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Allgemeine Zeitung. Nr. 57. Augsburg, 26. Februar 1840.

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zu ergreifenden Erscheinungen an der Oberfläche als ihre Domäne erkannt; sie hat die Speculation über den Bau der Erde in ihrem Innern und ihre Entstehung andern Zweigen der Forschung überlassen, und mit dieser Beschränkung die fruchtbare Kraft und die Möglichkeit wahrer Fortschritte gewonnen.

Die Astronomie, nicht zufrieden mit der Kenntniß der Gesetze unseres Planetensystems und dem Begriff von der Unermeßlichkeit der Himmel, hat seit wenigen Menschenaltern einen neuen, höhern Cyclus begonnen, indem sie kühn hinaufgreift in die Geheimnisse der Fixsternwelt. Die physikalischen Wissenschaften im engern Sinn sind gereift genug, um sich, ohne die peripherischen Erscheinungen aus dem Auge zu lassen, der Erdtiefe zuzuwenden und großartige Plane zur Beobachtung der Lebensthätigkeiten des Planeten zu entwerfen. Man darf glauben, daß das Netz magnetischer Observatorien, das sich gegenwärtig über die Erde zu spinnen anfängt, nur der Anfang ist zu einem umfassenden System der vielfachsten correspondirenden Beobachtungen auf zahllosen Punkten, wodurch der Proteus, der bis jetzt dem Physiker als Wärme, Elektricität, Magnetismus durch die Hände schlüpft, in immer engere Fesseln des Begriffs geschlagen und langsam der Weg zu einer rationellen Vorstellung von der Structur des Erdinnern, und damit von der Genesis unseres Planeten und der Himmelskörper überhaupt gebahnt wird. Der Geolog dagegen hat definitiv seine Phantasie von den unsern Sinnen unzugänglichen Tiefen der Erde abberufen, und hält sich unmittelbar an das Studium der Veränderungen, welche im Leben der Erde mit ihrer Haut vorgegangen, in deren Falten und Ritzen wir mit der ganzen organischen Schöpfung als Parasiten hängen.

Der Mensch mußte von jeher durch eine, wenn auch nur flüchtige Betrachtung des von ihm bewohnten Bodens zur Ueberzeugung gelangen, daß die Erdoberfläche unregelmäßigen Einflüssen mannichfacher Art ausgesetzt gewesen ist, durch welche sie aus frühern Zuständen in den gegenwärtigen umgewandelt worden. Ueberall, selbst da, wo das Land im Großen eine ebene Fläche bildet, zeigt sich der Boden im Detail in unzählige Facetten gebrochen, von den verschiedenartigsten Erhöhungen, Ritzen und Einschnitten durchzogen. Ueberall sehen wir jäh Berge aufsteigen, entweder in einzelnen Kuppen und Gipfeln, oder in Gestalt von treppenförmig übereinander gelagerten Ebenen, oder in langgestreckten, durch einschneidende Thäler vielfach zerstückten und zerrissenen Ketten. Wo man die Erde anbohrt, wo die Gebirgsschichten nackt zu Tage liegen - überall begegnen wir den Zeugnissen von der Aufhebung früheren Zusammenhangs und Gleichgewichts, von Zerreißung, Zerklüftung, von der Entstehung späterer Gebilde durch die Zerstörung älterer. Der Mensch mußte, seit er überhaupt beobachtet, zum Schluß kommen, daß die Erdrinde so, wie sie jetzt vor seinen Augen bald in sanften Wellen, bald in stürmischen Wogen erstarrt daliegt, nicht von jeher gewesen seyn kann, daß sie aller Orten einmal, ja meist zu verschiedenenmalen anders gewesen und anders geworden seyn muß.

