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Allgemeine Zeitung. Nr. 2. Augsburg, 2. Januar 1840.

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Obgleich die Napoleonistische Verschwörung und die damit zusammenhängende Verhaftung und Entweichung des vorgeblichen Marquis v. Crouy-Chanel überhaupt nicht in die Reihe wichtiger politischer Ereignisse gehört, dürfte es doch nicht ohne Interesse seyn, darüber nachträglich einige Aufklärungen zu geben, welche wir verbürgen können, und die zugleich zeigen, in welcher Beziehung diese Napoleonistischen Intriguen und Machinationen zu der höheren Politik stehen. Daß eine Napoleonistische Verschwörung seit langer Zeit im Werke und ihrem Ausbruch nahe war, ist keinem Zweifel unterworfen, und war am wenigsten der Regierung ein Geheimniß, welche mit der bekannten Klugheit und Gewandtheit den eigentlichen Urhebern, den bedeutendsten Theilnehmern und den weitern Verzweigungen des Complots längst auf der Spur war. Es befinden sich jetzt sämmtliche Papiere darüber in dem Cabinet in den Händen des Königs, welchen bei dieser "Napoleonistischen Tollheit" nichts mehr entrüstet hat, als die mysteriöse Unterschrift eines Chevalier de St. Georges, wodurch sich eine nordische Macht so avancirt haben soll, daß eine hohe Person in einem Augenblicke des Unwillens selbst einmal ausrief: "Mais voila un cas de guerre." Die ganze Correspondenz im Besitz des Königs mag gerade in dieser Hinsicht sehr merkwürdige, unbegreifliche Dinge enthalten; sie machte aber eben deßhalb das Verfahren der Regierung gegen die Schuldigen äußerst schwierig und delicat. Man war schon in nicht geringer Verlegenheit, als man die Gewißheit hatte, daß dabei namentlich zwei als Redner der Oppositionspartei ziemlich bekannte Deputirte und zwei Generale des Kaiserreichs sehr stark betheiligt seyen. Was wäre aber zu thun gewesen, wenn man bei einem förmlich eingeleiteten Processe die letzten Triebfedern in noch weit höheren Regionen hätte suchen müssen? Gleichwohl mußte etwas geschehen, um die Sache ans Tageslicht zu ziehen, und dabei doch ein förmlich gerichtliches Verfahren entweder geradezu unmöglich zu machen, oder wenigstens auf die untergeordneten Kategorien der Schuldigen zu beschränken. Hier beginnt nun die Rolle, welche in dem ganzen Drama Hr. Crouy-Chanel gespielt hat. Dieser hat sich nämlich als ein gemeiner politischer Abenteurer, welcher schon öfter in schlechte Streiche dieser Art verwickelt war, offenbar als Spion gebrauchen lassen, knüpfte als solcher mit Ludwig Napoleon Verbindungen an, wußte dessen Vertrauen zu gewinnen, wurde nach und nach ganz in die Plane und Intriguen des Prinzen und seiner Partei eingeweiht, kam in den Besitz des größten Theils der darauf Bezug habenden Correspondenz, und veranlaßte, als die Sache weit genug gediehen war, eine Haussuchung bei sich, welche die Wegnahme seiner sämmtlichen Papiere und seine Verhaftung zur Folge hatte. Nichts war leichter, als ihn wieder laufen zu lassen, sobald man die Sache weit genug getrieben hatte, um vor den Augen des Publicums den Schein zu retten. Kein Mensch zweifelt daher mehr daran, daß die Entweichung des Hrn. Crouy-Chanel eine vorher verabredete Sache war. Auf diese Weise entgeht die Regierung der