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Allgemeine Zeitung. Nr. 16. Augsburg, 16. Januar 1840.

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sich mehr ausgleichen, kann die deutsche Industrie eine Consistenz errungen haben, daß sie der französischen und englischen mit gleichen Kräften gegenüber tritt. Mehrere Zweige derselben haben in dem jetzt sechsjährigen Bestande des Vereins eine Stufe erreicht, daß man bald nicht nur keine fremde Waaren mehr bedarf, sondern daß sogar Ueberproduction stattfindet, und somit die Preise nicht nur auf den möglichst niedern Stand heruntersinken müssen, sondern daß man auch allmählich darauf Bedacht nehmen darf, wohin diesem Ueberfluß ein Absatz zu verschaffen seyn möchte.

Hiezu hat der Vertrag mit Holland und Hamburg den Weg angebahnt. Holland ist mit Macht beschäftigt, seine Colonien auf einen glänzenden Fuß zu setzen, und die Erträgnisse derselben steigen mit jedem Jahr unermeßlich. Auch ist Holland als Staat, wegen seiner gestörten Finanzverhältnisse, so sehr auf das Gedeihen seiner Colonien angewiesen, daß man es als eines der ersten Erfordernisse seiner Wohlfahrt betrachten kann, wenn man ihm einen Markt für die Erzeugnisse derselben eröffnet. Frankreich und England haben Colonien und werden von diesen, oder von Brasilien, überflüssig mit Zucker und Kaffee versorgt; dorthin kann also Holland nicht hoffen, die Million Centner Kaffee und die 1 1/4 Million Centner Zucker abzusetzen, welche ihm Java im verflossenen Jahr geliefert hat, oder noch liefert. Dieser jetzt schon ungeheure Ertrag ist noch immer im Steigen; Hollands Existenz ist gewissermaßen daran geknüpft, daß seine Colonien dem Mutterlande so nutzbringend wie möglich werden, wie es denn auch in den letzten acht Jahren nur durch die Hülfe seiner Colonien sich behauptet hat. Holland wird darum gewiß, wenn man ihm nur fest und beharrlich entgegentritt, zu einem billigen Austausch die Hand reichen. Belgien und Holland verstanden sich in Handelssachen ziemlich gut. Holland hatte eine Marine und Colonien, Belgien Manufacturen, und so konnte Holland die belgischen Industrie-Erzeugnisse nach Ost- und Westindien führen, was die belgische Industrie auf eine bisher unbekannte Höhe erhob, und das Land unglaublich bereicherte. Die Vortheile, welche früher Belgien aus dem Verbande mit Holland zog, soll nun ganz Deutschland erhalten.

Dieß ist die gerechte Forderung, welche man Holland stellen kann, wenn diesem gestattet wird, seine Colonialerzeugnisse unter besonders vortheilhaften Bedingungen in Deutschland einzuführen. Die Vortheile, welche Holland uns hinsichtlich unserer Industrie-Erzeugnisse gewährt, müssen im Verhältniß stehen mit den Erleichterungen, welche die holländische Colonialerzeugnisse in Deutschland finden. Holland hat sich in den frühern Jahrhunderten, es hat sich noch in den Jahren 1815 bis 1830 den deutschen Handels- und Fabrikinteressen feindlich gegenübergestellt, es hat sich Deutschland entfremdet, ist darüber selbst mehrfach in bittere Noth gerathen, und muß endlich fühlen, daß nur ein engeres Anschließen an Deutschland seinem Handel eine sichere, nachhaltige Stütze gewähren kann. Man muß es rein widersinnig nennen, und jedenfalls heißt es auf die deutsche Gutmüthigkeit stark sündigen, wenn Holland mit Frankreich Verträge schließt, welche geradezu dem deutschen Interesse entgegenstehen. Der Vertrag, welcher gegenwärtig zwischen Holland und Frankreich unterhandelt wird, bedingt nicht nur, daß Holland den Zucker der französischen Colonien nach Deutschland führen darf, wodurch es ohne andern Nutzen für sich, als den der Frachtfahrt, dem deutschen Runkelrübenzucker den letzten Stoß geben würde, sondern er gewährt auch den französischen