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Allgemeine Zeitung. Nr. 86. Augsburg, 26. März 1840.

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So stehen Kaiser Nikolaus, Mohammed Schah, Kamran Mirsa, Heider Mirsa, Dost Mohammed Chan und die Baruksier im gemeinschaftlichen Bunde wider die brittische Macht, und es wird neben dem heroischen Muthe des indischen Heeres die ganze Weisheit der Staatsmänner erforderlich seyn, um dieses heranziehende Gewitter zu beschwören.

A. M.
Balzac und die französische Tagslitteratur.

Diese Woche brachte uns auf dem Gebiete der Journalistik eine Erscheinung, die man den deutschen Predigern des Franzosenhasses empfehlen dürfte. Das Drama eines der Matadoren und Marschälle der französischen Litteratur, das gegen Sitte und Scham eben so sehr als gegen Vernunft und Geschmack verstößt, wird von der Theatercensur, nach Ausjätung des Allzustarken, zur Aufführung gelassen, nach der ersten Vorstellung aber durch den Minister des Innern verboten, und diese Maaßregel von manchen Zeitungen wohl in der Form, der Sache nach nur von zweien angegriffen. Der National, mit seinem Lobe der Regierung sonst so sparsam, lobt den Schritt fast unbedingt; die legitimistischen Tagblätter, denen die Galle in das Gehirn getreten ist und die Denkmaschine verdorben hat, mäkeln mit alberner Bitterkeit über die Beweggründe und das Recht einer revolutionären Verwaltung im Namen der Moral zu handeln, ergreifen dabei die Gelegenheit, die gute Zeit der Restauration zu preisen, genehmigen aber den Erlaß des Ministers seinem Wesen nach doch, und die dynastisch-liberale Presse fällt über die Kurzsichtigkeit der Censur her, und nimmt für den armen Director, der sehr in Schaden gekommen, eine Entschädigung in Anspruch, gibt aber dem Verbote seine volle Zustimmung; bloß das Charivari, das gewöhnlich keinen Geist hat, wenn es nicht witzig ist, ja in der Regel entsetzlich dumm und grämlich aussieht, wenn es ein ernstes Gesicht machen will, erhebt sich ohne Einschränkung gegen die Ordonnanz und mit ihm, in eben so lächerlichem als unnatürlichem Bunde, lehnt sich auch Girardins Presse gegen den Ministerialbeschluß auf. Das Triumvirat, das sich in das Narrenreich des Charivari getheilt, klebt mit der Künstler- und Schriftstellerkaste, wie die Glieder mit dem Leibe, dem sie angehören, fest zusammen, und während es daher seine oft giftigen, oft nur geschärften Pfeile gegen die Nase Argouts oder die Brille des Hrn. Thiers absendet, leiht es den Erzeugnissen befreundeter Talente, ohne ängstliche Rücksicht auf ihren Werth, den Beistand seiner Trompete. Wenn die Herren wüßten, wie gut eine schickliche Verspottung der eigenen Persönlichkeit den Spötter kleidet, sie könnten einen kleinen Theil ihres unerschöpflichen Witzes zu einer Satyre gegen das Spiel der Reclame, das sie treiben, auf das liebenswürdigste verwenden. Der Aufsatz übrigens, in dem Altaroche, einer der Staatsmänner des Charivari, das Verbot Vautrins angreift, ist von besserem Gehalt, als die Masse der ernsten Artikel, die aus seiner und seiner Collegen Kanzlei hervorgehen, und die Beweisführung, dem Arsenal demokratischer Grundsätze entnommen, nicht ohne Schärfe. Wie im Charivari haust auch in Girardins Presse die Bande der Künstler und Romanenschreiber; das ist wohl das einzige, was beide gemein haben; sie hat daher dieselben Ursachen, wie jenes, zur Opposition in dieser Sache, und wird hierin noch von ihrem Ingrimm gegen das neue Ministerium unterstützt. Eine andere Frage ist, ob der Director der Porte St. Martin, den der Schlag allerdings mit gänzlichem Ruin bedroht, eine Entschädigung ansprechen könne. Die einsichtlose Nachsicht der Censur, sagen die Journale, hat den Mann zu großen Kosten für die Ausstattung eines Drama's veranlaßt, das eine höhere Behörde später zu unterdrücken sich gezwungen sah; der Nachtheil, der ihm daraus erwächst, ist daher nicht seine Schuld, sondern der des Gerichts beizumessen, das im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit die Erlaubniß zur Aufführung noch nicht einstudirter Stücke zu geben oder zu verweigern hat. Dagegen läßt sich nun schwerlich Erhebliches einwenden; nur wenn es wahr ist, wie ziemlich Eingeweihte behaupten, daß Stellen, welche die Censur entfernt hatte, bei der Vorstellung, dem Skandal zu Liebe, dennoch gesprochen wurden, möchten die rechtlichen Ansprüche des Directors sich bedeutend mindern.