Nothwendigkeit, dem einmal eingeleiteten Processe weitere Folge zu geben; der Hauptsache nach wird man ihn fallen lassen, und höchstens die Leute vom "Capitol" wegen angeblicher Preßvergehen zur Rechenschaft ziehen. Unter den Papieren, welche man bei Crouy-Chanel gefunden hat, befinden sich unter Anderm Fragmente einer merkwürdigen Unterredung, welche er mit Hrn. v. Genoude gehabt hat. Es soll sich daraus ergeben, daß die Legitimisten den Napoleonisten bereitwillig die Hand geboten haben, um jedoch dann, wenn die Dinge wirklich einmal zum Ausbruch gekommen wären, ihr eigenes Spiel zu treiben. Hr. Genoude soll darin so weit gegangen seyn, daß er sich hier nicht mehr recht sicher glaubte, als die Regierung den Napoleonistischen Machinationen auf die Spur gekommen war. Dieß gilt als der eigentliche Grund seiner Reise nach Rom, wozu die Gegenwart des Herzogs von Bordeaux daselbst nur als willkommener Vorwand gebraucht worden ist. Auch war es gar nicht die Absicht der hiesigen Legitimisten, Hrn. Genoude als ihren Vertreter dorthin zu schicken. Sie haben sich dagegen allerdings viel Mühe gegeben, Hrn. v. Chateaubriand zur Reise nach Rom zu bewegen, um dort in ihrem Namen dem Herzog von Bordeaux den Hof zu machen. Allein Chateaubriand will sich mit den Legitimisten und ihren Missionen nichts mehr zu schaffen machen, und hat die Beschwerden der Reise vorgeschützt. Dieß und die neuesten Nachrichten aus Rom haben die Legitimisten vollends entmuthigt. Denn nach Privatbriefen, welche vor einigen Tagen hier eingetroffen sind, hat sich nach und nach Alles von dem Herzog von Bordeaux zurückgezogen; die Aristokratie hat ihm ihre Hotels so gut als verschlossen, und von dem diplomatischen Corps lassen sich nur noch der neapolitanische und ein anderer Gesandter bei ihm sehen. Doch scheint das Benehmen des letztern bei dieser Gelegenheit nicht ganz von seiner Regierung gebilligt zu werden. Uebrigens schreibt man das Sinken des Ansehens des Herzogs von Bordeaux vorzüglich der entschiedenen Sprache zu, welche der französische Gesandte in dieser Angelegenheit bei der päpstlichen Curie geführt hat. Graf Latour-Maubourg hat sich bei dem Cabinet der Tuilerien weitere Verhaltungsbefehle ausgebeten; da seine ersten Vorstellungen bereits ihre Wirkung gethan zu haben scheinen, so wird man die Sache dabei bewenden lassen.

Wird in der so tief und so groß begabten französischen Nation, in welcher so viel Edelmuth steckt, so viel angebornes Ritterthum und Aufopferungsgabe, wird in ihr nicht einmal in und durch die Kammern ein aus der Verbindung mit der Nation selbst gezeugter Mann erstehen, der uns über jene unseligen Lappalien hinwegführe, welche es Geistern wie Guizot, Thiers oder Montalivet affaires graves zu nennen beliebt, die aber nichts sind als die Interessen der Eitelkeiten beider Erstgenannten, der Hofdienerei des letzten? Dieses seit sieben Jahren periodisch herrschende und alternirende Rabachage wird endlich zu einer Art bas Empire; und doch lechzet Frankreich nach besserer Nahrung. Das Land ist herrlich und groß, das Volk geistreich und betriebsam, in den Familien herrscht im Ganzen Moralität, und in der Gesinnung ist mehr Religion, als man der Anlage zum öffentlichen Leichtsinn nach denken sollte. Die Jugend ist