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Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840.

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Ungarn.

Daß in unserm Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen Ungarn und die ungarischen Zustände auch nicht lange unentdeckt bleiben könnten, war auch ohne Sehergabe leicht voraus zu sehen, und so geschah es mit Anfang des jetzigen Landtags, daß einige kühne Gelehrte die wichtige Entdeckung machten, die March und die Leytha seyen nicht die Gränzflüsse der europäischen Civilisation; - mit Staunen sahen sie an der Donau das constitutionelle Treiben eines ihnen unbekannten Volkes, und sie beeilten sich, diese wichtige Entdeckung zum Gemeingut der Welt zu machen. Es war das Spiegelbild jener Erscheinungen, die wir an der Seine belachen: Ungarns ehrwürdige Institutionen wurden dem deutschen Lesepublicum in jener Weise aufgetischt, die an Lerminiers, Marmiers und St. Marc-Girardins Bemühungen erinnert, Deutschlands Litteratur und Volksleben für den Geschmack der Salons von Paris zuzurichten, und die sonst so gediegene Allgemeine Zeitung enthielt seit dieser Zeit oft Artikel, so geistreich und oberflächlich, so scharfsinnig und falsch, so wohlmeinend und unbegründet, wie sie nur irgend der Redacteur eines Pariser Blattes für sein Feuilleton wünschen kann. *) Da erschien, um nur einige Beispiele zu erwähnen, ein gewaltiger Kämpe, der, vermuthlich um seinen Ansichten mehr Gewicht zu geben, sie wie in der schönen alten Perückenzeit mit einem gravitätisch lateinischen Titel schmückte (pia desideria), urtheilte keck und scharf über alle Verhältnisse Ungarns, über Regierung und Opposition, und äußerte endlich ganz gutmüthig und naiv, er wisse nicht, welches die Ansicht der Regierung über die wichtigste Frage im Lande sey, über die Aviticität, da er es doch von jedem Ungarn erfahren konnte, daß die Opposition diesen Rest der Feudalität stürzen, die Regierung sie erhalten wollte. Ja, jener berühmte Reisende, der sich die Fürstenkrone zum Correspondenzzeichen in der Allgemeinen Zeitung gewählt hat **), der, nachdem er in Aegypten unter den Trümmern des Tempels von Sais den geheimnißvollen Schleier der Göttin Neith mit muthiger Hand gelüftet hatte, und nun mit der ganzen Weisheit des alten Aegyptens eine Unzahl der pikantesten Anekdoten von den Ufern des heiligen Nils mit sich brachte, entdeckte plötzlich in den Salons der liebenswürdigen Damen Ofens, die ungarischen Liberalen hätten ihre Stellung geändert; sie hätten ihren Wahlspruch "Vorwärts" von ihrem Banner gestrichen, und die Worte "avitae constitutionis compages", die uns stets aus den königlichen Resolutionen entgegenklangen, seyen jetzt das begeisternde Feldgeschrei der Opposition. Zum Ergötzen von ganz Ungarn verkündete er gleich diese große Entdeckung in der am weitesten verbreiteten Zeitung des Continents. - C'est ainsi qu'on fait l'histoire!