Baumwollenfabricaten einen entschiedenen Vortheil vor den deutschen. Mit welchem Recht will Holland besondere Vortheile von deutscher Seite ansprechen, wenn es mit fremden Ländern Verträge schließt, welche ihm für die Zukunft die Hände binden! Frankreich wird bei der jetzigen Lage seiner Baumwollenfabriken, welche ihre Waaren nach Deutschland herein verschleudern, um nur Geld zu machen*)*), wohl kaum den Antrag zurückweisen. Wie aber sollen dann die Unterhandlungen ausfallen, welche im Laufe dieses oder im Anfang des kommenden Jahrs eröffnet werden müssen, wenn der Vertrag zwischen Holland und Deutschland, welcher für sehr bedeutende Opfer uns so gut wie gar keinen Ersatz bietet, zu Ende geht? Wie der Zollverband jetzt steht, kann er nicht nur sich Englands und Frankreichs erwehren, sondern auch bald mit ihnen in Concurrenz treten, da wir gegen Frankreich eine minder kostspielige Fabrication überhaupt, gegen England namentlich einen niedrigen Arbeitslohn voraus haben. Aber sollten wir um die Früchte unserer Arbeit kommen, und Frankreich und England indirect durch Holland uns die Vortheile wieder verkümmern können, dann würde bald unsere kaum aufgeblühte Industrie wieder hinsiechen, die Saat des Unfriedens einen fruchtbaren Boden finden, und die französischerseits ungescheut ausgesprochenen Plane zur Vernichtung des Zollvereins Raum gewinnen.

Preußen.

In unserer so viel und laut besprochenen kirchlichen Angelegenheit herrscht jetzt völlige Stille. Alle Gerüchte, die noch vor kurzem in Umlauf waren, haben sich als eitle Erfindungen ausgewiesen, denn in der kirchlichen Administration hat sich bis heute nicht das Mindeste geändert. Inzwischen hat die übel angebrachte Kirchentrauer fast überall wieder aufgehört, und somit geht Alles wieder seinen gewöhnlichen Gang. Die Masse der Bevölkerung scheint die bis zum Ueberdruß besprochene Sache satt zu haben und selbst in großen Gesellschaften, wo bis noch vor kurzem das kirchliche Thema den Hauptgegenstand des Geschrächs abgab, hört man denselben jetzt gar nicht mehr berühren. Alle Nachrichten aus Colberg stimmen darin überein, daß der Hr. Erzbischof fortwährend gesund und heiter gestimmt ist. Seine Schwester, Fräulein Scholastika v. Dunin, der die Leipziger Allgem. Zeitung erst kürzlich wieder eine öffentliche Rolle zuertheilt hat, ist eine harmlose Dame, die ihren Bruder liebt und verehrt, die aber nie daran gedacht hat oder daran denken wird, als Tonangeberin unter den Polinnen aufzutreten. - Mit mitleidigem Lächeln haben wir in diesen Tagen einen breiten Bericht in demselben Leipziger Blatt gelesen, über einen angeblich am zweiten Weihnachtstag hier stattgehabten Vorfall. Der Berichterstatter gehört unstreitig zu den Leuten, welche Mücken für Elephanten ansehen, denn sonst hätte er unmöglich einen Straßenlärm, von einer Schaar betrunkener Bauernknechte ausgehend, für ein der öffentlichen Mittheilung würdiges Ereigniß halten können. Wie um Johannis, pflegen am Stephanstage (den 26 Dec.) die polnischen Dienstknechte, die herrenlos geworden sind, sich an den hiesigen Marktecken aufzustellen, um einen neuen Dienst zu suchen. Bei dieser Gelegenheit werden dem unheiligen Geiste des Branntweins zahlreiche Opfer gebracht, so daß die Polizei,

*) Die französischen Fabriken setzen gegenwärtig eine Menge ihrer Waaren nach Deutschland ab, welche nur durch Schmuggel hereinkommen können. Freilich mag sich dieß trotz der Mühe, welche sich Preußen gibt, durch Entfernung altgewordener Zollbeamten und Ernennung junger Männer seiner Zollverwaltung stets neue Kraft zu geben, wohl kaum ganz verhindern lassen, denn wenn einmal die Waaren unter dem Werthe verkauft werden, so können wohl alle Zollanstalten den Absatz nicht ganz hindern.

