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Allgemeine Zeitung. Nr. 23. Augsburg, 23. Januar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
23 Januar 1840

Deutsche Litteratur in England.

Vor kurzem (Allg. Zeitung 1839, Nr. 312) war die Rede in Ihrem Blatte von der Würdigung der deutschen Litteratur in England. Da mich dieß vermuthen läßt, daß die Sache Ihren Lesern interessant ist, so erlaube ich mir einige weitere Bemerkungen sowohl darüber, als über die englische Litteratur in Deutschland. Von Goethe's Faust, erstem Theil, gibt es jetzt nicht weniger als acht Uebersetzungen: nämlich (in chronologischer Ordnung ihres Erscheinens) von Lord Levison Gower (jetzt Lord Francis Egerton) schon die zweite Auflage; von Hayward (eine fast wörtliche Bearbeitung in Prosa, von einer Menge schätzbarer Anmerkungen begleitet) die dritte Auflage; von Talbot die zweite Auflage, mit dem Deutschen gegenüber; von Blackie, einem Schottländer, mit interessanten Nachrichten über die Theosophen und Alchymisten des 16ten Jahrhunderts; von Symes; von dem Dubliner Rechtsgelehrten Dr. Anster, zweite Auflage (zwar oft paraphrasirt, aber vortrefflich als Gedicht); von Birch, und ganz neuerlich von Hills. An den zweiten Theil von Faust jedoch wollte sich keiner wagen, bis Bernays, unlängst noch Primaner in einem hiesigen Gymnasium, und jetzt theologischer Student in Oxford, den kühnen Versuch machte, eine Uebersetzung in dem jetzt so vortrefflichen Monthly Magazine mitzutheilen. Die gute Aufnahme, welche dieselbe nicht nur hier, sondern auch in Deutschland gefunden, hat ihn bewogen, seine Arbeit besonders abgedruckt herauszugeben, und scheint auch Birch ermuntert zu haben, ebenfalls eine Uebersetzung dieses Theils drucken zu lassen, welche in Lieferungen erscheinen soll. Nebst allen diesen gibt es von beiden Theilen noch eine metrische Uebersetzung, wovon nur 50 Exemplare gedruckt worden, welche schon seit mehreren Monaten beim Drucker liegen, und deren Verfasser nicht genannt seyn will. Endlich ist zu Dumfries eine Uebersetzung vom zweiten Theil allein gedruckt worden, die aber ebenfalls nicht in den Buchhandel gekommen ist. Uebrigens gibt es meines Wissens mehrere handschriftliche Uebersetzungen sowohl dieses außerordentlichen Werks, als einer Menge anderer größerer und kleinerer deutschen Schriften, welche längst ans Licht getreten seyn würden, wenn sich Verleger dafür finden ließen. So zahlreich auch die Freunde der deutschen Litteratur unter den Britten seyn mögen, so sind dieselben doch vorzüglich unter denen zu finden, welche die Originalien mit mehr oder minder Geläufigkeit zu lesen verstehen. Denn die Uebersetzungen machen in der Regel so wenig Glück (seyen es Gedichte, Romane oder geschichtliche Werke, welche letztern doch noch am meisten geschätzt werden), daß selten ein Verleger es wagt, eine Schrift auf eigene Kosten zu drucken. Talboys zu Oxford zeigt hierbei noch den meisten Muth, indem er mehrere Werke, besonders von Heeren, herausgegeben hat, welche aber meist von ihm selbst übersetzt seyn sollen. Von Neanders Kirchengeschichte ist der erste Theil bereits vor acht Jahren erschienen, und der Uebersetzer hat sich noch nicht zur Herausgabe des zweiten ermuthigt gefunden. Von Niebuhrs römischer Geschichte ist der dritte Band noch immer zurück. Murray hat zwar Ranke's Päpste angekündigt, doch wahrscheinlich nur, weil er von der augenblicklichen antipapistischen Aufregung Käufer für das Werk erwartet. Von Carlyle's Uebersetzung Wilhelm Meisters ist zwar eine neue Auflage angekündigt, aber ich begreife kaum, aus welchem Grunde