Doch selbst die treffendsten und richtigsten der Bemerkungen jener Correspondenten dringen kaum über die äußerste Oberfläche der ungarischen Zustände; keiner von allen erfaßte die eigentliche Bedeutung unserer Bewegungen; keiner bemerkte jenen gewaltigen Kampf dreier Nationalitäten, in deren Ringen die Zukunft sich spiegelt - dieser Kampf der ungarischen Nationalität, in der noch der Geist des Orients und seiner Municipalfreiheiten fortlebt, mit dem Germanismus, den größtentheils die königl. Freistädte vertreten, und mit jenem slavisch-illyrischen Element, das aus seinem Mittelpunkt, Croatien, weit hin nach Kärnthen und Krain, nach Dalmatien und Serbien, nach Bosnien und der Herzegowina, ja bis tief nach Albanien hinein wirkt. Keiner jener scharfsinnigen Beobachter würdigte die Bestrebungen jenes Adels eines Blicks, der seine Privilegien, nicht gezwungen durch äußern Drang, wie in England, nicht in hochherziger Aufwallung eines begeisternden Moments, wie in Frankreich, aber durchdacht und planmäßig auf alle Bewohner des Landes auszudehnen fortwährend bemüht ist, so daß oft die Regierung es für nöthig hielt, sich ihm dabei in den Weg zu stellen, damit die alten aristokratischen Verhältnisse nicht zu rasch und zu durchgreifend geändert werden, wie dieß in der Frage der Ablösung der bäuerlichen Lasten und Frohnen der Fall war. Ebenso entging der Aufmerksamkeit jener Gelehrten die in Europa so merkwürdige, so consequent ausgebildete Selbstregierung (selfgovernment) der Comitate, welche die Basis des ungarischen öffentlichen Lebens ausmacht. Nicht die Ursachen der Bewegung, nicht die Bewegung selbst, nur die Abnormitäten, die sie erzeugte, wurden werth gefunden, zur Kunde des Publicums gebracht zu werden; nicht der Sturm, nicht die prachtvoll wogende See, nur der schmutzige Schaum, der auf den Wellen herumtanzt.

Als solche Abnormitäten wurden wiederholt die Stellung der königl. Freistädte und die Ausschweifungen bei den Comitatswahlen hervorgehoben. Ein Correspondent der Allgem. Zeitung suchte einige dieser Ansichten in der Beilage vom 17 Nov. 1839 zu berichtigen, und führte dabei eine Rede von mir über diesen Gegenstand an, die ein anderer Correspondent aus Preßburg in den Beilagen vom 18, 19 und 20 Febr. l. J. einer langen Widerlegung würdigt und mehrere Unrichtigkeiten darin rügt. Da nun einmal die ungarische Städtefrage vor das große Publicum gebracht wurde, so halte ich es, auch abgesehen davon, daß mein Name in dieser Angelegenheit mehrfach genannt wurde und ich daher dabei persönlich betheiligt bin, für Pflicht, die Verhältnisse, die diese wichtige Frage veranlaßten, zu beleuchten.

Die Stimmen der Comitate sind es, die, seit der Wiedervereinigung der drei siebenbürgischen dreiundfünfzig an der Zahl, das Recht der Gesetzgebung bei der Ständetafel factisch ausübten. In welchem Geiste dieß geschah, dafür zeugen die Gesetze des letzten, die Gesetzesvorschläge des jetzigen Landtags. Der Adel oder eigentlich das ungarische Element, das bei diesem bedeutend vorherrscht, regelte zuerst bei dem Landtag 1832/36 die Verhältnisse des Bauern und schützte ihn vor der Willkür des Grundherrn, und die Frucht des jetzigen Landtags wird nicht ein Gesetz über Rede- oder Wahlfreiheit, sondern der Wechselcodex und die damit verbundenen Handelsgesetze seyen, deren Gunst jedenfalls der Bürger häufiger fühlen wird, als der Edelmann. Nun tritt aber diesem ungarischen Element ein anderes schroff entgegen: neunundvierzig königl. Freistädte, in denen das deutsche Element überwiegt *), verlangen gleiche

*) Die Redaction kennt Ungarn zu wenig, um hier ein definitives Urtheil ansprechen zu wollen; aber ein nicht kleiner Theil jener Artikel war von eingebornen Ungarn ausgegangen, deren Name und Stellung dafür bürgte, daß sie Beachtung verdienten. Daß sie nicht einseitig Einer Meinung angehörten, weiß der ehrenwerthe Einsender dieser Reclamation so gut als jeder, der sie las, erkennt es auch im Verfolg dieser Einsendung selbst an.
**) Das ist ein Irrthum; er hat sie nicht gewählt.
*) Szegedin und Debreczin, Szatmarremethi und Comorn machen die Städte eben so wenig zu Ungarn, als die Edelleute Croatiens und Syrmiens, Beröczes und Posega's den Comitatsadel zu Slaven macht.
Ungarn.

