Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 15. Augsburg, 15. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

noch bloßer Vorschlag ist*)*), dem jedoch die Gutheißung von Seite Englands sowohl als auch von Oesterreich, Rußland und Preußen so viel als sicher ist. Selbst Frankreich, nachdem es zur Einsicht gekommen, daß keine der Großmächte so wenig als die Pforte für seine Ansicht zu gewinnen ist, wird sich neuen Berichten aus Paris zufolge auf jene Basis hin der Conferenz anschließen, oder ihr wenigstens nicht direct entgegentreten.

Hr. v. Brunnow äußert sich in einem Ton, der deutlich zeigt, daß er nicht nur mit seiner hiesigen Aufnahme sehr zufrieden ist, sondern auch alle Hoffnung hegen zu dürfen glaubt, daß er die ihm anvertrauten Verhandlungen glücklich und ohne große Schwierigkeiten zu Ende führen werde. Das erste Zusammentreffen des russischen Bevollmächtigten mit dem Staatssecretär soll nur bezweckt haben, den Modus zu bestimmen, der bei dem Gang der Verhandlungen zu beobachten seyn dürfte. Es kommt natürlich gar viel auf die Form bei Berathungen an, die nicht ausschließlich die direct an die Verhandlungen Betheiligten angehen, sondern auch auf einen Dritten Bezug haben, wie es bei Belgien der Fall war, und jetzt sich in Betreff der Pforte wiederholt. Damals hatte man die Form der Protokolle gewählt, was bei der verwickelten und ängstlichen Lage der Dinge wohl die entsprechendste Art gewesen seyn mag, um, ohne gleich Alles auf die Degenspitze zu stellen, die Verhandlungen ruhig ans Ziel zu führen. Nichtsdestoweniger ward man aber auch inne, daß ein großer Zeitaufwand erforderlich ist, um die Schlichtung einer wichtigen Frage auf dem Wege der Protokolle zu bewerkstelligen, und daß es in mancher Hinsicht förderlicher ist, wenn man sich dahin verständigen kann, gleich einen Act abzufassen, der für Jeden einzeln, wie für Alle bindend bleibt, sobald er sanctionirt worden. Dieß scheint nun dießmal bewerkstelligt werden zu sollen, da Lord Palmerston einsieht, daß zur Schlichtung der orientalischen Frage es nöthig ist, schnell vorwärts zu gehen, weil ein langes Hinausziehen der Unterhandlungen nur Mehemed Ali zu Statten kommt, indem es ihm theils Zeit gibt, sich in guten Vertheidigungsstand zu setzen, theils dazu beiträgt, die von ihm seither mit so vieler Geschicklichkeit angesponnenen Intriguen noch besser auszuspinnen und die Pforte gänzlich zu umstricken, so daß es immer schwieriger würde, gegen ihn ernstlich zu verfahren. Man überzeugt sich stündlich mehr, daß ohne Anwendung von Gewalt Mehemed Ali sich nicht fügen wird, und daß er bereit scheint, Alles an Alles zu setzen. Er ist bis diesen Augenblick sehr beharrlich gewesen, und die Berichte unseres Generalconsuls in Alexandria lassen keinen Zweifel übrig, daß er sich zur Gegenwehr vorbereitet, und es aufs Aeußerste ankommen lassen dürfte, falls er angegriffen wird. Diese Berichte sagen unter Anderm, Mehemed Ali habe unlängst einen Plan eingeschickt bekommen, der von einem großen Taktiker abgefaßt seyn müsse **)**), weil er nicht nur alle der neuen Kriegskunst zu Gebote stehenden Mittel in Anschlag bringt, sondern auch auf die Natur des Landes, besonders aber auf die noch geringe Ausbildung des ägyptischen Soldaten berechnet scheint. Wenn hiernach Ibrahim Pascha in die Nothwendigkeit versetzt werden sollte, gegen geübte europäische Truppen zu fechten, so kennt er alle Terrainvortheile, die er zu benützen hat, und kann zu der eigenthümlichen Kriegsfähigkeit seiner Truppen die Zuflucht nehmen, sobald er nicht