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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Rasen ein alter Mann mit silbernem Haar und schlief.
Das unreife Obst, was von den Bäumen gefallen war,
lag gesammelt an seiner Seite, seinen Händen war
wahrscheinlich das daneben liegende, sehr zerlesene, offene
Gesangbuch entfallen, auf das ein schwarzer Hund mit
glühenden Augen die Schnautze gelegt hatte; er machte
Miene zu bellen, allein um seinen Herrn nicht zu wek-
ken, hielt er an sich, wir auch gingen im weiteren Kreise
um das kleine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß
wir keine böse Absicht hatten. Aus dem Speisekorb
nahm ich ein weißes Brod und Wein, ich wagte mich
so nah mir der Hund erlaubte, und legte es hin, dann
ging ich nach der andern Seite und übersah mir das
Thal; es war geziert mit Silberbändern, die in's Kreuz
die grünen Matten einschnürten, der schwarze Wald
umarmte es, die fernen Bergkuppen umwachten es, die
Heerden wandelten über die Wiesen, die Wolkenheerde
zog der Sonne nach, von ihrem Glanz durchschimmert,
und ließ die blasse Mondessichel allein stehen, dort über
dem schwarzen Tannenhorst; so umwandelte ich rund
meine Burg und sah hinab und hinauf, überall wun-
derliche Bilder, hörte schwermüthige Töne, und fühlte
leises, schauerliches Athmen der Natur, sie seufzte, sie
umschmeichelte mich wehmüthig, als wolle sie sagen:

Raſen ein alter Mann mit ſilbernem Haar und ſchlief.
Das unreife Obſt, was von den Bäumen gefallen war,
lag geſammelt an ſeiner Seite, ſeinen Händen war
wahrſcheinlich das daneben liegende, ſehr zerleſene, offene
Geſangbuch entfallen, auf das ein ſchwarzer Hund mit
glühenden Augen die Schnautze gelegt hatte; er machte
Miene zu bellen, allein um ſeinen Herrn nicht zu wek-
ken, hielt er an ſich, wir auch gingen im weiteren Kreiſe
um das kleine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß
wir keine böſe Abſicht hatten. Aus dem Speiſekorb
nahm ich ein weißes Brod und Wein, ich wagte mich
ſo nah mir der Hund erlaubte, und legte es hin, dann
ging ich nach der andern Seite und überſah mir das
Thal; es war geziert mit Silberbändern, die in's Kreuz
die grünen Matten einſchnürten, der ſchwarze Wald
umarmte es, die fernen Bergkuppen umwachten es, die
Heerden wandelten über die Wieſen, die Wolkenheerde
zog der Sonne nach, von ihrem Glanz durchſchimmert,
und ließ die blaſſe Mondesſichel allein ſtehen, dort über
dem ſchwarzen Tannenhorſt; ſo umwandelte ich rund
meine Burg und ſah hinab und hinauf, überall wun-
derliche Bilder, hörte ſchwermüthige Töne, und fühlte
leiſes, ſchauerliches Athmen der Natur, ſie ſeufzte, ſie
umſchmeichelte mich wehmüthig, als wolle ſie ſagen:

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[161/0171] Raſen ein alter Mann mit ſilbernem Haar und ſchlief. Das unreife Obſt, was von den Bäumen gefallen war, lag geſammelt an ſeiner Seite, ſeinen Händen war wahrſcheinlich das daneben liegende, ſehr zerleſene, offene Geſangbuch entfallen, auf das ein ſchwarzer Hund mit glühenden Augen die Schnautze gelegt hatte; er machte Miene zu bellen, allein um ſeinen Herrn nicht zu wek- ken, hielt er an ſich, wir auch gingen im weiteren Kreiſe um das kleine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß wir keine böſe Abſicht hatten. Aus dem Speiſekorb nahm ich ein weißes Brod und Wein, ich wagte mich ſo nah mir der Hund erlaubte, und legte es hin, dann ging ich nach der andern Seite und überſah mir das Thal; es war geziert mit Silberbändern, die in's Kreuz die grünen Matten einſchnürten, der ſchwarze Wald umarmte es, die fernen Bergkuppen umwachten es, die Heerden wandelten über die Wieſen, die Wolkenheerde zog der Sonne nach, von ihrem Glanz durchſchimmert, und ließ die blaſſe Mondesſichel allein ſtehen, dort über dem ſchwarzen Tannenhorſt; ſo umwandelte ich rund meine Burg und ſah hinab und hinauf, überall wun- derliche Bilder, hörte ſchwermüthige Töne, und fühlte leiſes, ſchauerliches Athmen der Natur, ſie ſeufzte, ſie umſchmeichelte mich wehmüthig, als wolle ſie ſagen:

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/171>, abgerufen am 27.04.2024.