Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite


Erpressungen von Seite des Siegers bedroht, war wenig geeignet, Vortheil aus dem so fruchtbaren Boden zu ziehen, der einst Italien mit Getreide und Oel versorgte. Der Gewerbfleiß, dem der Ackerbau keinen der Rohstoffe liefert, die das Land wohl hätte erzeugen können, und der außerdem noch von wenig geschickten Händen geübt wurde, dem die großen mechanischen Hülfsmittel abgingen, die der Geist der neuern Zeit in Europa so vervielfacht hat - der Gewerbfleiß begnügte sich, mit mehr Geduld als Talent, Kleider, Waffen und einige Geräthschaften zu verfertigen. Der Kleinhandel, der gemeinsam von den Mauren und Juden ausgeübt wurde, konnte nur gering Wichtigkeit erlangen. Der Großhandel hätte ohne Zweifel einen großen Aufschwung genommen durch die Producte, die man aus dem Innern herbeibringen konnte, wenn die häufigen Revolutionen, die geringe Sicherheit der Straßen nach dem Abgangspunkt und die Forderungen des Fiscus bei der Ankunft den Handel mit dem Innern nicht bedeutend reducirt hätten, da der Gewinn sehr unsicher gemacht wurde.

Das war der Zustand des Staats, als die Franzosen die Halbinsel Sidi Feruch*) betraten. Es ist klar, daß die Türken allein ein wirkliches Interesse bei der Vertheidigung hatten, da sie allein alle politischen Vortheile besaßen. Ein Gefühl der Eigenliebe, die Verpflichtungen zum heiligen Krieg und vor Allem der Reiz noch reicherer Beute als die, welche der Niederlage der Armee Karls V gefolgt war, konnte wohl für einen Augenblick die übrige Bevölkerung auf das Schlachtfeld führen; aber der geringste Unfall mußte sie wieder in ihre Heimath treiben, denn die Kabylen glaubten, in ihren unzugänglichen Bergen die Franzosen nicht mehr fürchten zu dürfen, als die Türken, und die Araber waren von den Osmanli so zu Boden gedrückt, daß sie eine härtere Behandlung von Seite der Neuangekommenen sich nicht denken konnten. Wirklich ließ die Niederlage von Staueli fast die ganze unzählbare Masse von leichten Truppen, welche die französische Armee umschwärmten, verschwinden, und bei dem letzten Gefecht, das unter den Mauern von Algier stattfand, bei der Einnahme des Kaiserforts, hatten wir nur türkische Soldaten gegen uns.

Im ersten Augenblick der Besetzung wurden viele Fehler begangen, und das war nicht anders möglich. Die Juliusrevolution hatte unsere Regierung und den politischen Zustand Europa's geändert. Wer wußte damals, was aus Frankreich werden würde, was es aus Algerien machen könnte? Wer kannte überdieß das Land, das der Sieg in unsere Hände gegeben hatte? Hätte man in dieser Hinsicht nur den geringsten Begriff gehabt, man würde gewiß nicht damit angefangen haben, die Türken zu verbannen und sich zum Schützer der arabischen Bevölkerung aufzuwerfen. Das konnte vor dem Sieg als diplomatisches Mittel von Nutzen seyn; aber später, als die Rollen sichtbar vertauscht waren, mußte sich unser Betragen nach diesen Veränderungen modificiren. Denn nun waren die Türken die Besiegten: sie wurden von den Arabern in Maskara ermordet; sie in Tlemsen belagert; ihre Hülfstruppen wurden von allen Seiten angegriffen. Die Gelegenheit war schön, zu unserm Vortheil die Elemente der Herrschaft auszubeuten, welche die Gewalt der Umstände zu unserer Verfügung stellte; aber man kannte den wahren Stand der Frage nicht, und verjagte die Türken und verachtete die Anerbietungen ihrer Hülfstruppen. Dieser Fehler, oder vielmehr dieses Unglück führte nicht allein den Verlust der Mittel nach sich, fast das ganze Land leicht und auf eine indirecte Art zu beherrschen, es schnitt auch plötzlich den Faden aller gouvernementalen und administrativen Verbindungen ab; denn, wie wir es oben gesehen haben, besaßen die Türken alle Aemter. Man fand sich also einer Bevölkerung gegenüber, die man leiten sollte; man sollte der Verwaltung des Landes genügen, und hatte nicht die geringste Idee, was vor unserer Ankunft in dieser Hinsicht geschehen war; ja, die Sachen gingen so weit, daß, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, wenn ein Brunnen aufhörte zu laufen, man nicht wußte, wo man das Röhrenlager suchen sollte, welches das Wasser herführte, um den Schaden auszubessern, denn der Amir el Ayun (Brunnenmeister) war, wie alle übrigen türkischen Beamten, vertrieben worden.

