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Allgemeine Zeitung. Nr. 1. Augsburg, 1. Januar 1840.

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endlich gegen den von den übrigen Mächten gefaßten Beschluß wäre wohl das Letzte, wozu irgend ein Vernünftiger rathen würde. Wenn also Frankreich, wie wir zu glauben wohl allen Grund haben, der Politik der andern Mächte redlich beitritt, so sehen wir nicht ein, wie seine Regierung darum die Angriffe verdient, die ein Theil der Pariser Presse gegen sie richtet. Wir fanden das Benehmen der französischen Regierung tadelnswerth, und sprachen dieß aus von Anfang an, aber was uns daran fehlerhaft schien, das war nichts weniger als das angebliche "Aufopfern der französischen Interessen," vielmehr das gerade Gegentheil. Jetzt sind wir natürlich darauf gefaßt, den von der französischen Regierung, wie es heißt, gefaßten Beschluß zum Anlaß neuer Angriffe gegen die englisch-französische Allianz gemacht zu sehen. Wir wollen keineswegs verhehlen, daß England den Ansichten Frankreichs über den ägyptischen Theil der Frage sich opponirt hat; aber unsere Motive, wie schon oft erörtert, waren keine der Feindseligkeit gegen Frankreich, sondern rein das, warum es sich hier vor Allem handelte: die Integrität der Türkei und der Friede Europa's. Aber ihr, die ihr das Bündniß der beiden Länder angreift, meint ihr denn, ein völliges, haarscharfes Zusammentreffen der Ansichten und Handlungen in allen und jeden Einzelpunkten sey je als ein nothwendiges Ergebniß dieses Bündnisses betrachtet worden? Im Gegentheil, noch nie bestand eine Allianz, welche die contrahirenden Theile in ihren Bewegungen so frei und unbehindert ließ und ihnen so wenige gegenseitige Opfer zumuthete. Die Allianz, so wie sie ist, ist bloß eine für Möglichkeitsfälle (for contingencies); sie hat den Zweck, den Frieden, die Freiheiten und die Unabhängigkeit Westeuropa's, sollten diese je bedroht werden, zu vertheidigen, und ein gewisses Gleichgewicht der Macht im Mittelmeer, als das einzige Mittel zur Wahrung des Friedens und der Unabhängigkeit des Westens, zu erhalten. Aber selbst auf der Bahn nach diesen Endzwecken, welch weiter Spielraum ist den beiderseitigen Meinungen nicht gestattet, und welche Meinungsverschiedenheit ergibt sich hier nicht wirklich in diesem und jenem Punkt, ohne das Grundprincip der Allianz im mindesten zu stören: nämlich die Bereitwilligkeit und Leichtigkeit des Zusammenhandelns, so oft die gemeinsamen Interessen es erheischen. Diese Allianz ist weder auf Pergament noch im Protokoll geschlossen; sie besteht hinreichend sanctionirt und ratificirt in dem Gemeingefühl und der Erfahrung der Staatsmänner, wenn nicht in der Volksgesinnung, beider Länder. Auch war sie nicht ohne ihre Früchte. Sie hat Spanien vor dem Absolutismus und der Herrschaft Osteuropa's gerettet. Gerettet hat sie auch die Unabhängigkeit der Türkei -- eine Unabhängigkeit, die bedroht und untergraben war, als die Allianz noch nicht bestand, d. h. unter dem Regime der englischen Tories und der französischen Legitimisten. Die Parteien und ihre Organe, denen die Freiheit Spaniens und die Unabhängigkeit der Türkei mißfallen, handeln nur folgerecht, wenn sie gegen die englisch-französische Allianz eifern. Sie hat allerdings ihre Hoffnungen zunichte gemacht, ihre Rückschrittsplane vereitelt. Hiernach begreifen wir vollkommen die Ausfälle der französischen Legitimisten und die noch grimmigeren unserer hiesigen Tory-Clique auf Englands und Frankreichs