das Wagniß unternommen wird, da man schon seit Jahren neue Exemplare von der ersten, eben so wie von dessen Uebersetzung von Goethe's "Wahrheit und Dichtung' und Roscoe's "Deutschen Romanen", bei den Antiquaren für ein Fünftel des Originalpreises findet. An Spindlers "Jude" haben die Verleger bedeutend verloren, und der Caroline Pichler "Schweden vor Prag", obgleich man es mit einem neuen Titelblatte als zweite Auflage versucht, hat sich nie verkauft. Was Verleger am meisten scheuen, sind deutsche theologische Werke, da bei den meisten Engländern deutsche Theologie mit Neologie und Rationalismus gleichbedeutend gilt. Nur von Tholuck ist seit kurzem Einiges übersetzt worden, hat aber, wie ich höre, kein Glück gemacht. Daß sich für Straußens "Leben Jesu" kein Verleger gefunden, obgleich nicht weniger als fünf Uebersetzungen davon angeboten worden seyn sollen, ist nicht zu verwundern. Die einzigen deutschen Theologen, welche hier Glück machen, sind Hr. Krummacher und einige seiner Geistesverwandten, deren ultra-calvinistische Gesinnungen und rhapsodischer Styl bei unsern Sectirern und den sogenannten Evangelischen in der Kirche eine Zeitlang Anklang gefunden haben. Wenn indessen der Einwirkung des deutschen Geistes unmittelbar durch Uebersetzungen so große Hindernisse im Wege stehen, so wirkt derselbe mittelbar durch englische Schriftsteller, welche denselben oft zugleich mit deutscher Gelehrsamkeit in sich aufgenommen haben, um so kräftiger. Wie tief Carlyle davon durchdrungen ist, selbst zum Nachtheil seines Styls, ist wohl vielen Ihrer Leser bekannt. Alle seine Schriften, wie seine Vorlesungen über deutsche Litteratur und über Geschichte, zeugen hievon. Arnold für seine römische und Thirlwall für seine griechische Geschichte haben in jeder Beziehung aus deutschen Quellen geschöpft. Ebenso Jos. Green als Physiolog und Naturphilosoph; Herand und neuerdings Oxenford als Dichter und Kritiker, und viele Andere mehr. Unter allen Deutsch-Engländern aber steht S. T. Coleridge oben an, sowohl durch die tiefe, umfassende Kraft, womit er die deutsche philosophische Denkungsart in sich aufgenommen und nach seiner Weise verarbeitet hat, als durch den Einfluß, den er jetzt nach seinem Tode fast unvermerkt auf alle Fächer unserer Litteratur, besonders unserer so schrecklich verarmten, wortklaubenden und das Alte wiederkäuenden Philologie, auszuüben anfängt. Auch wundern sich seine Freunde und Anhänger oft mit Recht, daß man in deutschen Katalogen vergebens diesen verehrten Namen sucht, während Einem die Titel von den elendesten, hier oft längst vergessenen englischen Schriften, oft mehrfach übersetzt, in die Augen fallen. Da mir mehrere seiner Werke, besonders in diesem Augenblick, wo so viele Gemüther sich von dem Herz und Geist ertödtenden Rationalismus und den ins Leere gehenden Abstractionen der Hegel'schen Schule abwenden, und mit Sehnsucht nach einem vernünftigen (ich bediene mich hier des Worts im Gegensatz mit verständig) Grund des Glaubens sehnen, für Deutschland geeignet scheinen, so will ich in einem andern Briefe etwas Näheres über diesen vortrefflichen Mann und seine Schriften mittheilen, in der Hoffnung, dadurch irgend einen verwandten Geist zu einem Liebeswerke zu ermuntern, um eine oder die andere derselben zu übersetzen und so Deutschland mit Wucher zu erstatten, was der Verewigte von dort geholt hat.


Zustand von Griechenland gegenüber der Türkei.

Ich besuchte Athen, Konstantinopel und Alexandria, und bin bis Kairo vorgedrungen, um dieses


Beilage zur Allgemeinen Zeitung
23 Januar 1840

Deutsche Litteratur in England.

