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Allgemeine Zeitung. Nr. 46. Augsburg, 15. Februar 1840.

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Englisch-französische Polemik über die orientalische Frage.

Es wird reichlich dafür gesorgt, daß wir über die orientalische Frage fortwährend im Laufe oder mit ihrem Laufe bekannt bleiben, und Ihre Zeitung trägt dazu nach Kräften bei, nicht nur durch das, was wir Andern, Ihre Publicisten im Schatten, die umbratici homines, aus unsern Studirstuben zu Haufen bringen, und was füglich nichts bedeuten mag, weil es so spurlos in alle Winde getragen wird, sondern auch durch Ihre auswärtigen Correspondenten, vorzüglich diejenigen, deren Feuer sich von der Seine und der Themse her in Augsburg kreuzt, und durch die Uebersetzungen aus französischen und englischen Blätter, welche Sie liefern. Da gilt es denn für uns Andere die Geduld, oder vielmehr den Faden nicht zu verlieren, und dafür zu sorgen, daß Ihre Leser ihn im Auge behalten, denen die Sache nicht so unmittelbar nahe liegt, und die gleichwohl durch den unaufhaltsamen Herandrang der Katastrophe wie durch den ehernen Tritt der Eumeniden plötzlich aus ihrer Behaglichkeit können geweckt werden. Wünschen wir uns übrigens zum Schlusse dieses Prologus Glück, daß durch die Häufigkeit und Bedeutsamkeit, zum Theil vielleicht nur scheinbare Indiscretion der Mittheilungen, besonders Ihrer beiden Correspondenten und aus London und Paris die Frage aus dem Verschluß der Bureaux und Foreign offices so zu sagen auf den Markt vor die europäischen Beobachter gezogen wird, denn diese versammeln sich um ihre Tribunen der Publicität trotz den Achäern vor den Zelten des Agamemnon, um die Reden und Rathschläge der Könige und der königlichen Männer zu hören, und bleibt ihnen auch nicht viel zu rathen übrig, so werden sie doch am Ende aufgefordert, sich zu waffnen und auf die Trojaner loszuschlagen, kampflustig, wenn es seyn kann, wo nicht durch einige andere argumenta ad hominem bestimmt, die jeder im zweiten Buche der Iliade an gehöriger Stelle selbst nachlesen kann.

Das Bedeutsamste unter dem Neuesten über die genannte Materie scheint mir der Artikel des Morning Chronicle über die Nothwendigkeit, welche England dazu drängt, den Vicekönig zu beschränken und aus Syrien auszuweisen. Ich habe um so mehr Grund, ihn voranzustellen, weil ich sehe, daß dem englischen ministeriellen Publicisten die Sache sich unter demselben Gesichtspunkte zeigt, den ich in einem frühern Artikel hervorgehoben habe. Er berührt zwar nicht Alles, was sich mir als der Beachtung würdig darbot, doch hat er Ein Motiv gegen den Status quo, den Frankreich schirmt, das ich nicht geltend gemacht, und das mehr wiegt, als alles seitdem über die Sache Gesagte. Es ist aus den Folgen abgeleitet, die sich unmittelbar einstellen würden, wenn man sich der französischen Ansicht fügen, das heißt durch Belassung des Vicekönigs in seinen gegenwärtigen Besitzungen den Status quo des orientalischen Ungemachs durch europäische Anordnung feststellen würde. Die Spannung aller Verhältnisse bliebe, weil die Gefahr bliebe; die Nothwendigkeit bestünde, fortdauernd gerüstet zu seyn, ja die Rüstungen zu vermehren, weil der Andere die seinigen vermehren würde, um bei der Unvermeidlichkeit neuer Verwickelungen und der Unaufhaltbarkeit der Ereignisse Interessen zu schirmen, deren Wichtigkeit in dem Maaße steigt, je näher man sie in das Auge faßt. Das Alles ist sehr wahr, ist aus der Lage der Dinge aufgegriffen. Man würde im feindseligen Frieden die Lasten eines verderblichen Krieges tragen. Zu dem enormen Militäretat der europäischen Staaten, die ihnen der continentale Status quo auflegt, käme noch ein gleich drückender See-Etat hinzu, und wäre man auch zu einer äußern Vereinbarung gekommen, hinter den socialen Protestationen bliebe immer die Ueberzeugung in den Gemüthern, daß mit allen Anstrengungen man nur einen Aufschub des Ungemachs erkauft habe und dieses später in noch ärgerer Gestalt ausbrechen würde. Es ist ein Zustand der Spannung, Erregung, Verdüsterung in der politischen Atmosphäre, der sich allein in Blitz und Donner über das Haupt des Pascha entladen kann, im Fall er sich nicht dem Ausbruch des Gewitters zu entziehen sucht.

