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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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fühlen und genährt, und da doch Nahrung der Sinne
nur ihre höhere Entwicklung ist, so löst der Dichter, wie
Gott, seine Persönlichkeit auf, durch sein Denken in
eine höhere Form, und bildet sich selbst in eine höhere
Entwicklung hinüber. -- Was sag ich Dir da? -- Ach
ich habs einen Augenblick verstanden was Gott ist, als
könnt ichs in den Wolken lesen, und da sah ich am
Himmel wie der Mond hervorschwippt, und zerstreut
mir die Gedanken, daß ich eben gar nichts mehr lesen
kann, alles ist zerflossen, und die Worte da oben, in
denen ichs festhalten wollt, die sind verschwommen, ich
habs mit andern Worten müssen reden, es ist nicht
recht wie ichs gemeint hab. Ja, Gott läßt sich nicht
fangen, ich dacht ich hätt ihn schon. -- Aber das eine
hab ich behalten, daß Gott die Poesie ist, daß der
Mensch nach seinem Ebenbild geschaffen ist, daß er
also geborner Dichter ist, daß aber alle berufen sind
und wenige auserwählt, das muß ich leider an mir sel¬
ber erfahren, aber doch bin ich Dichter, obschon ich kei¬
nen Reim machen kann, ich fühls wenn ich gehe in der
freien Luft, im Wald oder an Bergen hinauf, da liegt
ein Rhythmus in meiner Seele, nach dem muß ich den¬
ken, und meine Stimmung ändert sich im Takt. -- Und
denn, wenn ich unter Menschen bin, und lasse mich von

fühlen und genährt, und da doch Nahrung der Sinne
nur ihre höhere Entwicklung iſt, ſo löſt der Dichter, wie
Gott, ſeine Perſönlichkeit auf, durch ſein Denken in
eine höhere Form, und bildet ſich ſelbſt in eine höhere
Entwicklung hinüber. — Was ſag ich Dir da? — Ach
ich habs einen Augenblick verſtanden was Gott iſt, als
könnt ichs in den Wolken leſen, und da ſah ich am
Himmel wie der Mond hervorſchwippt, und zerſtreut
mir die Gedanken, daß ich eben gar nichts mehr leſen
kann, alles iſt zerfloſſen, und die Worte da oben, in
denen ichs feſthalten wollt, die ſind verſchwommen, ich
habs mit andern Worten müſſen reden, es iſt nicht
recht wie ichs gemeint hab. Ja, Gott läßt ſich nicht
fangen, ich dacht ich hätt ihn ſchon. — Aber das eine
hab ich behalten, daß Gott die Poeſie iſt, daß der
Menſch nach ſeinem Ebenbild geſchaffen iſt, daß er
alſo geborner Dichter iſt, daß aber alle berufen ſind
und wenige auserwählt, das muß ich leider an mir ſel¬
ber erfahren, aber doch bin ich Dichter, obſchon ich kei¬
nen Reim machen kann, ich fühls wenn ich gehe in der
freien Luft, im Wald oder an Bergen hinauf, da liegt
ein Rhythmus in meiner Seele, nach dem muß ich den¬
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[252/0268] fühlen und genährt, und da doch Nahrung der Sinne nur ihre höhere Entwicklung iſt, ſo löſt der Dichter, wie Gott, ſeine Perſönlichkeit auf, durch ſein Denken in eine höhere Form, und bildet ſich ſelbſt in eine höhere Entwicklung hinüber. — Was ſag ich Dir da? — Ach ich habs einen Augenblick verſtanden was Gott iſt, als könnt ichs in den Wolken leſen, und da ſah ich am Himmel wie der Mond hervorſchwippt, und zerſtreut mir die Gedanken, daß ich eben gar nichts mehr leſen kann, alles iſt zerfloſſen, und die Worte da oben, in denen ichs feſthalten wollt, die ſind verſchwommen, ich habs mit andern Worten müſſen reden, es iſt nicht recht wie ichs gemeint hab. Ja, Gott läßt ſich nicht fangen, ich dacht ich hätt ihn ſchon. — Aber das eine hab ich behalten, daß Gott die Poeſie iſt, daß der Menſch nach ſeinem Ebenbild geſchaffen iſt, daß er alſo geborner Dichter iſt, daß aber alle berufen ſind und wenige auserwählt, das muß ich leider an mir ſel¬ ber erfahren, aber doch bin ich Dichter, obſchon ich kei¬ nen Reim machen kann, ich fühls wenn ich gehe in der freien Luft, im Wald oder an Bergen hinauf, da liegt ein Rhythmus in meiner Seele, nach dem muß ich den¬ ken, und meine Stimmung ändert ſich im Takt. — Und denn, wenn ich unter Menſchen bin, und laſſe mich von

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/268>, abgerufen am 30.04.2024.