Wenn wir hier die Ausweisung der Türken und die Nichtachtung der Anerbietungen von Seite der Hülfsmilizen beklagen, so wollen wir damit nicht sagen, Frankreich hätte die Regierung und Verwaltung der Osmanen als Muster annehmen sollen, wir glauben nur, man hätte das Militär- und Administrativ-Triebwerk provisorisch beibehalten sollen, bis man sich von dem bisherigen Zustand des Landes hinreichend unterrichtet und sich entschieden hätte, was wir thun wollten, um sie entbehren können. Mit einem solchen System hätten wir ein doppeltes Resultat gewonnen: das Land wäre durch sich selbst regiert worden und wir hätten Zeit gehabt zu überlegen, wie wir später das Land am besten verwalten möchten.

Die Gränzen, die diesem Umriß gesteckt sind, erlauben uns nicht, die Verwaltung der zahlreichen Gouverneurs, die in den neun Jahren auf einander gefolgt sind, im Detail zu prüfen. Doch kann man die verschiedenen Systeme, mit deren Ausführung sie beauftragt wurden, auf folgende Weise zusammenfassen: die unbeschränkte Besetzung, die eingeschränkte Besetzung, die Colonisirung, die rein militärische Besetzung, die Verschmelzung der Araber mit den Europäern, die Unterdrückung der Eingebornen, die unmittelbare Beherrschung, die indirecte Herrschaft etc.

Hätte man gleich im Anfang die Frage richtig gestellt, so hätte man das ewige Schwanken zwischen sich völlig entgegengesetzten Systemen vermieden. Konnte man mit derselben Schnelligkeit, wie unsere Armeen das Gebiet von Algier durchstreiften, das Land erobern, besetzen und es gleich productiv machen, d. h. eine neue Nation erschaffen? Das war augenscheinlich nicht möglich. Algier ist nicht die einzige Angelegenheit, die Frankreich beschäftigen soll, und alle unsere Soldaten, alle unsere Schätze könnten nicht in Afrika verwendet werden. Man mußte also stufenweise vorschreiten, und so die dreifache Frage, die in dem großen Problem enthalten ist, im Auge behalten: als Ziel, die Colonisation, denn das ist das einzige Mittel, das Land zu civilisiren und Producte zu schaffen, welche die Kosten der ersten Besitzergreifung decken und Einkünfte für die Zukunft vorbereiten mußten; als Mittel, aus dem Gesichtspunkt der Politik, die arabische Hülfsmiliz wieder organisiren, die Kabylen durch ihre Marabuts und Häuptlinge im Zaum halten, denen man leichter Pensionen geben als sie bekämpfen kann; in militärischer Hinsicht, einen Kern Colonialtruppen bilden, d. h. solche, die stets im Lande bleiben, um den Verlust an Menschen zu vermeiden, den das Klima jedem neuen Regimente in den ersten Monaten seiner Ankunft beifügt, und um Truppen zu haben, die an die Art Krieg zu führen, die im Lande gebräuchlich ist, gewöhnt und mit dem Lande hinreichend vertraut sind. Und da das Haupthinderniß, in unsern Kämpfen mit den Arabern entscheidende Erfolge zu erhalten, in der außerordentlichen Schnelligkeit ihrer Bewegungungen besteht, während wir stets Wagen und andere impedimenta

*) Der wahre Name dieser historisch gewordenen Gegend ist Sidi Feredje. Der allgemeine Sprachgebrauch nöthigt, die andere Bezeichnung zu wählen, die eine Verstümmlung der wahren ist.


