gehe ich, statt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel- leicht bete ich dann, statt zu lieben! Ach, wie werd' ich's dem Lieben gleichthun im Beten? -- ich weiß nicht, Küssen ausdrücken. -- Hab' ich je Andacht empfunden, so war's an Deiner Brust, Freund! -- Tempelduft, den Deine Lippen hauchen, Geist Gottes, den Deine Augen predigen, es strömt von Dir aus eine begeisternde Macht, Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geist, alles strömt eine Heiligung aus. O Du! -- Deine Kniee fest an meine Brust drückend, frag' ich nicht mehr, was das für eine Seligkeit sein möge, die im Himmel dem Frommen bereitet ist. -- Gott von Angesicht zu Angesicht schauen? -- wie oft hab' ich mit geschlossnen Augen Deiner Nähe mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb- ten in unser Herz, -- ja Geliebter! -- was haben wir im Herzen, als nur Gott? -- Und wenn wir ihn da nicht empfänden, wie und wo sollten wir seine Spur suchen? --
Was fasle ich vom Frühling, was spreche ich von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? -- Du! -- das Bewußtsein von Dir verzehrt mir jede Re-
gehe ich, ſtatt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel- leicht bete ich dann, ſtatt zu lieben! Ach, wie werd' ich's dem Lieben gleichthun im Beten? — ich weiß nicht, Küſſen ausdrücken. — Hab' ich je Andacht empfunden, ſo war's an Deiner Bruſt, Freund! — Tempelduft, den Deine Lippen hauchen, Geiſt Gottes, den Deine Augen predigen, es ſtrömt von Dir aus eine begeiſternde Macht, Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geiſt, alles ſtrömt eine Heiligung aus. O Du! — Deine Kniee feſt an meine Bruſt drückend, frag' ich nicht mehr, was das für eine Seligkeit ſein möge, die im Himmel dem Frommen bereitet iſt. — Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſchauen? — wie oft hab' ich mit geſchloſſnen Augen Deiner Nähe mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb- ten in unſer Herz, — ja Geliebter! — was haben wir im Herzen, als nur Gott? — Und wenn wir ihn da nicht empfänden, wie und wo ſollten wir ſeine Spur ſuchen? —
Was fasle ich vom Frühling, was ſpreche ich von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? — Du! — das Bewußtſein von Dir verzehrt mir jede Re-
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gehe ich, ſtatt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel-
leicht bete ich dann, ſtatt zu lieben! Ach, wie werd'
ich's dem Lieben gleichthun im Beten? — ich weiß nicht,
Küſſen ausdrücken. — Hab' ich je Andacht empfunden,
ſo war's an Deiner Bruſt, Freund! — Tempelduft, den
Deine Lippen hauchen, Geiſt Gottes, den Deine Augen
predigen, es ſtrömt von Dir aus eine begeiſternde Macht,
Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geiſt, alles ſtrömt
eine Heiligung aus. O Du! — Deine Kniee feſt an
meine Bruſt drückend, frag' ich nicht mehr, was das für
eine Seligkeit ſein möge, die im Himmel dem Frommen
bereitet iſt. — Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſchauen?
— wie oft hab' ich mit geſchloſſnen Augen Deiner Nähe
mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb-
ten in unſer Herz, — ja Geliebter! — was haben wir
im Herzen, als nur Gott? — Und wenn wir ihn da
nicht empfänden, wie und wo ſollten wir ſeine Spur
ſuchen? —
Was fasle ich vom Frühling, was ſpreche ich
von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? — Du!
— das Bewußtſein von Dir verzehrt mir jede Re-
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/96>, abgerufen am 17.06.2024.
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