verworren und wird durch schlechte Lecture und Modeschriftsteller immer mehr verwirrt, aber sie hat Herz und Kraft und Ehrgefühl; kurz mit einer etwas inspirirten, über die Kläglichkeiten der Ministermacherei emporsteigenden Regierung könnte Großes und Gutes geschaffen werden. Es ist aber nicht wahr, daß das Land der Regierung fehle, die Regierung fehlt eher dem Lande; nicht wie Hr. v. Lamennais meint, als ob die Regierungen überhaupt und die französische insbesondere aus lauter ogerhafter Menschenfresserei zusammengesetzt wäre, sondern weil ihr das Leben fehlt und der beseelende Gedanke, sie keine Ressourcen tiefern Geistes und Gemüthes in sich selber schöpft, und wehklagt, daß man, aus lauter Mißgunst, ihr das Regieren schwer, ja unmöglich mache. Nicht an Verstand und Geschicklichkeit mangelt es diesen Menschen, sondern an Zukunft, und es geht ihnen wie allen Menschen, denen die Zukunft abgeht: in ihren Augen ist alles im Heute abgeschlossen, während nur, wer die drei Zeiten lebendig und regsam in sich versteht, den Beruf hat zum Herrschen. Herrschen ist die höchste


Obgleich die Napoleonistische Verschwörung und die damit zusammenhängende Verhaftung und Entweichung des vorgeblichen Marquis v. Crouy-Chanel überhaupt nicht in die Reihe wichtiger politischer Ereignisse gehört, dürfte es doch nicht ohne Interesse seyn, darüber nachträglich einige Aufklärungen zu geben, welche wir verbürgen können, und die zugleich zeigen, in welcher Beziehung diese Napoleonistischen Intriguen und Machinationen zu der höheren Politik stehen. Daß eine Napoleonistische Verschwörung seit langer Zeit im Werke und ihrem Ausbruch nahe war, ist keinem Zweifel unterworfen, und war am wenigsten der Regierung ein Geheimniß, welche mit der bekannten Klugheit und Gewandtheit den eigentlichen Urhebern, den bedeutendsten Theilnehmern und den weitern Verzweigungen des Complots längst auf der Spur war. Es befinden sich jetzt sämmtliche Papiere darüber in dem Cabinet in den Händen des Königs, welchen bei dieser „Napoleonistischen Tollheit“ nichts mehr entrüstet hat, als die mysteriöse Unterschrift eines Chevalier de St. Georges, wodurch sich eine nordische Macht so avancirt haben soll, daß eine hohe Person in einem Augenblicke des Unwillens selbst einmal ausrief: „Mais voilà un cas de guerre.“ Die ganze Correspondenz im Besitz des Königs mag gerade in dieser Hinsicht sehr merkwürdige, unbegreifliche Dinge enthalten; sie machte aber eben deßhalb das Verfahren der Regierung gegen die Schuldigen äußerst schwierig und delicat. Man war schon in nicht geringer Verlegenheit, als man die Gewißheit hatte, daß dabei namentlich zwei als Redner der Oppositionspartei ziemlich bekannte Deputirte und zwei Generale des Kaiserreichs sehr stark betheiligt seyen. Was wäre aber zu thun gewesen, wenn man bei einem förmlich eingeleiteten Processe die letzten Triebfedern in noch weit höheren Regionen hätte suchen müssen? Gleichwohl mußte etwas geschehen, um die Sache ans Tageslicht zu ziehen, und dabei doch ein förmlich gerichtliches Verfahren entweder geradezu unmöglich zu machen, oder wenigstens auf die untergeordneten Kategorien der Schuldigen zu beschränken. Hier beginnt nun die Rolle, welche in dem ganzen Drama Hr. Crouy-Chanel gespielt hat. Dieser