, nach der Enkelin und machte ihr
einen bittenden Vorwurf. Ich verstand ihn sogleich,
und machte mich ihm auch verständlich, er solle mich
nicht verklagen sonst wolle ich mich rächen, und schlich
hinter die Vorzimmer. Allein Herder hatte keine An-
dacht mehr für die Großmutter, für ihre schönen Erin-
nerungen aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus
den Briefen von Julie Bondeli, für ihre Schmeichelre-
den und begeisterte Lobsprüche, für ihre Reden von ge-
lehrten Dingen. Er fragte, ob sie ihm nicht ihre En-
kelkinder wolle zeigen? so wurden wir ihm denn alle
drei feierlich vorgeführt und von der Großmutter zugleich
belehrt, wie glücklich wir seien, ihn zu sehen und von
ihm gesegnet zu sein. Er war auch gar nicht faul,
ging rasch auf mich zu, legte mir die Hand auf den
Kopf unter welcher ich ihn drohend ansah, und sagte
langsam und feierlich: "diese da scheint sehr selbststän-
dig, wenn Gott ihr diese Gabe als eine Waffe für ihr
Glück zugetheilt hat so möge sie sich ihrer ungefährdet
bedienen, daß alle sich ihrem kühnen Willen fügen, und
niemand ihren Sinn zu brechen gedenke." Ziemlich
verwundert war die Großmutter über diesen wunderli-
chen Segen, noch mehr aber, daß er die Schwestern
nicht segnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wur-

Tagebuch. 7

ihre Achſel hinaus, nach der Enkelin und machte ihr
einen bittenden Vorwurf. Ich verſtand ihn ſogleich,
und machte mich ihm auch verſtändlich, er ſolle mich
nicht verklagen ſonſt wolle ich mich rächen, und ſchlich
hinter die Vorzimmer. Allein Herder hatte keine An-
dacht mehr für die Großmutter, für ihre ſchönen Erin-
nerungen aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus
den Briefen von Julie Bondeli, für ihre Schmeichelre-
den und begeiſterte Lobſprüche, für ihre Reden von ge-
lehrten Dingen. Er fragte, ob ſie ihm nicht ihre En-
kelkinder wolle zeigen? ſo wurden wir ihm denn alle
drei feierlich vorgeführt und von der Großmutter zugleich
belehrt, wie glücklich wir ſeien, ihn zu ſehen und von
ihm geſegnet zu ſein. Er war auch gar nicht faul,
ging raſch auf mich zu, legte mir die Hand auf den
Kopf unter welcher ich ihn drohend anſah, und ſagte
langſam und feierlich: „dieſe da ſcheint ſehr ſelbſtſtän-
dig, wenn Gott ihr dieſe Gabe als eine Waffe für ihr
Glück zugetheilt hat ſo möge ſie ſich ihrer ungefährdet
bedienen, daß alle ſich ihrem kühnen Willen fügen, und
niemand ihren Sinn zu brechen gedenke.“ Ziemlich
verwundert war die Großmutter über dieſen wunderli-
chen Segen, noch mehr aber, daß er die Schweſtern
nicht ſegnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wur-

Tagebuch. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="145"/>
ihre Ach&#x017F;el hinaus, nach der Enkelin und machte ihr<lb/>
einen bittenden Vorwurf. Ich ver&#x017F;tand ihn &#x017F;ogleich,<lb/>
und machte mich ihm auch ver&#x017F;tändlich, er &#x017F;olle mich<lb/>
nicht verklagen &#x017F;on&#x017F;t wolle ich mich rächen, und &#x017F;chlich<lb/>
hinter die Vorzimmer. Allein Herder hatte keine An-<lb/>
dacht mehr für die Großmutter, für ihre &#x017F;chönen Erin-<lb/>
nerungen aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus<lb/>
den Briefen von Julie Bondeli, für ihre Schmeichelre-<lb/>
den und begei&#x017F;terte Lob&#x017F;prüche, für ihre Reden von ge-<lb/>
lehrten Dingen. Er fragte, ob &#x017F;ie ihm nicht ihre En-<lb/>
kelkinder wolle zeigen? &#x017F;o wurden wir ihm denn alle<lb/>
drei feierlich vorgeführt und von der Großmutter zugleich<lb/>
belehrt, wie glücklich wir &#x017F;eien, ihn zu &#x017F;ehen und von<lb/>
ihm ge&#x017F;egnet zu &#x017F;ein. Er war auch gar nicht faul,<lb/>
ging ra&#x017F;ch auf mich zu, legte mir die Hand auf den<lb/>
Kopf unter welcher ich ihn drohend an&#x017F;ah, und &#x017F;agte<lb/>
lang&#x017F;am und feierlich: &#x201E;die&#x017F;e da &#x017F;cheint &#x017F;ehr &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tän-<lb/>
dig, wenn Gott ihr die&#x017F;e Gabe als eine Waffe für ihr<lb/>
Glück zugetheilt hat &#x017F;o möge &#x017F;ie &#x017F;ich ihrer ungefährdet<lb/>
bedienen, daß alle &#x017F;ich ihrem kühnen Willen fügen, und<lb/>
niemand ihren Sinn zu brechen gedenke.&#x201C; Ziemlich<lb/>
verwundert war die Großmutter über die&#x017F;en wunderli-<lb/>
chen Segen, noch mehr aber, daß er die Schwe&#x017F;tern<lb/>
nicht &#x017F;egnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wur-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Tagebuch. 7</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0155] ihre Achſel hinaus, nach der Enkelin und machte ihr einen bittenden Vorwurf. Ich verſtand ihn ſogleich, und machte mich ihm auch verſtändlich, er ſolle mich nicht verklagen ſonſt wolle ich mich rächen, und ſchlich hinter die Vorzimmer. Allein Herder hatte keine An- dacht mehr für die Großmutter, für ihre ſchönen Erin- nerungen aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus den Briefen von Julie Bondeli, für ihre Schmeichelre- den und begeiſterte Lobſprüche, für ihre Reden von ge- lehrten Dingen. Er fragte, ob ſie ihm nicht ihre En- kelkinder wolle zeigen? ſo wurden wir ihm denn alle drei feierlich vorgeführt und von der Großmutter zugleich belehrt, wie glücklich wir ſeien, ihn zu ſehen und von ihm geſegnet zu ſein. Er war auch gar nicht faul, ging raſch auf mich zu, legte mir die Hand auf den Kopf unter welcher ich ihn drohend anſah, und ſagte langſam und feierlich: „dieſe da ſcheint ſehr ſelbſtſtän- dig, wenn Gott ihr dieſe Gabe als eine Waffe für ihr Glück zugetheilt hat ſo möge ſie ſich ihrer ungefährdet bedienen, daß alle ſich ihrem kühnen Willen fügen, und niemand ihren Sinn zu brechen gedenke.“ Ziemlich verwundert war die Großmutter über dieſen wunderli- chen Segen, noch mehr aber, daß er die Schweſtern nicht ſegnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wur- Tagebuch. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/155
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/155>, abgerufen am 11.05.2024.