sich mehr ausgleichen, kann die deutsche Industrie eine Consistenz errungen haben, daß sie der französischen und englischen mit gleichen Kräften gegenüber tritt. Mehrere Zweige derselben haben in dem jetzt sechsjährigen Bestande des Vereins eine Stufe erreicht, daß man bald nicht nur keine fremde Waaren mehr bedarf, sondern daß sogar Ueberproduction stattfindet, und somit die Preise nicht nur auf den möglichst niedern Stand heruntersinken müssen, sondern daß man auch allmählich darauf Bedacht nehmen darf, wohin diesem Ueberfluß ein Absatz zu verschaffen seyn möchte.

Hiezu hat der Vertrag mit Holland und Hamburg den Weg angebahnt. Holland ist mit Macht beschäftigt, seine Colonien auf einen glänzenden Fuß zu setzen, und die Erträgnisse derselben steigen mit jedem Jahr unermeßlich. Auch ist Holland als Staat, wegen seiner gestörten Finanzverhältnisse, so sehr auf das Gedeihen seiner Colonien angewiesen, daß man es als eines der ersten Erfordernisse seiner Wohlfahrt betrachten kann, wenn man ihm einen Markt für die Erzeugnisse derselben eröffnet. Frankreich und England haben Colonien und werden von diesen, oder von Brasilien, überflüssig mit Zucker und Kaffee versorgt; dorthin kann also Holland nicht hoffen, die Million Centner Kaffee und die 1 1/4 Million Centner Zucker abzusetzen, welche ihm Java im verflossenen Jahr geliefert hat, oder noch liefert. Dieser jetzt schon ungeheure Ertrag ist noch immer im Steigen; Hollands Existenz ist gewissermaßen daran geknüpft, daß seine Colonien dem Mutterlande so nutzbringend wie möglich werden, wie es denn auch in den letzten acht Jahren nur durch die Hülfe seiner Colonien sich behauptet hat. Holland wird darum gewiß, wenn man ihm nur fest und beharrlich entgegentritt, zu einem billigen Austausch die Hand reichen. Belgien und Holland verstanden sich in Handelssachen ziemlich gut. Holland hatte eine Marine und Colonien, Belgien Manufacturen, und so konnte Holland die belgischen Industrie-Erzeugnisse nach Ost- und Westindien führen, was die belgische Industrie auf eine bisher unbekannte Höhe erhob, und das Land unglaublich bereicherte. Die Vortheile, welche früher Belgien aus dem Verbande mit Holland zog, soll nun ganz Deutschland erhalten.

Dieß ist die gerechte Forderung, welche man Holland stellen kann, wenn diesem gestattet wird, seine Colonialerzeugnisse unter besonders vortheilhaften Bedingungen in Deutschland einzuführen. Die Vortheile, welche Holland uns hinsichtlich unserer Industrie-Erzeugnisse gewährt, müssen im Verhältniß stehen mit den Erleichterungen, welche die holländische Colonialerzeugnisse in Deutschland finden. Holland hat sich in den frühern Jahrhunderten, es hat sich noch in den Jahren 1815 bis 1830 den deutschen Handels- und Fabrikinteressen feindlich gegenübergestellt, es hat sich Deutschland entfremdet, ist darüber selbst mehrfach in bittere Noth gerathen, und muß endlich fühlen, daß nur ein engeres Anschließen an Deutschland seinem Handel eine sichere, nachhaltige Stütze gewähren kann. Man muß es rein widersinnig nennen, und jedenfalls heißt es auf die deutsche Gutmüthigkeit stark sündigen, wenn Holland mit Frankreich Verträge schließt, welche geradezu dem deutschen Interesse entgegenstehen. Der Vertrag, welcher gegenwärtig zwischen Holland und Frankreich unterhandelt wird, bedingt nicht nur, daß Holland den Zucker der französischen Colonien nach Deutschland führen darf, wodurch es ohne andern Nutzen für sich, als den der Frachtfahrt, dem deutschen Runkelrübenzucker den letzten Stoß geben würde, sondern er gewährt auch den französischen Baumwollenfabricaten einen entschiedenen Vortheil vor den deutschen. Mit welchem