Erpressungen von Seite des Siegers bedroht, war wenig geeignet, Vortheil aus dem so fruchtbaren Boden zu ziehen, der einst Italien mit Getreide und Oel versorgte. Der Gewerbfleiß, dem der Ackerbau keinen der Rohstoffe liefert, die das Land wohl hätte erzeugen können, und der außerdem noch von wenig geschickten Händen geübt wurde, dem die großen mechanischen Hülfsmittel abgingen, die der Geist der neuern Zeit in Europa so vervielfacht hat – der Gewerbfleiß begnügte sich, mit mehr Geduld als Talent, Kleider, Waffen und einige Geräthschaften zu verfertigen. Der Kleinhandel, der gemeinsam von den Mauren und Juden ausgeübt wurde, konnte nur gering Wichtigkeit erlangen. Der Großhandel hätte ohne Zweifel einen großen Aufschwung genommen durch die Producte, die man aus dem Innern herbeibringen konnte, wenn die häufigen Revolutionen, die geringe Sicherheit der Straßen nach dem Abgangspunkt und die Forderungen des Fiscus bei der Ankunft den Handel mit dem Innern nicht bedeutend reducirt hätten, da der Gewinn sehr unsicher gemacht wurde.

Das war der Zustand des Staats, als die Franzosen die Halbinsel Sidi Feruch*) betraten. Es ist klar, daß die Türken allein ein wirkliches Interesse bei der Vertheidigung hatten, da sie allein alle politischen Vortheile besaßen. Ein Gefühl der Eigenliebe, die Verpflichtungen zum heiligen Krieg und vor Allem der Reiz noch reicherer Beute als die, welche der Niederlage der Armee Karls V gefolgt war, konnte wohl für einen Augenblick die übrige Bevölkerung auf das Schlachtfeld führen; aber der geringste Unfall mußte sie wieder in ihre Heimath treiben, denn die Kabylen glaubten, in ihren unzugänglichen Bergen die Franzosen nicht mehr fürchten zu dürfen, als die Türken, und die Araber waren von den Osmanli so zu Boden gedrückt, daß sie eine härtere Behandlung von Seite der Neuangekommenen sich nicht denken konnten. Wirklich ließ die Niederlage von Stauëli fast die ganze unzählbare Masse von leichten Truppen, welche die französische Armee umschwärmten, verschwinden, und bei dem letzten Gefecht, das unter den Mauern von Algier stattfand, bei der Einnahme des Kaiserforts, hatten wir nur türkische Soldaten gegen uns.

Im ersten Augenblick der Besetzung wurden viele Fehler begangen, und das war nicht anders möglich. Die Juliusrevolution hatte unsere Regierung und den politischen Zustand Europa's geändert. Wer wußte damals, was aus Frankreich werden würde, was es aus Algerien machen könnte? Wer kannte überdieß das Land, das der Sieg in unsere Hände gegeben hatte? Hätte man in dieser Hinsicht nur den geringsten Begriff gehabt, man würde gewiß nicht damit angefangen haben, die Türken zu verbannen und sich zum Schützer der arabischen Bevölkerung aufzuwerfen. Das konnte vor dem Sieg als diplomatisches Mittel von Nutzen seyn; aber später, als die Rollen sichtbar vertauscht waren, mußte sich unser Betragen nach diesen Veränderungen modificiren. Denn nun waren die Türken die Besiegten: sie wurden von den Arabern in Maskara ermordet; sie in Tlemsen belagert; ihre Hülfstruppen wurden von allen Seiten angegriffen. Die Gelegenheit war schön, zu unserm Vortheil die Elemente der Herrschaft auszubeuten, welche die Gewalt der Umstände zu unserer Verfügung stellte; aber man kannte den wahren Stand der Frage nicht, und verjagte die Türken und verachtete die Anerbietungen ihrer Hülfstruppen. Dieser Fehler, oder vielmehr dieses Unglück führte nicht allein den Verlust der Mittel nach sich, fast das ganze Land leicht und auf eine indirecte Art zu beherrschen, es schnitt auch plötzlich den Faden aller gouvernementalen und administrativen Verbindungen ab; denn, wie wir es oben gesehen haben, besaßen die Türken alle Aemter. Man fand sich also einer Bevölkerung gegenüber, die man leiten sollte; man sollte der Verwaltung des Landes genügen, und hatte nicht die geringste Idee, was vor unserer Ankunft in dieser Hinsicht geschehen war; ja, die Sachen gingen so weit, daß, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, wenn ein Brunnen aufhörte zu laufen, man nicht wußte, wo man das Röhrenlager suchen sollte, welches das Wasser herführte, um den Schaden auszubessern, denn der Amir el Ayun (Brunnenmeister) war, wie alle übrigen türkischen Beamten, vertrieben worden.