Diese Ueberzeugung drängt sich gebieterisch schon in der Niederung auf, da, wo das Land an den Küsten der Continente oder am Fuß der Gebirge sich in weiter Erstreckung eben oder wellenförmig hinbreitet. Diese Ebenen bestehen immer vorherrschend aus lose und unregelmäßig durch einander geschüttetem Sand und Gerölle von allen Größen, und dieser Schutt setzt zu sehr beträchtlichen, ja häufig zu unbekannten Tiefen nieder. Der Augenschein lehrt, daß diese mechanisch zerkleinerten Theile nichts als abgerollte Trümmer früher gebildeter Gebirgsarten sind, und nähere Untersuchung zeigt, daß die Gesteine, welche diesen Abfall geliefert, überall in größerer oder kleinerer Entfernung von den Ebenen noch jetzt die stehenden Gebirgsmassen bilden. - Beispiele dieses Verhältnisses sind die große Niederung, welche von den Küsten des deutschen Meeres tief nach Rußland hinein, und fast ununterbrochen zu den Ufern des schwarzen, des kaspischen und des nördlichen Eismeeres fortstreicht; die Ebenen am Süd- und Nordrande der Alpen, das Hügelland der nördlichen Schweiz, die bayerische Hochebene, die Niederungen von Oesterreich und Ungarn; ferner die Landes nordwärts von den Pyrenäen. Dieses Verhältniß wiederholt sich gleichmäßig über die ganze Erde; solche ungeheure Schuttmassen konnten aber nur durch einen langdauernden Zerstörungsproceß aufgehäuft werden.

Alle diese Bildungen müssen der Natur der Sache nach einer verhältnißmäßig neuen Periode angehören. Dringen wir nun aber unter diese Schuttgesteine hinab in die zunächst darunter liegenden festern Gebirgarten, so erkennen wir bald, daß sich jener Zerstörungsproceß in der Bildungsgeschichte der Erdrinde noch öfters, und in gleicher Großartigkeit wiederholt haben muß; denn die Menge von Sandsteinen und Conglomeratbildungen aller Art, die sogar schon in sehr alten Gebirgen sehr entwickelt vorkommen, sind deutlich nichts Anderes als Zusammenhäufungen von größern oder kleinern Theilchen älterer Gebirgsarten, offenbar auf ähnliche Art entstanden, wie das eben erwähnte jüngere Schuttland. Es kann nicht anders seyn, als daß im ganzen Ablauf der Erdschichtenbildung theils die krystallinischen, nicht geschichteten Urgebirge, theils wieder die aus der Zersetzung derselben gebildeten secundären Massen fortwährend durch irgend welche Einflüsse zerstört und weite Landstrecken mit ihren Trümmern bedeckt wurden.

Die zunächst unter dem Schuttland liegenden Gesteine zeigen sich in Bänken oder Schichten gesondert, welche sich meist horizontal oder nur sanft geneigt weithin erstrecken. Sie gleichen in ihren physischen Momenten durchaus den thonigen, sandigen und kalkigen Massen, welche sich noch gegenwärtig durch die Einflüsse der fressenden und schwemmenden Gewässer überall auf dem Meeresboden und besonders an den Mündungen der Flüsse bilden. - Unter diesen, im Ganzen wagerecht gelagerten Gebilden begegnet man nun aber einer ganzen Reihe anderer, sehr mannichfaltiger, die zwar mit jenen jüngern in den allgemeinen Charakteren des Gefüges übereinkommen, sich aber in sehr durchgreifendem Maaße durch ein wesentliches, einflußreiches Moment von ihnen unterscheiden. Die Schichten dieser ältern Gesteine liegen nämlich nicht mehr horizontal wie die ihnen aufgelagerten, sondern sie sind in den verschiedensten Winkeln gegen den Horizont geneigt, und kommen daher häufig nicht nur im Gebirg, sondern oft schon in den Ebenen mit dem Querdurchschnitt ihrer senkrechten Stärke zu Tag. Sie bilden, vertical aufgerichtet, in weiter Erstreckung die schroffen Wände, welche in den Gebirgen die Thäler einzufassen pflegen. Sie sind sehr häufig sogar deutlich zerbrochen, gekrümmt, ja völlig umgestürzt, so daß streckenweise die ältern Schichten auf den jüngern aufliegen, während dicht daneben die Schichten in ihrer natürlichen Reihenfolge liegen. Der ganze sinnliche Eindruck dieser Zerreißung und Aufrichtung der Schichten veranlaßt den unbefangenen Verstand zum Urtheil, daß diese ältern gehobenen Schichten nicht so gut, wie jene horizontalen jüngeren, sich wagerecht abgelagert haben, und später durch irgend eine Gewalt gehoben, zerrissen und durcheinander gestürzt worden sind. Man macht nun aber bald die Beobachtung, daß diese Aufrichtung der Schichten im einen Gebirg mit älteren, im andern schon mit jüngeren Gebirgsarten

zu ergreifenden Erscheinungen an der Oberfläche als ihre Domäne erkannt; sie hat die Speculation über den Bau der Erde in ihrem Innern und ihre Entstehung andern Zweigen der Forschung überlassen, und mit dieser Beschränkung die fruchtbare Kraft und die Möglichkeit wahrer Fortschritte gewonnen.

