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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettae Lebenslauff.
[Spaltenumbruch] nicht in gegenwärtigem verderbten zustand der
welt und der seelen so wol sehr heilsam/ als
auch höchstnöthig seyn; derohalben greiffe ich
ohne weitere vorrede unter dem beystand GOt-
tes das werck selbsten an.

3. Antonia Bourignon ist anno 1616. den
13. Januarii in der Flanderischen stadt Rüs-
sel
von ehrlichen eltern/ denen es an nöthi-
gen mitteln zu unterhaltung ihrer Familie
nicht mangelte/ gebohren worden. Bald nach
ihrer geburt hat man wegen der schwartzen
haare/ welche ihre stirn bedeckten/ wie auch we-
gen der obern leffze/ welche an der nase so fest
gewachsen war/ daß sie den mund nicht zuma-
chen können/ einige ungestalt an ihr wahrge-
nommen; als aber hernach die haare ausge-
fallen/ und die lesße durch einen wundartzt ge-
löset worden war/ ist sie zu einer wohlgestal-
ten Jungfrau aufgewachsen. Diese ungestalt/
ob sie zwar denen eltern sehr unangenehm war/
hätte dennoch ein mittel/ so wohl die Jung-
frau vor einer verderbten weltliche auferziehung
zu bewahren/ als auch eine anzeige der künffti-
gen stärcke und der freudigkeit im reden/ wel-
che beyde stücke in dieser Jungfrauen sehr vor-
trefflich waren/ seyn können.

4. Sie ist von ihrer ersten jugend/ ja von
ihrer geburt an/ denen verfolgungen der men-
schen unterworffen gewesen; sintemahl die
mutter/ welche ihrer vorigen ungestalt einge-
denck war/ sie hassete; dergleichen wurde sie
auch von ihrem bruder und denen schwestern auf
allerhand art und weise bedränget/ sonderlich
in abwesenheit des vaters/ welcher zu der zeit
diese tochter vor andern hertzlich liebete; die-
ses kunte ihr dennoch wenigen trost geben/
weil der vater seiner geschäffte wegen gar sel-
ten zu hause war. Jndessen sind diese trübsa-
len/ wie allen Heiligen/ also auch offtgenannter
Jungfrauen/ sehr nützlich gewesen; Denn sie
wurde dadurch angetrieben die einsamkeit zu
suchen/ und die weltliche unruhe und vielheit
zu fliehen/ welche verhindern/ daß die stimme
GOttes/ der die geheimnisse im verborgenen
offenbaret/ von uns nicht gehöret werde; zu
deren aufmerckung die A. B. von ihrem ersten
alter an/ welches dieses dinges fähig seyn kön-
nen/ sich also gewehnet/ daß sie hernach die
gantze lebens-zeit über in keiner andern sache ei-
nige ergötzlichkeit hat haben können; Ja/ sie hat
auch dazumahlen gelernet/ GOTT um hülf-
fe anzuflehen/ und ihm allein zu vertrauen.

5. Hier darff niemand gelegenheit nehmen
zu spotten; denn es ist gewiß/ daß/ gleichwie die
sonne von tage zu tage alle menschen beleuchtet/
also redet auch GOtt ohne unterlaß zu allen/
und diese gnade vermehret er/ nachdem er die
seele frey von hindernissen/ und treu im auff-
mercken findet. Da aber das kindliche alter sehr
einfältig/ und mit keinen vorurtheilen einge-
nommen ist/ so scheinet selbiges zum auffmer-
cken auff GOttes wort das bequemste zu seyn;
und GOtt offenbaret auch denen unmündigen
die geheimnisse/ welche er denen weisen verbir-
get: indem er den zugang in sein reich nur de-
nen vergönnet/ welche sich selbst als die jetzt ge-
borne kindlein demüthigen/ und na chder ver-
nünfftigen lautern milch des Göttlichen wor-
tes verlangen haben/ dasselbige aber denen zu-
schliesset/ welche nach art der erwachsenen ihnen
[Spaltenumbruch] selbst weise zu seyn düncken lassen. Diese/ die
seele erleuchtende stimme GOttes/ hat unserer
heiligen jungfrauen/ da sie kaum 4. jahr alt ge-
wesen/ den erbärmlichen zustand des heutigen
Christenthums entdecket/ so/ daß sie unter dene/
welche sich dennoch Christen | nenneten/ wahre
Christen suchete/ und sich in ihre gesellschafft zu
begeben verlangete. Zu diesem suchen hat dieses
stammlende kind gewisse ursache gehabt/ wie
sie es hernachmals selbst erlernet/ und mit un-
wiedertreiblichen schlüssen bewiesen hat; Eben
dieses ist auch allen denen/ die Gott fürchten/ aus
eigener erfahrung bekannt.