gegen regelmäßige Bewegungen der Gegner auskommen sollte. Der Vicekönig, welcher diesen Plan vielfach geprüft hat, soll ihn vortrefflich gefunden und sich gegen mehrere seiner Vertrauten geäußert haben: "Mit diesem Plan in der Hand will ich die Ereignisse abwarten, das Kommende ohne Scheu entgegennehmen, denn man wird mich schlagen, aber nicht besiegen können." Man muß jedoch abwarten, ob er auch so festen Sinnes noch seyn wird, wenn er einmal inne geworden, daß die vollkommenste Einigkeit unter den gegen ihn auftretenden Großmächten herrsche, und daß sie sich wirklich anschicken gegen ihn vorzugehen, sobald er die von ihnen getroffenen Anordnungen unberücksichtigt lassen sollte. Dann wird er wohl nicht so trotzig dastehen. Allein um Mehemed Ali zu zähmen, müssen, da er mit ungewöhnlicher Charakterstärke begabt ist, alle Mächte Eines Sinnes seyn und darf ihm deßhalb kein Zweifel gelassen werden. Geschieht dieß nicht, so ist zu fürchten, daß er das Aeußerste wagt, und daß der orientalische Knoten nicht so leicht zu zerhauen seyn dürfte als vielfach gewähnt wird. Dann könnte man leicht an das Commencement de la fin gerathen, und das wirkliche Ende des großen Drama's nicht abzusehen seyn, das sich im Orient vorbereitet.

Gestern sind hier Depeschen des diesseitigen Gesandten Graf Sebastiani aus London eingelaufen, von solcher Wichtigkeit, daß sogleich ein Ministerconseil zusammen berufen wurde. Die Nachrichten stimmen mit dem Bericht des Londoner Correspondenten [irrelevantes Material] in der Allg. Zeitung vom 3 Jan. ganz überein. Lord Palmerston und Hr. von Brunnon sind dahin übereingekommen, daß Mehemed Ali bloß den erblichen Besitz Aegyptens und eines kleinern Theiles von Syrien behalte, alle seine übrigen jetzigen Besitzungen aber an die Pforte zurückgeben müsse, namentlich in Syrien alles von St. Jean d'Acre an, diese Festung mit eingeschlossen (Candia ist nicht von der Rcstitution ausgenommen); werde Mehemed Ali sich dieser Anordnung nicht gutwillig unterwerfen, so sollen die Häfen Aegyptens und Syriens durch eine combinirte Flotte blokirt werden, und zugleich ein Corps von 25,000 Mann Russen nach Syrien marschiren, um den Fortschritten Ibrahim Pascha's ein Ziel zu stecken; auch sollen alsdann einige englische und andere Linienschiffe die Dardanellen passiren, zum Schutze von Konstantinopel. Die Pforte und die übrigen europäischen Mächte sollen zum Beitritt zu diesem Arrangement eingeladen werden. - Das hiesige Cabinet hat vorläufig sich dahin entschieden, diesem Arrangement nicht beizutreten, ohne jedoch thätliche Schritte zu Gunsten Mehemed Ali's zu thun: es will den Gang der Dinge abwarten. Mehemed Ali, mag man wohl hier denken, wird sich jener Anordnung nicht unterwerfen, besonders wenn er sieht, daß Frankreich nicht mit einstimmt: er wird an eine Unterstützung von dieser Seite glauben; wir werden ihm solche zwar nicht leisten, weil wir jeden Krieg vermeiden wollen: allein unsere bloße Neutralität nützt ihm schon; die Blokode wird von keiner ihm besonders nachtheiligen Wirkung seyn und eben so wenig wird er die 25,000 Mann Russen fürchten. Wahrscheinlich werden die andern Mächte sich schließlich in der Nothwendigkeit sehen, ihm vortheilhaftere Bedingungen zuzugestehen; diese Vortheile wird er dem Benehmen Frankreichs zuschreiben müssen, und Frankreich darf alsdann auf besondere Begünstigungen in Aegypten zählen.

*) Der betreffende Londoner Correspondent hat die Einschränkung, mit der seine Mittheilung zu nehmen sey, bereits in Nro. 10 der Allg. Zeitung selbst gegeben.