Die Astronomie, nicht zufrieden mit der Kenntniß der Gesetze unseres Planetensystems und dem Begriff von der Unermeßlichkeit der Himmel, hat seit wenigen Menschenaltern einen neuen, höhern Cyclus begonnen, indem sie kühn hinaufgreift in die Geheimnisse der Fixsternwelt. Die physikalischen Wissenschaften im engern Sinn sind gereift genug, um sich, ohne die peripherischen Erscheinungen aus dem Auge zu lassen, der Erdtiefe zuzuwenden und großartige Plane zur Beobachtung der Lebensthätigkeiten des Planeten zu entwerfen. Man darf glauben, daß das Netz magnetischer Observatorien, das sich gegenwärtig über die Erde zu spinnen anfängt, nur der Anfang ist zu einem umfassenden System der vielfachsten correspondirenden Beobachtungen auf zahllosen Punkten, wodurch der Proteus, der bis jetzt dem Physiker als Wärme, Elektricität, Magnetismus durch die Hände schlüpft, in immer engere Fesseln des Begriffs geschlagen und langsam der Weg zu einer rationellen Vorstellung von der Structur des Erdinnern, und damit von der Genesis unseres Planeten und der Himmelskörper überhaupt gebahnt wird. Der Geolog dagegen hat definitiv seine Phantasie von den unsern Sinnen unzugänglichen Tiefen der Erde abberufen, und hält sich unmittelbar an das Studium der Veränderungen, welche im Leben der Erde mit ihrer Haut vorgegangen, in deren Falten und Ritzen wir mit der ganzen organischen Schöpfung als Parasiten hängen.

Der Mensch mußte von jeher durch eine, wenn auch nur flüchtige Betrachtung des von ihm bewohnten Bodens zur Ueberzeugung gelangen, daß die Erdoberfläche unregelmäßigen Einflüssen mannichfacher Art ausgesetzt gewesen ist, durch welche sie aus frühern Zuständen in den gegenwärtigen umgewandelt worden. Ueberall, selbst da, wo das Land im Großen eine ebene Fläche bildet, zeigt sich der Boden im Detail in unzählige Facetten gebrochen, von den verschiedenartigsten Erhöhungen, Ritzen und Einschnitten durchzogen. Ueberall sehen wir jäh Berge aufsteigen, entweder in einzelnen Kuppen und Gipfeln, oder in Gestalt von treppenförmig übereinander gelagerten Ebenen, oder in langgestreckten, durch einschneidende Thäler vielfach zerstückten und zerrissenen Ketten. Wo man die Erde anbohrt, wo die Gebirgsschichten nackt zu Tage liegen – überall begegnen wir den Zeugnissen von der Aufhebung früheren Zusammenhangs und Gleichgewichts, von Zerreißung, Zerklüftung, von der Entstehung späterer Gebilde durch die Zerstörung älterer. Der Mensch mußte, seit er überhaupt beobachtet, zum Schluß kommen, daß die Erdrinde so, wie sie jetzt vor seinen Augen bald in sanften Wellen, bald in stürmischen Wogen erstarrt daliegt, nicht von jeher gewesen seyn kann, daß sie aller Orten einmal, ja meist zu verschiedenenmalen anders gewesen und anders geworden seyn muß.