hat sich nämlich als ein gemeiner politischer Abenteurer, welcher schon öfter in schlechte Streiche dieser Art verwickelt war, offenbar als Spion gebrauchen lassen, knüpfte als solcher mit Ludwig Napoleon Verbindungen an, wußte dessen Vertrauen zu gewinnen, wurde nach und nach ganz in die Plane und Intriguen des Prinzen und seiner Partei eingeweiht, kam in den Besitz des größten Theils der darauf Bezug habenden Correspondenz, und veranlaßte, als die Sache weit genug gediehen war, eine Haussuchung bei sich, welche die Wegnahme seiner sämmtlichen Papiere und seine Verhaftung zur Folge hatte. Nichts war leichter, als ihn wieder laufen zu lassen, sobald man die Sache weit genug getrieben hatte, um vor den Augen des Publicums den Schein zu retten. Kein Mensch zweifelt daher mehr daran, daß die Entweichung des Hrn. Crouy-Chanel eine vorher verabredete Sache war. Auf diese Weise entgeht die Regierung der Nothwendigkeit, dem einmal eingeleiteten Processe weitere Folge zu geben; der Hauptsache nach wird man ihn fallen lassen, und höchstens die Leute vom „Capitol“ wegen angeblicher Preßvergehen zur Rechenschaft ziehen. Unter den Papieren, welche man bei Crouy-Chanel gefunden hat, befinden sich unter Anderm Fragmente einer merkwürdigen Unterredung, welche er mit Hrn. v. Genoude gehabt hat. Es soll sich daraus ergeben, daß die Legitimisten den Napoleonisten bereitwillig die Hand geboten haben, um jedoch dann, wenn die Dinge wirklich einmal zum Ausbruch gekommen wären, ihr eigenes Spiel zu treiben. Hr. Genoude soll darin so weit gegangen seyn, daß er sich hier nicht mehr recht sicher glaubte, als die Regierung den Napoleonistischen Machinationen auf die Spur gekommen war. Dieß gilt als der eigentliche Grund seiner Reise nach Rom, wozu die Gegenwart des Herzogs von Bordeaux daselbst nur als willkommener Vorwand gebraucht worden ist. Auch war es gar nicht die Absicht der hiesigen Legitimisten, Hrn. Genoude als ihren Vertreter dorthin zu schicken. Sie haben sich dagegen allerdings viel Mühe gegeben, Hrn. v. Chateaubriand zur Reise nach Rom zu bewegen, um dort in ihrem Namen dem Herzog von Bordeaux den Hof zu machen. Allein Chateaubriand will sich mit den Legitimisten und ihren Missionen nichts mehr zu schaffen machen, und hat die Beschwerden der Reise vorgeschützt. Dieß und die neuesten Nachrichten aus Rom haben die Legitimisten vollends entmuthigt. Denn nach Privatbriefen, welche vor einigen Tagen hier eingetroffen sind, hat sich nach und nach Alles von dem Herzog von Bordeaux zurückgezogen; die Aristokratie hat ihm ihre Hotels so gut als verschlossen, und von dem diplomatischen Corps lassen sich nur noch der neapolitanische und ein anderer Gesandter bei ihm sehen. Doch scheint das Benehmen des letztern bei dieser Gelegenheit nicht ganz von seiner Regierung gebilligt zu werden. Uebrigens schreibt man das Sinken des Ansehens des Herzogs von Bordeaux vorzüglich der entschiedenen Sprache zu, welche der französische Gesandte in dieser Angelegenheit bei der päpstlichen Curie geführt hat. Graf Latour-Maubourg hat sich bei dem Cabinet der Tuilerien weitere Verhaltungsbefehle ausgebeten; da seine ersten Vorstellungen bereits ihre Wirkung gethan zu haben scheinen, so wird man die Sache dabei bewenden lassen.