Bündniß. Was wir aber nicht begreifen können, sind die Ausfälle der Philippistischen Zeitungen in Frankreich, wie der Presse, des Journal de Paris u. s. w. Wir sehen nicht ein, was sie in der englisch-französischen Allianz umstürzen möchten, oder worüber sie sich beklagen; ist es doch jetzt nur eine negative Allianz. Zwei ihrer großen Zwecke sind in Spanien und Konstantinopel erreicht. Frankreich genießt und übt die größte Freiheit im Handeln, und ist ganz verschiedener Ansicht mit England in Madrid, wie hinsichtlich Aegyptens. In so weit kann man die Allianz eine nicht bestehende nennen: jeder Theil handelt für sich apart ohne den andern. Welche größere Freiheit könnten die Gegner der Allianz verlangen? Wir sehen nur ein Mittel, wie sie solche zerstören könnten, nämlich durch Krieg -- einen Krieg gegen England. Und warum? Aus keinem andern Grund als aus Nationalabneigung, zu keinem andern Zweck, als um zu erproben, welche unserer beiderseitigen Flotten die stärkere und gewandtere sey. Kann es etwas Kleinlicheres, Kindischeres, zugleich aber auch Verwerflicheres geben? -- Wir wollen den Einfluß dieser Prediger des Nationalhasses nicht zu gering anschlagen. Zwar sprechen sie die Meinung keiner großen Partei aus, und verdienen insofern keine große Beachtung; aber das endlos schrille Getön ihrer Krieg gegen England quickenden Pfennigtrompete muß gleichwohl einigen Einfluß üben nicht bloß auf diejenigen Leser, die sie zu erregen vermögen, sondern auch auf gemäßigtere Organe, die bei einem Rufe voll des scheinbaren Patriotismus und Muths nicht gern als zurückbleibend betrachtet werden möchten. Wir kennen auch die kleinlichen Beweggründe dieser Leute. So z. B. weil Hr. Thiers sich für das englische Bündniß erklärte, hat nun Hr. v. Lamartine, der in der Politik als so originell wie in der Poesie glänzen möchte, für das russische Bündniß sich erklärt; er verkündigt seine Doctrinen durch die Spalten der Presse. Auch die mitunter warme Sprache unserer englischen Journale reizt die Empfindlichkeit der Franzosen, die zu erwarten scheinen, unsere Presse, die nichts achtet -- nicht einmal die Ruhe und Unschuld unserer jungen Königin -- könnte stets alle Regeln der Artigkeit gegen ihre Nachbarn jenseits des Canals streng beobachten. Das heißt überempfindlich seyn. Errichtet einmal eine freie Presse jenseits des Rheins, jenseits der Alpen, jenseits der Pyrenäen, an der Donau, der Elbe, zu St. Petersburg und Moskau, und ihr werdet sehen, welche Zwistigkeiten alsbald zwischen der französischen Presse und den Journalen von Preußen, Rußland und Spanien ausbrechen. Die Deutschen und Franzosen fühlen wenig gegenseitige Antipathien, und die zwischen Franzosen und Preußen haben sich beinahe gelegt, weil keine preußische Presse den verglimmenden Groll des Landes zu neuen Flammen anfacht. Geschähe das, so würden wir sehen, wie die Ströme von Galle, die sich jetzt täglich in den französischen Zeitungen gegen England ergießen, sich ein anderes Rinnsal suchten und uns in Ruhe ließen. Die Preßfreiheit Englands und Frankreichs wird auf solche Weise in eine Quelle der Feindschaft verwandelt, anstatt ein Band des Friedens zu seyn. Die böswillige Lüge eines Individuums, der leidenschaftliche Ausbruch eines andern genügen, die feindseligen Affecte von Millionen hüben und drüben aufzureizen, und die Massen, deren Interessen immer die des Friedens sind, werden zu den Dupes und Schlachtopfern des leidenschaftlichen Thoren oder des hinterlistigen politischen Charlatans gemacht."