Wenn wir hier die Ausweisung der Türken und die Nichtachtung der Anerbietungen von Seite der Hülfsmilizen beklagen, so wollen wir damit nicht sagen, Frankreich hätte die Regierung und Verwaltung der Osmanen als Muster annehmen sollen, wir glauben nur, man hätte das Militär- und Administrativ-Triebwerk provisorisch beibehalten sollen, bis man sich von dem bisherigen Zustand des Landes hinreichend unterrichtet und sich entschieden hätte, was wir thun wollten, um sie entbehren können. Mit einem solchen System hätten wir ein doppeltes Resultat gewonnen: das Land wäre durch sich selbst regiert worden und wir hätten Zeit gehabt zu überlegen, wie wir später das Land am besten verwalten möchten.

Die Gränzen, die diesem Umriß gesteckt sind, erlauben uns nicht, die Verwaltung der zahlreichen Gouverneurs, die in den neun Jahren auf einander gefolgt sind, im Detail zu prüfen. Doch kann man die verschiedenen Systeme, mit deren Ausführung sie beauftragt wurden, auf folgende Weise zusammenfassen: die unbeschränkte Besetzung, die eingeschränkte Besetzung, die Colonisirung, die rein militärische Besetzung, die Verschmelzung der Araber mit den Europäern, die Unterdrückung der Eingebornen, die unmittelbare Beherrschung, die indirecte Herrschaft etc.

Hätte man gleich im Anfang die Frage richtig gestellt, so hätte man das ewige Schwanken zwischen sich völlig entgegengesetzten Systemen vermieden. Konnte man mit derselben Schnelligkeit, wie unsere Armeen das Gebiet von Algier durchstreiften, das Land erobern, besetzen und es gleich productiv machen, d. h. eine neue Nation erschaffen? Das war augenscheinlich nicht möglich. Algier ist nicht die einzige Angelegenheit, die Frankreich beschäftigen soll, und alle unsere Soldaten, alle unsere Schätze könnten nicht in Afrika verwendet werden. Man mußte also stufenweise vorschreiten, und so die dreifache Frage, die in dem großen Problem enthalten ist, im Auge behalten: als Ziel, die Colonisation, denn das ist das einzige Mittel, das Land zu civilisiren und Producte zu schaffen, welche die Kosten der ersten Besitzergreifung decken und Einkünfte für die Zukunft vorbereiten mußten; als Mittel, aus dem Gesichtspunkt der Politik, die arabische Hülfsmiliz wieder organisiren, die Kabylen durch ihre Marabuts und Häuptlinge im Zaum halten, denen man leichter Pensionen geben als sie bekämpfen kann; in militärischer Hinsicht, einen Kern Colonialtruppen bilden, d. h. solche, die stets im Lande bleiben, um den Verlust an Menschen zu vermeiden, den das Klima jedem neuen Regimente in den ersten Monaten seiner Ankunft beifügt, und um Truppen zu haben, die an die Art Krieg zu führen, die im Lande gebräuchlich ist, gewöhnt und mit dem Lande hinreichend vertraut sind. Und da das Haupthinderniß, in unsern Kämpfen mit den Arabern entscheidende Erfolge zu erhalten, in der außerordentlichen Schnelligkeit ihrer Bewegungungen besteht, während wir stets Wagen und andere impedimenta

*) Der wahre Name dieser historisch gewordenen Gegend ist Sidi Feredje. Der allgemeine Sprachgebrauch nöthigt, die andere Bezeichnung zu wählen, die eine Verstümmlung der wahren ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jSupplement" n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div n="2">
              <div type="jArticle" n="3">
                <p><pb facs="#f0010" n="0251"/><lb/>