Diese Ueberzeugung drängt sich gebieterisch schon in der Niederung auf, da, wo das Land an den Küsten der Continente oder am Fuß der Gebirge sich in weiter Erstreckung eben oder wellenförmig hinbreitet. Diese Ebenen bestehen immer vorherrschend aus lose und unregelmäßig durch einander geschüttetem Sand und Gerölle von allen Größen, und dieser Schutt setzt zu sehr beträchtlichen, ja häufig zu unbekannten Tiefen nieder. Der Augenschein lehrt, daß diese mechanisch zerkleinerten Theile nichts als abgerollte Trümmer früher gebildeter Gebirgsarten sind, und nähere Untersuchung zeigt, daß die Gesteine, welche diesen Abfall geliefert, überall in größerer oder kleinerer Entfernung von den Ebenen noch jetzt die stehenden Gebirgsmassen bilden. – Beispiele dieses Verhältnisses sind die große Niederung, welche von den Küsten des deutschen Meeres tief nach Rußland hinein, und fast ununterbrochen zu den Ufern des schwarzen, des kaspischen und des nördlichen Eismeeres fortstreicht; die Ebenen am Süd- und Nordrande der Alpen, das Hügelland der nördlichen Schweiz, die bayerische Hochebene, die Niederungen von Oesterreich und Ungarn; ferner die Landes nordwärts von den Pyrenäen. Dieses Verhältniß wiederholt sich gleichmäßig über die ganze Erde; solche ungeheure Schuttmassen konnten aber nur durch einen langdauernden Zerstörungsproceß aufgehäuft werden.

Alle diese Bildungen müssen der Natur der Sache nach einer verhältnißmäßig neuen Periode angehören. Dringen wir nun aber unter diese Schuttgesteine hinab in die zunächst darunter liegenden festern Gebirgarten, so erkennen wir bald, daß sich jener Zerstörungsproceß in der Bildungsgeschichte der Erdrinde noch öfters, und in gleicher Großartigkeit wiederholt haben muß; denn die Menge von Sandsteinen und Conglomeratbildungen aller Art, die sogar schon in sehr alten Gebirgen sehr entwickelt vorkommen, sind deutlich nichts Anderes als Zusammenhäufungen von größern oder kleinern Theilchen älterer Gebirgsarten, offenbar auf ähnliche Art entstanden, wie das eben erwähnte jüngere Schuttland. Es kann nicht anders seyn, als daß im ganzen Ablauf der Erdschichtenbildung theils die krystallinischen, nicht geschichteten Urgebirge, theils wieder die aus der Zersetzung derselben gebildeten secundären Massen fortwährend durch irgend welche Einflüsse zerstört und weite Landstrecken mit ihren Trümmern bedeckt wurden.

Die zunächst unter dem Schuttland liegenden Gesteine zeigen sich in Bänken oder Schichten gesondert, welche sich meist horizontal oder nur sanft geneigt weithin erstrecken. Sie gleichen in ihren physischen Momenten durchaus den thonigen, sandigen und kalkigen Massen, welche sich noch gegenwärtig durch die Einflüsse der fressenden und schwemmenden Gewässer überall auf dem Meeresboden und besonders an den Mündungen der Flüsse bilden. – Unter diesen, im Ganzen wagerecht gelagerten Gebilden begegnet man nun aber einer ganzen Reihe anderer, sehr mannichfaltiger, die zwar mit jenen jüngern in den allgemeinen Charakteren des Gefüges übereinkommen, sich aber in sehr durchgreifendem Maaße durch ein wesentliches, einflußreiches Moment von ihnen unterscheiden. Die Schichten dieser ältern Gesteine liegen nämlich nicht mehr horizontal wie die ihnen aufgelagerten, sondern sie sind in den verschiedensten Winkeln gegen den Horizont geneigt, und kommen daher häufig nicht nur im Gebirg, sondern oft schon in den Ebenen mit dem Querdurchschnitt ihrer senkrechten Stärke zu Tag. Sie bilden, vertical aufgerichtet, in weiter Erstreckung die schroffen Wände, welche in den Gebirgen die Thäler einzufassen pflegen. Sie sind sehr häufig sogar deutlich zerbrochen, gekrümmt, ja völlig umgestürzt, so daß streckenweise die ältern Schichten auf den jüngern aufliegen, während dicht daneben die Schichten in ihrer natürlichen Reihenfolge liegen. Der ganze sinnliche Eindruck dieser Zerreißung und Aufrichtung der Schichten veranlaßt den unbefangenen Verstand zum Urtheil, daß diese ältern gehobenen Schichten nicht so gut, wie jene horizontalen jüngeren, sich wagerecht abgelagert haben, und später durch irgend eine Gewalt gehoben, zerrissen und durcheinander gestürzt worden sind. Man macht nun aber bald die Beobachtung, daß diese Aufrichtung der Schichten im einen Gebirg mit älteren, im andern schon mit jüngeren Gebirgsarten

