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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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haube abgelegt, die kaum zu bewältigenden Haarflechten aufgenestelt und sich einen farbenschillernden Sonnenschirm angeschafft, aber erst durch einen Geistlichen erhielt sie eine gesellschaftliche Firmelung. Ein junger Missionär aus der Schweiz, der in einem zierlichen Rollwagen umhergeführt wurde, war bald der Schützling aller Frauen und Mädchen, auch Fränz wurde durch eine priesterlich zuvorkommende Ansprache in seinen Kreis gezogen und verlor bald jede äußere Schüchternheit, indem sie gleich den Uebrigen dem Kranken, der noch dazu ein geweihter Priester war, sich dienstgefällig erwies. Die Hülflosigkeit des Kranken ließ jede Scheu verschwinden, man durfte ihm die Hand reichen und gefällig sein wie einem Kinde. Der junge Mann, ein wirklich eifervoller Priester mit seinem blassen Antlitze, das durch die beständige weiße Halsbinde noch gehoben wurde, war eine anziehende Erscheinung, und sein brennendes Auge, das er wundersam zu heben und zu senken verstand, zeugte von innerem Feuer, das auch hervorbrach, wenn er an stillen schattigen Plätzen dem Frauenkreise vorlas. Er hatte eine wohltönende, ins Herz dringende Stimme. Fränz hatte in der Stadt die Kunst gelernt, Pantöffelein zu brodiren, und sie saß nun mit den anderen Frauen mit ihrer Arbeit um den heiligen Mann und hörte die ergreifenden Vorlesungen und eifervollen Vorträge; sie verstand es, wie die Andern, mitunter aufzuschauen, einen verständnißreichen Blick zu thun, bedeutsam mit dem Kopf zu nicken oder gar die Hände in einander zu legen und unverwandt auf den Redner zu schauen. Mitunter war sie auch wirklich ergriffen, und der Spruch: Rette deine Seele! schauerte ihr durch Mark und Bein. Sie erkannte mit Schrecken, wie sie ihr Seelenheil bisher verwahrlost, und war geneigt, dem Jungfrauenbunde, für den schließlich geworben wurde, beizutreten, aber ein äußerlicher Grund half ihr, sich von den schweren Opfern zu befreien. Sie glaubte zu bemerken, daß einige und zwar die Vornehmsten und Manierlichsten, von dem weihevollen Manne vorgezogen wurden, die Eitelkeit regte sich, und gewohnt, daß Alles in der Welt

haube abgelegt, die kaum zu bewältigenden Haarflechten aufgenestelt und sich einen farbenschillernden Sonnenschirm angeschafft, aber erst durch einen Geistlichen erhielt sie eine gesellschaftliche Firmelung. Ein junger Missionär aus der Schweiz, der in einem zierlichen Rollwagen umhergeführt wurde, war bald der Schützling aller Frauen und Mädchen, auch Fränz wurde durch eine priesterlich zuvorkommende Ansprache in seinen Kreis gezogen und verlor bald jede äußere Schüchternheit, indem sie gleich den Uebrigen dem Kranken, der noch dazu ein geweihter Priester war, sich dienstgefällig erwies. Die Hülflosigkeit des Kranken ließ jede Scheu verschwinden, man durfte ihm die Hand reichen und gefällig sein wie einem Kinde. Der junge Mann, ein wirklich eifervoller Priester mit seinem blassen Antlitze, das durch die beständige weiße Halsbinde noch gehoben wurde, war eine anziehende Erscheinung, und sein brennendes Auge, das er wundersam zu heben und zu senken verstand, zeugte von innerem Feuer, das auch hervorbrach, wenn er an stillen schattigen Plätzen dem Frauenkreise vorlas. Er hatte eine wohltönende, ins Herz dringende Stimme. Fränz hatte in der Stadt die Kunst gelernt, Pantöffelein zu brodiren, und sie saß nun mit den anderen Frauen mit ihrer Arbeit um den heiligen Mann und hörte die ergreifenden Vorlesungen und eifervollen Vorträge; sie verstand es, wie die Andern, mitunter aufzuschauen, einen verständnißreichen Blick zu thun, bedeutsam mit dem Kopf zu nicken oder gar die Hände in einander zu legen und unverwandt auf den Redner zu schauen. Mitunter war sie auch wirklich ergriffen, und der Spruch: Rette deine Seele! schauerte ihr durch Mark und Bein. Sie erkannte mit Schrecken, wie sie ihr Seelenheil bisher verwahrlost, und war geneigt, dem Jungfrauenbunde, für den schließlich geworben wurde, beizutreten, aber ein äußerlicher Grund half ihr, sich von den schweren Opfern zu befreien. Sie glaubte zu bemerken, daß einige und zwar die Vornehmsten und Manierlichsten, von dem weihevollen Manne vorgezogen wurden, die Eitelkeit regte sich, und gewohnt, daß Alles in der Welt

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[0193] haube abgelegt, die kaum zu bewältigenden Haarflechten aufgenestelt und sich einen farbenschillernden Sonnenschirm angeschafft, aber erst durch einen Geistlichen erhielt sie eine gesellschaftliche Firmelung. Ein junger Missionär aus der Schweiz, der in einem zierlichen Rollwagen umhergeführt wurde, war bald der Schützling aller Frauen und Mädchen, auch Fränz wurde durch eine priesterlich zuvorkommende Ansprache in seinen Kreis gezogen und verlor bald jede äußere Schüchternheit, indem sie gleich den Uebrigen dem Kranken, der noch dazu ein geweihter Priester war, sich dienstgefällig erwies. Die Hülflosigkeit des Kranken ließ jede Scheu verschwinden, man durfte ihm die Hand reichen und gefällig sein wie einem Kinde. Der junge Mann, ein wirklich eifervoller Priester mit seinem blassen Antlitze, das durch die beständige weiße Halsbinde noch gehoben wurde, war eine anziehende Erscheinung, und sein brennendes Auge, das er wundersam zu heben und zu senken verstand, zeugte von innerem Feuer, das auch hervorbrach, wenn er an stillen schattigen Plätzen dem Frauenkreise vorlas. Er hatte eine wohltönende, ins Herz dringende Stimme. Fränz hatte in der Stadt die Kunst gelernt, Pantöffelein zu brodiren, und sie saß nun mit den anderen Frauen mit ihrer Arbeit um den heiligen Mann und hörte die ergreifenden Vorlesungen und eifervollen Vorträge; sie verstand es, wie die Andern, mitunter aufzuschauen, einen verständnißreichen Blick zu thun, bedeutsam mit dem Kopf zu nicken oder gar die Hände in einander zu legen und unverwandt auf den Redner zu schauen. Mitunter war sie auch wirklich ergriffen, und der Spruch: Rette deine Seele! schauerte ihr durch Mark und Bein. Sie erkannte mit Schrecken, wie sie ihr Seelenheil bisher verwahrlost, und war geneigt, dem Jungfrauenbunde, für den schließlich geworben wurde, beizutreten, aber ein äußerlicher Grund half ihr, sich von den schweren Opfern zu befreien. Sie glaubte zu bemerken, daß einige und zwar die Vornehmsten und Manierlichsten, von dem weihevollen Manne vorgezogen wurden, die Eitelkeit regte sich, und gewohnt, daß Alles in der Welt

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/193>, abgerufen am 06.05.2024.