Nun ist aber seltsam, wie dieser wahren und staatsmännlichen Ansicht, dieser mit jedem Tage steigenden Unerträglichkeit des Status quo im Orient und der Nothwendigkeit ihn zu brechen und zu heilen, in den französischen Blätter begegnet wird. Ich rede nicht vom National - der singt sein altes Lied gegen die englisch-französische Allianz, denn er weiß wohl, daß, so lange sie besteht, er seines Wunsches nach einem europäischen Krieg und nach dem Sieg der Republik über den Trümmern der allgemeinen Wohlfahrt nicht theilhaftig werden kann; eben so wenig von der Gazette de France, die aus gleichen Gründen sich in gleicher Richtung bewegt, nur daß sie der Republik eine neue Restauration unterzuschieben denkt. Aber die Debats? aber der Courrier? Sie beide, unstreitig die besten französischen Blätter - das Journal des Debats wegen besonnener, wenn auch nicht überall unabhängiger Erörterung wichtiger Probleme der Gesetzgebung und Verwaltung in der europäischen Politik, und der Courrier, der seit lange nicht selten durch eine ebenso mäßige als tiefeindringende Discussion der öffentlichen Interessen den Debats vorangeht - auch diese beiden, dieses par nobile fratrum Et cautare pares et decertare parati, sind gerade auf diesem entscheidungsvollen Punkt in gleicher Befangenheit und Verblendung. Die Debats haften allein an den etwas rauhen Formen der anglicanischen Debatte, und lassen ganz außer Acht, was denn dahinter eigentlich verborgen ist. Und der Courrier? Lesen Sie selbst seinen Artikel Nr. 34 vom 3 Februar. Er umschifft, wie die Debats, die Klippe, die wir bezeichnet, oder vielmehr, er sieht sie gar nicht, und statt der wahren Sachlage, die sich dem englischen Cabinet richtig darstellt, statt der Nothwendigkeit, durch Beschränkung des Vicekönigs die leidenden Interessen des Orients und Occidents zu schützen und durch die Sicherstellung der Pforte die Ruhe von Europa sicher zu stellen, was sieht er, was gibt er wenigstens vor zu sehen? Immer nichts als das alte Phantom, das an den Ufern der Seine bleich und gespenstig als englische Politik umherschweift: die Absicht Englands auf Aegypten und Syrien, und in Folge davon einen Vertrag von England und Rußland zur Theilung der Türkei, wobei den Russen Konstantinopel und Kleinasien zufallen würde. Ist man mit dieser starren Beschränktheit und Hartnäckigkeit gegenüber der vollkommen klaren und bestimmt ausgesprochenen Lage der Großmächte von Europa, die ein solches Project geradezu als absurd erscheinen läßt, einmal entschlossen, das Offene für verschlossen zu halten, und das Helle für Nacht, um sich ein abgenutztes und mattgespieltes journalistisches Thema nicht von dem täglichen polemischen Orchester unter der Hand wegziehen zu lassen, so muß man freilich auf die

Englisch-französische Polemik über die orientalische Frage.