Das am meisten beachtenswerthe Factum in der ganzen Geschichte bleibt die Vereinigung so vieler, sonst sich so feindlicher Stimmen zur Verdammung eines unsittlichen Werkes. Im Leben mag wohl Mancher der Versuchung so schwer wie immer widerstehen; als Theorie oder Kunstgebilde aber ist das Laster den Meisten nachgerade zum Ekel geworden; man kommt endlich dahin, den uralten Satz, daß nur das Gute schön sey, einzusehen, und wohin auch die politische Entzweiung einen Jeden stellen mag, über die sittlichen Fragen ist die unendliche Mehrzahl einig. Während im Staate scheinbar Alles bricht, fügen sich in der Gesellschaft die Ringe wieder; weil die Elemente des Lebens in Frankreich durch gewaltsame Erschütterung in bebende Bewegung gerathen waren, und ohne Ordnung durch einander rollten, glaubte man schon alle Bande gelöst, und nahm für Fäulniß, was nur ein heftiger Anstoß, für innere Krankheit, was nur äußere Wirkung war. Im Auslande zumal wurde das Klageconcert allgemein; die Schadenfreude gab den Tact, die Uebertreibung schlug die große Trommel, jedes Vorurtheil spielte sein Instrument, jede Leidenschaft hatte ihre Stimme, und die leichtgläubige Menge sang im Chorus mit. Jedes Skandal der Gerichtsblätter, die geringfügigste Anekdote, das hohlste Stadtgerede, wurden als Anzeichen des nahen Untergangs gedeutet, welcher der französischen Gesellschaft bevorstehe; kam ein Proceß vor, dessen Held nicht eben den Preis Monthyon verdient hatte, riefen sogleich ein Duzend deutsche und englische Pharisäer: seht ihr, wie's in Frankreich zugeht, sey'n wir froh, daß wir nicht sind wie jene. Die Beiworte faul, entartet, nichtswürdig, in Verbindung mit dem Namen "Franzosen" wurden bei manchem Schriftgelehrten jenseits des Rheins so häufig, wie schnellfüßig und göttlich, gepaart mit dem des Achilleus, bei Homer - kurz, wenn man die Leute hörte, lag Frankreich in den letzten Zügen. Sie mögen sich beruhigen, der Kranke ist stark auf dem Wege der Besserung.

Schwedische Zustände.

III. Der Adel.

(Fortsetzung.) Unter den Excellenzen, welche hier auch den unconstitutionellen und in einem frei monarchischen Staat etwas sonderbar klingenden Titel von "Herren des Reichs" usurpirt haben, unter den Ministern und sämmtlichen ordentlichen Mitgliedern des Staatsraths, unter den Generalen, endlich unter den Gouverneuren der Läne (Landshöfdingar) kommt kein einziger Name vor, der nicht von Adel wäre. Das hier sogenannte "Rathgeben" (der Staatsrath), der oberste Kriegsbefehl, die ganze Provincialverwaltung sind mithin vom König ausschließlich in die Hände des Adels gelegt worden. Ebenso sind die sämmtlichen Präsidenten der Hofgerichte und der obersten Verwaltungscollegien, mit Ausnahme eines einzigen, lauter Adelige, wie auch die Generalpost-

So stehen Kaiser Nikolaus, Mohammed Schah, Kamran Mirsa, Heider Mirsa, Dost Mohammed Chan und die Baruksier im gemeinschaftlichen Bunde wider die brittische Macht, und es wird neben dem heroischen Muthe des indischen Heeres die ganze Weisheit der Staatsmänner erforderlich seyn, um dieses heranziehende Gewitter zu beschwören.