6. Wie die A. B. am alter zunahm/ also
wuchs auch in ihr die liebe zu den ewig-bleiben-
den dingen nnd zugleich die höchste abkehr von
dem vergänglichen und zerbrechlichen. So
gar/ daß weder die lockungen des fleisches/
noch die weltlichen wollüste/ noch die nachstel-
lungen des teuffels/ imgleichen auch nicht das
bitten oder dräuen der eltern dieselbe von dem
wege/ welcher zu GOtt führet/ haben abkehren
können. Demnach/ als ihre ältere schwester
sich befliesse die andern zu überreden/ daß die
Antonia, weil sie nicht wol bey verstande/ un-
geschickt wäre mit andern jungfrauen umzuge-
hen/ hat diese versuchung so viel vermocht/ daß
jetztgedachte jungfrau sich einiger massen der
welt gleich stellete/ indem sie sich bequehmete
mit ihres gleichen umzugehen/ welches den-
noch ohn einiges laster geschahe/ dessen sie von
ehrliebenden leuten hätte können beschuldiget
werden. Nichts destoweniger sind der A. B.
wegen dieser ihrer abkehr von GOtt/ welche
insgemein von denen so genannten Christen
gering geachtet wird/ die inwendigen tröstun-
gen entzogen worden; So daß sie empfand/
daß GOtt auch ein scharffer zuchtmeister seyn
könne/ indem er sie ohne unterlaß ergriff/ biß sie
ihm die hände/ oder/ daß ichs eigentlicher sa-
ge/ sich selbst gantz und gar ergab/ daß er nach
seinem gefallen mit ihr und alle dem ihrigen
schalten möchte. Jn welchem vorsatz sie her-
nach so getreu gewesen/ daß sie in ihrer übrigen
gantzen lebens-zeit nicht einmal den geringsten
gedancken gehabt sich von GOtt abzuneigen.
Dessen gütigste einflüsse sie dennoch nicht al-
so fort wider genoß/ sondern erst nach einer viel-
jährigen busse; Jn welcher sie ihren eigenen leib
so grausam bekriegete/ daß sie ihm auch den nö-
thigen unterhalt entzog/ indem sie sich gäntzlich
von allen leiblichen und sinnlichen wollüsten
enthielt/ da sie denn so gar die maß überschritte/
daß sie nicht hätte am leben bleiben können/
wenn GOtt sie nicht wunderthätlich erhalten:
Deme diese busse angenehm war/ weil sie aus
einem hertze/ welches seinen fall wuste/ und den-
selben mit aller macht zu verbessern suchte/ her-
vorkam. Daß aber diese busse ernstlich gewe-
sen/ wird unter andern auch hieraus bewiesen/
weil die A. B. dieselbe so heimlich that/ daß es
fast kein mensch hat mercken können.

Wer demnach ernstlich erwegen wird/ daß
alle Patriarchen/ Propheten/ Apostel/ Mar-
tyrer/ Bekenner/ und daß ich mit einem wort
alles sage/ alle Heiligen/ ja auch CHristus selbst
durch leyden in die herrlichkeit eingegangen sey-
en/ der wird auch dieses nicht für ungereimt
halten/ daß die A. B. mit so grosser arbeit sich
beflissen hat/ die verlohrne gnade GOttes wie-

der

Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettæ Lebenslauff.
[Spaltenumbruch] nicht in gegenwaͤrtigem verderbten zuſtand der
welt und der ſeelen ſo wol ſehr heilſam/ als
auch hoͤchſtnoͤthig ſeyn; derohalben greiffe ich
ohne weitere vorrede unter dem beyſtand GOt-
tes das werck ſelbſten an.