Wird in der so tief und so groß begabten französischen Nation, in welcher so viel Edelmuth steckt, so viel angebornes Ritterthum und Aufopferungsgabe, wird in ihr nicht einmal in und durch die Kammern ein aus der Verbindung mit der Nation selbst gezeugter Mann erstehen, der uns über jene unseligen Lappalien hinwegführe, welche es Geistern wie Guizot, Thiers oder Montalivet affaires graves zu nennen beliebt, die aber nichts sind als die Interessen der Eitelkeiten beider Erstgenannten, der Hofdienerei des letzten? Dieses seit sieben Jahren periodisch herrschende und alternirende Rabachage wird endlich zu einer Art bas Empire; und doch lechzet Frankreich nach besserer Nahrung. Das Land ist herrlich und groß, das Volk geistreich und betriebsam, in den Familien herrscht im Ganzen Moralität, und in der Gesinnung ist mehr Religion, als man der Anlage zum öffentlichen Leichtsinn nach denken sollte. Die Jugend ist verworren und wird durch schlechte Lecture und Modeschriftsteller immer mehr verwirrt, aber sie hat Herz und Kraft und Ehrgefühl; kurz mit einer etwas inspirirten, über die Kläglichkeiten der Ministermacherei emporsteigenden Regierung könnte Großes und Gutes geschaffen werden. Es ist aber nicht wahr, daß das Land der Regierung fehle, die Regierung fehlt eher dem Lande; nicht wie Hr. v. Lamennais meint, als ob die Regierungen überhaupt und die französische insbesondere aus lauter ogerhafter Menschenfresserei zusammengesetzt wäre, sondern weil ihr das Leben fehlt und der beseelende Gedanke, sie keine Ressourcen tiefern Geistes und Gemüthes in sich selber schöpft, und wehklagt, daß man, aus lauter Mißgunst, ihr das Regieren schwer, ja unmöglich mache. Nicht an Verstand und Geschicklichkeit mangelt es diesen Menschen, sondern an Zukunft, und es geht ihnen wie allen Menschen, denen die Zukunft abgeht: in ihren Augen ist alles im Heute abgeschlossen, während nur, wer die drei Zeiten lebendig und regsam in sich versteht, den Beruf hat zum Herrschen. Herrschen ist die höchste

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Es befinden sich jetzt sämmtliche Papiere darüber in dem Cabinet in den Händen des Königs, welchen bei dieser &#x201E;Napoleonistischen Tollheit&#x201C; nichts mehr entrüstet hat, als die mysteriöse Unterschrift eines Chevalier de St. Georges, wodurch sich eine nordische Macht so avancirt haben soll, daß eine hohe Person in einem Augenblicke des Unwillens selbst einmal ausrief: &#x201E;Mais voilà un cas de guerre.&#x201C; Die ganze Correspondenz im Besitz des Königs mag gerade in dieser Hinsicht sehr merkwürdige, unbegreifliche Dinge enthalten; sie machte aber eben deßhalb das Verfahren der Regierung gegen die Schuldigen äußerst schwierig und delicat. Man war schon in nicht geringer Verlegenheit, als man die Gewißheit hatte, daß dabei namentlich zwei als Redner der Oppositionspartei ziemlich bekannte Deputirte und zwei Generale des Kaiserreichs sehr stark betheiligt seyen. Was wäre aber zu thun gewesen, wenn man bei einem förmlich eingeleiteten Processe die letzten Triebfedern in noch weit höheren Regionen hätte suchen müssen? Gleichwohl mußte etwas geschehen, um die Sache ans Tageslicht zu ziehen, und dabei doch ein förmlich gerichtliches Verfahren entweder geradezu unmöglich zu machen, oder wenigstens auf die untergeordneten Kategorien der Schuldigen zu beschränken. Hier beginnt nun die Rolle, welche in dem ganzen Drama Hr. Crouy-Chanel gespielt hat. Dieser hat sich nämlich als ein gemeiner politischer Abenteurer, welcher schon öfter in schlechte Streiche dieser Art verwickelt war, offenbar als Spion gebrauchen