(Das französische Journal des Debats, das diesen Artikel des englischen ministeriellen Blattes ebenfalls mittheilt, bemerkt dazu: "Es wird uns immer zu aufrichtigem Vergnügen gereichen, wenn wir die wichtigen Organe der englischen Presse gegenüber von Frankreich zu einer Schicklichkeit des Tons zurückkehren sehen, die besser nie eine Unterbrechung erlitten hätte. Besonders am Chronicle freut uns diese Rückkehr zu versöhnlichen Ideen. Was den Inhalt seiner Bemerkungen betrifft, so wissen wir nicht, bis zu welchem Punkte das Chronicle genau unterrichtet ist, und die Discussion darüber wird am füglichsten so lange verspart, bis die in den Kammern zu erwartenden Debatten vollständige Aufschlüsse über diese Frage geliefert haben werden.")



endlich gegen den von den übrigen Mächten gefaßten Beschluß wäre wohl das Letzte, wozu irgend ein Vernünftiger rathen würde. Wenn also Frankreich, wie wir zu glauben wohl allen Grund haben, der Politik der andern Mächte redlich beitritt, so sehen wir nicht ein, wie seine Regierung darum die Angriffe verdient, die ein Theil der Pariser Presse gegen sie richtet. Wir fanden das Benehmen der französischen Regierung tadelnswerth, und sprachen dieß aus von Anfang an, aber was uns daran fehlerhaft schien, das war nichts weniger als das angebliche „Aufopfern der französischen Interessen,“ vielmehr das gerade Gegentheil. Jetzt sind wir natürlich darauf gefaßt, den von der französischen Regierung, wie es heißt, gefaßten Beschluß zum Anlaß neuer Angriffe gegen die englisch-französische Allianz gemacht zu sehen. Wir wollen keineswegs verhehlen, daß England den Ansichten Frankreichs über den ägyptischen Theil der Frage sich opponirt hat; aber unsere Motive, wie schon oft erörtert, waren keine der Feindseligkeit gegen Frankreich, sondern rein das, warum es sich hier vor Allem handelte: die Integrität der Türkei und der Friede Europa's. Aber ihr, die ihr das Bündniß der beiden Länder angreift, meint ihr denn, ein völliges, haarscharfes Zusammentreffen der Ansichten und Handlungen in allen und jeden Einzelpunkten sey je als ein nothwendiges Ergebniß dieses Bündnisses betrachtet worden? Im Gegentheil, noch nie bestand eine Allianz, welche die contrahirenden Theile in ihren Bewegungen so frei und unbehindert ließ und ihnen so wenige gegenseitige Opfer zumuthete. Die Allianz, so wie sie ist, ist bloß eine für Möglichkeitsfälle (for contingencies); sie hat den Zweck, den Frieden, die Freiheiten und die Unabhängigkeit Westeuropa's, sollten diese je bedroht werden, zu vertheidigen, und ein gewisses Gleichgewicht der Macht im Mittelmeer, als das einzige Mittel zur Wahrung des Friedens und der Unabhängigkeit des Westens, zu erhalten. Aber selbst auf der Bahn nach diesen Endzwecken, welch weiter Spielraum ist den beiderseitigen Meinungen nicht gestattet, und welche Meinungsverschiedenheit ergibt sich hier nicht wirklich in diesem und jenem Punkt, ohne das Grundprincip der Allianz im mindesten zu stören: nämlich die Bereitwilligkeit und Leichtigkeit des Zusammenhandelns, so oft die gemeinsamen Interessen es erheischen. Diese Allianz ist weder auf Pergament noch im Protokoll geschlossen; sie besteht hinreichend sanctionirt und ratificirt in dem Gemeingefühl und der Erfahrung der Staatsmänner, wenn nicht in der Volksgesinnung, beider Länder. Auch war sie nicht ohne ihre Früchte. Sie hat Spanien vor dem Absolutismus und der Herrschaft Osteuropa's gerettet. Gerettet hat sie auch die Unabhängigkeit der Türkei — eine Unabhängigkeit, die bedroht und untergraben war, als die Allianz noch nicht bestand, d. h. unter dem Regime