3. Antonia Bourignon iſt anno 1616. den
13. Januarii in der Flanderiſchen ſtadt Rüs-
ſel
von ehrlichen eltern/ denen es an noͤthi-
gen mitteln zu unterhaltung ihrer Familie
nicht mangelte/ gebohren worden. Bald nach
ihrer geburt hat man wegen der ſchwartzen
haare/ welche ihre ſtirn bedeckten/ wie auch we-
gen der obern leffze/ welche an der naſe ſo feſt
gewachſen war/ daß ſie den mund nicht zuma-
chen koͤnnen/ einige ungeſtalt an ihr wahrge-
nommen; als aber hernach die haare ausge-
fallen/ und die leſſze durch einen wundartzt ge-
loͤſet worden war/ iſt ſie zu einer wohlgeſtal-
ten Jungfrau aufgewachſen. Dieſe ungeſtalt/
ob ſie zwar denen eltern ſehr unangenehm war/
haͤtte dennoch ein mittel/ ſo wohl die Jung-
frau vor einer verderbten weltlichē auferziehung
zu bewahren/ als auch eine anzeige der kuͤnffti-
gen ſtaͤrcke und der freudigkeit im reden/ wel-
che beyde ſtuͤcke in dieſer Jungfrauen ſehr vor-
trefflich waren/ ſeyn koͤnnen.

4. Sie iſt von ihrer erſten jugend/ ja von
ihrer geburt an/ denen verfolgungen der men-
ſchen unterworffen geweſen; ſintemahl die
mutter/ welche ihrer vorigen ungeſtalt einge-
denck war/ ſie haſſete; dergleichen wurde ſie
auch von ihrem brudeꝛ und denen ſchweſteꝛn auf
allerhand art und weiſe bedraͤnget/ ſonderlich
in abweſenheit des vaters/ welcher zu der zeit
dieſe tochter vor andern hertzlich liebete; die-
ſes kunte ihr dennoch wenigen troſt geben/
weil der vater ſeiner geſchaͤffte wegen gar ſel-
ten zu hauſe war. Jndeſſen ſind dieſe truͤbſa-
len/ wie allen Heiligen/ alſo auch offtgenannter
Jungfrauen/ ſehr nuͤtzlich geweſen; Denn ſie
wurde dadurch angetrieben die einſamkeit zu
ſuchen/ und die weltliche unruhe und vielheit
zu fliehen/ welche verhindern/ daß die ſtimme
GOttes/ der die geheimniſſe im verborgenen
offenbaret/ von uns nicht gehoͤret werde; zu
deren aufmerckung die A. B. von ihrem erſten
alter an/ welches dieſes dinges faͤhig ſeyn koͤn-
nen/ ſich alſo gewehnet/ daß ſie hernach die
gantze lebens-zeit uͤber in keiner andern ſache ei-
nige ergoͤtzlichkeit hat haben koͤnnen; Ja/ ſie hat
auch dazumahlen gelernet/ GOTT um huͤlf-
fe anzuflehen/ und ihm allein zu vertrauen.

5. Hier darff niemand gelegenheit nehmen
zu ſpotten; denn es iſt gewiß/ daß/ gleichwie die
ſonne von tage zu tage alle menſchen beleuchtet/
alſo redet auch GOtt ohne unterlaß zu allen/
und dieſe gnade vermehret er/ nachdem er die
ſeele frey von hinderniſſen/ und treu im auff-
mercken findet. Da aber das kindliche alter ſehr
einfaͤltig/ und mit keinen vorurtheilen einge-
nommen iſt/ ſo ſcheinet ſelbiges zum auffmer-
cken auff GOttes wort das bequemſte zu ſeyn;
und GOtt offenbaret auch denen unmuͤndigen
die geheimniſſe/ welche er denen weiſen verbir-
get: indem er den zugang in ſein reich nur de-
nen vergoͤnnet/ welche ſich ſelbſt als die jetzt ge-
borne kindlein demuͤthigen/ und na chder ver-
nuͤnfftigen lautern milch des Goͤttlichen wor-
tes verlangen haben/ daſſelbige aber denen zu-
ſchlieſſet/ welche nach art der erwachſenen ihnen
[Spaltenumbruch] ſelbſt weiſe zu ſeyn duͤncken laſſen. Dieſe/ die
ſeele erleuchtende ſtimme GOttes/ hat unſerer
heiligen jungfrauen/ da ſie kaum 4. jahr alt ge-
weſen/ den erbaͤrmlichen zuſtand des heutigen
Chriſtenthums entdecket/ ſo/ daß ſie unter denē/
welche ſich dennoch Chriſten | nenneten/ wahre
Chriſten ſuchete/ und ſich in ihre geſellſchafft zu
begeben verlangete. Zu dieſem ſuchen hat dieſes
ſtammlende kind gewiſſe urſache gehabt/ wie
ſie es hernachmals ſelbſt erlernet/ und mit un-
wiedertreiblichen ſchluͤſſen bewieſen hat; Eben
dieſes iſt auch allen denen/ die Gott fuͤꝛchten/ aus
eigener erfahrung bekannt.