Daß in unserm Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen Ungarn und die ungarischen Zustände auch nicht lange unentdeckt bleiben könnten, war auch ohne Sehergabe leicht voraus zu sehen, und so geschah es mit Anfang des jetzigen Landtags, daß einige kühne Gelehrte die wichtige Entdeckung machten, die March und die Leytha seyen nicht die Gränzflüsse der europäischen Civilisation; – mit Staunen sahen sie an der Donau das constitutionelle Treiben eines ihnen unbekannten Volkes, und sie beeilten sich, diese wichtige Entdeckung zum Gemeingut der Welt zu machen. Es war das Spiegelbild jener Erscheinungen, die wir an der Seine belachen: Ungarns ehrwürdige Institutionen wurden dem deutschen Lesepublicum in jener Weise aufgetischt, die an Lerminiers, Marmiers und St. Marc-Girardins Bemühungen erinnert, Deutschlands Litteratur und Volksleben für den Geschmack der Salons von Paris zuzurichten, und die sonst so gediegene Allgemeine Zeitung enthielt seit dieser Zeit oft Artikel, so geistreich und oberflächlich, so scharfsinnig und falsch, so wohlmeinend und unbegründet, wie sie nur irgend der Redacteur eines Pariser Blattes für sein Feuilleton wünschen kann. *) Da erschien, um nur einige Beispiele zu erwähnen, ein gewaltiger Kämpe, der, vermuthlich um seinen Ansichten mehr Gewicht zu geben, sie wie in der schönen alten Perückenzeit mit einem gravitätisch lateinischen Titel schmückte (pia desideria), urtheilte keck und scharf über alle Verhältnisse Ungarns, über Regierung und Opposition, und äußerte endlich ganz gutmüthig und naiv, er wisse nicht, welches die Ansicht der Regierung über die wichtigste Frage im Lande sey, über die Aviticität, da er es doch von jedem Ungarn erfahren konnte, daß die Opposition diesen Rest der Feudalität stürzen, die Regierung sie erhalten wollte. Ja, jener berühmte Reisende, der sich die Fürstenkrone zum Correspondenzzeichen in der Allgemeinen Zeitung gewählt hat **), der, nachdem er in Aegypten unter den Trümmern des Tempels von Sais den geheimnißvollen Schleier der Göttin Neith mit muthiger Hand gelüftet hatte, und nun mit der ganzen Weisheit des alten Aegyptens eine Unzahl der pikantesten Anekdoten von den Ufern des heiligen Nils mit sich brachte, entdeckte plötzlich in den Salons der liebenswürdigen Damen Ofens, die ungarischen Liberalen hätten ihre Stellung geändert; sie hätten ihren Wahlspruch „Vorwärts“ von ihrem Banner gestrichen, und die Worte „avitae constitutionis compages“, die uns stets aus den königlichen Resolutionen entgegenklangen, seyen jetzt das begeisternde Feldgeschrei der Opposition. Zum Ergötzen von ganz Ungarn verkündete er gleich diese große Entdeckung in der am weitesten verbreiteten Zeitung des Continents. – C'est ainsi qu'on fait l'histoire!