**) Schon vor einiger Zeit hat unsere Alexandrinische Correspondenz dievon Erwähnung gethan.

noch bloßer Vorschlag ist*)*), dem jedoch die Gutheißung von Seite Englands sowohl als auch von Oesterreich, Rußland und Preußen so viel als sicher ist. Selbst Frankreich, nachdem es zur Einsicht gekommen, daß keine der Großmächte so wenig als die Pforte für seine Ansicht zu gewinnen ist, wird sich neuen Berichten aus Paris zufolge auf jene Basis hin der Conferenz anschließen, oder ihr wenigstens nicht direct entgegentreten.

Hr. v. Brunnow äußert sich in einem Ton, der deutlich zeigt, daß er nicht nur mit seiner hiesigen Aufnahme sehr zufrieden ist, sondern auch alle Hoffnung hegen zu dürfen glaubt, daß er die ihm anvertrauten Verhandlungen glücklich und ohne große Schwierigkeiten zu Ende führen werde. Das erste Zusammentreffen des russischen Bevollmächtigten mit dem Staatssecretär soll nur bezweckt haben, den Modus zu bestimmen, der bei dem Gang der Verhandlungen zu beobachten seyn dürfte. Es kommt natürlich gar viel auf die Form bei Berathungen an, die nicht ausschließlich die direct an die Verhandlungen Betheiligten angehen, sondern auch auf einen Dritten Bezug haben, wie es bei Belgien der Fall war, und jetzt sich in Betreff der Pforte wiederholt. Damals hatte man die Form der Protokolle gewählt, was bei der verwickelten und ängstlichen Lage der Dinge wohl die entsprechendste Art gewesen seyn mag, um, ohne gleich Alles auf die Degenspitze zu stellen, die Verhandlungen ruhig ans Ziel zu führen. Nichtsdestoweniger ward man aber auch inne, daß ein großer Zeitaufwand erforderlich ist, um die Schlichtung einer wichtigen Frage auf dem Wege der Protokolle zu bewerkstelligen, und daß es in mancher Hinsicht förderlicher ist, wenn man sich dahin verständigen kann, gleich einen Act abzufassen, der für Jeden einzeln, wie für Alle bindend bleibt, sobald er sanctionirt worden. Dieß scheint nun dießmal bewerkstelligt werden zu sollen, da Lord Palmerston einsieht, daß zur Schlichtung der orientalischen Frage es nöthig ist, schnell vorwärts zu gehen, weil ein langes Hinausziehen der Unterhandlungen nur Mehemed Ali zu Statten kommt, indem es ihm theils Zeit gibt, sich in guten Vertheidigungsstand zu setzen, theils dazu beiträgt, die von ihm seither mit so vieler Geschicklichkeit angesponnenen Intriguen noch besser auszuspinnen und die Pforte gänzlich zu umstricken, so daß es immer schwieriger würde, gegen ihn ernstlich zu verfahren. Man überzeugt sich stündlich mehr, daß ohne Anwendung von Gewalt Mehemed Ali sich nicht fügen wird, und daß er bereit scheint, Alles an Alles zu setzen. Er ist bis diesen Augenblick sehr beharrlich gewesen, und die Berichte unseres Generalconsuls in Alexandria lassen keinen Zweifel übrig, daß er sich zur Gegenwehr vorbereitet, und es aufs Aeußerste ankommen lassen dürfte, falls er angegriffen wird. Diese Berichte sagen unter Anderm, Mehemed Ali habe unlängst einen Plan eingeschickt bekommen, der von einem großen Taktiker abgefaßt seyn müsse **)**), weil er nicht nur alle der neuen Kriegskunst zu Gebote stehenden Mittel in Anschlag bringt, sondern auch auf die Natur des Landes, besonders aber auf die noch geringe Ausbildung des ägyptischen Soldaten berechnet scheint. Wenn hiernach Ibrahim Pascha in die Nothwendigkeit versetzt werden sollte, gegen geübte europäische Truppen zu fechten, so kennt er alle Terrainvortheile, die er zu benützen hat, und kann zu der eigenthümlichen Kriegsfähigkeit seiner Truppen die Zuflucht nehmen, sobald er nicht gegen regelmäßige Bewegungen der Gegner auskommen sollte. Der Vicekönig, welcher diesen Plan vielfach geprüft hat, soll ihn vortrefflich gefunden und sich gegen mehrere seiner Vertrauten geäußert haben: „Mit diesem Plan in der Hand will ich die Ereignisse abwarten, das Kommende ohne Scheu entgegennehmen, denn man wird mich schlagen, aber nicht besiegen können.“ Man muß jedoch abwarten, ob er auch so festen Sinnes noch seyn wird, wenn er einmal inne geworden, daß die vollkommenste Einigkeit unter den gegen ihn auftretenden Großmächten herrsche, und daß sie sich wirklich anschicken gegen ihn vorzugehen, sobald er die von ihnen getroffenen Anordnungen unberücksichtigt lassen sollte. Dann wird er wohl nicht so trotzig dastehen. Allein um Mehemed Ali zu zähmen, müssen, da er mit ungewöhnlicher Charakterstärke begabt ist, alle Mächte Eines Sinnes seyn und darf ihm deßhalb kein Zweifel gelassen werden. Geschieht dieß nicht, so ist zu fürchten, daß er das Aeußerste wagt, und daß der orientalische Knoten nicht so leicht zu zerhauen seyn dürfte als vielfach gewähnt wird. Dann könnte man leicht an das Commencement de la fin gerathen, und das wirkliche Ende des großen Drama's nicht abzusehen seyn, das sich im Orient vorbereitet.

