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Allgemeine Zeitung. Nr. 20. Augsburg, 20. Januar 1840.

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Schnell angefachte Haß gegen Bern und die Freunde des Rechts und der Ordnung immer leidenschaftlicher hervor, und jeder, der nicht zu den Wühlern gehörte, namentlich die Mehrheit der Bewohner der Hauptstadt, hatte das Aergste zu befürchten. Im Frühling 1832 verschafften sich überall auf dem Lande die Revolutionsmänner Pulver und gossen Kugeln; Vereine wurden von ihnen gestiftet, die Zeitungen reizten auf, es geschahen Zusammenrottungen, und beinahe täglich kam die Nachricht in die Stadt: so und so viele Tausende, bald aus dieser, bald aus jener Gegend, beabsichtigen einen Ueberfall. Die Regierung, zum großen Theil aus den Anstiftern dieser Umtriebe bestehend, that nichts zur Beruhigung, sondern publicirte vielmehr das Project eines Gesetzes, durch welches zunächst die Rechte der Stadt und in zweiter Linie die Ueberbleibsel des bei der Napoleon'schen sogenannten Dotation noch nicht geraubten Eigenthums bedroht schienen - eine Besorgniß, die sich seither nur zu sehr erwahrt hat. In dieser Noth, und aufgefordert durch die sämmtliche Bürgerschaft, gab der Stadtrath (in welchem damals, außer einer Menge von Angestellten und Anhängern der neuen Regierung, vier Regierungsräthe, vier Oberrichter und noch mehrere Mitglieder des großen Raths saßen) sieben Männern aus seiner Mitte den Auftrag: für die Sicherheit der Stadt zu sorgen und zugleich mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Einführung jenes projectirten Gesetzes wo möglich zu verhindern. In Bezug auf das letztere ließen sie einige Rechtsschriften verfertigen, welche nirgends die Schranken des Preß- und des Achtungsgesetzes überschritten; für die persönliche Sicherheit aber glaubten sie nicht besser sorgen zu können, als durch Wiederherstellung der ein Jahr vorher aufgelösten Bürgerwache. Damals nämlich hatte die Regierung 600 aus dem Zeughaus gelieferte Flinten zurückgefordert mit der Bemerkung: "eine Bürgerwache zu bewaffnen sey auf alle Fälle Sache des Municipalwesens, nie der Regierung." Theils auf dieses Rescript, theils auf das urkundliche Recht der Stadt Bern, sich selbst zu bewaffnen, gestützt, gab nun die Commission einem ihrer Mitglieder, Obrist Tscharner, den Auftrag, 400 Flinten sammt dazu gehöriger Munition im Ausland anzukaufen, da man sie aus dem hiesigen Zeughause nicht erhalten konnte. Tscharner, welcher die Verantwortung nicht allein übernehmen wollte, ließ eine Probeflinte durch einen ausgezeichneten Kenner, Lentulus, gewesenen Capitaine d'armement in französischen Diensten, untersuchen und besorgte darauf die Bestellung. Kaum war der erste Transport der Munition angelangt, so erließ die Regierung ein Gesetz gegen den Hochverrath, worin sich auch ein Artikel gegen heimliche Aufsammlung von Waffen und Munition befindet. Ausdrücklich ist aber darin bezeichnet, welche frühern Gesetze durch dieses abrogirt seyen, und dasjenige, welches der Stadt Bern das Recht gibt sich selbst zu bewaffnen, steht nicht darunter, sondern wurde erst vier Monate später durch einen eigenen Act aufgehoben. Jenes Gesetz traf also die Verfügungen der Commission nicht. Indeß bestellte Tscharner nach genommener Rücksprache mit einem seiner Collegen (theils weil die Gefahr einer Ueberrumpelung der Stadt nicht mehr vorhanden war, theils weil man in solchen Zeiten doch nicht wissen konnte, wie etwa die Regierung versuchen würde ihr Gesetz zu deuten, besonders da gerade das Gerücht von Werbumtrieben sich zu verbreiten anfing) die Gewehre auf eigene Faust ab, und ließ nur den Rest der schon verfertigten Patronen hieher kommen, und zwar, um keinerlei Aufsehen zu erregen, unter erdichteter Aufschrift.