lassen, knüpfte als solcher mit Ludwig Napoleon Verbindungen an, wußte dessen Vertrauen zu gewinnen, wurde nach und nach ganz in die Plane und Intriguen des Prinzen und seiner Partei eingeweiht, kam in den Besitz des größten Theils der darauf Bezug habenden Correspondenz, und veranlaßte, als die Sache weit genug gediehen war, eine Haussuchung bei sich, welche die Wegnahme seiner sämmtlichen Papiere und seine Verhaftung zur Folge hatte. Nichts war leichter, als ihn wieder laufen zu lassen, sobald man die Sache weit genug getrieben hatte, um vor den Augen des Publicums den Schein zu retten. Kein Mensch zweifelt daher mehr daran, daß die Entweichung des Hrn. Crouy-Chanel eine vorher verabredete Sache war. Auf diese Weise entgeht die Regierung der Nothwendigkeit, dem einmal eingeleiteten Processe weitere Folge zu geben; der Hauptsache nach wird man ihn fallen lassen, und höchstens die Leute vom &#x201E;Capitol&#x201C; wegen angeblicher Preßvergehen zur Rechenschaft ziehen. Unter den Papieren, welche man bei Crouy-Chanel gefunden hat, befinden sich unter Anderm Fragmente einer merkwürdigen Unterredung, welche er mit Hrn. v. Genoude gehabt hat. Es soll sich daraus ergeben, daß die Legitimisten den Napoleonisten bereitwillig die Hand geboten haben, um jedoch dann, wenn die Dinge wirklich einmal zum Ausbruch gekommen wären, ihr eigenes Spiel zu treiben. Hr. Genoude soll darin so weit gegangen seyn, daß er sich hier nicht mehr recht sicher glaubte, als die Regierung den Napoleonistischen Machinationen auf die Spur gekommen war. Dieß gilt als der eigentliche Grund seiner Reise nach Rom, wozu die Gegenwart des Herzogs von Bordeaux daselbst nur als willkommener Vorwand gebraucht worden ist. Auch war es gar nicht die Absicht der hiesigen Legitimisten, Hrn. Genoude als ihren Vertreter dorthin zu schicken. Sie haben sich dagegen allerdings viel Mühe gegeben, Hrn. v. Chateaubriand zur Reise nach Rom zu bewegen, um dort in ihrem Namen dem Herzog von Bordeaux den Hof zu machen. Allein Chateaubriand will sich mit den Legitimisten und ihren Missionen nichts mehr zu schaffen machen, und hat die Beschwerden der Reise vorgeschützt. Dieß und die neuesten Nachrichten aus Rom haben die Legitimisten vollends entmuthigt. Denn nach Privatbriefen, welche vor einigen Tagen hier eingetroffen sind, hat sich nach und nach Alles von dem Herzog von Bordeaux zurückgezogen; die Aristokratie hat ihm ihre Hotels so gut als verschlossen, und von dem diplomatischen Corps lassen sich nur noch der neapolitanische und ein anderer Gesandter bei ihm sehen. Doch scheint das Benehmen des letztern bei dieser Gelegenheit nicht ganz von seiner Regierung gebilligt zu werden. Uebrigens schreibt man das Sinken des Ansehens des Herzogs von Bordeaux vorzüglich der entschiedenen Sprache zu, welche der französische Gesandte in dieser Angelegenheit bei der päpstlichen Curie geführt hat. Graf Latour-Maubourg hat sich bei dem Cabinet der Tuilerien weitere Verhaltungsbefehle ausgebeten; da seine ersten Vorstellungen bereits ihre Wirkung gethan zu haben scheinen, so wird man die Sache dabei bewenden lassen.</p>