Recht will Holland besondere Vortheile von deutscher Seite ansprechen, wenn es mit fremden Ländern Verträge schließt, welche ihm für die Zukunft die Hände binden! Frankreich wird bei der jetzigen Lage seiner Baumwollenfabriken, welche ihre Waaren nach Deutschland herein verschleudern, um nur Geld zu machen*)*), wohl kaum den Antrag zurückweisen. Wie aber sollen dann die Unterhandlungen ausfallen, welche im Laufe dieses oder im Anfang des kommenden Jahrs eröffnet werden müssen, wenn der Vertrag zwischen Holland und Deutschland, welcher für sehr bedeutende Opfer uns so gut wie gar keinen Ersatz bietet, zu Ende geht? Wie der Zollverband jetzt steht, kann er nicht nur sich Englands und Frankreichs erwehren, sondern auch bald mit ihnen in Concurrenz treten, da wir gegen Frankreich eine minder kostspielige Fabrication überhaupt, gegen England namentlich einen niedrigen Arbeitslohn voraus haben. Aber sollten wir um die Früchte unserer Arbeit kommen, und Frankreich und England indirect durch Holland uns die Vortheile wieder verkümmern können, dann würde bald unsere kaum aufgeblühte Industrie wieder hinsiechen, die Saat des Unfriedens einen fruchtbaren Boden finden, und die französischerseits ungescheut ausgesprochenen Plane zur Vernichtung des Zollvereins Raum gewinnen.

Preußen.

In unserer so viel und laut besprochenen kirchlichen Angelegenheit herrscht jetzt völlige Stille. Alle Gerüchte, die noch vor kurzem in Umlauf waren, haben sich als eitle Erfindungen ausgewiesen, denn in der kirchlichen Administration hat sich bis heute nicht das Mindeste geändert. Inzwischen hat die übel angebrachte Kirchentrauer fast überall wieder aufgehört, und somit geht Alles wieder seinen gewöhnlichen Gang. Die Masse der Bevölkerung scheint die bis zum Ueberdruß besprochene Sache satt zu haben und selbst in großen Gesellschaften, wo bis noch vor kurzem das kirchliche Thema den Hauptgegenstand des Geschrächs abgab, hört man denselben jetzt gar nicht mehr berühren. Alle Nachrichten aus Colberg stimmen darin überein, daß der Hr. Erzbischof fortwährend gesund und heiter gestimmt ist. Seine Schwester, Fräulein Scholastika v. Dunin, der die Leipziger Allgem. Zeitung erst kürzlich wieder eine öffentliche Rolle zuertheilt hat, ist eine harmlose Dame, die ihren Bruder liebt und verehrt, die aber nie daran gedacht hat oder daran denken wird, als Tonangeberin unter den Polinnen aufzutreten. – Mit mitleidigem Lächeln haben wir in diesen Tagen einen breiten Bericht in demselben Leipziger Blatt gelesen, über einen angeblich am zweiten Weihnachtstag hier stattgehabten Vorfall. Der Berichterstatter gehört unstreitig zu den Leuten, welche Mücken für Elephanten ansehen, denn sonst hätte er unmöglich einen Straßenlärm, von einer Schaar betrunkener Bauernknechte ausgehend, für ein der öffentlichen Mittheilung würdiges Ereigniß halten können. Wie um Johannis, pflegen am Stephanstage (den 26 Dec.) die polnischen Dienstknechte, die herrenlos geworden sind, sich an den hiesigen Marktecken aufzustellen, um einen neuen Dienst zu suchen. Bei dieser Gelegenheit werden dem unheiligen Geiste des Branntweins zahlreiche Opfer gebracht, so daß die Polizei,

*) Die französischen Fabriken setzen gegenwärtig eine Menge ihrer Waaren nach Deutschland ab, welche nur durch Schmuggel hereinkommen können. Freilich mag sich dieß trotz der Mühe, welche sich Preußen gibt, durch Entfernung altgewordener Zollbeamten und Ernennung junger Männer seiner Zollverwaltung stets neue Kraft zu geben, wohl kaum ganz verhindern lassen, denn wenn einmal die Waaren unter dem Werthe verkauft werden, so können wohl alle Zollanstalten den Absatz nicht ganz hindern.
