rufen; und Abends um sieben Uhr läutete ich dreimal das Angelus, um die Schutzengel zur Nachtwache bei den Schlafenden zu rufen. O damals schnitt mir das Abendroth in's Herz, und das schweifende Gold, in das sich die Wolken senkten; o ich weiß es noch wie heute, daß es mir weh that, wenn ich so einsam durch das schlafende Blumenfeld ging, und weiter, weiter Himmel um mich, der in beschwingter Eile seine Wolken zusam- men trieb, wie eine Heerde, die er weiter führen wollte, der rothes und blaues und gelbes Gewand entfaltete, und dann wieder andre Farben, bis die Schatten ihn übermannten. Da stand ich und sah die verspäteten Vögel mit rascher Eile nach ihrem Nest fliegen; und dachte: wenn doch einer in meine Hand flög, und ich fühlte sein klein Herzchen pochen, ich wollte zufrieden sein; ja ich glaubte ein Vögelchen nur, das mir zahm wär', könne mich glücklich machen. Aber es flog kein Vogel in meine Hand, ein jeder hatte schon anders ge- wählt, und ich war nicht verstanden mit meiner Sehn- sucht. Ich glaubte doch damals, die ganze Natur be- stehe blos aus dem Begriff aufgeregter Gefühle, davon komme das Blühen aller Blumen, und dadurch schmelze sich das Licht in alle Farben, und darum hauche der Abendwind so leise Schauer über's Herz, und deßwegen
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rufen; und Abends um ſieben Uhr läutete ich dreimal das Angelus, um die Schutzengel zur Nachtwache bei den Schlafenden zu rufen. O damals ſchnitt mir das Abendroth in's Herz, und das ſchweifende Gold, in das ſich die Wolken ſenkten; o ich weiß es noch wie heute, daß es mir weh that, wenn ich ſo einſam durch das ſchlafende Blumenfeld ging, und weiter, weiter Himmel um mich, der in beſchwingter Eile ſeine Wolken zuſam- men trieb, wie eine Heerde, die er weiter führen wollte, der rothes und blaues und gelbes Gewand entfaltete, und dann wieder andre Farben, bis die Schatten ihn übermannten. Da ſtand ich und ſah die verſpäteten Vögel mit raſcher Eile nach ihrem Neſt fliegen; und dachte: wenn doch einer in meine Hand flög, und ich fühlte ſein klein Herzchen pochen, ich wollte zufrieden ſein; ja ich glaubte ein Vögelchen nur, das mir zahm wär', könne mich glücklich machen. Aber es flog kein Vogel in meine Hand, ein jeder hatte ſchon anders ge- wählt, und ich war nicht verſtanden mit meiner Sehn- ſucht. Ich glaubte doch damals, die ganze Natur be- ſtehe blos aus dem Begriff aufgeregter Gefühle, davon komme das Blühen aller Blumen, und dadurch ſchmelze ſich das Licht in alle Farben, und darum hauche der Abendwind ſo leiſe Schauer über's Herz, und deßwegen
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rufen; und Abends um ſieben Uhr läutete ich dreimal
das Angelus, um die Schutzengel zur Nachtwache bei
den Schlafenden zu rufen. O damals ſchnitt mir das
Abendroth in's Herz, und das ſchweifende Gold, in das
ſich die Wolken ſenkten; o ich weiß es noch wie heute,
daß es mir weh that, wenn ich ſo einſam durch das
ſchlafende Blumenfeld ging, und weiter, weiter Himmel
um mich, der in beſchwingter Eile ſeine Wolken zuſam-
men trieb, wie eine Heerde, die er weiter führen wollte,
der rothes und blaues und gelbes Gewand entfaltete,
und dann wieder andre Farben, bis die Schatten ihn
übermannten. Da ſtand ich und ſah die verſpäteten
Vögel mit raſcher Eile nach ihrem Neſt fliegen; und
dachte: wenn doch einer in meine Hand flög, und ich
fühlte ſein klein Herzchen pochen, ich wollte zufrieden
ſein; ja ich glaubte ein Vögelchen nur, das mir zahm
wär', könne mich glücklich machen. Aber es flog kein
Vogel in meine Hand, ein jeder hatte ſchon anders ge-
wählt, und ich war nicht verſtanden mit meiner Sehn-
ſucht. Ich glaubte doch damals, die ganze Natur be-
ſtehe blos aus dem Begriff aufgeregter Gefühle, davon
komme das Blühen aller Blumen, und dadurch ſchmelze
ſich das Licht in alle Farben, und darum hauche der
Abendwind ſo leiſe Schauer über's Herz, und deßwegen
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/67>, abgerufen am 17.06.2024.
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