der englischen Tories und der französischen Legitimisten. Die Parteien und ihre Organe, denen die Freiheit Spaniens und die Unabhängigkeit der Türkei mißfallen, handeln nur folgerecht, wenn sie gegen die englisch-französische Allianz eifern. Sie hat allerdings ihre Hoffnungen zunichte gemacht, ihre Rückschrittsplane vereitelt. Hiernach begreifen wir vollkommen die Ausfälle der französischen Legitimisten und die noch grimmigeren unserer hiesigen Tory-Clique auf Englands und Frankreichs Bündniß. Was wir aber nicht begreifen können, sind die Ausfälle der Philippistischen Zeitungen in Frankreich, wie der Presse, des Journal de Paris u. s. w. Wir sehen nicht ein, was sie in der englisch-französischen Allianz umstürzen möchten, oder worüber sie sich beklagen; ist es doch jetzt nur eine negative Allianz. Zwei ihrer großen Zwecke sind in Spanien und Konstantinopel erreicht. Frankreich genießt und übt die größte Freiheit im Handeln, und ist ganz verschiedener Ansicht mit England in Madrid, wie hinsichtlich Aegyptens. In so weit kann man die Allianz eine nicht bestehende nennen: jeder Theil handelt für sich apart ohne den andern. Welche größere Freiheit könnten die Gegner der Allianz verlangen? Wir sehen nur ein Mittel, wie sie solche zerstören könnten, nämlich durch Krieg — einen Krieg gegen England. Und warum? Aus keinem andern Grund als aus Nationalabneigung, zu keinem andern Zweck, als um zu erproben, welche unserer beiderseitigen Flotten die stärkere und gewandtere sey. Kann es etwas Kleinlicheres, Kindischeres, zugleich aber auch Verwerflicheres geben? — Wir wollen den Einfluß dieser Prediger des Nationalhasses nicht zu gering anschlagen. Zwar sprechen sie die Meinung keiner großen Partei aus, und verdienen insofern keine große Beachtung; aber das endlos schrille Getön ihrer Krieg gegen England quickenden Pfennigtrompete muß gleichwohl einigen Einfluß üben nicht bloß auf diejenigen Leser, die sie zu erregen vermögen, sondern auch auf gemäßigtere Organe, die bei einem Rufe voll des scheinbaren Patriotismus und Muths nicht gern als zurückbleibend betrachtet werden möchten. Wir kennen auch die kleinlichen Beweggründe dieser Leute. So z. B. weil Hr. Thiers sich für das englische Bündniß erklärte, hat nun Hr. v. Lamartine, der in der Politik als so originell wie in der Poesie glänzen möchte, für das russische Bündniß sich erklärt; er verkündigt seine Doctrinen durch die Spalten der Presse. Auch die mitunter warme Sprache unserer englischen Journale reizt die Empfindlichkeit der Franzosen, die zu erwarten scheinen, unsere Presse, die nichts achtet — nicht einmal die Ruhe und Unschuld unserer jungen Königin — könnte stets alle Regeln der Artigkeit gegen ihre Nachbarn jenseits des Canals streng beobachten. Das heißt überempfindlich seyn. Errichtet einmal eine freie Presse jenseits des Rheins, jenseits der Alpen, jenseits der Pyrenäen, an der Donau, der Elbe, zu St. Petersburg und Moskau, und ihr werdet sehen, welche Zwistigkeiten alsbald zwischen der französischen Presse und den Journalen von Preußen, Rußland und Spanien ausbrechen. Die Deutschen und Franzosen fühlen wenig gegenseitige Antipathien, und die zwischen Franzosen und Preußen haben sich beinahe gelegt, weil keine preußische Presse den verglimmenden Groll des Landes zu neuen Flammen anfacht. Geschähe das, so würden wir sehen, wie die Ströme von Galle, die sich jetzt täglich in den französischen Zeitungen gegen England ergießen, sich ein anderes Rinnsal suchten und uns in Ruhe ließen. Die Preßfreiheit Englands und Frankreichs wird auf solche Weise in eine Quelle der Feindschaft verwandelt, anstatt ein Band des Friedens zu seyn. Die böswillige Lüge eines Individuums, der leidenschaftliche Ausbruch eines andern genügen, die feindseligen Affecte von Millionen hüben und drüben aufzureizen, und die Massen, deren Interessen immer die des Friedens sind, werden zu den Dupes und Schlachtopfern des leidenschaftlichen Thoren oder des hinterlistigen politischen Charlatans gemacht.“