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        <p>Hiezu hat der Vertrag mit Holland und Hamburg den Weg angebahnt. Holland ist mit Macht beschäftigt, seine Colonien auf einen glänzenden Fuß zu setzen, und die Erträgnisse derselben steigen mit jedem Jahr unermeßlich. Auch ist Holland als Staat, wegen seiner gestörten Finanzverhältnisse, so sehr auf das Gedeihen seiner Colonien angewiesen, daß man es als eines der ersten Erfordernisse seiner Wohlfahrt betrachten kann, wenn man ihm einen Markt für die Erzeugnisse derselben eröffnet. Frankreich und England haben Colonien und werden von diesen, oder von Brasilien, überflüssig mit Zucker und Kaffee versorgt; dorthin kann also Holland nicht hoffen, die Million Centner Kaffee und die 1 1/4 Million Centner Zucker abzusetzen, welche ihm Java im verflossenen Jahr geliefert hat, oder noch liefert. Dieser jetzt schon ungeheure Ertrag ist noch immer im Steigen; Hollands Existenz ist gewissermaßen daran geknüpft, daß seine Colonien dem Mutterlande so nutzbringend wie möglich werden, wie es denn auch in den letzten acht Jahren nur durch die Hülfe seiner Colonien sich behauptet hat. Holland wird darum gewiß, wenn man ihm nur fest und beharrlich entgegentritt, zu einem billigen Austausch die Hand reichen. Belgien und Holland verstanden sich in Handelssachen ziemlich gut. Holland hatte eine Marine und Colonien, Belgien Manufacturen, und so konnte Holland die belgischen Industrie-Erzeugnisse nach Ost- und Westindien führen, was die belgische Industrie auf eine bisher unbekannte Höhe erhob, und das Land unglaublich bereicherte. Die Vortheile, welche früher Belgien aus dem Verbande mit Holland zog, soll nun ganz Deutschland erhalten.</p><lb/>
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Die französischen Fabriken setzen gegenwärtig eine Menge ihrer Waaren nach Deutschland ab, welche nur durch Schmuggel hereinkommen können. Freilich mag sich dieß trotz der Mühe, welche sich Preußen gibt, durch Entfernung altgewordener Zollbeamten und Ernennung junger Männer seiner Zollverwaltung stets neue Kraft zu geben, wohl kaum ganz verhindern lassen, denn wenn einmal die Waaren unter dem Werthe verkauft werden, so können wohl alle Zollanstalten den Absatz nicht ganz hindern.</note>, wohl kaum den Antrag zurückweisen. Wie aber sollen dann die Unterhandlungen ausfallen, welche im Laufe dieses oder im Anfang des kommenden Jahrs eröffnet werden müssen, wenn der Vertrag zwischen Holland und Deutschland, welcher für sehr bedeutende Opfer uns so gut wie gar keinen Ersatz bietet, zu Ende geht? Wie der Zollverband jetzt steht, kann er nicht nur sich Englands und Frankreichs erwehren, sondern auch bald mit ihnen in Concurrenz treten, da wir gegen Frankreich eine minder kostspielige Fabrication überhaupt, gegen England namentlich einen niedrigen Arbeitslohn voraus haben. Aber sollten wir um die Früchte unserer Arbeit kommen, und Frankreich und England indirect durch Holland uns die Vortheile wieder verkümmern können, dann würde bald unsere kaum aufgeblühte Industrie wieder hinsiechen, die Saat des Unfriedens einen fruchtbaren Boden finden, und die französischerseits ungescheut ausgesprochenen Plane zur Vernichtung des Zollvereins Raum gewinnen.</p><lb/>