Mittlerweile geschahen nämlich die Auftritte in der Vendee, und die Herzogin von Berry ließ im geheimen hier Truppen anwerben. Ihr Agent, Horrer, bediente sich hiezu des schon genannten Lentulus, und bedeutete ihm, bevor die Truppen an ihre Bestimmung abgingen, könnten sie allfällig zum Sturze der hiesigen Regierung gebraucht werden. Hiedurch gereizt betrieben nun Lentulus und einige andere junge Leute, wie v. Werdt, Wyttenbach etc. ihre Werbungen auf offener Straße, während die von Allem genau unterrichtete Regierung diesem kindischen Treiben stillschweigend zusah, in der Hoffnung einen für sie wichtigen Fang machen zu können. Unabhängig hievon verband sich, unter Mitwirkung einerseits von Major Fischer vom Eichberg und andrerseits von Hauptmann Haag, in Thun und der Umgegend eine Anzahl von Männern, welche, der unerträglichen Neckereien der dortigen Regierungsbeamten müde, theils bloß gegen persönliche Plackereien in ihren Häusern sich zu sichern beschlossen, theils wirklich eine Veränderung der Regierung beabsichtigten. In der That verfloß fast keine Woche, wo nicht der Eine oder Andere eingesperrt und dann nach einiger Zeit mit der Bemerkung freigelassen wurde: man habe sich geirrt. Major Fischer ist nahe verwandt mit dem Präsidenten der VII. Commission, Alt-Schultheiß Fischer, und aus aufgefundenen Briefen ergibt sich, daß der letztere einige Kenntniß hatte von dessen Treiben, aber ihm davon abrieth.

Ende Augusts schritt nun die Regierung ein. Lentulus, v. Werdt und Fischer vom Eichberg entflohen, Wyttenbach wurde zwar gepackt, aber so verwahrt, daß er nach einigen Verhören entrinnen konnte; Horrer, der Agent der Herzogin von Berry, von dem man genau wußte, daß er das Geld zu den Werbungen gegeben hatte, wurde ohne Verhör von der Polizei weggewiesen; Haag nebst einigen andern Bernern, z. B. Alt-Seckelmeister v. Muralt, und viele der etwa auf 300 ansteigenden Angeworbenen wurden in strenge Gewahrsam genommen. Bald jedoch zeigte es sich deutlich, daß man zwar gegen einige von diesen gern seine Uebermacht zeigen, aber doch eigentlich unter diesem erwünschten Vorwande den Häuptern der Stadt zu Leibe gehen wollte. Daher wurde das Stadt-Rathhaus, wo sich die für die Bürgerwache angeschaffte Munition befand, untersucht, und obschon die Mitglieder der VII. Commission alsogleich eine offene, seither in keinem Punkt widerlegte Auskunft gaben, wurden sie dennoch zweimal 24 Stunden später, während deren sie so leicht hätten entrinnen können, wenn sie sich irgend hochverrätherischer Umtriebe wären bewußt gewesen, festgenommen, und erst nach 3, 6, Tscharner sogar erst nach 7 1/2 Monaten der Haft entlassen. Diese zeichnete sich durch willkürliche, harte Behandlung aus. So wurde z. B. Obrist Tscharner nicht gestattet, seine sterbende, in einer Entfernung von nur wenigen Schritten wohnende Gattin noch lebend zu sehen, und dem bedeutend krank gewordenen Schultheiß Fischer wurde abgeschlagen seinen im nämlichen Hause gefangenen Arzt zu sich kommen zu lassen. Mit ausgesuchtem militärischem Pompe wurden sie bewacht, während alle radicalen Zeitungen wetteiferten die niedrigsten Verleumdungen über sie auszustoßen und fortwährend die Wuth des Pöbels gegen sie und die Ihrigen anzufachen.