Erpressungen von Seite des Siegers bedroht, war wenig geeignet, Vortheil aus dem so fruchtbaren Boden zu ziehen, der einst Italien mit Getreide und Oel versorgte. Der Gewerbfleiß, dem der Ackerbau keinen der Rohstoffe liefert, die das Land wohl hätte erzeugen können, und der außerdem noch von wenig geschickten Händen geübt wurde, dem die großen mechanischen Hülfsmittel abgingen, die der Geist der neuern Zeit in Europa so vervielfacht hat &#x2013; der Gewerbfleiß begnügte sich, mit mehr Geduld als Talent, Kleider, Waffen und einige Geräthschaften zu verfertigen. Der Kleinhandel, der gemeinsam von den Mauren und Juden ausgeübt wurde, konnte nur gering Wichtigkeit erlangen. Der Großhandel hätte ohne Zweifel einen großen Aufschwung genommen durch die Producte, die man aus dem Innern herbeibringen konnte, wenn die häufigen Revolutionen, die geringe Sicherheit der Straßen nach dem Abgangspunkt und die Forderungen des Fiscus bei der Ankunft den Handel mit dem Innern nicht bedeutend reducirt hätten, da der Gewinn sehr unsicher gemacht wurde.</p><lb/>
                <p>Das war der Zustand des Staats, als die Franzosen die Halbinsel Sidi Feruch<note place="foot" n="*)">Der wahre Name dieser historisch gewordenen Gegend ist <hi rendition="#g">Sidi Feredje</hi>. Der allgemeine Sprachgebrauch nöthigt, die andere Bezeichnung zu wählen, die eine Verstümmlung der wahren ist.</note> betraten. Es ist klar, daß die Türken allein ein wirkliches Interesse bei der Vertheidigung hatten, da sie allein alle politischen Vortheile besaßen. Ein Gefühl der Eigenliebe, die Verpflichtungen zum heiligen Krieg und vor Allem der Reiz noch reicherer Beute als die, welche der Niederlage der Armee Karls V gefolgt war, konnte wohl für einen Augenblick die übrige Bevölkerung auf das Schlachtfeld führen; aber der geringste Unfall mußte sie wieder in ihre Heimath treiben, denn die Kabylen glaubten, in ihren unzugänglichen Bergen die Franzosen nicht mehr fürchten zu dürfen, als die Türken, und die Araber waren von den Osmanli so zu Boden gedrückt, daß sie eine härtere Behandlung von Seite der Neuangekommenen sich nicht denken konnten. Wirklich ließ die Niederlage von Stauëli fast die ganze unzählbare Masse von leichten Truppen, welche die französische Armee umschwärmten, verschwinden, und bei dem letzten Gefecht, das unter den Mauern von Algier stattfand, bei der Einnahme des Kaiserforts, hatten wir nur türkische Soldaten gegen uns.</p><lb/>
                <p>Im ersten Augenblick der Besetzung wurden viele Fehler begangen, und das war nicht anders möglich. Die Juliusrevolution hatte unsere Regierung und den politischen Zustand Europa's geändert. Wer wußte damals, was aus Frankreich werden würde, was es aus Algerien machen könnte? Wer kannte überdieß das Land, das der Sieg in unsere Hände gegeben hatte? Hätte man in dieser Hinsicht nur den geringsten Begriff gehabt, man würde gewiß nicht damit angefangen haben, die Türken zu verbannen und sich zum Schützer der arabischen Bevölkerung aufzuwerfen. Das konnte vor dem Sieg als diplomatisches Mittel von Nutzen seyn; aber später, als die Rollen sichtbar vertauscht waren, mußte sich unser Betragen nach diesen Veränderungen modificiren. Denn nun waren die Türken die Besiegten: <hi rendition="#g">sie</hi> wurden von den Arabern in Maskara ermordet; <hi rendition="#g">sie</hi> in Tlemsen belagert; <hi rendition="#g">ihre</hi> Hülfstruppen wurden von allen Seiten angegriffen. Die Gelegenheit war schön, zu unserm Vortheil die Elemente der Herrschaft auszubeuten, welche die Gewalt der Umstände zu unserer Verfügung stellte; aber man kannte den wahren Stand der Frage nicht, und verjagte die Türken und verachtete die Anerbietungen ihrer Hülfstruppen. Dieser Fehler, oder vielmehr dieses Unglück führte nicht allein den Verlust der Mittel nach sich, fast das ganze Land leicht und auf eine indirecte Art zu beherrschen, es schnitt auch plötzlich den Faden aller gouvernementalen und administrativen Verbindungen ab; denn, wie wir es oben gesehen haben, besaßen die Türken alle Aemter. Man fand sich also einer Bevölkerung gegenüber, die man leiten sollte; man sollte der Verwaltung des Landes genügen, und hatte nicht die geringste Idee, was vor unserer Ankunft in dieser Hinsicht geschehen war; ja, die Sachen gingen so weit, daß, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, wenn ein Brunnen aufhörte zu laufen, man nicht wußte, wo man das Röhrenlager suchen sollte, welches das Wasser herführte, um den Schaden auszubessern, denn der <hi rendition="#g">Amir el Ayun</hi> (Brunnenmeister) war, wie alle übrigen türkischen Beamten, vertrieben worden.