Vor kurzem (Allg. Zeitung 1839, Nr. 312) war die Rede in Ihrem Blatte von der Würdigung der deutschen Litteratur in England. Da mich dieß vermuthen läßt, daß die Sache Ihren Lesern interessant ist, so erlaube ich mir einige weitere Bemerkungen sowohl darüber, als über die englische Litteratur in Deutschland. Von Goethe's Faust, erstem Theil, gibt es jetzt nicht weniger als acht Uebersetzungen: nämlich (in chronologischer Ordnung ihres Erscheinens) von Lord Levison Gower (jetzt Lord Francis Egerton) schon die zweite Auflage; von Hayward (eine fast wörtliche Bearbeitung in Prosa, von einer Menge schätzbarer Anmerkungen begleitet) die dritte Auflage; von Talbot die zweite Auflage, mit dem Deutschen gegenüber; von Blackie, einem Schottländer, mit interessanten Nachrichten über die Theosophen und Alchymisten des 16ten Jahrhunderts; von Symes; von dem Dubliner Rechtsgelehrten Dr. Anster, zweite Auflage (zwar oft paraphrasirt, aber vortrefflich als Gedicht); von Birch, und ganz neuerlich von Hills. An den zweiten Theil von Faust jedoch wollte sich keiner wagen, bis Bernays, unlängst noch Primaner in einem hiesigen Gymnasium, und jetzt theologischer Student in Oxford, den kühnen Versuch machte, eine Uebersetzung in dem jetzt so vortrefflichen Monthly Magazine mitzutheilen. Die gute Aufnahme, welche dieselbe nicht nur hier, sondern auch in Deutschland gefunden, hat ihn bewogen, seine Arbeit besonders abgedruckt herauszugeben, und scheint auch Birch ermuntert zu haben, ebenfalls eine Uebersetzung dieses Theils drucken zu lassen, welche in Lieferungen erscheinen soll. Nebst allen diesen gibt es von beiden Theilen noch eine metrische Uebersetzung, wovon nur 50 Exemplare gedruckt worden, welche schon seit mehreren Monaten beim Drucker liegen, und deren Verfasser nicht genannt seyn will. Endlich ist zu Dumfries eine Uebersetzung vom zweiten Theil allein gedruckt worden, die aber ebenfalls nicht in den Buchhandel gekommen ist. Uebrigens gibt es meines Wissens mehrere handschriftliche Uebersetzungen sowohl dieses außerordentlichen Werks, als einer Menge anderer größerer und kleinerer deutschen Schriften, welche längst ans Licht getreten seyn würden, wenn sich Verleger dafür finden ließen. So zahlreich auch die Freunde der deutschen Litteratur unter den Britten seyn mögen, so sind dieselben doch vorzüglich unter denen zu finden, welche die Originalien mit mehr oder minder Geläufigkeit zu lesen verstehen. Denn die Uebersetzungen machen in der Regel so wenig Glück (seyen es Gedichte, Romane oder geschichtliche Werke, welche letztern doch noch am meisten geschätzt werden), daß selten ein Verleger es wagt, eine Schrift auf eigene Kosten zu drucken. Talboys zu Oxford zeigt hierbei noch den meisten Muth, indem er mehrere Werke, besonders von Heeren, herausgegeben hat, welche aber meist von ihm selbst übersetzt seyn sollen. Von Neanders Kirchengeschichte ist der erste Theil bereits vor acht Jahren erschienen, und der Uebersetzer hat sich noch nicht zur Herausgabe des zweiten ermuthigt gefunden. Von Niebuhrs römischer Geschichte ist der dritte Band noch immer zurück. Murray hat zwar Ranke's Päpste angekündigt, doch wahrscheinlich nur, weil er von der augenblicklichen antipapistischen Aufregung Käufer für das Werk erwartet. Von Carlyle's Uebersetzung Wilhelm Meisters ist zwar eine neue Auflage angekündigt, aber ich begreife kaum, aus welchem Grunde das Wagniß