Was den Gang betrifft, welchen die Justiz befolgt hat, so kann man für die Ehre derselben nicht besser sorgen, als wenn man darüber schweigt, oder wenigstens nicht ohne Noth aufdeckt, was bisher noch nicht öffentlich besprochen wurde. Ward doch im großen Rathe selbst dieser 7 1/2jährige Proceß als "von A bis Z formwidrig" erklärt, indem z. B., aller andern Formverletzungen

Schnell angefachte Haß gegen Bern und die Freunde des Rechts und der Ordnung immer leidenschaftlicher hervor, und jeder, der nicht zu den Wühlern gehörte, namentlich die Mehrheit der Bewohner der Hauptstadt, hatte das Aergste zu befürchten. Im Frühling 1832 verschafften sich überall auf dem Lande die Revolutionsmänner Pulver und gossen Kugeln; Vereine wurden von ihnen gestiftet, die Zeitungen reizten auf, es geschahen Zusammenrottungen, und beinahe täglich kam die Nachricht in die Stadt: so und so viele Tausende, bald aus dieser, bald aus jener Gegend, beabsichtigen einen Ueberfall. Die Regierung, zum großen Theil aus den Anstiftern dieser Umtriebe bestehend, that nichts zur Beruhigung, sondern publicirte vielmehr das Project eines Gesetzes, durch welches zunächst die Rechte der Stadt und in zweiter Linie die Ueberbleibsel des bei der Napoleon'schen sogenannten Dotation noch nicht geraubten Eigenthums bedroht schienen – eine Besorgniß, die sich seither nur zu sehr erwahrt hat. In dieser Noth, und aufgefordert durch die sämmtliche Bürgerschaft, gab der Stadtrath (in welchem damals, außer einer Menge von Angestellten und Anhängern der neuen Regierung, vier Regierungsräthe, vier Oberrichter und noch mehrere Mitglieder des großen Raths saßen) sieben Männern aus seiner Mitte den Auftrag: für die Sicherheit der Stadt zu sorgen und zugleich mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Einführung jenes projectirten Gesetzes wo möglich zu verhindern. In Bezug auf das letztere ließen sie einige Rechtsschriften verfertigen, welche nirgends die Schranken des Preß- und des Achtungsgesetzes überschritten; für die persönliche Sicherheit aber glaubten sie nicht besser sorgen zu können, als durch Wiederherstellung der ein Jahr vorher aufgelösten Bürgerwache. Damals nämlich hatte die Regierung 600 aus dem Zeughaus gelieferte Flinten zurückgefordert mit der Bemerkung: „eine Bürgerwache zu bewaffnen sey auf alle Fälle Sache des Municipalwesens, nie der Regierung.“ Theils auf dieses Rescript, theils auf das urkundliche Recht der Stadt Bern, sich selbst zu bewaffnen, gestützt, gab nun die Commission einem ihrer Mitglieder, Obrist Tscharner, den Auftrag, 400 Flinten sammt dazu gehöriger Munition im Ausland anzukaufen, da man sie aus dem hiesigen Zeughause nicht erhalten konnte. Tscharner, welcher die Verantwortung nicht allein übernehmen wollte, ließ eine Probeflinte durch einen ausgezeichneten Kenner, Lentulus, gewesenen Capitaine d'armement in französischen Diensten, untersuchen und besorgte darauf die Bestellung. Kaum war der erste Transport der Munition angelangt, so erließ die Regierung ein Gesetz gegen den Hochverrath, worin sich auch ein Artikel gegen heimliche Aufsammlung von Waffen und Munition befindet. Ausdrücklich ist aber darin bezeichnet, welche frühern Gesetze durch dieses abrogirt seyen, und dasjenige, welches der Stadt Bern das Recht gibt sich selbst zu bewaffnen, steht nicht darunter, sondern wurde erst vier Monate später durch einen eigenen Act aufgehoben. Jenes Gesetz traf also die Verfügungen der Commission nicht. Indeß bestellte Tscharner nach genommener Rücksprache mit einem seiner Collegen (theils weil die Gefahr einer Ueberrumpelung der Stadt nicht mehr vorhanden war, theils weil man in solchen Zeiten doch nicht wissen konnte, wie etwa die Regierung versuchen würde ihr Gesetz zu deuten, besonders da gerade das Gerücht von Werbumtrieben sich zu verbreiten anfing) die Gewehre auf eigene Faust ab, und ließ nur den Rest der schon verfertigten Patronen hieher kommen, und zwar, um keinerlei Aufsehen zu erregen, unter erdichteter Aufschrift.