Gestern sind hier Depeschen des diesseitigen Gesandten Graf Sebastiani aus London eingelaufen, von solcher Wichtigkeit, daß sogleich ein Ministerconseil zusammen berufen wurde. Die Nachrichten stimmen mit dem Bericht des Londoner Correspondenten [irrelevantes Material] in der Allg. Zeitung vom 3 Jan. ganz überein. Lord Palmerston und Hr. von Brunnon sind dahin übereingekommen, daß Mehemed Ali bloß den erblichen Besitz Aegyptens und eines kleinern Theiles von Syrien behalte, alle seine übrigen jetzigen Besitzungen aber an die Pforte zurückgeben müsse, namentlich in Syrien alles von St. Jean d'Acre an, diese Festung mit eingeschlossen (Candia ist nicht von der Rcstitution ausgenommen); werde Mehemed Ali sich dieser Anordnung nicht gutwillig unterwerfen, so sollen die Häfen Aegyptens und Syriens durch eine combinirte Flotte blokirt werden, und zugleich ein Corps von 25,000 Mann Russen nach Syrien marschiren, um den Fortschritten Ibrahim Pascha's ein Ziel zu stecken; auch sollen alsdann einige englische und andere Linienschiffe die Dardanellen passiren, zum Schutze von Konstantinopel. Die Pforte und die übrigen europäischen Mächte sollen zum Beitritt zu diesem Arrangement eingeladen werden. – Das hiesige Cabinet hat vorläufig sich dahin entschieden, diesem Arrangement nicht beizutreten, ohne jedoch thätliche Schritte zu Gunsten Mehemed Ali's zu thun: es will den Gang der Dinge abwarten. Mehemed Ali, mag man wohl hier denken, wird sich jener Anordnung nicht unterwerfen, besonders wenn er sieht, daß Frankreich nicht mit einstimmt: er wird an eine Unterstützung von dieser Seite glauben; wir werden ihm solche zwar nicht leisten, weil wir jeden Krieg vermeiden wollen: allein unsere bloße Neutralität nützt ihm schon; die Blokode wird von keiner ihm besonders nachtheiligen Wirkung seyn und eben so wenig wird er die 25,000 Mann Russen fürchten. Wahrscheinlich werden die andern Mächte sich schließlich in der Nothwendigkeit sehen, ihm vortheilhaftere Bedingungen zuzugestehen; diese Vortheile wird er dem Benehmen Frankreichs zuschreiben müssen, und Frankreich darf alsdann auf besondere Begünstigungen in Aegypten zählen.

*) Der betreffende Londoner Correspondent hat die Einschränkung, mit der seine Mittheilung zu nehmen sey, bereits in Nro. 10 der Allg. Zeitung selbst gegeben.