unternommen wird, da man schon seit Jahren neue Exemplare von der ersten, eben so wie von dessen Uebersetzung von Goethe's „Wahrheit und Dichtung' und Roscoe's „Deutschen Romanen“, bei den Antiquaren für ein Fünftel des Originalpreises findet. An Spindlers „Jude“ haben die Verleger bedeutend verloren, und der Caroline Pichler „Schweden vor Prag“, obgleich man es mit einem neuen Titelblatte als zweite Auflage versucht, hat sich nie verkauft. Was Verleger am meisten scheuen, sind deutsche theologische Werke, da bei den meisten Engländern deutsche Theologie mit Neologie und Rationalismus gleichbedeutend gilt. Nur von Tholuck ist seit kurzem Einiges übersetzt worden, hat aber, wie ich höre, kein Glück gemacht. Daß sich für Straußens „Leben Jesu“ kein Verleger gefunden, obgleich nicht weniger als fünf Uebersetzungen davon angeboten worden seyn sollen, ist nicht zu verwundern. Die einzigen deutschen Theologen, welche hier Glück machen, sind Hr. Krummacher und einige seiner Geistesverwandten, deren ultra-calvinistische Gesinnungen und rhapsodischer Styl bei unsern Sectirern und den sogenannten Evangelischen in der Kirche eine Zeitlang Anklang gefunden haben. Wenn indessen der Einwirkung des deutschen Geistes unmittelbar durch Uebersetzungen so große Hindernisse im Wege stehen, so wirkt derselbe mittelbar durch englische Schriftsteller, welche denselben oft zugleich mit deutscher Gelehrsamkeit in sich aufgenommen haben, um so kräftiger. Wie tief Carlyle davon durchdrungen ist, selbst zum Nachtheil seines Styls, ist wohl vielen Ihrer Leser bekannt. Alle seine Schriften, wie seine Vorlesungen über deutsche Litteratur und über Geschichte, zeugen hievon. Arnold für seine römische und Thirlwall für seine griechische Geschichte haben in jeder Beziehung aus deutschen Quellen geschöpft. Ebenso Jos. Green als Physiolog und Naturphilosoph; Herand und neuerdings Oxenford als Dichter und Kritiker, und viele Andere mehr. Unter allen Deutsch-Engländern aber steht S. T. Coleridge oben an, sowohl durch die tiefe, umfassende Kraft, womit er die deutsche philosophische Denkungsart in sich aufgenommen und nach seiner Weise verarbeitet hat, als durch den Einfluß, den er jetzt nach seinem Tode fast unvermerkt auf alle Fächer unserer Litteratur, besonders unserer so schrecklich verarmten, wortklaubenden und das Alte wiederkäuenden Philologie, auszuüben anfängt. Auch wundern sich seine Freunde und Anhänger oft mit Recht, daß man in deutschen Katalogen vergebens diesen verehrten Namen sucht, während Einem die Titel von den elendesten, hier oft längst vergessenen englischen Schriften, oft mehrfach übersetzt, in die Augen fallen. Da mir mehrere seiner Werke, besonders in diesem Augenblick, wo so viele Gemüther sich von dem Herz und Geist ertödtenden Rationalismus und den ins Leere gehenden Abstractionen der Hegel'schen Schule abwenden, und mit Sehnsucht nach einem vernünftigen (ich bediene mich hier des Worts im Gegensatz mit verständig) Grund des Glaubens sehnen, für Deutschland geeignet scheinen, so will ich in einem andern Briefe etwas Näheres über diesen vortrefflichen Mann und seine Schriften mittheilen, in der Hoffnung, dadurch irgend einen verwandten Geist zu einem Liebeswerke zu ermuntern, um eine oder die andere derselben zu übersetzen und so Deutschland mit Wucher zu erstatten, was der Verewigte von dort geholt hat.


Zustand von Griechenland gegenüber der Türkei.