Mittlerweile geschahen nämlich die Auftritte in der Vendée, und die Herzogin von Berry ließ im geheimen hier Truppen anwerben. Ihr Agent, Horrer, bediente sich hiezu des schon genannten Lentulus, und bedeutete ihm, bevor die Truppen an ihre Bestimmung abgingen, könnten sie allfällig zum Sturze der hiesigen Regierung gebraucht werden. Hiedurch gereizt betrieben nun Lentulus und einige andere junge Leute, wie v. Werdt, Wyttenbach etc. ihre Werbungen auf offener Straße, während die von Allem genau unterrichtete Regierung diesem kindischen Treiben stillschweigend zusah, in der Hoffnung einen für sie wichtigen Fang machen zu können. Unabhängig hievon verband sich, unter Mitwirkung einerseits von Major Fischer vom Eichberg und andrerseits von Hauptmann Haag, in Thun und der Umgegend eine Anzahl von Männern, welche, der unerträglichen Neckereien der dortigen Regierungsbeamten müde, theils bloß gegen persönliche Plackereien in ihren Häusern sich zu sichern beschlossen, theils wirklich eine Veränderung der Regierung beabsichtigten. In der That verfloß fast keine Woche, wo nicht der Eine oder Andere eingesperrt und dann nach einiger Zeit mit der Bemerkung freigelassen wurde: man habe sich geirrt. Major Fischer ist nahe verwandt mit dem Präsidenten der VII. Commission, Alt-Schultheiß Fischer, und aus aufgefundenen Briefen ergibt sich, daß der letztere einige Kenntniß hatte von dessen Treiben, aber ihm davon abrieth.

Ende Augusts schritt nun die Regierung ein. Lentulus, v. Werdt und Fischer vom Eichberg entflohen, Wyttenbach wurde zwar gepackt, aber so verwahrt, daß er nach einigen Verhören entrinnen konnte; Horrer, der Agent der Herzogin von Berry, von dem man genau wußte, daß er das Geld zu den Werbungen gegeben hatte, wurde ohne Verhör von der Polizei weggewiesen; Haag nebst einigen andern Bernern, z. B. Alt-Seckelmeister v. Muralt, und viele der etwa auf 300 ansteigenden Angeworbenen wurden in strenge Gewahrsam genommen. Bald jedoch zeigte es sich deutlich, daß man zwar gegen einige von diesen gern seine Uebermacht zeigen, aber doch eigentlich unter diesem erwünschten Vorwande den Häuptern der Stadt zu Leibe gehen wollte. Daher wurde das Stadt-Rathhaus, wo sich die für die Bürgerwache angeschaffte Munition befand, untersucht, und obschon die Mitglieder der VII. Commission alsogleich eine offene, seither in keinem Punkt widerlegte Auskunft gaben, wurden sie dennoch zweimal 24 Stunden später, während deren sie so leicht hätten entrinnen können, wenn sie sich irgend hochverrätherischer Umtriebe wären bewußt gewesen, festgenommen, und erst nach 3, 6, Tscharner sogar erst nach 7 1/2 Monaten der Haft entlassen. Diese zeichnete sich durch willkürliche, harte Behandlung aus. So wurde z. B. Obrist Tscharner nicht gestattet, seine sterbende, in einer Entfernung von nur wenigen Schritten wohnende Gattin noch lebend zu sehen, und dem bedeutend krank gewordenen Schultheiß Fischer wurde abgeschlagen seinen im nämlichen Hause gefangenen Arzt zu sich kommen zu lassen. Mit ausgesuchtem militärischem Pompe wurden sie bewacht, während alle radicalen Zeitungen wetteiferten die niedrigsten Verleumdungen über sie auszustoßen und fortwährend die Wuth des Pöbels gegen sie und die Ihrigen anzufachen.