**) Schon vor einiger Zeit hat unsere Alexandrinische Correspondenz dievon Erwähnung gethan.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0007" n="0119"/>
noch bloßer Vorschlag ist<hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)"> Der betreffende Londoner Correspondent hat die Einschränkung, mit der seine Mittheilung zu nehmen sey, bereits in Nro. 10 der Allg. Zeitung selbst gegeben.</note>, dem jedoch die Gutheißung von Seite Englands sowohl als auch von Oesterreich, Rußland und Preußen so viel als sicher ist. Selbst Frankreich, nachdem es zur Einsicht gekommen, daß keine der Großmächte so wenig als die Pforte für seine Ansicht zu gewinnen ist, wird sich neuen Berichten aus Paris zufolge auf jene Basis hin der Conferenz anschließen, oder ihr wenigstens nicht direct entgegentreten.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 2 Jan.</dateline>
          <p> Hr. v. Brunnow äußert sich in einem Ton, der deutlich zeigt, daß er nicht nur mit seiner hiesigen Aufnahme sehr zufrieden ist, sondern auch alle Hoffnung hegen zu dürfen glaubt, daß er die ihm anvertrauten Verhandlungen glücklich und ohne große Schwierigkeiten zu Ende führen werde. Das erste Zusammentreffen des russischen Bevollmächtigten mit dem Staatssecretär soll nur bezweckt haben, den Modus zu bestimmen, der bei dem Gang der Verhandlungen zu beobachten seyn dürfte. Es kommt natürlich gar viel auf die Form bei Berathungen an, die nicht ausschließlich die direct an die Verhandlungen Betheiligten angehen, sondern auch auf einen Dritten Bezug haben, wie es bei Belgien der Fall war, und jetzt sich in Betreff der Pforte wiederholt. Damals hatte man die Form der Protokolle gewählt, was bei der verwickelten und ängstlichen Lage der Dinge wohl die entsprechendste Art gewesen seyn mag, um, ohne gleich Alles auf die Degenspitze zu stellen, die Verhandlungen ruhig ans Ziel zu führen. Nichtsdestoweniger ward man aber auch inne, daß ein großer Zeitaufwand erforderlich ist, um die Schlichtung einer wichtigen Frage auf dem Wege der Protokolle zu bewerkstelligen, und daß es in mancher Hinsicht förderlicher ist, wenn man sich dahin verständigen kann, gleich einen Act abzufassen, der für Jeden einzeln, wie für Alle bindend bleibt, sobald er sanctionirt worden. Dieß scheint nun dießmal bewerkstelligt werden zu sollen, da Lord Palmerston einsieht, daß zur Schlichtung der orientalischen Frage es nöthig ist, schnell vorwärts zu gehen, weil ein langes Hinausziehen der Unterhandlungen nur Mehemed Ali zu Statten kommt, indem es ihm theils Zeit gibt, sich in guten Vertheidigungsstand zu setzen, theils dazu beiträgt, die von ihm seither mit so vieler Geschicklichkeit angesponnenen Intriguen noch besser auszuspinnen und die Pforte gänzlich zu umstricken, so daß es immer schwieriger würde, gegen ihn ernstlich zu verfahren. Man überzeugt sich stündlich mehr, daß ohne Anwendung von Gewalt Mehemed Ali sich nicht fügen wird, und daß er bereit scheint, Alles an Alles zu setzen. Er ist bis diesen Augenblick sehr beharrlich gewesen, und die Berichte unseres Generalconsuls in Alexandria lassen keinen Zweifel übrig, daß er sich zur Gegenwehr vorbereitet, und es aufs Aeußerste ankommen lassen dürfte, falls er angegriffen wird. Diese Berichte sagen unter Anderm, Mehemed Ali habe unlängst einen Plan eingeschickt bekommen, der von einem großen Taktiker abgefaßt seyn müsse <hi rendition="#sup">**)</hi><note place="foot" n="**)"> Schon vor einiger Zeit hat unsere Alexandrinische Correspondenz dievon Erwähnung gethan.