Ich besuchte Athen, Konstantinopel und Alexandria, und bin bis Kairo vorgedrungen, um dieses

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Von Goethe's Faust, erstem Theil, gibt es jetzt nicht weniger als acht Uebersetzungen: nämlich (in chronologischer Ordnung ihres Erscheinens) von Lord Levison Gower (jetzt Lord Francis Egerton) schon die zweite Auflage; von Hayward (eine fast wörtliche Bearbeitung in Prosa, von einer Menge schätzbarer Anmerkungen begleitet) die dritte Auflage; von Talbot die zweite Auflage, mit dem Deutschen gegenüber; von Blackie, einem Schottländer, mit interessanten Nachrichten über die Theosophen und Alchymisten des 16ten Jahrhunderts; von Symes; von dem Dubliner Rechtsgelehrten Dr. Anster, zweite Auflage (zwar oft paraphrasirt, aber vortrefflich als Gedicht); von Birch, und ganz neuerlich von Hills. An den zweiten Theil von Faust jedoch wollte sich keiner wagen, bis Bernays, unlängst noch Primaner in einem hiesigen Gymnasium, und jetzt theologischer Student in Oxford, den kühnen Versuch machte, eine Uebersetzung in dem jetzt so vortrefflichen Monthly Magazine mitzutheilen. Die gute Aufnahme, welche dieselbe nicht nur hier, sondern auch in Deutschland gefunden, hat ihn bewogen, seine Arbeit besonders abgedruckt herauszugeben, und scheint auch Birch ermuntert zu haben, ebenfalls eine Uebersetzung dieses Theils drucken zu lassen, welche in Lieferungen erscheinen soll. Nebst allen diesen gibt es von beiden Theilen noch eine metrische Uebersetzung, wovon nur 50 Exemplare gedruckt worden, welche schon seit mehreren Monaten beim Drucker liegen, und deren Verfasser nicht genannt seyn will. Endlich ist zu Dumfries eine Uebersetzung vom zweiten Theil allein gedruckt worden, die aber ebenfalls nicht in den Buchhandel gekommen ist. Uebrigens gibt es meines Wissens mehrere handschriftliche Uebersetzungen sowohl dieses außerordentlichen Werks, als einer Menge anderer größerer und kleinerer deutschen Schriften, welche längst ans Licht getreten seyn würden, wenn sich Verleger dafür finden ließen. So zahlreich auch die Freunde der deutschen Litteratur unter den Britten seyn mögen, so sind dieselben doch vorzüglich unter denen zu finden, welche die Originalien mit mehr oder minder Geläufigkeit zu lesen verstehen. Denn die Uebersetzungen machen in der Regel so wenig Glück (seyen es Gedichte, Romane oder geschichtliche Werke, welche letztern doch noch am meisten geschätzt werden), daß selten ein Verleger es wagt, eine Schrift auf eigene Kosten zu drucken. Talboys zu Oxford zeigt hierbei noch den meisten Muth, indem er mehrere Werke, besonders von Heeren, herausgegeben hat, welche aber meist von ihm selbst übersetzt seyn sollen. Von Neanders Kirchengeschichte ist der erste Theil bereits vor acht Jahren erschienen, und der Uebersetzer hat sich noch nicht zur Herausgabe des zweiten ermuthigt gefunden. Von Niebuhrs römischer Geschichte ist der dritte Band noch immer zurück. Murray hat zwar Ranke's Päpste angekündigt, doch wahrscheinlich nur, weil er von der augenblicklichen antipapistischen Aufregung Käufer für das Werk erwartet. Von Carlyle's Uebersetzung Wilhelm Meisters ist zwar eine neue Auflage angekündigt, aber ich begreife kaum, aus welchem Grunde das Wagniß unternommen wird, da man schon seit Jahren neue Exemplare von der ersten, eben so wie von dessen Uebersetzung von Goethe's &#x201E;Wahrheit und Dichtung' und Roscoe's &#x201E;Deutschen Romanen&#x201C;, bei den Antiquaren für ein Fünftel des Originalpreises findet. An Spindlers &#x201E;Jude&#x201C; haben die Verleger bedeutend verloren, und der Caroline Pichler &#x201E;Schweden vor Prag&#x201C;, obgleich man es mit einem neuen Titelblatte als zweite Auflage versucht, hat sich nie verkauft. Was Verleger am meisten scheuen, sind deutsche theologische Werke, da bei den meisten Engländern deutsche Theologie mit Neologie und Rationalismus gleichbedeutend gilt. 