6. Wie die A. B. am alter zunahm/ alſo
wuchs auch in ihr die liebe zu den ewig-bleiben-
den dingen nnd zugleich die hoͤchſte abkehr von
dem vergaͤnglichen und zerbrechlichen. So
gar/ daß weder die lockungen des fleiſches/
noch die weltlichen wolluͤſte/ noch die nachſtel-
lungen des teuffels/ imgleichen auch nicht das
bitten oder draͤuen der eltern dieſelbe von dem
wege/ welcher zu GOtt fuͤhret/ haben abkehren
koͤnnen. Demnach/ als ihre aͤltere ſchweſter
ſich beflieſſe die andern zu uͤberreden/ daß die
Antonia, weil ſie nicht wol bey verſtande/ un-
geſchickt waͤre mit andern jungfrauen umzuge-
hen/ hat dieſe verſuchung ſo viel vermocht/ daß
jetztgedachte jungfrau ſich einiger maſſen der
welt gleich ſtellete/ indem ſie ſich bequehmete
mit ihres gleichen umzugehen/ welches den-
noch ohn einiges laſter geſchahe/ deſſen ſie von
ehrliebenden leuten haͤtte koͤnnen beſchuldiget
werden. Nichts deſtoweniger ſind der A. B.
wegen dieſer ihrer abkehr von GOtt/ welche
insgemein von denen ſo genannten Chriſten
gering geachtet wird/ die inwendigen troͤſtun-
gen entzogen worden; So daß ſie empfand/
daß GOtt auch ein ſcharffer zuchtmeiſter ſeyn
koͤnne/ indem er ſie ohne unterlaß ergriff/ biß ſie
ihm die haͤnde/ oder/ daß ichs eigentlicher ſa-
ge/ ſich ſelbſt gantz und gar ergab/ daß er nach
ſeinem gefallen mit ihr und alle dem ihrigen
ſchalten moͤchte. Jn welchem vorſatz ſie her-
nach ſo getreu geweſen/ daß ſie in ihrer uͤbrigen
gantzen lebens-zeit nicht einmal den geringſten
gedancken gehabt ſich von GOtt abzuneigen.
Deſſen guͤtigſte einfluͤſſe ſie dennoch nicht al-
ſo fort wider genoß/ ſondern erſt nach einer viel-
jaͤhrigen buſſe; Jn welcher ſie ihren eigenen leib
ſo grauſam bekriegete/ daß ſie ihm auch den noͤ-
thigen unterhalt entzog/ indem ſie ſich gaͤntzlich
von allen leiblichen und ſinnlichen wolluͤſten
enthielt/ da ſie denn ſo gar die maß uͤberſchritte/
daß ſie nicht haͤtte am leben bleiben koͤnnen/
wenn GOtt ſie nicht wunderthaͤtlich erhalten:
Deme dieſe buſſe angenehm war/ weil ſie aus
einem hertzē/ welches ſeinen fall wuſte/ und den-
ſelben mit aller macht zu verbeſſern ſuchte/ her-
vorkam. Daß aber dieſe buſſe ernſtlich gewe-
ſen/ wird unter andern auch hieraus bewieſen/
weil die A. B. dieſelbe ſo heimlich that/ daß es
faſt kein menſch hat mercken koͤnnen.

Wer demnach ernſtlich erwegen wird/ daß
alle Patriarchen/ Propheten/ Apoſtel/ Mar-
tyrer/ Bekenner/ und daß ich mit einem wort
alles ſage/ alle Heiligen/ ja auch CHriſtus ſelbſt
durch leyden in die herꝛlichkeit eingegangen ſey-
en/ der wird auch dieſes nicht fuͤr ungereimt
halten/ daß die A. B. mit ſo groſſer arbeit ſich
befliſſen hat/ die verlohrne gnade GOttes wie-

