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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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ich hatte es ja selber angezündet, so öffnete ich doch mit
Zagen die Thür; und wie ich diese stille Einsamkeit ge-
wahrte, auf dem Tisch die getrockneten Pflanzen, und
an den Wänden die Steine und die Muscheln, und die
Schmetterlinge, und das erhabene Dunkel was mit den
Strahlen der Lampe spielte: und wie ich da eintrat da
blieb ich am Thürpfosten angelehnt stehen und holte
erst Athem.

Und nun lieg' ich in diesem Bettchen zum Schla-
fen, es ist hart das Bett, ein einziger Strohsack und
eine wollne Decke drüber, und zum Zudecken eine graue
Decke mit bunten Blumen, und kein Mensch weiß, daß
ich die Nacht hier zubringe als nur Du.

Irdische Jugend ist bewußtlos, sie steigt aus ihrer
Knospe, ihre Entfaltung ist ihr Ziel. Bewußtsein der
Jugend ist schon über sinnliche Jugend.

In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich sehe
sie alle die goldne Tage, die ich in Dir verlebte, gekrönt
ein jeder mit wunderbaren Blüthen. Stolz erhaben ein-
her schreitend feurigen raschen Geistes; unberührt, keusch,
vor der Gemeinheit sich flüchtend, in höhere Regionen;
ein milder Schimmer durchglänzt sie, es ist der Abend-
schein Deines Lebens. Ach und der heutige Tag ist auch
ein solcher, er schließt sich an die Reihe der verflossenen

ich hatte es ja ſelber angezündet, ſo öffnete ich doch mit
Zagen die Thür; und wie ich dieſe ſtille Einſamkeit ge-
wahrte, auf dem Tiſch die getrockneten Pflanzen, und
an den Wänden die Steine und die Muſcheln, und die
Schmetterlinge, und das erhabene Dunkel was mit den
Strahlen der Lampe ſpielte: und wie ich da eintrat da
blieb ich am Thürpfoſten angelehnt ſtehen und holte
erſt Athem.

Und nun lieg' ich in dieſem Bettchen zum Schla-
fen, es iſt hart das Bett, ein einziger Strohſack und
eine wollne Decke drüber, und zum Zudecken eine graue
Decke mit bunten Blumen, und kein Menſch weiß, daß
ich die Nacht hier zubringe als nur Du.

Irdiſche Jugend iſt bewußtlos, ſie ſteigt aus ihrer
Knoſpe, ihre Entfaltung iſt ihr Ziel. Bewußtſein der
Jugend iſt ſchon über ſinnliche Jugend.

In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich ſehe
ſie alle die goldne Tage, die ich in Dir verlebte, gekrönt
ein jeder mit wunderbaren Blüthen. Stolz erhaben ein-
her ſchreitend feurigen raſchen Geiſtes; unberührt, keuſch,
vor der Gemeinheit ſich flüchtend, in höhere Regionen;
ein milder Schimmer durchglänzt ſie, es iſt der Abend-
ſchein Deines Lebens. Ach und der heutige Tag iſt auch
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[178/0188] ich hatte es ja ſelber angezündet, ſo öffnete ich doch mit Zagen die Thür; und wie ich dieſe ſtille Einſamkeit ge- wahrte, auf dem Tiſch die getrockneten Pflanzen, und an den Wänden die Steine und die Muſcheln, und die Schmetterlinge, und das erhabene Dunkel was mit den Strahlen der Lampe ſpielte: und wie ich da eintrat da blieb ich am Thürpfoſten angelehnt ſtehen und holte erſt Athem. Und nun lieg' ich in dieſem Bettchen zum Schla- fen, es iſt hart das Bett, ein einziger Strohſack und eine wollne Decke drüber, und zum Zudecken eine graue Decke mit bunten Blumen, und kein Menſch weiß, daß ich die Nacht hier zubringe als nur Du. Irdiſche Jugend iſt bewußtlos, ſie ſteigt aus ihrer Knoſpe, ihre Entfaltung iſt ihr Ziel. Bewußtſein der Jugend iſt ſchon über ſinnliche Jugend. In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich ſehe ſie alle die goldne Tage, die ich in Dir verlebte, gekrönt ein jeder mit wunderbaren Blüthen. Stolz erhaben ein- her ſchreitend feurigen raſchen Geiſtes; unberührt, keuſch, vor der Gemeinheit ſich flüchtend, in höhere Regionen; ein milder Schimmer durchglänzt ſie, es iſt der Abend- ſchein Deines Lebens. Ach und der heutige Tag iſt auch ein ſolcher, er ſchließt ſich an die Reihe der verfloſſenen

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/188>, abgerufen am 28.04.2024.