A. M.
Balzac und die französische Tagslitteratur.

Diese Woche brachte uns auf dem Gebiete der Journalistik eine Erscheinung, die man den deutschen Predigern des Franzosenhasses empfehlen dürfte. Das Drama eines der Matadoren und Marschälle der französischen Litteratur, das gegen Sitte und Scham eben so sehr als gegen Vernunft und Geschmack verstößt, wird von der Theatercensur, nach Ausjätung des Allzustarken, zur Aufführung gelassen, nach der ersten Vorstellung aber durch den Minister des Innern verboten, und diese Maaßregel von manchen Zeitungen wohl in der Form, der Sache nach nur von zweien angegriffen. Der National, mit seinem Lobe der Regierung sonst so sparsam, lobt den Schritt fast unbedingt; die legitimistischen Tagblätter, denen die Galle in das Gehirn getreten ist und die Denkmaschine verdorben hat, mäkeln mit alberner Bitterkeit über die Beweggründe und das Recht einer revolutionären Verwaltung im Namen der Moral zu handeln, ergreifen dabei die Gelegenheit, die gute Zeit der Restauration zu preisen, genehmigen aber den Erlaß des Ministers seinem Wesen nach doch, und die dynastisch-liberale Presse fällt über die Kurzsichtigkeit der Censur her, und nimmt für den armen Director, der sehr in Schaden gekommen, eine Entschädigung in Anspruch, gibt aber dem Verbote seine volle Zustimmung; bloß das Charivari, das gewöhnlich keinen Geist hat, wenn es nicht witzig ist, ja in der Regel entsetzlich dumm und grämlich aussieht, wenn es ein ernstes Gesicht machen will, erhebt sich ohne Einschränkung gegen die Ordonnanz und mit ihm, in eben so lächerlichem als unnatürlichem Bunde, lehnt sich auch Girardins Presse gegen den Ministerialbeschluß auf. Das Triumvirat, das sich in das Narrenreich des Charivari getheilt, klebt mit der Künstler- und Schriftstellerkaste, wie die Glieder mit dem Leibe, dem sie angehören, fest zusammen, und während es daher seine oft giftigen, oft nur geschärften Pfeile gegen die Nase Argouts oder die Brille des Hrn. Thiers absendet, leiht es den Erzeugnissen befreundeter Talente, ohne ängstliche Rücksicht auf ihren Werth, den Beistand seiner Trompete. Wenn die Herren wüßten, wie gut eine schickliche Verspottung der eigenen Persönlichkeit den Spötter kleidet, sie könnten einen kleinen Theil ihres unerschöpflichen Witzes zu einer Satyre gegen das Spiel der Reclame, das sie treiben, auf das liebenswürdigste verwenden. Der Aufsatz übrigens, in dem Altaroche, einer der Staatsmänner des Charivari, das Verbot Vautrins angreift, ist von besserem Gehalt, als die Masse der ernsten Artikel, die aus seiner und seiner Collegen Kanzlei hervorgehen, und die Beweisführung, dem Arsenal demokratischer Grundsätze entnommen, nicht ohne Schärfe. Wie im Charivari haust auch in Girardins Presse die Bande der Künstler und Romanenschreiber; das ist wohl das einzige, was beide gemein haben; sie hat daher dieselben Ursachen, wie jenes, zur Opposition in dieser Sache, und wird hierin noch von ihrem Ingrimm gegen das neue Ministerium unterstützt. Eine andere Frage ist, ob der Director der Porte St. Martin, den der Schlag allerdings mit gänzlichem Ruin bedroht, eine Entschädigung ansprechen könne. Die einsichtlose Nachsicht der Censur, sagen die Journale, hat den Mann zu großen Kosten für die Ausstattung eines Drama's veranlaßt, das eine höhere Behörde später zu unterdrücken sich gezwungen sah; der Nachtheil, der ihm daraus erwächst, ist daher nicht seine Schuld, sondern der des Gerichts beizumessen, das im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit die Erlaubniß zur Aufführung noch nicht einstudirter Stücke zu geben oder zu verweigern hat. Dagegen läßt sich nun schwerlich Erhebliches einwenden; nur wenn es wahr ist, wie ziemlich Eingeweihte behaupten, daß Stellen, welche die Censur entfernt hatte, bei der Vorstellung, dem Skandal zu Liebe, dennoch gesprochen wurden, möchten die rechtlichen Ansprüche des Directors sich bedeutend mindern.