Was den Gang betrifft, welchen die Justiz befolgt hat, so kann man für die Ehre derselben nicht besser sorgen, als wenn man darüber schweigt, oder wenigstens nicht ohne Noth aufdeckt, was bisher noch nicht öffentlich besprochen wurde. Ward doch im großen Rathe selbst dieser 7 1/2jährige Proceß als „von A bis Z formwidrig“ erklärt, indem z. B., aller andern Formverletzungen

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[0155/0011] Schnell angefachte Haß gegen Bern und die Freunde des Rechts und der Ordnung immer leidenschaftlicher hervor, und jeder, der nicht zu den Wühlern gehörte, namentlich die Mehrheit der Bewohner der Hauptstadt, hatte das Aergste zu befürchten. Im Frühling 1832 verschafften sich überall auf dem Lande die Revolutionsmänner Pulver und gossen Kugeln; Vereine wurden von ihnen gestiftet, die Zeitungen reizten auf, es geschahen Zusammenrottungen, und beinahe täglich kam die Nachricht in die Stadt: so und so viele Tausende, bald aus dieser, bald aus jener Gegend, beabsichtigen einen Ueberfall. Die Regierung, zum großen Theil aus den Anstiftern dieser Umtriebe bestehend, that nichts zur Beruhigung, sondern publicirte vielmehr das Project eines Gesetzes, durch welches zunächst die Rechte der Stadt und in zweiter Linie die Ueberbleibsel des bei der Napoleon'schen sogenannten Dotation noch nicht geraubten Eigenthums bedroht schienen – eine Besorgniß, die sich seither nur zu sehr erwahrt hat. In dieser Noth, und aufgefordert durch die sämmtliche Bürgerschaft, gab der Stadtrath (in welchem damals, außer einer Menge von Angestellten und Anhängern der neuen Regierung, vier Regierungsräthe, vier Oberrichter und noch mehrere Mitglieder des großen Raths saßen) sieben Männern aus seiner Mitte den Auftrag: für die Sicherheit der Stadt zu sorgen und zugleich mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Einführung jenes projectirten Gesetzes wo möglich zu verhindern. In Bezug auf das letztere ließen sie einige Rechtsschriften verfertigen, welche nirgends die Schranken des Preß- und des Achtungsgesetzes überschritten; für die persönliche Sicherheit aber glaubten sie nicht besser sorgen zu können, als durch Wiederherstellung der ein Jahr vorher aufgelösten Bürgerwache. Damals nämlich hatte die Regierung 600 aus dem Zeughaus gelieferte Flinten zurückgefordert mit der Bemerkung: „eine Bürgerwache zu bewaffnen sey auf alle Fälle Sache des Municipalwesens, nie der Regierung.“ Theils auf dieses Rescript, theils auf das urkundliche Recht der Stadt Bern, sich selbst zu bewaffnen, gestützt, gab nun die Commission einem ihrer Mitglieder, Obrist Tscharner, den Auftrag, 400 Flinten sammt dazu gehöriger Munition im Ausland anzukaufen, da man sie aus dem hiesigen Zeughause nicht erhalten konnte. Tscharner, welcher die Verantwortung nicht allein übernehmen wollte, ließ eine Probeflinte durch einen ausgezeichneten Kenner, Lentulus, gewesenen Capitaine d'armement in französischen Diensten, untersuchen und besorgte darauf die Bestellung. Kaum war der erste Transport der Munition angelangt, so erließ die Regierung ein Gesetz gegen den Hochverrath, worin sich auch ein Artikel gegen heimliche Aufsammlung von Waffen und Munition befindet. Ausdrücklich ist aber darin bezeichnet, welche frühern Gesetze durch dieses abrogirt seyen, und dasjenige, welches der Stadt Bern das Recht gibt sich selbst zu bewaffnen, steht nicht darunter, sondern wurde erst vier Monate später durch einen eigenen Act aufgehoben. Jenes Gesetz traf also die Verfügungen der Commission nicht. Indeß bestellte Tscharner nach genommener Rücksprache mit einem seiner Collegen (theils weil die Gefahr einer Ueberrumpelung der Stadt nicht mehr vorhanden war, theils weil man in solchen Zeiten doch nicht wissen konnte, wie etwa die Regierung versuchen würde ihr Gesetz zu deuten, besonders da gerade das Gerücht von Werbumtrieben sich zu verbreiten anfing) die Gewehre auf eigene Faust ab, und ließ nur