Doch selbst die treffendsten und richtigsten der Bemerkungen jener Correspondenten dringen kaum über die äußerste Oberfläche der ungarischen Zustände; keiner von allen erfaßte die eigentliche Bedeutung unserer Bewegungen; keiner bemerkte jenen gewaltigen Kampf dreier Nationalitäten, in deren Ringen die Zukunft sich spiegelt – dieser Kampf der ungarischen Nationalität, in der noch der Geist des Orients und seiner Municipalfreiheiten fortlebt, mit dem Germanismus, den größtentheils die königl. Freistädte vertreten, und mit jenem slavisch-illyrischen Element, das aus seinem Mittelpunkt, Croatien, weit hin nach Kärnthen und Krain, nach Dalmatien und Serbien, nach Bosnien und der Herzegowina, ja bis tief nach Albanien hinein wirkt. Keiner jener scharfsinnigen Beobachter würdigte die Bestrebungen jenes Adels eines Blicks, der seine Privilegien, nicht gezwungen durch äußern Drang, wie in England, nicht in hochherziger Aufwallung eines begeisternden Moments, wie in Frankreich, aber durchdacht und planmäßig auf alle Bewohner des Landes auszudehnen fortwährend bemüht ist, so daß oft die Regierung es für nöthig hielt, sich ihm dabei in den Weg zu stellen, damit die alten aristokratischen Verhältnisse nicht zu rasch und zu durchgreifend geändert werden, wie dieß in der Frage der Ablösung der bäuerlichen Lasten und Frohnen der Fall war. Ebenso entging der Aufmerksamkeit jener Gelehrten die in Europa so merkwürdige, so consequent ausgebildete Selbstregierung (selfgovernment) der Comitate, welche die Basis des ungarischen öffentlichen Lebens ausmacht. Nicht die Ursachen der Bewegung, nicht die Bewegung selbst, nur die Abnormitäten, die sie erzeugte, wurden werth gefunden, zur Kunde des Publicums gebracht zu werden; nicht der Sturm, nicht die prachtvoll wogende See, nur der schmutzige Schaum, der auf den Wellen herumtanzt.

Als solche Abnormitäten wurden wiederholt die Stellung der königl. Freistädte und die Ausschweifungen bei den Comitatswahlen hervorgehoben. Ein Correspondent der Allgem. Zeitung suchte einige dieser Ansichten in der Beilage vom 17 Nov. 1839 zu berichtigen, und führte dabei eine Rede von mir über diesen Gegenstand an, die ein anderer Correspondent aus Preßburg in den Beilagen vom 18, 19 und 20 Febr. l. J. einer langen Widerlegung würdigt und mehrere Unrichtigkeiten darin rügt. Da nun einmal die ungarische Städtefrage vor das große Publicum gebracht wurde, so halte ich es, auch abgesehen davon, daß mein Name in dieser Angelegenheit mehrfach genannt wurde und ich daher dabei persönlich betheiligt bin, für Pflicht, die Verhältnisse, die diese wichtige Frage veranlaßten, zu beleuchten.

Die Stimmen der Comitate sind es, die, seit der Wiedervereinigung der drei siebenbürgischen dreiundfünfzig an der Zahl, das Recht der Gesetzgebung bei der Ständetafel factisch ausübten. In welchem Geiste dieß geschah, dafür zeugen die Gesetze des letzten, die Gesetzesvorschläge des jetzigen Landtags. Der Adel oder eigentlich das ungarische Element, das bei diesem bedeutend vorherrscht, regelte zuerst bei dem Landtag 1832/36 die Verhältnisse des Bauern und schützte ihn vor der Willkür des Grundherrn, und die Frucht des jetzigen Landtags wird nicht ein Gesetz über Rede- oder Wahlfreiheit, sondern der Wechselcodex und die damit verbundenen Handelsgesetze seyen, deren Gunst jedenfalls der Bürger häufiger fühlen wird, als der Edelmann. Nun tritt aber diesem ungarischen Element ein anderes schroff entgegen: neunundvierzig königl. Freistädte, in denen das deutsche Element überwiegt *), verlangen gleiche