Es wird reichlich dafür gesorgt, daß wir über die orientalische Frage fortwährend im Laufe oder mit ihrem Laufe bekannt bleiben, und Ihre Zeitung trägt dazu nach Kräften bei, nicht nur durch das, was wir Andern, Ihre Publicisten im Schatten, die umbratici homines, aus unsern Studirstuben zu Haufen bringen, und was füglich nichts bedeuten mag, weil es so spurlos in alle Winde getragen wird, sondern auch durch Ihre auswärtigen Correspondenten, vorzüglich diejenigen, deren Feuer sich von der Seine und der Themse her in Augsburg kreuzt, und durch die Uebersetzungen aus französischen und englischen Blätter, welche Sie liefern. Da gilt es denn für uns Andere die Geduld, oder vielmehr den Faden nicht zu verlieren, und dafür zu sorgen, daß Ihre Leser ihn im Auge behalten, denen die Sache nicht so unmittelbar nahe liegt, und die gleichwohl durch den unaufhaltsamen Herandrang der Katastrophe wie durch den ehernen Tritt der Eumeniden plötzlich aus ihrer Behaglichkeit können geweckt werden. Wünschen wir uns übrigens zum Schlusse dieses Prologus Glück, daß durch die Häufigkeit und Bedeutsamkeit, zum Theil vielleicht nur scheinbare Indiscretion der Mittheilungen, besonders Ihrer beiden Correspondenten ♂ und ✠ aus London und Paris die Frage aus dem Verschluß der Bureaux und Foreign offices so zu sagen auf den Markt vor die europäischen Beobachter gezogen wird, denn diese versammeln sich um ihre Tribunen der Publicität trotz den Achäern vor den Zelten des Agamemnon, um die Reden und Rathschläge der Könige und der königlichen Männer zu hören, und bleibt ihnen auch nicht viel zu rathen übrig, so werden sie doch am Ende aufgefordert, sich zu waffnen und auf die Trojaner loszuschlagen, kampflustig, wenn es seyn kann, wo nicht durch einige andere argumenta ad hominem bestimmt, die jeder im zweiten Buche der Iliade an gehöriger Stelle selbst nachlesen kann.

Das Bedeutsamste unter dem Neuesten über die genannte Materie scheint mir der Artikel des Morning Chronicle über die Nothwendigkeit, welche England dazu drängt, den Vicekönig zu beschränken und aus Syrien auszuweisen. Ich habe um so mehr Grund, ihn voranzustellen, weil ich sehe, daß dem englischen ministeriellen Publicisten die Sache sich unter demselben Gesichtspunkte zeigt, den ich in einem frühern Artikel hervorgehoben habe. Er berührt zwar nicht Alles, was sich mir als der Beachtung würdig darbot, doch hat er Ein Motiv gegen den Status quo, den Frankreich schirmt, das ich nicht geltend gemacht, und das mehr wiegt, als alles seitdem über die Sache Gesagte. Es ist aus den Folgen abgeleitet, die sich unmittelbar einstellen würden, wenn man sich der französischen Ansicht fügen, das heißt durch Belassung des Vicekönigs in seinen gegenwärtigen Besitzungen den Status quo des orientalischen Ungemachs durch europäische Anordnung feststellen würde. Die Spannung aller Verhältnisse bliebe, weil die Gefahr bliebe; die Nothwendigkeit bestünde, fortdauernd gerüstet zu seyn, ja die Rüstungen zu vermehren, weil der Andere die seinigen vermehren würde, um bei der Unvermeidlichkeit neuer Verwickelungen und der Unaufhaltbarkeit der Ereignisse Interessen zu schirmen, deren Wichtigkeit in dem Maaße steigt, je näher man sie in das Auge faßt. Das Alles ist sehr wahr, ist aus der Lage der Dinge aufgegriffen. Man würde im feindseligen Frieden die Lasten eines verderblichen Krieges tragen. Zu dem enormen Militäretat der europäischen Staaten, die ihnen der continentale Status quo auflegt, käme noch ein gleich drückender See-Etat hinzu, und wäre man auch zu einer äußern Vereinbarung gekommen, hinter den socialen Protestationen bliebe immer die Ueberzeugung in den Gemüthern, daß mit allen Anstrengungen man nur einen Aufschub des Ungemachs erkauft habe und dieses später in noch ärgerer Gestalt ausbrechen würde. Es ist ein Zustand der Spannung, Erregung, Verdüsterung in der politischen Atmosphäre, der sich allein in Blitz und Donner über das Haupt des Pascha entladen kann, im Fall er sich nicht dem Ausbruch des Gewitters zu entziehen sucht.