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[0450/0010] zu ergreifenden Erscheinungen an der Oberfläche als ihre Domäne erkannt; sie hat die Speculation über den Bau der Erde in ihrem Innern und ihre Entstehung andern Zweigen der Forschung überlassen, und mit dieser Beschränkung die fruchtbare Kraft und die Möglichkeit wahrer Fortschritte gewonnen. Die Astronomie, nicht zufrieden mit der Kenntniß der Gesetze unseres Planetensystems und dem Begriff von der Unermeßlichkeit der Himmel, hat seit wenigen Menschenaltern einen neuen, höhern Cyclus begonnen, indem sie kühn hinaufgreift in die Geheimnisse der Fixsternwelt. Die physikalischen Wissenschaften im engern Sinn sind gereift genug, um sich, ohne die peripherischen Erscheinungen aus dem Auge zu lassen, der Erdtiefe zuzuwenden und großartige Plane zur Beobachtung der Lebensthätigkeiten des Planeten zu entwerfen. Man darf glauben, daß das Netz magnetischer Observatorien, das sich gegenwärtig über die Erde zu spinnen anfängt, nur der Anfang ist zu einem umfassenden System der vielfachsten correspondirenden Beobachtungen auf zahllosen Punkten, wodurch der Proteus, der bis jetzt dem Physiker als Wärme, Elektricität, Magnetismus durch die Hände schlüpft, in immer engere Fesseln des Begriffs geschlagen und langsam der Weg zu einer rationellen Vorstellung von der Structur des Erdinnern, und damit von der Genesis unseres Planeten und der Himmelskörper überhaupt gebahnt wird. Der Geolog dagegen hat definitiv seine Phantasie von den unsern Sinnen unzugänglichen Tiefen der Erde abberufen, und hält sich unmittelbar an das Studium der Veränderungen, welche im Leben der Erde mit ihrer Haut vorgegangen, in deren Falten und Ritzen wir mit der ganzen organischen Schöpfung als Parasiten hängen. Der Mensch mußte von jeher durch eine, wenn auch nur flüchtige Betrachtung des von ihm bewohnten Bodens zur Ueberzeugung gelangen, daß die Erdoberfläche unregelmäßigen Einflüssen mannichfacher Art ausgesetzt gewesen ist, durch welche sie aus frühern Zuständen in den gegenwärtigen umgewandelt worden. Ueberall, selbst da, wo das Land im Großen eine ebene Fläche bildet, zeigt sich der Boden im Detail in unzählige Facetten gebrochen, von den verschiedenartigsten Erhöhungen, Ritzen und Einschnitten durchzogen. Ueberall sehen wir jäh Berge aufsteigen, entweder in einzelnen Kuppen und Gipfeln, oder in Gestalt von treppenförmig übereinander gelagerten Ebenen, oder in langgestreckten, durch einschneidende Thäler vielfach zerstückten und zerrissenen Ketten. Wo man die Erde anbohrt, wo die Gebirgsschichten nackt zu Tage liegen – überall begegnen wir den Zeugnissen von der Aufhebung früheren Zusammenhangs und Gleichgewichts, von Zerreißung, Zerklüftung, von der Entstehung späterer Gebilde durch die Zerstörung älterer. Der Mensch mußte, seit er überhaupt beobachtet, zum Schluß kommen, daß die Erdrinde so, wie sie jetzt vor seinen Augen bald in sanften Wellen, bald in stürmischen Wogen erstarrt daliegt, nicht von jeher gewesen seyn kann, daß sie aller Orten einmal, ja meist zu verschiedenenmalen anders gewesen und anders geworden seyn muß. Diese Ueberzeugung drängt sich gebieterisch schon in der Niederung auf, da, wo das Land an den Küsten der Continente oder am Fuß der Gebirge sich in weiter Erstreckung eben oder wellenförmig hinbreitet. Diese Ebenen bestehen immer vorherrschend aus lose und unregelmäßig durch einander geschüttetem Sand und Gerölle von allen Größen, und dieser Schutt setzt zu sehr beträchtlichen, ja häufig zu unbekannten Tiefen nieder. Der Augenschein lehrt, daß diese mechanisch zerkleinerten Theile nichts als abgerollte Trümmer früher gebildeter Gebirgsarten sind, und nähere Untersuchung zeigt, daß die Gesteine, welche diesen Abfall geliefert, überall in größerer oder kleinerer Entfernung