*) Die Redaction kennt Ungarn zu wenig, um hier ein definitives Urtheil ansprechen zu wollen; aber ein nicht kleiner Theil jener Artikel war von eingebornen Ungarn ausgegangen, deren Name und Stellung dafür bürgte, daß sie Beachtung verdienten. Daß sie nicht einseitig Einer Meinung angehörten, weiß der ehrenwerthe Einsender dieser Reclamation so gut als jeder, der sie las, erkennt es auch im Verfolg dieser Einsendung selbst an.
**) Das ist ein Irrthum; er hat sie nicht gewählt.
*) Szegedin und Debreczin, Szatmarremethi und Comorn machen die Städte eben so wenig zu Ungarn, als die Edelleute Croatiens und Syrmiens, Beröczes und Posega's den Comitatsadel zu Slaven macht.
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[0665/0009] Ungarn. _ Preßburg, 8 März. Daß in unserm Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen Ungarn und die ungarischen Zustände auch nicht lange unentdeckt bleiben könnten, war auch ohne Sehergabe leicht voraus zu sehen, und so geschah es mit Anfang des jetzigen Landtags, daß einige kühne Gelehrte die wichtige Entdeckung machten, die March und die Leytha seyen nicht die Gränzflüsse der europäischen Civilisation; – mit Staunen sahen sie an der Donau das constitutionelle Treiben eines ihnen unbekannten Volkes, und sie beeilten sich, diese wichtige Entdeckung zum Gemeingut der Welt zu machen. Es war das Spiegelbild jener Erscheinungen, die wir an der Seine belachen: Ungarns ehrwürdige Institutionen wurden dem deutschen Lesepublicum in jener Weise aufgetischt, die an Lerminiers, Marmiers und St. Marc-Girardins Bemühungen erinnert, Deutschlands Litteratur und Volksleben für den Geschmack der Salons von Paris zuzurichten, und die sonst so gediegene Allgemeine Zeitung enthielt seit dieser Zeit oft Artikel, so geistreich und oberflächlich, so scharfsinnig und falsch, so wohlmeinend und unbegründet, wie sie nur irgend der Redacteur eines Pariser Blattes für sein Feuilleton wünschen kann. *) Da erschien, um nur einige Beispiele zu erwähnen, ein gewaltiger Kämpe, der, vermuthlich um seinen Ansichten mehr Gewicht zu geben, sie wie in der schönen alten Perückenzeit mit einem gravitätisch lateinischen Titel schmückte (pia desideria), urtheilte keck und scharf über alle Verhältnisse Ungarns, über Regierung und Opposition, und äußerte endlich ganz gutmüthig und naiv, er wisse nicht, welches die Ansicht der Regierung über die wichtigste Frage im Lande sey, über die Aviticität, da er es doch von jedem Ungarn erfahren konnte, daß die Opposition diesen Rest der Feudalität stürzen, die Regierung sie erhalten wollte. Ja, jener berühmte Reisende, der sich die Fürstenkrone zum Correspondenzzeichen in der Allgemeinen Zeitung gewählt hat **), der, nachdem er in Aegypten unter den Trümmern des Tempels von Sais den geheimnißvollen Schleier der Göttin Neith mit muthiger Hand gelüftet hatte, und nun mit der ganzen Weisheit des alten Aegyptens eine Unzahl der pikantesten Anekdoten von den Ufern des heiligen Nils mit sich brachte, entdeckte plötzlich in den Salons der liebenswürdigen Damen Ofens, die ungarischen Liberalen hätten ihre Stellung geändert; sie hätten ihren Wahlspruch „Vorwärts“ von ihrem Banner gestrichen, und die Worte „avitae constitutionis compages“, die uns stets aus den königlichen Resolutionen entgegenklangen, seyen jetzt das begeisternde Feldgeschrei der Opposition. Zum Ergötzen von ganz Ungarn verkündete er gleich diese große Entdeckung in der am weitesten verbreiteten Zeitung des Continents. – C'est ainsi qu'on fait l'histoire! Doch selbst die treffendsten und richtigsten der Bemerkungen jener Correspondenten dringen kaum über die äußerste Oberfläche der ungarischen Zustände; keiner von allen erfaßte die eigentliche Bedeutung unserer Bewegungen; keiner bemerkte jenen gewaltigen Kampf dreier Nationalitäten, in deren Ringen die Zukunft sich spiegelt – dieser Kampf der ungarischen Nationalität, in der noch der Geist des Orients und seiner Municipalfreiheiten fortlebt, mit