</note>, weil er nicht nur alle der neuen Kriegskunst zu Gebote stehenden Mittel in Anschlag bringt, sondern auch auf die Natur des Landes, besonders aber auf die noch geringe Ausbildung des ägyptischen Soldaten berechnet scheint. Wenn hiernach Ibrahim Pascha in die Nothwendigkeit versetzt werden sollte, gegen geübte europäische Truppen zu fechten, so kennt er alle Terrainvortheile, die er zu benützen hat, und kann zu der eigenthümlichen Kriegsfähigkeit seiner Truppen die Zuflucht nehmen, sobald er nicht gegen regelmäßige Bewegungen der Gegner auskommen sollte. Der Vicekönig, welcher diesen Plan vielfach geprüft hat, soll ihn vortrefflich gefunden und sich gegen mehrere seiner Vertrauten geäußert haben: &#x201E;Mit diesem Plan in der Hand will ich die Ereignisse abwarten, das Kommende ohne Scheu entgegennehmen, denn man wird mich schlagen, aber nicht besiegen können.&#x201C; Man muß jedoch abwarten, ob er auch so festen Sinnes noch seyn wird, wenn er einmal inne geworden, daß die vollkommenste Einigkeit unter den gegen ihn auftretenden Großmächten herrsche, und daß sie sich wirklich anschicken gegen ihn vorzugehen, sobald er die von ihnen getroffenen Anordnungen unberücksichtigt lassen sollte. Dann wird er wohl nicht so trotzig dastehen. Allein um Mehemed Ali zu zähmen, müssen, da er mit ungewöhnlicher Charakterstärke begabt ist, alle Mächte Eines Sinnes seyn und darf ihm deßhalb kein Zweifel gelassen werden. Geschieht dieß nicht, so ist zu fürchten, daß er das Aeußerste wagt, und daß der orientalische Knoten nicht so leicht zu zerhauen seyn dürfte als vielfach gewähnt wird. Dann könnte man leicht an das Commencement de la fin gerathen, und das wirkliche Ende des großen Drama's nicht abzusehen seyn, das sich im Orient vorbereitet.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 11 Jan.</dateline>
          <p> Gestern sind hier Depeschen des diesseitigen Gesandten Graf Sebastiani aus London eingelaufen, von solcher Wichtigkeit, daß sogleich ein Ministerconseil zusammen berufen wurde. Die Nachrichten stimmen mit dem Bericht des Londoner Correspondenten <gap reason="insignificant"/> in der Allg. Zeitung vom 3 Jan. ganz überein. Lord Palmerston und Hr. von Brunnon sind dahin übereingekommen, daß Mehemed Ali bloß den erblichen Besitz Aegyptens und eines kleinern Theiles von Syrien behalte, alle seine übrigen jetzigen Besitzungen aber an die Pforte zurückgeben müsse, namentlich in Syrien alles von St. Jean d'Acre an, diese Festung mit eingeschlossen (Candia ist nicht von der Rcstitution ausgenommen); werde Mehemed Ali sich dieser Anordnung nicht gutwillig unterwerfen, so sollen die Häfen Aegyptens und Syriens durch eine combinirte Flotte blokirt werden, und zugleich ein Corps von 25,000 Mann Russen nach Syrien marschiren, um den Fortschritten Ibrahim Pascha's ein Ziel zu stecken; auch sollen alsdann einige englische und andere Linienschiffe die Dardanellen passiren, zum Schutze von Konstantinopel. Die Pforte und die übrigen europäischen Mächte sollen zum Beitritt zu diesem Arrangement eingeladen werden. &#x2013; Das hiesige Cabinet hat vorläufig sich dahin entschieden, diesem Arrangement nicht beizutreten, ohne jedoch thätliche Schritte zu Gunsten Mehemed Ali's zu thun: es will den Gang der Dinge abwarten. Mehemed Ali, mag man wohl hier denken, wird sich jener Anordnung nicht unterwerfen, besonders wenn er sieht, daß Frankreich nicht mit einstimmt: er wird an eine Unterstützung von dieser Seite glauben; wir werden ihm solche zwar nicht leisten, weil wir jeden Krieg vermeiden wollen: allein unsere bloße Neutralität nützt ihm schon; die Blokode wird von keiner ihm besonders nachtheiligen Wirkung seyn und eben so wenig wird er die 25,000 Mann Russen fürchten. Wahrscheinlich werden die andern Mächte sich schließlich in der Nothwendigkeit sehen, ihm vortheilhaftere Bedingungen zuzugestehen; diese Vortheile wird er dem Benehmen Frankreichs zuschreiben müssen, und Frankreich darf alsdann auf besondere Begünstigungen in Aegypten zählen.</p>