</p><lb/>
                <p>Wenn wir hier die Ausweisung der Türken und die Nichtachtung der Anerbietungen von Seite der Hülfsmilizen beklagen, so wollen wir damit nicht sagen, Frankreich hätte die Regierung und Verwaltung der Osmanen als Muster annehmen sollen, wir glauben nur, man hätte das Militär- und Administrativ-Triebwerk provisorisch beibehalten sollen, bis man sich von dem bisherigen Zustand des Landes hinreichend unterrichtet und sich entschieden hätte, was wir thun wollten, um sie entbehren können. Mit einem solchen System hätten wir ein doppeltes Resultat gewonnen: das Land wäre durch sich selbst regiert worden und wir hätten Zeit gehabt zu überlegen, wie wir später das Land am besten verwalten möchten.</p><lb/>
                <p>Die Gränzen, die diesem Umriß gesteckt sind, erlauben uns nicht, die Verwaltung der zahlreichen Gouverneurs, die in den neun Jahren auf einander gefolgt sind, im Detail zu prüfen. Doch kann man die verschiedenen Systeme, mit deren Ausführung sie beauftragt wurden, auf folgende Weise zusammenfassen: die unbeschränkte Besetzung, die eingeschränkte Besetzung, die Colonisirung, die rein militärische Besetzung, die Verschmelzung der Araber mit den Europäern, die Unterdrückung der Eingebornen, die unmittelbare Beherrschung, die indirecte Herrschaft etc.</p><lb/>
                <p>Hätte man gleich im Anfang die Frage richtig gestellt, so hätte man das ewige Schwanken zwischen sich völlig entgegengesetzten Systemen vermieden. Konnte man mit derselben Schnelligkeit, wie unsere Armeen das Gebiet von Algier durchstreiften, das Land erobern, besetzen und es gleich productiv machen, d. h. eine neue Nation erschaffen? Das war augenscheinlich nicht möglich. Algier ist nicht die einzige Angelegenheit, die Frankreich beschäftigen soll, und alle unsere Soldaten, alle unsere Schätze könnten nicht in Afrika verwendet werden. Man mußte also stufenweise vorschreiten, und so die dreifache Frage, die in dem großen Problem enthalten ist, im Auge behalten: als Ziel, die Colonisation, denn das ist das einzige Mittel, das Land zu civilisiren und Producte zu schaffen, welche die Kosten der ersten Besitzergreifung decken und Einkünfte für die Zukunft vorbereiten mußten; als Mittel, aus dem Gesichtspunkt der Politik, die arabische Hülfsmiliz wieder organisiren, die Kabylen durch ihre Marabuts und Häuptlinge im Zaum halten, denen man leichter Pensionen geben als sie bekämpfen kann; in militärischer Hinsicht, einen Kern Colonialtruppen bilden, d. h. solche, die stets im Lande bleiben, um den Verlust an Menschen zu vermeiden, den das Klima jedem neuen Regimente in den ersten Monaten seiner Ankunft beifügt, und um Truppen zu haben, die an die Art Krieg zu führen, die im Lande gebräuchlich ist, gewöhnt und mit dem Lande hinreichend vertraut sind. Und da das Haupthinderniß, in unsern Kämpfen mit den Arabern entscheidende Erfolge zu erhalten, in der außerordentlichen Schnelligkeit ihrer Bewegungungen besteht, während wir stets Wagen und andere impedimenta<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251/0010] Erpressungen von Seite des Siegers bedroht, war wenig geeignet, Vortheil