von den Ebenen noch jetzt die stehenden Gebirgsmassen bilden. – Beispiele dieses Verhältnisses sind die große Niederung, welche von den Küsten des deutschen Meeres tief nach Rußland hinein, und fast ununterbrochen zu den Ufern des schwarzen, des kaspischen und des nördlichen Eismeeres fortstreicht; die Ebenen am Süd- und Nordrande der Alpen, das Hügelland der nördlichen Schweiz, die bayerische Hochebene, die Niederungen von Oesterreich und Ungarn; ferner die Landes nordwärts von den Pyrenäen. Dieses Verhältniß wiederholt sich gleichmäßig über die ganze Erde; solche ungeheure Schuttmassen konnten aber nur durch einen langdauernden Zerstörungsproceß aufgehäuft werden. Alle diese Bildungen müssen der Natur der Sache nach einer verhältnißmäßig neuen Periode angehören. Dringen wir nun aber unter diese Schuttgesteine hinab in die zunächst darunter liegenden festern Gebirgarten, so erkennen wir bald, daß sich jener Zerstörungsproceß in der Bildungsgeschichte der Erdrinde noch öfters, und in gleicher Großartigkeit wiederholt haben muß; denn die Menge von Sandsteinen und Conglomeratbildungen aller Art, die sogar schon in sehr alten Gebirgen sehr entwickelt vorkommen, sind deutlich nichts Anderes als Zusammenhäufungen von größern oder kleinern Theilchen älterer Gebirgsarten, offenbar auf ähnliche Art entstanden, wie das eben erwähnte jüngere Schuttland. Es kann nicht anders seyn, als daß im ganzen Ablauf der Erdschichtenbildung theils die krystallinischen, nicht geschichteten Urgebirge, theils wieder die aus der Zersetzung derselben gebildeten secundären Massen fortwährend durch irgend welche Einflüsse zerstört und weite Landstrecken mit ihren Trümmern bedeckt wurden. Die zunächst unter dem Schuttland liegenden Gesteine zeigen sich in Bänken oder Schichten gesondert, welche sich meist horizontal oder nur sanft geneigt weithin erstrecken. Sie gleichen in ihren physischen Momenten durchaus den thonigen, sandigen und kalkigen Massen, welche sich noch gegenwärtig durch die Einflüsse der fressenden und schwemmenden Gewässer überall auf dem Meeresboden und besonders an den Mündungen der Flüsse bilden. – Unter diesen, im Ganzen wagerecht gelagerten Gebilden begegnet man nun aber einer ganzen Reihe anderer, sehr mannichfaltiger, die zwar mit jenen jüngern in den allgemeinen Charakteren des Gefüges übereinkommen, sich aber in sehr durchgreifendem Maaße durch ein wesentliches, einflußreiches Moment von ihnen unterscheiden. Die Schichten dieser ältern Gesteine liegen nämlich nicht mehr horizontal wie die ihnen aufgelagerten, sondern sie sind in den verschiedensten Winkeln gegen den Horizont geneigt, und kommen daher häufig nicht nur im Gebirg, sondern oft schon in den Ebenen mit dem Querdurchschnitt ihrer senkrechten Stärke zu Tag. Sie bilden, vertical aufgerichtet, in weiter Erstreckung die schroffen Wände, welche in den Gebirgen die Thäler einzufassen pflegen. Sie sind sehr häufig sogar deutlich zerbrochen, gekrümmt, ja völlig umgestürzt, so daß streckenweise die ältern Schichten auf den jüngern aufliegen, während dicht daneben die Schichten in ihrer natürlichen Reihenfolge liegen. Der ganze sinnliche Eindruck dieser Zerreißung und Aufrichtung der Schichten veranlaßt den unbefangenen Verstand zum Urtheil, daß diese ältern gehobenen Schichten nicht so gut, wie jene horizontalen jüngeren, sich wagerecht abgelagert haben, und später durch irgend eine Gewalt gehoben, zerrissen und durcheinander gestürzt worden sind. Man macht nun aber bald die Beobachtung, daß diese Aufrichtung der Schichten im einen Gebirg mit älteren, im andern schon mit jüngeren Gebirgsarten

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 57. Augsburg, 26. Februar 1840, S. 0450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_057_18400226/10>, abgerufen am 27.04.2024.