        </div>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119/0007] noch bloßer Vorschlag ist*) *), dem jedoch die Gutheißung von Seite Englands sowohl als auch von Oesterreich, Rußland und Preußen so viel als sicher ist. Selbst Frankreich, nachdem es zur Einsicht gekommen, daß keine der Großmächte so wenig als die Pforte für seine Ansicht zu gewinnen ist, wird sich neuen Berichten aus Paris zufolge auf jene Basis hin der Conferenz anschließen, oder ihr wenigstens nicht direct entgegentreten. _ London, 2 Jan. Hr. v. Brunnow äußert sich in einem Ton, der deutlich zeigt, daß er nicht nur mit seiner hiesigen Aufnahme sehr zufrieden ist, sondern auch alle Hoffnung hegen zu dürfen glaubt, daß er die ihm anvertrauten Verhandlungen glücklich und ohne große Schwierigkeiten zu Ende führen werde. Das erste Zusammentreffen des russischen Bevollmächtigten mit dem Staatssecretär soll nur bezweckt haben, den Modus zu bestimmen, der bei dem Gang der Verhandlungen zu beobachten seyn dürfte. Es kommt natürlich gar viel auf die Form bei Berathungen an, die nicht ausschließlich die direct an die Verhandlungen Betheiligten angehen, sondern auch auf einen Dritten Bezug haben, wie es bei Belgien der Fall war, und jetzt sich in Betreff der Pforte wiederholt. Damals hatte man die Form der Protokolle gewählt, was bei der verwickelten und ängstlichen Lage der Dinge wohl die entsprechendste Art gewesen seyn mag, um, ohne gleich Alles auf die Degenspitze zu stellen, die Verhandlungen ruhig ans Ziel zu führen. Nichtsdestoweniger ward man aber auch inne, daß ein großer Zeitaufwand erforderlich ist, um die Schlichtung einer wichtigen Frage auf dem Wege der Protokolle zu bewerkstelligen, und daß es in mancher Hinsicht förderlicher ist, wenn man sich dahin verständigen kann, gleich einen Act abzufassen, der für Jeden einzeln, wie für Alle bindend bleibt, sobald er sanctionirt worden. Dieß scheint nun dießmal bewerkstelligt werden zu sollen, da Lord Palmerston einsieht, daß zur Schlichtung der orientalischen Frage es nöthig ist, schnell vorwärts zu gehen, weil ein langes Hinausziehen der Unterhandlungen nur Mehemed Ali zu Statten kommt, indem es ihm theils Zeit gibt, sich in guten Vertheidigungsstand zu setzen, theils dazu beiträgt, die von ihm seither mit so vieler Geschicklichkeit angesponnenen Intriguen noch besser auszuspinnen und die Pforte gänzlich zu umstricken, so daß es immer schwieriger würde, gegen ihn ernstlich zu verfahren. Man überzeugt sich stündlich mehr, daß ohne Anwendung von Gewalt Mehemed Ali sich nicht fügen wird, und daß er bereit scheint, Alles an Alles zu setzen. Er ist bis diesen Augenblick sehr beharrlich gewesen, und die Berichte unseres Generalconsuls in Alexandria lassen keinen Zweifel übrig, daß er sich zur Gegenwehr vorbereitet, und es aufs Aeußerste ankommen lassen dürfte, falls er angegriffen wird. Diese Berichte sagen unter Anderm, Mehemed Ali habe unlängst einen Plan eingeschickt bekommen, der von einem großen Taktiker abgefaßt seyn müsse **) **), weil er nicht nur alle der neuen Kriegskunst zu Gebote stehenden Mittel in Anschlag bringt, sondern auch auf die Natur des Landes, besonders aber auf die noch geringe Ausbildung des ägyptischen Soldaten berechnet scheint. Wenn hiernach Ibrahim Pascha in die Nothwendigkeit versetzt werden sollte, gegen geübte europäische Truppen zu fechten, so kennt er alle Terrainvortheile, die er zu benützen hat, und kann zu der eigenthümlichen Kriegsfähigkeit seiner Truppen die Zuflucht nehmen, sobald er nicht gegen regelmäßige Bewegungen der Gegner auskommen sollte. Der Vicekönig, welcher diesen Plan vielfach geprüft hat, soll ihn vortrefflich gefunden und sich gegen mehrere seiner Vertrauten geäußert haben: „Mit diesem Plan in der Hand will ich die Ereignisse abwarten, das Kommende ohne Scheu entgegennehmen, denn man wird mich schlagen, aber nicht besiegen können.