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Alle seine Schriften, wie seine Vorlesungen über deutsche Litteratur und über Geschichte, zeugen hievon. Arnold für seine römische und Thirlwall für seine griechische Geschichte haben in jeder Beziehung aus deutschen Quellen geschöpft. Ebenso Jos. Green als Physiolog und Naturphilosoph; Herand und neuerdings Oxenford als Dichter und Kritiker, und viele Andere mehr. Unter allen Deutsch-Engländern aber steht S. T. Coleridge oben an, sowohl durch die tiefe, umfassende Kraft, womit er die deutsche philosophische Denkungsart in sich aufgenommen und nach seiner Weise verarbeitet hat, als durch den Einfluß, den er jetzt nach seinem Tode fast unvermerkt auf alle Fächer unserer Litteratur, besonders unserer so schrecklich verarmten, wortklaubenden und das Alte wiederkäuenden Philologie, auszuüben anfängt. Auch wundern sich seine Freunde und Anhänger oft mit Recht, daß man in deutschen Katalogen vergebens diesen verehrten Namen sucht, während Einem die Titel von den elendesten, hier oft längst vergessenen englischen Schriften, oft mehrfach übersetzt, in die Augen fallen. 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[0177/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 23 Januar 1840 Deutsche Litteratur in England. *London, 30 Dec. Vor kurzem (Allg. Zeitung 1839, Nr. 312) war die Rede in Ihrem Blatte von der Würdigung der deutschen Litteratur in England. Da mich dieß vermuthen läßt, daß die Sache Ihren Lesern interessant ist, so erlaube ich mir einige weitere Bemerkungen sowohl darüber, als über die englische Litteratur in Deutschland. Von Goethe's Faust, erstem Theil, gibt es jetzt nicht weniger als acht Uebersetzungen: nämlich (in chronologischer Ordnung ihres Erscheinens) von Lord Levison Gower (jetzt Lord Francis Egerton) schon die zweite Auflage; von Hayward (eine fast wörtliche Bearbeitung in Prosa, von einer Menge schätzbarer Anmerkungen begleitet) die dritte Auflage; von Talbot die zweite Auflage, mit dem Deutschen gegenüber; von Blackie, einem Schottländer, mit interessanten Nachrichten über die Theosophen und Alchymisten des 16ten Jahrhunderts; von Symes; von dem Dubliner Rechtsgelehrten Dr. Anster, zweite Auflage (zwar oft paraphrasirt, aber vortrefflich als Gedicht); von Birch, und ganz neuerlich von Hills. An den zweiten Theil von Faust jedoch wollte sich keiner wagen, bis Bernays, unlängst noch Primaner in einem hiesigen Gymnasium, und jetzt theologischer Student in Oxford, den kühnen Versuch machte, eine Uebersetzung in dem jetzt so vortrefflichen Monthly Magazine mitzutheilen. Die gute Aufnahme, welche dieselbe nicht nur hier, sondern auch in Deutschland gefunden, hat ihn bewogen, seine Arbeit besonders abgedruckt herauszugeben, und scheint auch Birch ermuntert zu haben, ebenfalls eine Uebersetzung dieses Theils drucken zu lassen, welche in Lieferungen erscheinen soll. Nebst allen diesen gibt es von beiden Theilen noch eine metrische Uebersetzung, wovon nur 50 Exemplare gedruckt worden, welche schon seit mehreren Monaten beim Drucker liegen, und deren Verfasser nicht genannt seyn will. Endlich ist zu Dumfries eine Uebersetzung vom zweiten Theil allein gedruckt worden, die aber ebenfalls nicht in den Buchhandel gekommen ist. Uebrigens gibt es meines Wissens mehrere handschriftliche Uebersetzungen sowohl dieses außerordentlichen Werks, als einer Menge anderer größerer und kleinerer deutschen Schriften, welche längst ans Licht getreten seyn würden, wenn sich Verleger dafür finden ließen. So zahlreich auch die Freunde der deutschen Litteratur unter den Britten seyn mögen, so sind dieselben doch vorzüglich unter denen zu finden, welche die Originalien mit mehr oder minder Geläufigkeit zu lesen verstehen. Denn die Uebersetzungen machen in der Regel so wenig Glück (seyen es Gedichte, Romane oder geschichtliche Werke, welche letztern doch noch am meisten geschätzt werden), daß selten ein Verleger es wagt, eine Schrift auf eigene Kosten zu drucken. Talboys zu Oxford zeigt hierbei noch den meisten Muth, indem er mehrere Werke, besonders von Heeren, herausgegeben hat, welche aber meist von ihm selbst übersetzt seyn sollen. Von Neanders Kirchengeschichte ist der erste Theil bereits vor acht Jahren erschienen, und der Uebersetzer hat sich noch nicht zur Herausgabe