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[738/1046] Th. IV. Sect. III. Num. XVII. Antoinettæ Lebenslauff. nicht in gegenwaͤrtigem verderbten zuſtand der welt und der ſeelen ſo wol ſehr heilſam/ als auch hoͤchſtnoͤthig ſeyn; derohalben greiffe ich ohne weitere vorrede unter dem beyſtand GOt- tes das werck ſelbſten an. 3. Antonia Bourignon iſt anno 1616. den 13. Januarii in der Flanderiſchen ſtadt Rüs- ſel von ehrlichen eltern/ denen es an noͤthi- gen mitteln zu unterhaltung ihrer Familie nicht mangelte/ gebohren worden. Bald nach ihrer geburt hat man wegen der ſchwartzen haare/ welche ihre ſtirn bedeckten/ wie auch we- gen der obern leffze/ welche an der naſe ſo feſt gewachſen war/ daß ſie den mund nicht zuma- chen koͤnnen/ einige ungeſtalt an ihr wahrge- nommen; als aber hernach die haare ausge- fallen/ und die leſſze durch einen wundartzt ge- loͤſet worden war/ iſt ſie zu einer wohlgeſtal- ten Jungfrau aufgewachſen. Dieſe ungeſtalt/ ob ſie zwar denen eltern ſehr unangenehm war/ haͤtte dennoch ein mittel/ ſo wohl die Jung- frau vor einer verderbten weltlichē auferziehung zu bewahren/ als auch eine anzeige der kuͤnffti- gen ſtaͤrcke und der freudigkeit im reden/ wel- che beyde ſtuͤcke in dieſer Jungfrauen ſehr vor- trefflich waren/ ſeyn koͤnnen. 4. Sie iſt von ihrer erſten jugend/ ja von ihrer geburt an/ denen verfolgungen der men- ſchen unterworffen geweſen; ſintemahl die mutter/ welche ihrer vorigen ungeſtalt einge- denck war/ ſie haſſete; dergleichen wurde ſie auch von ihrem brudeꝛ und denen ſchweſteꝛn auf allerhand art und weiſe bedraͤnget/ ſonderlich in abweſenheit des vaters/ welcher zu der zeit dieſe tochter vor andern hertzlich liebete; die- ſes kunte ihr dennoch wenigen troſt geben/ weil der vater ſeiner geſchaͤffte wegen gar ſel- ten zu hauſe war. Jndeſſen ſind dieſe truͤbſa- len/ wie allen Heiligen/ alſo auch offtgenannter Jungfrauen/ ſehr nuͤtzlich geweſen; Denn ſie wurde dadurch angetrieben die einſamkeit zu ſuchen/ und die weltliche unruhe und vielheit zu fliehen/ welche verhindern/ daß die ſtimme GOttes/ der die geheimniſſe im verborgenen offenbaret/ von uns nicht gehoͤret werde; zu deren aufmerckung die A. B. von ihrem erſten alter an/ welches dieſes dinges faͤhig ſeyn koͤn- nen/ ſich alſo gewehnet/ daß ſie hernach die gantze lebens-zeit uͤber in keiner andern ſache ei- nige ergoͤtzlichkeit hat haben koͤnnen; Ja/ ſie hat auch dazumahlen gelernet/ GOTT um huͤlf- fe anzuflehen/ und ihm allein zu vertrauen. 5. Hier darff niemand gelegenheit nehmen zu ſpotten; denn es iſt gewiß/ daß/ gleichwie die ſonne von tage zu tage alle menſchen beleuchtet/ alſo redet auch GOtt ohne unterlaß zu allen/ und dieſe gnade vermehret er/ nachdem er die ſeele frey von hinderniſſen/ und treu im auff- mercken findet. Da aber das kindliche alter ſehr einfaͤltig/ und mit keinen vorurtheilen einge- nommen iſt/ ſo ſcheinet ſelbiges zum auffmer- cken auff GOttes wort das bequemſte zu ſeyn; und GOtt offenbaret auch denen unmuͤndigen die geheimniſſe/ welche er denen weiſen verbir- get: indem er den zugang in ſein reich nur de- nen vergoͤnnet/ welche ſich ſelbſt als die jetzt ge- borne kindlein demuͤthigen/ und na chder ver- nuͤnfftigen lautern milch des Goͤttlichen wor- tes verlangen haben/ daſſelbige aber denen zu- ſchlieſſet/ welche nach art der erwachſenen ihnen ſelbſt weiſe zu ſeyn