Nun ist aber seltsam, wie dieser wahren und staatsmännlichen Ansicht, dieser mit jedem Tage steigenden Unerträglichkeit des Status quo im Orient und der Nothwendigkeit ihn zu brechen und zu heilen, in den französischen Blätter begegnet wird. Ich rede nicht vom National – der singt sein altes Lied gegen die englisch-französische Allianz, denn er weiß wohl, daß, so lange sie besteht, er seines Wunsches nach einem europäischen Krieg und nach dem Sieg der Republik über den Trümmern der allgemeinen Wohlfahrt nicht theilhaftig werden kann; eben so wenig von der Gazette de France, die aus gleichen Gründen sich in gleicher Richtung bewegt, nur daß sie der Republik eine neue Restauration unterzuschieben denkt. Aber die Débats? aber der Courrier? Sie beide, unstreitig die besten französischen Blätter – das Journal des Débats wegen besonnener, wenn auch nicht überall unabhängiger Erörterung wichtiger Probleme der Gesetzgebung und Verwaltung in der europäischen Politik, und der Courrier, der seit lange nicht selten durch eine ebenso mäßige als tiefeindringende Discussion der öffentlichen Interessen den Débats vorangeht – auch diese beiden, dieses par nobile fratrum Et cautare pares et decertare parati, sind gerade auf diesem entscheidungsvollen Punkt in gleicher Befangenheit und Verblendung. Die Débats haften allein an den etwas rauhen Formen der anglicanischen Debatte, und lassen ganz außer Acht, was denn dahinter eigentlich verborgen ist. Und der Courrier? Lesen Sie selbst seinen Artikel Nr. 34 vom 3 Februar. Er umschifft, wie die Débats, die Klippe, die wir bezeichnet, oder vielmehr, er sieht sie gar nicht, und statt der wahren Sachlage, die sich dem englischen Cabinet richtig darstellt, statt der Nothwendigkeit, durch Beschränkung des Vicekönigs die leidenden Interessen des Orients und Occidents zu schützen und durch die Sicherstellung der Pforte die Ruhe von Europa sicher zu stellen, was sieht er, was gibt er wenigstens vor zu sehen? Immer nichts als das alte Phantom, das an den Ufern der Seine bleich und gespenstig als englische Politik umherschweift: die Absicht Englands auf Aegypten und Syrien, und in Folge davon einen Vertrag von England und Rußland zur Theilung der Türkei, wobei den Russen Konstantinopel und Kleinasien zufallen würde. Ist man mit dieser starren Beschränktheit und Hartnäckigkeit gegenüber der vollkommen klaren und bestimmt ausgesprochenen Lage der Großmächte von Europa, die ein solches Project geradezu als absurd erscheinen läßt, einmal entschlossen, das Offene für verschlossen zu halten, und das Helle für Nacht, um sich ein abgenutztes und mattgespieltes journalistisches Thema nicht von dem täglichen polemischen Orchester unter der Hand wegziehen zu lassen, so muß man freilich auf die

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[0361/0009] Englisch-französische Polemik über die orientalische Frage. _ Von der Isar, 11 Februar. Es wird reichlich dafür gesorgt, daß wir über die orientalische Frage fortwährend im Laufe oder mit ihrem Laufe bekannt bleiben, und Ihre Zeitung trägt dazu nach Kräften bei, nicht nur durch das, was wir Andern, Ihre Publicisten im Schatten, die umbratici homines, aus unsern Studirstuben zu Haufen bringen, und was füglich nichts bedeuten mag, weil es so spurlos in alle Winde getragen