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[0013/0005] ∗ Paris, 27 Dec. Obgleich die Napoleonistische Verschwörung und die damit zusammenhängende Verhaftung und Entweichung des vorgeblichen Marquis v. Crouy-Chanel überhaupt nicht in die Reihe wichtiger politischer Ereignisse gehört, dürfte es doch nicht ohne Interesse seyn, darüber nachträglich einige Aufklärungen zu geben, welche wir verbürgen können, und die zugleich zeigen, in welcher Beziehung diese Napoleonistischen Intriguen und Machinationen zu der höheren Politik stehen. Daß eine Napoleonistische Verschwörung seit langer Zeit im Werke und ihrem Ausbruch nahe war, ist keinem Zweifel unterworfen, und war am wenigsten der Regierung ein Geheimniß, welche mit der bekannten Klugheit und Gewandtheit den eigentlichen Urhebern, den bedeutendsten Theilnehmern und den weitern Verzweigungen des Complots längst auf der Spur war. Es befinden sich jetzt sämmtliche Papiere darüber in dem Cabinet in den Händen des Königs, welchen bei dieser „Napoleonistischen Tollheit“ nichts mehr entrüstet hat, als die mysteriöse Unterschrift eines Chevalier de St. Georges, wodurch sich eine nordische Macht so avancirt haben soll, daß eine hohe Person in einem Augenblicke des Unwillens selbst einmal ausrief: „Mais voilà un cas de guerre.“ Die ganze Correspondenz im Besitz des Königs mag gerade in dieser Hinsicht sehr merkwürdige, unbegreifliche Dinge enthalten; sie machte aber eben deßhalb das Verfahren der Regierung gegen die Schuldigen äußerst schwierig und delicat. Man war schon in nicht geringer Verlegenheit, als man die Gewißheit hatte, daß dabei namentlich zwei als Redner der Oppositionspartei ziemlich bekannte Deputirte und zwei Generale des Kaiserreichs sehr stark betheiligt seyen. Was wäre aber zu thun gewesen, wenn man bei einem förmlich eingeleiteten Processe die letzten Triebfedern in noch weit höheren Regionen hätte suchen müssen? Gleichwohl mußte etwas geschehen, um die Sache ans Tageslicht zu ziehen, und dabei doch ein förmlich gerichtliches Verfahren entweder geradezu unmöglich zu machen, oder wenigstens auf die untergeordneten Kategorien der Schuldigen zu beschränken. Hier beginnt nun die Rolle, welche in dem ganzen Drama Hr. Crouy-Chanel gespielt hat. Dieser hat sich nämlich als ein gemeiner politischer Abenteurer, welcher schon öfter in schlechte Streiche dieser Art verwickelt war, offenbar als Spion gebrauchen lassen, knüpfte als solcher mit Ludwig Napoleon Verbindungen an, wußte dessen Vertrauen zu gewinnen, wurde nach und nach ganz in die Plane und Intriguen des Prinzen und seiner Partei eingeweiht, kam in den Besitz des größten Theils der darauf Bezug habenden Correspondenz, und veranlaßte, als die Sache weit genug gediehen war, eine Haussuchung bei sich, welche die Wegnahme seiner sämmtlichen Papiere und seine Verhaftung zur Folge hatte. Nichts war leichter, als ihn wieder laufen zu lassen, sobald man die Sache weit genug getrieben hatte, um vor den Augen des Publicums den Schein zu retten. Kein Mensch zweifelt daher mehr daran, daß die Entweichung des Hrn. Crouy-Chanel eine vorher verabredete Sache war. Auf diese Weise entgeht die Regierung der Nothwendigkeit, dem einmal eingeleiteten Processe weitere Folge zu geben; der Hauptsache nach wird man ihn fallen lassen, und höchstens die Leute vom „Capitol“ wegen angeblicher Preßvergehen zur Rechenschaft ziehen. Unter den Papieren, welche man bei Crouy-Chanel gefunden hat, befinden sich unter Anderm Fragmente einer merkwürdigen Unterredung, welche er mit Hrn. v. Genoude gehabt hat. Es soll sich daraus ergeben, daß die Legitimisten den Napoleonisten bereitwillig die Hand geboten haben, um jedoch dann, wenn die Dinge wirklich einmal zum Ausbruch gekommen wären, ihr eigenes Spiel zu treiben. Hr. Genoude soll darin so weit gegangen seyn, daß er sich hier nicht mehr recht sicher glaubte, als die Regierung den Napoleonistischen Machinationen auf die Spur gekommen war. Dieß gilt als der eigentliche Grund seiner Reise nach Rom, wozu die Gegenwart des Herzogs von Bordeaux daselbst nur als willkommener Vorwand gebraucht worden