(Das französische Journal des Débats, das diesen Artikel des englischen ministeriellen Blattes ebenfalls mittheilt, bemerkt dazu: „Es wird uns immer zu aufrichtigem Vergnügen gereichen, wenn wir die wichtigen Organe der englischen Presse gegenüber von Frankreich zu einer Schicklichkeit des Tons zurückkehren sehen, die besser nie eine Unterbrechung erlitten hätte. Besonders am Chronicle freut uns diese Rückkehr zu versöhnlichen Ideen. Was den Inhalt seiner Bemerkungen betrifft, so wissen wir nicht, bis zu welchem Punkte das Chronicle genau unterrichtet ist, und die Discussion darüber wird am füglichsten so lange verspart, bis die in den Kammern zu erwartenden Debatten vollständige Aufschlüsse über diese Frage geliefert haben werden.“)


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endlich gegen den von den übrigen Mächten gefaßten Beschluß wäre wohl das Letzte, wozu irgend ein Vernünftiger rathen würde. Wenn also Frankreich, wie wir zu glauben wohl allen Grund haben, der Politik der andern Mächte redlich beitritt, so sehen wir nicht ein, wie seine Regierung darum die Angriffe verdient, die ein Theil der Pariser Presse gegen sie richtet. <hi rendition="#g">Wir</hi> fanden das Benehmen der französischen Regierung tadelnswerth, und sprachen dieß aus von Anfang an, aber was <hi rendition="#g">uns</hi> daran fehlerhaft schien, das war nichts weniger als das angebliche &#x201E;Aufopfern der französischen Interessen,&#x201C; vielmehr das gerade Gegentheil. Jetzt sind wir natürlich darauf gefaßt, den von der französischen Regierung, wie es heißt, gefaßten Beschluß zum Anlaß neuer Angriffe gegen die englisch-französische Allianz gemacht zu sehen. Wir wollen keineswegs verhehlen, daß England den Ansichten Frankreichs über den ägyptischen Theil der Frage sich opponirt hat; aber unsere Motive, wie schon oft erörtert, waren keine der Feindseligkeit gegen Frankreich, sondern rein das, warum es sich hier vor Allem handelte: die Integrität der Türkei und der Friede Europa's. Aber ihr, die ihr das Bündniß der beiden Länder angreift, meint ihr denn, ein völliges, haarscharfes Zusammentreffen der Ansichten und Handlungen in allen und jeden Einzelpunkten sey je als ein nothwendiges Ergebniß dieses Bündnisses betrachtet worden? Im Gegentheil, noch nie bestand eine Allianz, welche die contrahirenden Theile in ihren Bewegungen so frei und unbehindert ließ und ihnen so wenige gegenseitige Opfer zumuthete. Die Allianz, so wie sie ist, ist bloß eine für Möglichkeitsfälle (for contingencies); sie hat den Zweck, den Frieden, die Freiheiten und die Unabhängigkeit Westeuropa's, sollten diese je bedroht werden, zu vertheidigen, und ein gewisses Gleichgewicht der Macht im Mittelmeer, als das einzige Mittel zur Wahrung des Friedens und der Unabhängigkeit des Westens, zu erhalten. Aber selbst auf der Bahn nach diesen Endzwecken, welch weiter Spielraum ist den beiderseitigen Meinungen nicht gestattet, und welche Meinungsverschiedenheit ergibt sich hier nicht wirklich in diesem und jenem Punkt, ohne das Grundprincip der Allianz im mindesten zu stören: nämlich die Bereitwilligkeit und Leichtigkeit des Zusammenhandelns, so oft die gemeinsamen Interessen es