den Rest der schon verfertigten Patronen hieher kommen, und zwar, um keinerlei Aufsehen zu erregen, unter erdichteter Aufschrift. Mittlerweile geschahen nämlich die Auftritte in der Vendée, und die Herzogin von Berry ließ im geheimen hier Truppen anwerben. Ihr Agent, Horrer, bediente sich hiezu des schon genannten Lentulus, und bedeutete ihm, bevor die Truppen an ihre Bestimmung abgingen, könnten sie allfällig zum Sturze der hiesigen Regierung gebraucht werden. Hiedurch gereizt betrieben nun Lentulus und einige andere junge Leute, wie v. Werdt, Wyttenbach etc. ihre Werbungen auf offener Straße, während die von Allem genau unterrichtete Regierung diesem kindischen Treiben stillschweigend zusah, in der Hoffnung einen für sie wichtigen Fang machen zu können. Unabhängig hievon verband sich, unter Mitwirkung einerseits von Major Fischer vom Eichberg und andrerseits von Hauptmann Haag, in Thun und der Umgegend eine Anzahl von Männern, welche, der unerträglichen Neckereien der dortigen Regierungsbeamten müde, theils bloß gegen persönliche Plackereien in ihren Häusern sich zu sichern beschlossen, theils wirklich eine Veränderung der Regierung beabsichtigten. In der That verfloß fast keine Woche, wo nicht der Eine oder Andere eingesperrt und dann nach einiger Zeit mit der Bemerkung freigelassen wurde: man habe sich geirrt. Major Fischer ist nahe verwandt mit dem Präsidenten der VII. Commission, Alt-Schultheiß Fischer, und aus aufgefundenen Briefen ergibt sich, daß der letztere einige Kenntniß hatte von dessen Treiben, aber ihm davon abrieth. Ende Augusts schritt nun die Regierung ein. Lentulus, v. Werdt und Fischer vom Eichberg entflohen, Wyttenbach wurde zwar gepackt, aber so verwahrt, daß er nach einigen Verhören entrinnen konnte; Horrer, der Agent der Herzogin von Berry, von dem man genau wußte, daß er das Geld zu den Werbungen gegeben hatte, wurde ohne Verhör von der Polizei weggewiesen; Haag nebst einigen andern Bernern, z. B. Alt-Seckelmeister v. Muralt, und viele der etwa auf 300 ansteigenden Angeworbenen wurden in strenge Gewahrsam genommen. Bald jedoch zeigte es sich deutlich, daß man zwar gegen einige von diesen gern seine Uebermacht zeigen, aber doch eigentlich unter diesem erwünschten Vorwande den Häuptern der Stadt zu Leibe gehen wollte. Daher wurde das Stadt-Rathhaus, wo sich die für die Bürgerwache angeschaffte Munition befand, untersucht, und obschon die Mitglieder der VII. Commission alsogleich eine offene, seither in keinem Punkt widerlegte Auskunft gaben, wurden sie dennoch zweimal 24 Stunden später, während deren sie so leicht hätten entrinnen können, wenn sie sich irgend hochverrätherischer Umtriebe wären bewußt gewesen, festgenommen, und erst nach 3, 6, Tscharner sogar erst nach 7 1/2 Monaten der Haft entlassen. Diese zeichnete sich durch willkürliche, harte Behandlung aus. So wurde z. B. Obrist Tscharner nicht gestattet, seine sterbende, in einer Entfernung von nur wenigen Schritten wohnende Gattin noch lebend zu sehen, und dem bedeutend krank gewordenen Schultheiß Fischer wurde abgeschlagen seinen im nämlichen Hause gefangenen Arzt zu sich kommen zu lassen. Mit ausgesuchtem militärischem Pompe wurden sie bewacht, während alle radicalen Zeitungen wetteiferten die niedrigsten Verleumdungen über sie auszustoßen und fortwährend die Wuth des Pöbels gegen sie und die Ihrigen anzufachen. Was den Gang betrifft, welchen die Justiz befolgt hat, so kann man für die Ehre derselben nicht besser sorgen, als wenn man darüber schweigt, oder wenigstens nicht ohne Noth aufdeckt, was bisher noch nicht öffentlich besprochen wurde. Ward doch im großen Rathe selbst dieser 7 1/2jährige Proceß als „von A bis Z formwidrig“ erklärt, indem z. B., aller andern Formverletzungen

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 20. Augsburg, 20. Januar 1840, S. 0155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_020_18400120/11>, abgerufen am 27.04.2024.