ist. Auch war es gar nicht die Absicht der hiesigen Legitimisten, Hrn. Genoude als ihren Vertreter dorthin zu schicken. Sie haben sich dagegen allerdings viel Mühe gegeben, Hrn. v. Chateaubriand zur Reise nach Rom zu bewegen, um dort in ihrem Namen dem Herzog von Bordeaux den Hof zu machen. Allein Chateaubriand will sich mit den Legitimisten und ihren Missionen nichts mehr zu schaffen machen, und hat die Beschwerden der Reise vorgeschützt. Dieß und die neuesten Nachrichten aus Rom haben die Legitimisten vollends entmuthigt. Denn nach Privatbriefen, welche vor einigen Tagen hier eingetroffen sind, hat sich nach und nach Alles von dem Herzog von Bordeaux zurückgezogen; die Aristokratie hat ihm ihre Hotels so gut als verschlossen, und von dem diplomatischen Corps lassen sich nur noch der neapolitanische und ein anderer Gesandter bei ihm sehen. Doch scheint das Benehmen des letztern bei dieser Gelegenheit nicht ganz von seiner Regierung gebilligt zu werden. Uebrigens schreibt man das Sinken des Ansehens des Herzogs von Bordeaux vorzüglich der entschiedenen Sprache zu, welche der französische Gesandte in dieser Angelegenheit bei der päpstlichen Curie geführt hat. Graf Latour-Maubourg hat sich bei dem Cabinet der Tuilerien weitere Verhaltungsbefehle ausgebeten; da seine ersten Vorstellungen bereits ihre Wirkung gethan zu haben scheinen, so wird man die Sache dabei bewenden lassen. ♀ Paris, 27 Dec. Wird in der so tief und so groß begabten französischen Nation, in welcher so viel Edelmuth steckt, so viel angebornes Ritterthum und Aufopferungsgabe, wird in ihr nicht einmal in und durch die Kammern ein aus der Verbindung mit der Nation selbst gezeugter Mann erstehen, der uns über jene unseligen Lappalien hinwegführe, welche es Geistern wie Guizot, Thiers oder Montalivet affaires graves zu nennen beliebt, die aber nichts sind als die Interessen der Eitelkeiten beider Erstgenannten, der Hofdienerei des letzten? Dieses seit sieben Jahren periodisch herrschende und alternirende Rabachage wird endlich zu einer Art bas Empire; und doch lechzet Frankreich nach besserer Nahrung. Das Land ist herrlich und groß, das Volk geistreich und betriebsam, in den Familien herrscht im Ganzen Moralität, und in der Gesinnung ist mehr Religion, als man der Anlage zum öffentlichen Leichtsinn nach denken sollte. Die Jugend ist verworren und wird durch schlechte Lecture und Modeschriftsteller immer mehr verwirrt, aber sie hat Herz und Kraft und Ehrgefühl; kurz mit einer etwas inspirirten, über die Kläglichkeiten der Ministermacherei emporsteigenden Regierung könnte Großes und Gutes geschaffen werden. Es ist aber nicht wahr, daß das Land der Regierung fehle, die Regierung fehlt eher dem Lande; nicht wie Hr. v. Lamennais meint, als ob die Regierungen überhaupt und die französische insbesondere aus lauter ogerhafter Menschenfresserei zusammengesetzt wäre, sondern weil ihr das Leben fehlt und der beseelende Gedanke, sie keine Ressourcen tiefern Geistes und Gemüthes in sich selber schöpft, und wehklagt, daß man, aus lauter Mißgunst, ihr das Regieren schwer, ja unmöglich mache. Nicht an Verstand und Geschicklichkeit mangelt es diesen Menschen, sondern an Zukunft, und es geht ihnen wie allen Menschen, denen die Zukunft abgeht: in ihren Augen ist alles im Heute abgeschlossen, während nur, wer die drei Zeiten lebendig und regsam in sich versteht, den Beruf hat zum Herrschen. Herrschen ist die höchste

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 2. Augsburg, 2. Januar 1840, S. 0013. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_002_18400102/5>, abgerufen am 28.04.2024.