erheischen. Diese Allianz ist weder auf Pergament noch im Protokoll geschlossen; sie besteht hinreichend sanctionirt und ratificirt in dem Gemeingefühl und der Erfahrung der Staatsmänner, wenn nicht in der Volksgesinnung, beider Länder. Auch war sie nicht ohne ihre Früchte. Sie hat Spanien vor dem Absolutismus und der Herrschaft Osteuropa's gerettet. Gerettet hat sie auch die Unabhängigkeit der Türkei &#x2014; eine Unabhängigkeit, die bedroht und untergraben war, als die Allianz noch nicht bestand, d. h. unter dem Regime der englischen Tories und der französischen Legitimisten. Die Parteien und ihre Organe, denen die Freiheit Spaniens und die Unabhängigkeit der Türkei mißfallen, handeln nur folgerecht, wenn sie gegen die englisch-französische Allianz eifern. Sie hat allerdings ihre Hoffnungen zunichte gemacht, ihre Rückschrittsplane vereitelt. Hiernach begreifen wir vollkommen die Ausfälle der französischen Legitimisten und die noch grimmigeren unserer hiesigen Tory-Clique auf Englands und Frankreichs Bündniß. Was wir aber nicht begreifen können, sind die Ausfälle der Philippistischen Zeitungen in Frankreich, wie der Presse, des Journal de Paris u. s. w. 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Kann es etwas Kleinlicheres, Kindischeres, zugleich aber auch Verwerflicheres geben? &#x2014; Wir wollen den Einfluß dieser Prediger des Nationalhasses nicht zu gering anschlagen. Zwar sprechen sie die Meinung keiner großen Partei aus, und verdienen insofern keine große Beachtung; aber das endlos schrille Getön ihrer Krieg gegen England quickenden Pfennigtrompete muß gleichwohl einigen Einfluß üben nicht bloß auf diejenigen Leser, die sie zu erregen vermögen, sondern auch auf gemäßigtere Organe, die bei einem Rufe voll des scheinbaren Patriotismus und Muths nicht gern als zurückbleibend betrachtet werden möchten. Wir kennen auch die kleinlichen Beweggründe dieser Leute. So z. B. weil Hr. Thiers sich für das englische Bündniß erklärte, hat nun Hr. v. Lamartine, der in der Politik als so originell wie in der Poesie glänzen möchte, für das russische Bündniß sich erklärt; er verkündigt seine Doctrinen durch die Spalten der <hi rendition="#g">Presse</hi>. 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Geschähe das, so würden wir sehen, wie die Ströme von Galle, die sich jetzt täglich in den französischen Zeitungen gegen England ergießen, sich ein anderes Rinnsal suchten und uns in Ruhe ließen. Die Preßfreiheit Englands und Frankreichs wird auf solche Weise in eine Quelle der Feindschaft verwandelt, anstatt ein Band des Friedens zu seyn. Die böswillige Lüge eines Individuums, der leidenschaftliche Ausbruch eines andern genügen, die feindseligen Affecte von Millionen hüben und drüben aufzureizen, und die Massen, deren Interessen immer die des Friedens sind, werden zu den Dupes und Schlachtopfern des leidenschaftlichen Thoren oder des hinterlistigen politischen Charlatans gemacht.&#x201C;</p><lb/>
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[0003/0003] endlich gegen den von den übrigen Mächten gefaßten Beschluß wäre wohl das Letzte, wozu irgend ein Vernünftiger rathen würde. Wenn also Frankreich, wie wir zu glauben wohl allen Grund haben, der Politik der andern Mächte redlich beitritt, so sehen wir nicht ein, wie seine Regierung darum die Angriffe verdient, die ein Theil der Pariser Presse gegen sie richtet. Wir fanden das Benehmen der französischen Regierung tadelnswerth, und sprachen dieß aus von Anfang an, aber was uns daran fehlerhaft schien, das war nichts weniger als das angebliche „Aufopfern der französischen