wird, sondern auch durch Ihre auswärtigen Correspondenten, vorzüglich diejenigen, deren Feuer sich von der Seine und der Themse her in Augsburg kreuzt, und durch die Uebersetzungen aus französischen und englischen Blätter, welche Sie liefern. Da gilt es denn für uns Andere die Geduld, oder vielmehr den Faden nicht zu verlieren, und dafür zu sorgen, daß Ihre Leser ihn im Auge behalten, denen die Sache nicht so unmittelbar nahe liegt, und die gleichwohl durch den unaufhaltsamen Herandrang der Katastrophe wie durch den ehernen Tritt der Eumeniden plötzlich aus ihrer Behaglichkeit können geweckt werden. Wünschen wir uns übrigens zum Schlusse dieses Prologus Glück, daß durch die Häufigkeit und Bedeutsamkeit, zum Theil vielleicht nur scheinbare Indiscretion der Mittheilungen, besonders Ihrer beiden Correspondenten ♂ und ✠ aus London und Paris die Frage aus dem Verschluß der Bureaux und Foreign offices so zu sagen auf den Markt vor die europäischen Beobachter gezogen wird, denn diese versammeln sich um ihre Tribunen der Publicität trotz den Achäern vor den Zelten des Agamemnon, um die Reden und Rathschläge der Könige und der königlichen Männer zu hören, und bleibt ihnen auch nicht viel zu rathen übrig, so werden sie doch am Ende aufgefordert, sich zu waffnen und auf die Trojaner loszuschlagen, kampflustig, wenn es seyn kann, wo nicht durch einige andere argumenta ad hominem bestimmt, die jeder im zweiten Buche der Iliade an gehöriger Stelle selbst nachlesen kann. Das Bedeutsamste unter dem Neuesten über die genannte Materie scheint mir der Artikel des Morning Chronicle über die Nothwendigkeit, welche England dazu drängt, den Vicekönig zu beschränken und aus Syrien auszuweisen. Ich habe um so mehr Grund, ihn voranzustellen, weil ich sehe, daß dem englischen ministeriellen Publicisten die Sache sich unter demselben Gesichtspunkte zeigt, den ich in einem frühern Artikel hervorgehoben habe. Er berührt zwar nicht Alles, was sich mir als der Beachtung würdig darbot, doch hat er Ein Motiv gegen den Status quo, den Frankreich schirmt, das ich nicht geltend gemacht, und das mehr wiegt, als alles seitdem über die Sache Gesagte. Es ist aus den Folgen abgeleitet, die sich unmittelbar einstellen würden, wenn man sich der französischen Ansicht fügen, das heißt durch Belassung des Vicekönigs in seinen gegenwärtigen Besitzungen den Status quo des orientalischen Ungemachs durch europäische Anordnung feststellen würde. Die Spannung aller Verhältnisse bliebe, weil die Gefahr bliebe; die Nothwendigkeit bestünde, fortdauernd gerüstet zu seyn, ja die Rüstungen zu vermehren, weil der Andere die seinigen vermehren würde, um bei der Unvermeidlichkeit neuer Verwickelungen und der Unaufhaltbarkeit der Ereignisse Interessen zu schirmen, deren Wichtigkeit in dem Maaße steigt, je näher man sie in das Auge faßt. Das Alles ist sehr wahr, ist aus der Lage der Dinge aufgegriffen. Man würde im feindseligen Frieden die Lasten eines verderblichen Krieges tragen. Zu dem enormen Militäretat der europäischen Staaten, die ihnen der continentale Status quo auflegt, käme noch ein gleich drückender See-Etat hinzu, und wäre man auch zu einer äußern Vereinbarung gekommen, hinter den socialen Protestationen bliebe immer die Ueberzeugung in den Gemüthern, daß mit allen Anstrengungen