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[0124/0012] sich mehr ausgleichen, kann die deutsche Industrie eine Consistenz errungen haben, daß sie der französischen und englischen mit gleichen Kräften gegenüber tritt. Mehrere Zweige derselben haben in dem jetzt sechsjährigen Bestande des Vereins eine Stufe erreicht, daß man bald nicht nur keine fremde Waaren mehr bedarf, sondern daß sogar Ueberproduction stattfindet, und somit die Preise nicht nur auf den möglichst niedern Stand heruntersinken müssen, sondern daß man auch allmählich darauf Bedacht nehmen darf, wohin diesem Ueberfluß ein Absatz zu verschaffen seyn möchte. Hiezu hat der Vertrag mit Holland und Hamburg den Weg angebahnt. Holland ist mit Macht beschäftigt, seine Colonien auf einen glänzenden Fuß zu setzen, und die Erträgnisse derselben steigen mit jedem Jahr unermeßlich. Auch ist Holland als Staat, wegen seiner gestörten Finanzverhältnisse, so sehr auf das Gedeihen seiner Colonien angewiesen, daß man es als eines der ersten Erfordernisse seiner Wohlfahrt betrachten kann, wenn man ihm einen Markt für die Erzeugnisse derselben eröffnet. Frankreich und England haben Colonien und werden von diesen, oder von Brasilien, überflüssig mit Zucker und Kaffee versorgt; dorthin kann also Holland nicht hoffen, die Million Centner Kaffee und die 1 1/4 Million Centner Zucker abzusetzen, welche ihm Java im verflossenen Jahr geliefert hat, oder noch liefert. Dieser jetzt schon ungeheure Ertrag ist noch immer im Steigen; Hollands Existenz ist gewissermaßen daran geknüpft, daß seine Colonien dem Mutterlande so nutzbringend wie möglich werden, wie es denn auch in den letzten acht Jahren nur durch die Hülfe seiner Colonien sich behauptet hat. Holland wird darum gewiß, wenn man ihm nur fest und beharrlich entgegentritt, zu einem billigen Austausch die Hand reichen. Belgien und Holland verstanden sich in Handelssachen ziemlich gut. Holland hatte eine Marine und Colonien, Belgien Manufacturen, und so konnte Holland die belgischen Industrie-Erzeugnisse nach Ost- und Westindien führen, was die belgische Industrie auf eine bisher unbekannte Höhe erhob, und das Land unglaublich bereicherte. Die Vortheile, welche früher Belgien aus dem Verbande mit Holland zog, soll nun ganz Deutschland erhalten. Dieß ist die gerechte Forderung, welche man Holland stellen kann, wenn diesem gestattet wird, seine Colonialerzeugnisse unter besonders vortheilhaften Bedingungen in Deutschland einzuführen. Die Vortheile, welche Holland uns hinsichtlich unserer Industrie-Erzeugnisse gewährt, müssen im Verhältniß stehen mit den Erleichterungen, welche die holländische Colonialerzeugnisse in Deutschland finden. Holland hat sich in den frühern Jahrhunderten, es hat sich noch in den Jahren 1815 bis 1830 den deutschen Handels- und Fabrikinteressen feindlich gegenübergestellt, es hat sich Deutschland entfremdet, ist darüber selbst mehrfach in bittere Noth gerathen, und muß endlich fühlen, daß nur ein engeres Anschließen an Deutschland seinem Handel eine sichere, nachhaltige Stütze gewähren kann. Man muß es rein widersinnig nennen, und jedenfalls heißt es auf die deutsche Gutmüthigkeit stark sündigen, wenn Holland mit Frankreich Verträge schließt, welche geradezu dem deutschen Interesse entgegenstehen. Der Vertrag, welcher gegenwärtig zwischen Holland und Frankreich unterhandelt wird, bedingt nicht nur, daß Holland den Zucker der französischen Colonien nach Deutschland führen darf, wodurch es ohne andern Nutzen für sich, als den der Frachtfahrt, dem deutschen Runkelrübenzucker den letzten Stoß geben würde, sondern er gewährt auch den französischen Baumwollenfabricaten einen entschiedenen Vortheil vor den deutschen. Mit welchem Recht will Holland besondere Vortheile von deutscher Seite ansprechen, wenn es mit fremden Ländern Verträge schließt, welche ihm für die Zukunft die Hände binden! Frankreich wird bei der jetzigen Lage seiner Baumwollenfabriken, welche ihre Waaren