aus dem so fruchtbaren Boden zu ziehen, der einst Italien mit Getreide und Oel versorgte. Der Gewerbfleiß, dem der Ackerbau keinen der Rohstoffe liefert, die das Land wohl hätte erzeugen können, und der außerdem noch von wenig geschickten Händen geübt wurde, dem die großen mechanischen Hülfsmittel abgingen, die der Geist der neuern Zeit in Europa so vervielfacht hat – der Gewerbfleiß begnügte sich, mit mehr Geduld als Talent, Kleider, Waffen und einige Geräthschaften zu verfertigen. Der Kleinhandel, der gemeinsam von den Mauren und Juden ausgeübt wurde, konnte nur gering Wichtigkeit erlangen. Der Großhandel hätte ohne Zweifel einen großen Aufschwung genommen durch die Producte, die man aus dem Innern herbeibringen konnte, wenn die häufigen Revolutionen, die geringe Sicherheit der Straßen nach dem Abgangspunkt und die Forderungen des Fiscus bei der Ankunft den Handel mit dem Innern nicht bedeutend reducirt hätten, da der Gewinn sehr unsicher gemacht wurde. Das war der Zustand des Staats, als die Franzosen die Halbinsel Sidi Feruch *) betraten. Es ist klar, daß die Türken allein ein wirkliches Interesse bei der Vertheidigung hatten, da sie allein alle politischen Vortheile besaßen. Ein Gefühl der Eigenliebe, die Verpflichtungen zum heiligen Krieg und vor Allem der Reiz noch reicherer Beute als die, welche der Niederlage der Armee Karls V gefolgt war, konnte wohl für einen Augenblick die übrige Bevölkerung auf das Schlachtfeld führen; aber der geringste Unfall mußte sie wieder in ihre Heimath treiben, denn die Kabylen glaubten, in ihren unzugänglichen Bergen die Franzosen nicht mehr fürchten zu dürfen, als die Türken, und die Araber waren von den Osmanli so zu Boden gedrückt, daß sie eine härtere Behandlung von Seite der Neuangekommenen sich nicht denken konnten. Wirklich ließ die Niederlage von Stauëli fast die ganze unzählbare Masse von leichten Truppen, welche die französische Armee umschwärmten, verschwinden, und bei dem letzten Gefecht, das unter den Mauern von Algier stattfand, bei der Einnahme des Kaiserforts, hatten wir nur türkische Soldaten gegen uns. Im ersten Augenblick der Besetzung wurden viele Fehler begangen, und das war nicht anders möglich. Die Juliusrevolution hatte unsere Regierung und den politischen Zustand Europa's geändert. Wer wußte damals, was aus Frankreich werden würde, was es aus Algerien machen könnte? Wer kannte überdieß das Land, das der Sieg in unsere Hände gegeben hatte? Hätte man in dieser Hinsicht nur den geringsten Begriff gehabt, man würde gewiß nicht damit angefangen haben, die Türken zu verbannen und sich zum Schützer der arabischen Bevölkerung aufzuwerfen. Das konnte vor dem Sieg als diplomatisches Mittel von Nutzen seyn; aber später, als die Rollen sichtbar vertauscht waren, mußte sich unser Betragen nach diesen Veränderungen modificiren. Denn nun waren die Türken die Besiegten: sie wurden von den Arabern in Maskara ermordet; sie in Tlemsen belagert; ihre Hülfstruppen wurden von allen Seiten angegriffen. Die Gelegenheit war schön, zu unserm Vortheil die Elemente der Herrschaft auszubeuten, welche die Gewalt der Umstände zu unserer Verfügung stellte; aber man kannte den wahren Stand der Frage nicht, und verjagte die Türken und verachtete die Anerbietungen ihrer Hülfstruppen. Dieser Fehler, oder vielmehr dieses Unglück führte nicht allein den Verlust der Mittel nach sich, fast das ganze Land leicht und auf eine indirecte Art zu beherrschen, es schnitt auch plötzlich den Faden aller gouvernementalen und administrativen Verbindungen ab; denn, wie wir es oben gesehen haben, besaßen die Türken alle Aemter. Man fand sich also einer Bevölkerung gegenüber, die man leiten sollte; man sollte der Verwaltung