man nur einen Aufschub des Ungemachs erkauft habe und dieses später in noch ärgerer Gestalt ausbrechen würde. Es ist ein Zustand der Spannung, Erregung, Verdüsterung in der politischen Atmosphäre, der sich allein in Blitz und Donner über das Haupt des Pascha entladen kann, im Fall er sich nicht dem Ausbruch des Gewitters zu entziehen sucht. Nun ist aber seltsam, wie dieser wahren und staatsmännlichen Ansicht, dieser mit jedem Tage steigenden Unerträglichkeit des Status quo im Orient und der Nothwendigkeit ihn zu brechen und zu heilen, in den französischen Blätter begegnet wird. Ich rede nicht vom National – der singt sein altes Lied gegen die englisch-französische Allianz, denn er weiß wohl, daß, so lange sie besteht, er seines Wunsches nach einem europäischen Krieg und nach dem Sieg der Republik über den Trümmern der allgemeinen Wohlfahrt nicht theilhaftig werden kann; eben so wenig von der Gazette de France, die aus gleichen Gründen sich in gleicher Richtung bewegt, nur daß sie der Republik eine neue Restauration unterzuschieben denkt. Aber die Débats? aber der Courrier? Sie beide, unstreitig die besten französischen Blätter – das Journal des Débats wegen besonnener, wenn auch nicht überall unabhängiger Erörterung wichtiger Probleme der Gesetzgebung und Verwaltung in der europäischen Politik, und der Courrier, der seit lange nicht selten durch eine ebenso mäßige als tiefeindringende Discussion der öffentlichen Interessen den Débats vorangeht – auch diese beiden, dieses par nobile fratrum Et cautare pares et decertare parati, sind gerade auf diesem entscheidungsvollen Punkt in gleicher Befangenheit und Verblendung. Die Débats haften allein an den etwas rauhen Formen der anglicanischen Debatte, und lassen ganz außer Acht, was denn dahinter eigentlich verborgen ist. Und der Courrier? Lesen Sie selbst seinen Artikel Nr. 34 vom 3 Februar. Er umschifft, wie die Débats, die Klippe, die wir bezeichnet, oder vielmehr, er sieht sie gar nicht, und statt der wahren Sachlage, die sich dem englischen Cabinet richtig darstellt, statt der Nothwendigkeit, durch Beschränkung des Vicekönigs die leidenden Interessen des Orients und Occidents zu schützen und durch die Sicherstellung der Pforte die Ruhe von Europa sicher zu stellen, was sieht er, was gibt er wenigstens vor zu sehen? Immer nichts als das alte Phantom, das an den Ufern der Seine bleich und gespenstig als englische Politik umherschweift: die Absicht Englands auf Aegypten und Syrien, und in Folge davon einen Vertrag von England und Rußland zur Theilung der Türkei, wobei den Russen Konstantinopel und Kleinasien zufallen würde. Ist man mit dieser starren Beschränktheit und Hartnäckigkeit gegenüber der vollkommen klaren und bestimmt ausgesprochenen Lage der Großmächte von Europa, die ein solches Project geradezu als absurd erscheinen läßt, einmal entschlossen, das Offene für verschlossen zu halten, und das Helle für Nacht, um sich ein abgenutztes und mattgespieltes journalistisches Thema nicht von dem täglichen polemischen Orchester unter der Hand wegziehen zu lassen, so muß man freilich auf die

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 46. Augsburg, 15. Februar 1840, S. 0361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_046_18400215/9>, abgerufen am 29.04.2024.