Interessen,“ vielmehr das gerade Gegentheil. Jetzt sind wir natürlich darauf gefaßt, den von der französischen Regierung, wie es heißt, gefaßten Beschluß zum Anlaß neuer Angriffe gegen die englisch-französische Allianz gemacht zu sehen. Wir wollen keineswegs verhehlen, daß England den Ansichten Frankreichs über den ägyptischen Theil der Frage sich opponirt hat; aber unsere Motive, wie schon oft erörtert, waren keine der Feindseligkeit gegen Frankreich, sondern rein das, warum es sich hier vor Allem handelte: die Integrität der Türkei und der Friede Europa's. Aber ihr, die ihr das Bündniß der beiden Länder angreift, meint ihr denn, ein völliges, haarscharfes Zusammentreffen der Ansichten und Handlungen in allen und jeden Einzelpunkten sey je als ein nothwendiges Ergebniß dieses Bündnisses betrachtet worden? Im Gegentheil, noch nie bestand eine Allianz, welche die contrahirenden Theile in ihren Bewegungen so frei und unbehindert ließ und ihnen so wenige gegenseitige Opfer zumuthete. Die Allianz, so wie sie ist, ist bloß eine für Möglichkeitsfälle (for contingencies); sie hat den Zweck, den Frieden, die Freiheiten und die Unabhängigkeit Westeuropa's, sollten diese je bedroht werden, zu vertheidigen, und ein gewisses Gleichgewicht der Macht im Mittelmeer, als das einzige Mittel zur Wahrung des Friedens und der Unabhängigkeit des Westens, zu erhalten. Aber selbst auf der Bahn nach diesen Endzwecken, welch weiter Spielraum ist den beiderseitigen Meinungen nicht gestattet, und welche Meinungsverschiedenheit ergibt sich hier nicht wirklich in diesem und jenem Punkt, ohne das Grundprincip der Allianz im mindesten zu stören: nämlich die Bereitwilligkeit und Leichtigkeit des Zusammenhandelns, so oft die gemeinsamen Interessen es erheischen. Diese Allianz ist weder auf Pergament noch im Protokoll geschlossen; sie besteht hinreichend sanctionirt und ratificirt in dem Gemeingefühl und der Erfahrung der Staatsmänner, wenn nicht in der Volksgesinnung, beider Länder. Auch war sie nicht ohne ihre Früchte. Sie hat Spanien vor dem Absolutismus und der Herrschaft Osteuropa's gerettet. Gerettet hat sie auch die Unabhängigkeit der Türkei — eine Unabhängigkeit, die bedroht und untergraben war, als die Allianz noch nicht bestand, d. h. unter dem Regime der englischen Tories und der französischen Legitimisten. Die Parteien und ihre Organe, denen die Freiheit Spaniens und die Unabhängigkeit der Türkei mißfallen, handeln nur folgerecht, wenn sie gegen die englisch-französische Allianz eifern. Sie hat allerdings ihre Hoffnungen zunichte gemacht, ihre Rückschrittsplane vereitelt. Hiernach begreifen wir vollkommen die Ausfälle der französischen Legitimisten und die noch grimmigeren unserer hiesigen Tory-Clique auf Englands und Frankreichs Bündniß. Was wir aber nicht begreifen können, sind die Ausfälle der Philippistischen Zeitungen in Frankreich, wie der Presse, des Journal de Paris u. s. w. Wir sehen nicht ein, was sie in der englisch-französischen Allianz umstürzen möchten, oder worüber sie sich beklagen; ist es doch jetzt nur eine negative Allianz. Zwei ihrer großen Zwecke sind in Spanien und Konstantinopel erreicht. Frankreich genießt und übt die größte Freiheit im Handeln, und ist ganz verschiedener Ansicht mit England in Madrid, wie hinsichtlich Aegyptens. In so weit kann man die Allianz eine nicht bestehende nennen: jeder Theil handelt für sich apart ohne den andern. Welche größere Freiheit könnten die Gegner der Allianz verlangen? Wir sehen nur ein Mittel, wie sie solche zerstören könnten, nämlich durch Krieg — einen Krieg gegen England. Und warum? Aus