“ Man muß jedoch abwarten, ob er auch so festen Sinnes noch seyn wird, wenn er einmal inne geworden, daß die vollkommenste Einigkeit unter den gegen ihn auftretenden Großmächten herrsche, und daß sie sich wirklich anschicken gegen ihn vorzugehen, sobald er die von ihnen getroffenen Anordnungen unberücksichtigt lassen sollte. Dann wird er wohl nicht so trotzig dastehen. Allein um Mehemed Ali zu zähmen, müssen, da er mit ungewöhnlicher Charakterstärke begabt ist, alle Mächte Eines Sinnes seyn und darf ihm deßhalb kein Zweifel gelassen werden. Geschieht dieß nicht, so ist zu fürchten, daß er das Aeußerste wagt, und daß der orientalische Knoten nicht so leicht zu zerhauen seyn dürfte als vielfach gewähnt wird. Dann könnte man leicht an das Commencement de la fin gerathen, und das wirkliche Ende des großen Drama's nicht abzusehen seyn, das sich im Orient vorbereitet. _ Paris, 11 Jan. Gestern sind hier Depeschen des diesseitigen Gesandten Graf Sebastiani aus London eingelaufen, von solcher Wichtigkeit, daß sogleich ein Ministerconseil zusammen berufen wurde. Die Nachrichten stimmen mit dem Bericht des Londoner Correspondenten _ in der Allg. Zeitung vom 3 Jan. ganz überein. Lord Palmerston und Hr. von Brunnon sind dahin übereingekommen, daß Mehemed Ali bloß den erblichen Besitz Aegyptens und eines kleinern Theiles von Syrien behalte, alle seine übrigen jetzigen Besitzungen aber an die Pforte zurückgeben müsse, namentlich in Syrien alles von St. Jean d'Acre an, diese Festung mit eingeschlossen (Candia ist nicht von der Rcstitution ausgenommen); werde Mehemed Ali sich dieser Anordnung nicht gutwillig unterwerfen, so sollen die Häfen Aegyptens und Syriens durch eine combinirte Flotte blokirt werden, und zugleich ein Corps von 25,000 Mann Russen nach Syrien marschiren, um den Fortschritten Ibrahim Pascha's ein Ziel zu stecken; auch sollen alsdann einige englische und andere Linienschiffe die Dardanellen passiren, zum Schutze von Konstantinopel. Die Pforte und die übrigen europäischen Mächte sollen zum Beitritt zu diesem Arrangement eingeladen werden. – Das hiesige Cabinet hat vorläufig sich dahin entschieden, diesem Arrangement nicht beizutreten, ohne jedoch thätliche Schritte zu Gunsten Mehemed Ali's zu thun: es will den Gang der Dinge abwarten. Mehemed Ali, mag man wohl hier denken, wird sich jener Anordnung nicht unterwerfen, besonders wenn er sieht, daß Frankreich nicht mit einstimmt: er wird an eine Unterstützung von dieser Seite glauben; wir werden ihm solche zwar nicht leisten, weil wir jeden Krieg vermeiden wollen: allein unsere bloße Neutralität nützt ihm schon; die Blokode wird von keiner ihm besonders nachtheiligen Wirkung seyn und eben so wenig wird er die 25,000 Mann Russen fürchten. Wahrscheinlich werden die andern Mächte sich schließlich in der Nothwendigkeit sehen, ihm vortheilhaftere Bedingungen zuzugestehen; diese Vortheile wird er dem Benehmen Frankreichs zuschreiben müssen, und Frankreich darf alsdann auf besondere Begünstigungen in Aegypten zählen. *) Der betreffende Londoner Correspondent hat die Einschränkung, mit der seine Mittheilung zu nehmen sey, bereits in Nro. 10 der Allg. Zeitung selbst gegeben. **) Schon vor einiger Zeit hat unsere Alexandrinische Correspondenz dievon Erwähnung gethan.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115/7
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 15. Augsburg, 15. Januar 1840, S. 0119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115/7>, abgerufen am 27.04.2024.