duͤncken laſſen. Dieſe/ die ſeele erleuchtende ſtimme GOttes/ hat unſerer heiligen jungfrauen/ da ſie kaum 4. jahr alt ge- weſen/ den erbaͤrmlichen zuſtand des heutigen Chriſtenthums entdecket/ ſo/ daß ſie unter denē/ welche ſich dennoch Chriſten | nenneten/ wahre Chriſten ſuchete/ und ſich in ihre geſellſchafft zu begeben verlangete. Zu dieſem ſuchen hat dieſes ſtammlende kind gewiſſe urſache gehabt/ wie ſie es hernachmals ſelbſt erlernet/ und mit un- wiedertreiblichen ſchluͤſſen bewieſen hat; Eben dieſes iſt auch allen denen/ die Gott fuͤꝛchten/ aus eigener erfahrung bekannt. 6. Wie die A. B. am alter zunahm/ alſo wuchs auch in ihr die liebe zu den ewig-bleiben- den dingen nnd zugleich die hoͤchſte abkehr von dem vergaͤnglichen und zerbrechlichen. So gar/ daß weder die lockungen des fleiſches/ noch die weltlichen wolluͤſte/ noch die nachſtel- lungen des teuffels/ imgleichen auch nicht das bitten oder draͤuen der eltern dieſelbe von dem wege/ welcher zu GOtt fuͤhret/ haben abkehren koͤnnen. Demnach/ als ihre aͤltere ſchweſter ſich beflieſſe die andern zu uͤberreden/ daß die Antonia, weil ſie nicht wol bey verſtande/ un- geſchickt waͤre mit andern jungfrauen umzuge- hen/ hat dieſe verſuchung ſo viel vermocht/ daß jetztgedachte jungfrau ſich einiger maſſen der welt gleich ſtellete/ indem ſie ſich bequehmete mit ihres gleichen umzugehen/ welches den- noch ohn einiges laſter geſchahe/ deſſen ſie von ehrliebenden leuten haͤtte koͤnnen beſchuldiget werden. Nichts deſtoweniger ſind der A. B. wegen dieſer ihrer abkehr von GOtt/ welche insgemein von denen ſo genannten Chriſten gering geachtet wird/ die inwendigen troͤſtun- gen entzogen worden; So daß ſie empfand/ daß GOtt auch ein ſcharffer zuchtmeiſter ſeyn koͤnne/ indem er ſie ohne unterlaß ergriff/ biß ſie ihm die haͤnde/ oder/ daß ichs eigentlicher ſa- ge/ ſich ſelbſt gantz und gar ergab/ daß er nach ſeinem gefallen mit ihr und alle dem ihrigen ſchalten moͤchte. Jn welchem vorſatz ſie her- nach ſo getreu geweſen/ daß ſie in ihrer uͤbrigen gantzen lebens-zeit nicht einmal den geringſten gedancken gehabt ſich von GOtt abzuneigen. Deſſen guͤtigſte einfluͤſſe ſie dennoch nicht al- ſo fort wider genoß/ ſondern erſt nach einer viel- jaͤhrigen buſſe; Jn welcher ſie ihren eigenen leib ſo grauſam bekriegete/ daß ſie ihm auch den noͤ- thigen unterhalt entzog/ indem ſie ſich gaͤntzlich von allen leiblichen und ſinnlichen wolluͤſten enthielt/ da ſie denn ſo gar die maß uͤberſchritte/ daß ſie nicht haͤtte am leben bleiben koͤnnen/ wenn GOtt ſie nicht wunderthaͤtlich erhalten: Deme dieſe buſſe angenehm war/ weil ſie aus einem hertzē/ welches ſeinen fall wuſte/ und den- ſelben mit aller macht zu verbeſſern ſuchte/ her- vorkam. Daß aber dieſe buſſe ernſtlich gewe- ſen/ wird unter andern auch hieraus bewieſen/ weil die A. B. dieſelbe ſo heimlich that/ daß es faſt kein menſch hat mercken koͤnnen. Wer demnach ernſtlich erwegen wird/ daß alle Patriarchen/ Propheten/ Apoſtel/ Mar- tyrer/ Bekenner/ und daß ich mit einem wort alles ſage/ alle Heiligen/ ja auch CHriſtus ſelbſt durch leyden in die herꝛlichkeit eingegangen ſey- en/ der wird auch dieſes nicht fuͤr ungereimt halten/ daß die A. B. mit ſo groſſer arbeit ſich befliſſen hat/ die verlohrne gnade GOttes wie- der

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/1046>, abgerufen am 29.04.2024.