keinem andern Grund als aus Nationalabneigung, zu keinem andern Zweck, als um zu erproben, welche unserer beiderseitigen Flotten die stärkere und gewandtere sey. Kann es etwas Kleinlicheres, Kindischeres, zugleich aber auch Verwerflicheres geben? — Wir wollen den Einfluß dieser Prediger des Nationalhasses nicht zu gering anschlagen. Zwar sprechen sie die Meinung keiner großen Partei aus, und verdienen insofern keine große Beachtung; aber das endlos schrille Getön ihrer Krieg gegen England quickenden Pfennigtrompete muß gleichwohl einigen Einfluß üben nicht bloß auf diejenigen Leser, die sie zu erregen vermögen, sondern auch auf gemäßigtere Organe, die bei einem Rufe voll des scheinbaren Patriotismus und Muths nicht gern als zurückbleibend betrachtet werden möchten. Wir kennen auch die kleinlichen Beweggründe dieser Leute. So z. B. weil Hr. Thiers sich für das englische Bündniß erklärte, hat nun Hr. v. Lamartine, der in der Politik als so originell wie in der Poesie glänzen möchte, für das russische Bündniß sich erklärt; er verkündigt seine Doctrinen durch die Spalten der Presse. Auch die mitunter warme Sprache unserer englischen Journale reizt die Empfindlichkeit der Franzosen, die zu erwarten scheinen, unsere Presse, die nichts achtet — nicht einmal die Ruhe und Unschuld unserer jungen Königin — könnte stets alle Regeln der Artigkeit gegen ihre Nachbarn jenseits des Canals streng beobachten. Das heißt überempfindlich seyn. Errichtet einmal eine freie Presse jenseits des Rheins, jenseits der Alpen, jenseits der Pyrenäen, an der Donau, der Elbe, zu St. Petersburg und Moskau, und ihr werdet sehen, welche Zwistigkeiten alsbald zwischen der französischen Presse und den Journalen von Preußen, Rußland und Spanien ausbrechen. Die Deutschen und Franzosen fühlen wenig gegenseitige Antipathien, und die zwischen Franzosen und Preußen haben sich beinahe gelegt, weil keine preußische Presse den verglimmenden Groll des Landes zu neuen Flammen anfacht. Geschähe das, so würden wir sehen, wie die Ströme von Galle, die sich jetzt täglich in den französischen Zeitungen gegen England ergießen, sich ein anderes Rinnsal suchten und uns in Ruhe ließen. Die Preßfreiheit Englands und Frankreichs wird auf solche Weise in eine Quelle der Feindschaft verwandelt, anstatt ein Band des Friedens zu seyn. Die böswillige Lüge eines Individuums, der leidenschaftliche Ausbruch eines andern genügen, die feindseligen Affecte von Millionen hüben und drüben aufzureizen, und die Massen, deren Interessen immer die des Friedens sind, werden zu den Dupes und Schlachtopfern des leidenschaftlichen Thoren oder des hinterlistigen politischen Charlatans gemacht.“ (Das französische Journal des Débats, das diesen Artikel des englischen ministeriellen Blattes ebenfalls mittheilt, bemerkt dazu: „Es wird uns immer zu aufrichtigem Vergnügen gereichen, wenn wir die wichtigen Organe der englischen Presse gegenüber von Frankreich zu einer Schicklichkeit des Tons zurückkehren sehen, die besser nie eine Unterbrechung erlitten hätte. Besonders am Chronicle freut uns diese Rückkehr zu versöhnlichen Ideen. Was den Inhalt seiner Bemerkungen betrifft, so wissen wir nicht, bis zu welchem Punkte das Chronicle genau unterrichtet ist, und die Discussion darüber wird am füglichsten so lange verspart, bis die in den Kammern zu erwartenden Debatten vollständige Aufschlüsse über diese Frage geliefert haben werden.“)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 1. Augsburg, 1. Januar 1840, S. 0003. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_001_18400101/3>, abgerufen am 28.04.2024.