dem Germanismus, den größtentheils die königl. Freistädte vertreten, und mit jenem slavisch-illyrischen Element, das aus seinem Mittelpunkt, Croatien, weit hin nach Kärnthen und Krain, nach Dalmatien und Serbien, nach Bosnien und der Herzegowina, ja bis tief nach Albanien hinein wirkt. Keiner jener scharfsinnigen Beobachter würdigte die Bestrebungen jenes Adels eines Blicks, der seine Privilegien, nicht gezwungen durch äußern Drang, wie in England, nicht in hochherziger Aufwallung eines begeisternden Moments, wie in Frankreich, aber durchdacht und planmäßig auf alle Bewohner des Landes auszudehnen fortwährend bemüht ist, so daß oft die Regierung es für nöthig hielt, sich ihm dabei in den Weg zu stellen, damit die alten aristokratischen Verhältnisse nicht zu rasch und zu durchgreifend geändert werden, wie dieß in der Frage der Ablösung der bäuerlichen Lasten und Frohnen der Fall war. Ebenso entging der Aufmerksamkeit jener Gelehrten die in Europa so merkwürdige, so consequent ausgebildete Selbstregierung (selfgovernment) der Comitate, welche die Basis des ungarischen öffentlichen Lebens ausmacht. Nicht die Ursachen der Bewegung, nicht die Bewegung selbst, nur die Abnormitäten, die sie erzeugte, wurden werth gefunden, zur Kunde des Publicums gebracht zu werden; nicht der Sturm, nicht die prachtvoll wogende See, nur der schmutzige Schaum, der auf den Wellen herumtanzt. Als solche Abnormitäten wurden wiederholt die Stellung der königl. Freistädte und die Ausschweifungen bei den Comitatswahlen hervorgehoben. Ein Correspondent der Allgem. Zeitung suchte einige dieser Ansichten in der Beilage vom 17 Nov. 1839 zu berichtigen, und führte dabei eine Rede von mir über diesen Gegenstand an, die ein anderer Correspondent aus Preßburg in den Beilagen vom 18, 19 und 20 Febr. l. J. einer langen Widerlegung würdigt und mehrere Unrichtigkeiten darin rügt. Da nun einmal die ungarische Städtefrage vor das große Publicum gebracht wurde, so halte ich es, auch abgesehen davon, daß mein Name in dieser Angelegenheit mehrfach genannt wurde und ich daher dabei persönlich betheiligt bin, für Pflicht, die Verhältnisse, die diese wichtige Frage veranlaßten, zu beleuchten. Die Stimmen der Comitate sind es, die, seit der Wiedervereinigung der drei siebenbürgischen dreiundfünfzig an der Zahl, das Recht der Gesetzgebung bei der Ständetafel factisch ausübten. In welchem Geiste dieß geschah, dafür zeugen die Gesetze des letzten, die Gesetzesvorschläge des jetzigen Landtags. Der Adel oder eigentlich das ungarische Element, das bei diesem bedeutend vorherrscht, regelte zuerst bei dem Landtag 1832/36 die Verhältnisse des Bauern und schützte ihn vor der Willkür des Grundherrn, und die Frucht des jetzigen Landtags wird nicht ein Gesetz über Rede- oder Wahlfreiheit, sondern der Wechselcodex und die damit verbundenen Handelsgesetze seyen, deren Gunst jedenfalls der Bürger häufiger fühlen wird, als der Edelmann. Nun tritt aber diesem ungarischen Element ein anderes schroff entgegen: neunundvierzig königl. Freistädte, in denen das deutsche Element überwiegt *), verlangen gleiche *) Die Redaction kennt Ungarn zu wenig, um hier ein definitives Urtheil ansprechen zu wollen; aber ein nicht kleiner Theil jener Artikel war von eingebornen Ungarn ausgegangen, deren Name und Stellung dafür bürgte, daß sie Beachtung verdienten. Daß sie nicht einseitig Einer Meinung angehörten, weiß der ehrenwerthe Einsender dieser Reclamation so gut als jeder, der sie las, erkennt es auch im Verfolg dieser Einsendung selbst an. **) Das ist ein Irrthum; er hat sie nicht gewählt. *) Szegedin und Debreczin, Szatmarremethi und Comorn machen die Städte eben so wenig zu Ungarn, als die Edelleute Croatiens und Syrmiens, Beröczes und Posega's den Comitatsadel zu Slaven macht.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 84. Augsburg, 24. März 1840, S. 0665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_084_18400324/9>, abgerufen am 27.04.2024.