nach Deutschland herein verschleudern, um nur Geld zu machen*) *), wohl kaum den Antrag zurückweisen. Wie aber sollen dann die Unterhandlungen ausfallen, welche im Laufe dieses oder im Anfang des kommenden Jahrs eröffnet werden müssen, wenn der Vertrag zwischen Holland und Deutschland, welcher für sehr bedeutende Opfer uns so gut wie gar keinen Ersatz bietet, zu Ende geht? Wie der Zollverband jetzt steht, kann er nicht nur sich Englands und Frankreichs erwehren, sondern auch bald mit ihnen in Concurrenz treten, da wir gegen Frankreich eine minder kostspielige Fabrication überhaupt, gegen England namentlich einen niedrigen Arbeitslohn voraus haben. Aber sollten wir um die Früchte unserer Arbeit kommen, und Frankreich und England indirect durch Holland uns die Vortheile wieder verkümmern können, dann würde bald unsere kaum aufgeblühte Industrie wieder hinsiechen, die Saat des Unfriedens einen fruchtbaren Boden finden, und die französischerseits ungescheut ausgesprochenen Plane zur Vernichtung des Zollvereins Raum gewinnen. Preußen. Posen, 8 Jan. In unserer so viel und laut besprochenen kirchlichen Angelegenheit herrscht jetzt völlige Stille. Alle Gerüchte, die noch vor kurzem in Umlauf waren, haben sich als eitle Erfindungen ausgewiesen, denn in der kirchlichen Administration hat sich bis heute nicht das Mindeste geändert. Inzwischen hat die übel angebrachte Kirchentrauer fast überall wieder aufgehört, und somit geht Alles wieder seinen gewöhnlichen Gang. Die Masse der Bevölkerung scheint die bis zum Ueberdruß besprochene Sache satt zu haben und selbst in großen Gesellschaften, wo bis noch vor kurzem das kirchliche Thema den Hauptgegenstand des Geschrächs abgab, hört man denselben jetzt gar nicht mehr berühren. Alle Nachrichten aus Colberg stimmen darin überein, daß der Hr. Erzbischof fortwährend gesund und heiter gestimmt ist. Seine Schwester, Fräulein Scholastika v. Dunin, der die Leipziger Allgem. Zeitung erst kürzlich wieder eine öffentliche Rolle zuertheilt hat, ist eine harmlose Dame, die ihren Bruder liebt und verehrt, die aber nie daran gedacht hat oder daran denken wird, als Tonangeberin unter den Polinnen aufzutreten. – Mit mitleidigem Lächeln haben wir in diesen Tagen einen breiten Bericht in demselben Leipziger Blatt gelesen, über einen angeblich am zweiten Weihnachtstag hier stattgehabten Vorfall. Der Berichterstatter gehört unstreitig zu den Leuten, welche Mücken für Elephanten ansehen, denn sonst hätte er unmöglich einen Straßenlärm, von einer Schaar betrunkener Bauernknechte ausgehend, für ein der öffentlichen Mittheilung würdiges Ereigniß halten können. Wie um Johannis, pflegen am Stephanstage (den 26 Dec.) die polnischen Dienstknechte, die herrenlos geworden sind, sich an den hiesigen Marktecken aufzustellen, um einen neuen Dienst zu suchen. Bei dieser Gelegenheit werden dem unheiligen Geiste des Branntweins zahlreiche Opfer gebracht, so daß die Polizei, *) Die französischen Fabriken setzen gegenwärtig eine Menge ihrer Waaren nach Deutschland ab, welche nur durch Schmuggel hereinkommen können. Freilich mag sich dieß trotz der Mühe, welche sich Preußen gibt, durch Entfernung altgewordener Zollbeamten und Ernennung junger Männer seiner Zollverwaltung stets neue Kraft zu geben, wohl kaum ganz verhindern lassen, denn wenn einmal die Waaren unter dem Werthe verkauft werden, so können wohl alle Zollanstalten den Absatz nicht ganz hindern.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 16. Augsburg, 16. Januar 1840, S. 0124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_016_18400116/12>, abgerufen am 29.04.2024.