des Landes genügen, und hatte nicht die geringste Idee, was vor unserer Ankunft in dieser Hinsicht geschehen war; ja, die Sachen gingen so weit, daß, um nur ein einziges Beispiel anzuführen, wenn ein Brunnen aufhörte zu laufen, man nicht wußte, wo man das Röhrenlager suchen sollte, welches das Wasser herführte, um den Schaden auszubessern, denn der Amir el Ayun (Brunnenmeister) war, wie alle übrigen türkischen Beamten, vertrieben worden. Wenn wir hier die Ausweisung der Türken und die Nichtachtung der Anerbietungen von Seite der Hülfsmilizen beklagen, so wollen wir damit nicht sagen, Frankreich hätte die Regierung und Verwaltung der Osmanen als Muster annehmen sollen, wir glauben nur, man hätte das Militär- und Administrativ-Triebwerk provisorisch beibehalten sollen, bis man sich von dem bisherigen Zustand des Landes hinreichend unterrichtet und sich entschieden hätte, was wir thun wollten, um sie entbehren können. Mit einem solchen System hätten wir ein doppeltes Resultat gewonnen: das Land wäre durch sich selbst regiert worden und wir hätten Zeit gehabt zu überlegen, wie wir später das Land am besten verwalten möchten. Die Gränzen, die diesem Umriß gesteckt sind, erlauben uns nicht, die Verwaltung der zahlreichen Gouverneurs, die in den neun Jahren auf einander gefolgt sind, im Detail zu prüfen. Doch kann man die verschiedenen Systeme, mit deren Ausführung sie beauftragt wurden, auf folgende Weise zusammenfassen: die unbeschränkte Besetzung, die eingeschränkte Besetzung, die Colonisirung, die rein militärische Besetzung, die Verschmelzung der Araber mit den Europäern, die Unterdrückung der Eingebornen, die unmittelbare Beherrschung, die indirecte Herrschaft etc. Hätte man gleich im Anfang die Frage richtig gestellt, so hätte man das ewige Schwanken zwischen sich völlig entgegengesetzten Systemen vermieden. Konnte man mit derselben Schnelligkeit, wie unsere Armeen das Gebiet von Algier durchstreiften, das Land erobern, besetzen und es gleich productiv machen, d. h. eine neue Nation erschaffen? Das war augenscheinlich nicht möglich. Algier ist nicht die einzige Angelegenheit, die Frankreich beschäftigen soll, und alle unsere Soldaten, alle unsere Schätze könnten nicht in Afrika verwendet werden. Man mußte also stufenweise vorschreiten, und so die dreifache Frage, die in dem großen Problem enthalten ist, im Auge behalten: als Ziel, die Colonisation, denn das ist das einzige Mittel, das Land zu civilisiren und Producte zu schaffen, welche die Kosten der ersten Besitzergreifung decken und Einkünfte für die Zukunft vorbereiten mußten; als Mittel, aus dem Gesichtspunkt der Politik, die arabische Hülfsmiliz wieder organisiren, die Kabylen durch ihre Marabuts und Häuptlinge im Zaum halten, denen man leichter Pensionen geben als sie bekämpfen kann; in militärischer Hinsicht, einen Kern Colonialtruppen bilden, d. h. solche, die stets im Lande bleiben, um den Verlust an Menschen zu vermeiden, den das Klima jedem neuen Regimente in den ersten Monaten seiner Ankunft beifügt, und um Truppen zu haben, die an die Art Krieg zu führen, die im Lande gebräuchlich ist, gewöhnt und mit dem Lande hinreichend vertraut sind. Und da das Haupthinderniß, in unsern Kämpfen mit den Arabern entscheidende Erfolge zu erhalten, in der außerordentlichen Schnelligkeit ihrer Bewegungungen besteht, während wir stets Wagen und andere impedimenta *) Der wahre Name dieser historisch gewordenen Gegend ist Sidi Feredje. Der allgemeine Sprachgebrauch nöthigt, die andere Bezeichnung zu wählen, die eine Verstümmlung der wahren ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840, S. 0251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201/10>, abgerufen am 29.04.2024.