des zweiten ermuthigt gefunden. Von Niebuhrs römischer Geschichte ist der dritte Band noch immer zurück. Murray hat zwar Ranke's Päpste angekündigt, doch wahrscheinlich nur, weil er von der augenblicklichen antipapistischen Aufregung Käufer für das Werk erwartet. Von Carlyle's Uebersetzung Wilhelm Meisters ist zwar eine neue Auflage angekündigt, aber ich begreife kaum, aus welchem Grunde das Wagniß unternommen wird, da man schon seit Jahren neue Exemplare von der ersten, eben so wie von dessen Uebersetzung von Goethe's „Wahrheit und Dichtung' und Roscoe's „Deutschen Romanen“, bei den Antiquaren für ein Fünftel des Originalpreises findet. An Spindlers „Jude“ haben die Verleger bedeutend verloren, und der Caroline Pichler „Schweden vor Prag“, obgleich man es mit einem neuen Titelblatte als zweite Auflage versucht, hat sich nie verkauft. Was Verleger am meisten scheuen, sind deutsche theologische Werke, da bei den meisten Engländern deutsche Theologie mit Neologie und Rationalismus gleichbedeutend gilt. Nur von Tholuck ist seit kurzem Einiges übersetzt worden, hat aber, wie ich höre, kein Glück gemacht. Daß sich für Straußens „Leben Jesu“ kein Verleger gefunden, obgleich nicht weniger als fünf Uebersetzungen davon angeboten worden seyn sollen, ist nicht zu verwundern. Die einzigen deutschen Theologen, welche hier Glück machen, sind Hr. Krummacher und einige seiner Geistesverwandten, deren ultra-calvinistische Gesinnungen und rhapsodischer Styl bei unsern Sectirern und den sogenannten Evangelischen in der Kirche eine Zeitlang Anklang gefunden haben. Wenn indessen der Einwirkung des deutschen Geistes unmittelbar durch Uebersetzungen so große Hindernisse im Wege stehen, so wirkt derselbe mittelbar durch englische Schriftsteller, welche denselben oft zugleich mit deutscher Gelehrsamkeit in sich aufgenommen haben, um so kräftiger. Wie tief Carlyle davon durchdrungen ist, selbst zum Nachtheil seines Styls, ist wohl vielen Ihrer Leser bekannt. Alle seine Schriften, wie seine Vorlesungen über deutsche Litteratur und über Geschichte, zeugen hievon. Arnold für seine römische und Thirlwall für seine griechische Geschichte haben in jeder Beziehung aus deutschen Quellen geschöpft. Ebenso Jos. Green als Physiolog und Naturphilosoph; Herand und neuerdings Oxenford als Dichter und Kritiker, und viele Andere mehr. Unter allen Deutsch-Engländern aber steht S. T. Coleridge oben an, sowohl durch die tiefe, umfassende Kraft, womit er die deutsche philosophische Denkungsart in sich aufgenommen und nach seiner Weise verarbeitet hat, als durch den Einfluß, den er jetzt nach seinem Tode fast unvermerkt auf alle Fächer unserer Litteratur, besonders unserer so schrecklich verarmten, wortklaubenden und das Alte wiederkäuenden Philologie, auszuüben anfängt. Auch wundern sich seine Freunde und Anhänger oft mit Recht, daß man in deutschen Katalogen vergebens diesen verehrten Namen sucht, während Einem die Titel von den elendesten, hier oft längst vergessenen englischen Schriften, oft mehrfach übersetzt, in die Augen fallen. Da mir mehrere seiner Werke, besonders in diesem Augenblick, wo so viele Gemüther sich von dem Herz und Geist ertödtenden Rationalismus und den ins Leere gehenden Abstractionen der Hegel'schen Schule abwenden, und mit Sehnsucht nach einem vernünftigen (ich bediene mich hier des Worts im Gegensatz mit verständig) Grund des Glaubens sehnen, für Deutschland geeignet scheinen, so will ich in einem andern Briefe etwas Näheres über diesen vortrefflichen Mann und seine Schriften mittheilen, in der Hoffnung, dadurch irgend einen verwandten Geist zu einem Liebeswerke zu ermuntern, um eine oder die andere derselben zu übersetzen und so Deutschland mit Wucher zu erstatten, was der Verewigte von dort geholt hat. Zustand von Griechenland gegenüber der Türkei. _Kairo, 10 Dec. Ich besuchte Athen, Konstantinopel und Alexandria, und bin bis Kairo vorgedrungen, um dieses

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 23. Augsburg, 23. Januar 1840, S. 0177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_023_18400123/9>, abgerufen am 28.04.2024.