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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Leben, sie sind unser Element und in diesem verewigen
wir uns, und ob auch Zauber in's Nichts verschwinden
könnte, wie leicht! -- so ist er doch die einzige Basis
der Wirklichkeit, denn er ist Wirkung des göttlichen
Geistes.

Das Geborenwerden der göttlichen Natur in's ir-
dische Leben, und sein Sterben im vorbereiteten Schmerz,
ist magische Beschwörungsformel.

Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Über-
gang aus dem Nichts in's magische Leben.

Leben ist Schmerz, aber da wir nur soviel Leben
haben als unser Geist verträgt, so empfinden wir diesen
Schmerz gleichgültig, wär unser Geist stark, so wär der
stärkste Schmerz die höchste Wollust.

In meiner Liebe, sei's Abschied oder Willkomm,
schwankt mein Geist immer zwischen Lust und Schmerz,
denn Du machst meinen Geist stark und doch kann er's
kaum ertragen. Übergehen in's Göttliche ist immer
schmerzlich, aber es ist leben.

Jedes Aneignen im Geist ist schmerzlich, alles was
wir erlernen, erkennen, macht uns Schmerz im Erwerben,
so wie es in uns übergegangen ist so hat es unsern
Geist erhöht, und befähigt dies Leben kräftiger zu fas-
sen, und was uns früher weh that, das wird jetzt Genuß.

9*

Leben, ſie ſind unſer Element und in dieſem verewigen
wir uns, und ob auch Zauber in's Nichts verſchwinden
könnte, wie leicht! — ſo iſt er doch die einzige Baſis
der Wirklichkeit, denn er iſt Wirkung des göttlichen
Geiſtes.

Das Geborenwerden der göttlichen Natur in's ir-
diſche Leben, und ſein Sterben im vorbereiteten Schmerz,
iſt magiſche Beſchwörungsformel.

Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Über-
gang aus dem Nichts in's magiſche Leben.

Leben iſt Schmerz, aber da wir nur ſoviel Leben
haben als unſer Geiſt verträgt, ſo empfinden wir dieſen
Schmerz gleichgültig, wär unſer Geiſt ſtark, ſo wär der
ſtärkſte Schmerz die höchſte Wolluſt.

In meiner Liebe, ſei's Abſchied oder Willkomm,
ſchwankt mein Geiſt immer zwiſchen Luſt und Schmerz,
denn Du machſt meinen Geiſt ſtark und doch kann er's
kaum ertragen. Übergehen in's Göttliche iſt immer
ſchmerzlich, aber es iſt leben.

Jedes Aneignen im Geiſt iſt ſchmerzlich, alles was
wir erlernen, erkennen, macht uns Schmerz im Erwerben,
ſo wie es in uns übergegangen iſt ſo hat es unſern
Geiſt erhöht, und befähigt dies Leben kräftiger zu faſ-
ſen, und was uns früher weh that, das wird jetzt Genuß.

9*
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[195/0205] Leben, ſie ſind unſer Element und in dieſem verewigen wir uns, und ob auch Zauber in's Nichts verſchwinden könnte, wie leicht! — ſo iſt er doch die einzige Baſis der Wirklichkeit, denn er iſt Wirkung des göttlichen Geiſtes. Das Geborenwerden der göttlichen Natur in's ir- diſche Leben, und ſein Sterben im vorbereiteten Schmerz, iſt magiſche Beſchwörungsformel. Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Über- gang aus dem Nichts in's magiſche Leben. Leben iſt Schmerz, aber da wir nur ſoviel Leben haben als unſer Geiſt verträgt, ſo empfinden wir dieſen Schmerz gleichgültig, wär unſer Geiſt ſtark, ſo wär der ſtärkſte Schmerz die höchſte Wolluſt. In meiner Liebe, ſei's Abſchied oder Willkomm, ſchwankt mein Geiſt immer zwiſchen Luſt und Schmerz, denn Du machſt meinen Geiſt ſtark und doch kann er's kaum ertragen. Übergehen in's Göttliche iſt immer ſchmerzlich, aber es iſt leben. Jedes Aneignen im Geiſt iſt ſchmerzlich, alles was wir erlernen, erkennen, macht uns Schmerz im Erwerben, ſo wie es in uns übergegangen iſt ſo hat es unſern Geiſt erhöht, und befähigt dies Leben kräftiger zu faſ- ſen, und was uns früher weh that, das wird jetzt Genuß. 9*

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/205>, abgerufen am 28.04.2024.