Das am meisten beachtenswerthe Factum in der ganzen Geschichte bleibt die Vereinigung so vieler, sonst sich so feindlicher Stimmen zur Verdammung eines unsittlichen Werkes. Im Leben mag wohl Mancher der Versuchung so schwer wie immer widerstehen; als Theorie oder Kunstgebilde aber ist das Laster den Meisten nachgerade zum Ekel geworden; man kommt endlich dahin, den uralten Satz, daß nur das Gute schön sey, einzusehen, und wohin auch die politische Entzweiung einen Jeden stellen mag, über die sittlichen Fragen ist die unendliche Mehrzahl einig. Während im Staate scheinbar Alles bricht, fügen sich in der Gesellschaft die Ringe wieder; weil die Elemente des Lebens in Frankreich durch gewaltsame Erschütterung in bebende Bewegung gerathen waren, und ohne Ordnung durch einander rollten, glaubte man schon alle Bande gelöst, und nahm für Fäulniß, was nur ein heftiger Anstoß, für innere Krankheit, was nur äußere Wirkung war. Im Auslande zumal wurde das Klageconcert allgemein; die Schadenfreude gab den Tact, die Uebertreibung schlug die große Trommel, jedes Vorurtheil spielte sein Instrument, jede Leidenschaft hatte ihre Stimme, und die leichtgläubige Menge sang im Chorus mit. Jedes Skandal der Gerichtsblätter, die geringfügigste Anekdote, das hohlste Stadtgerede, wurden als Anzeichen des nahen Untergangs gedeutet, welcher der französischen Gesellschaft bevorstehe; kam ein Proceß vor, dessen Held nicht eben den Preis Monthyon verdient hatte, riefen sogleich ein Duzend deutsche und englische Pharisäer: seht ihr, wie's in Frankreich zugeht, sey'n wir froh, daß wir nicht sind wie jene. Die Beiworte faul, entartet, nichtswürdig, in Verbindung mit dem Namen „Franzosen“ wurden bei manchem Schriftgelehrten jenseits des Rheins so häufig, wie schnellfüßig und göttlich, gepaart mit dem des Achilleus, bei Homer – kurz, wenn man die Leute hörte, lag Frankreich in den letzten Zügen. Sie mögen sich beruhigen, der Kranke ist stark auf dem Wege der Besserung.

Schwedische Zustände.

III. Der Adel.

(Fortsetzung.) Unter den Excellenzen, welche hier auch den unconstitutionellen und in einem frei monarchischen Staat etwas sonderbar klingenden Titel von „Herren des Reichs“ usurpirt haben, unter den Ministern und sämmtlichen ordentlichen Mitgliedern des Staatsraths, unter den Generalen, endlich unter den Gouverneuren der Läne (Landshöfdingar) kommt kein einziger Name vor, der nicht von Adel wäre. Das hier sogenannte „Rathgeben“ (der Staatsrath), der oberste Kriegsbefehl, die ganze Provincialverwaltung sind mithin vom König ausschließlich in die Hände des Adels gelegt worden. Ebenso sind die sämmtlichen Präsidenten der Hofgerichte und der obersten Verwaltungscollegien, mit Ausnahme eines einzigen, lauter Adelige, wie auch die Generalpost-

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[0682/0009] So stehen Kaiser Nikolaus, Mohammed Schah, Kamran Mirsa, Heider Mirsa, Dost Mohammed Chan und die Baruksier im gemeinschaftlichen Bunde wider die brittische Macht, und es wird neben dem heroischen Muthe des indischen Heeres die ganze Weisheit der Staatsmänner erforderlich seyn, um dieses heranziehende Gewitter zu beschwören. A. M. Balzac und die französische Tagslitteratur. Paris, 19 März. Diese Woche brachte uns auf dem Gebiete der Journalistik eine Erscheinung, die man den deutschen Predigern des Franzosenhasses empfehlen dürfte. Das Drama eines der Matadoren und Marschälle der französischen Litteratur, das gegen Sitte und Scham eben so sehr als gegen Vernunft und Geschmack verstößt, wird von der Theatercensur, nach Ausjätung des Allzustarken, zur Aufführung gelassen, nach der ersten Vorstellung aber durch den Minister des Innern verboten, und diese Maaßregel von manchen Zeitungen wohl in der Form, der Sache nach nur von zweien angegriffen. Der National, mit seinem Lobe der Regierung sonst so sparsam, lobt den Schritt fast unbedingt; die legitimistischen Tagblätter, denen die Galle in das Gehirn getreten ist und die Denkmaschine verdorben hat, mäkeln mit alberner Bitterkeit über die Beweggründe und das Recht einer revolutionären Verwaltung im Namen der Moral zu handeln, ergreifen dabei die Gelegenheit, die gute Zeit der Restauration zu preisen, genehmigen aber den Erlaß des Ministers seinem Wesen nach doch, und die dynastisch-liberale Presse fällt über die Kurzsichtigkeit der Censur her, und nimmt für den armen Director, der sehr in Schaden gekommen, eine Entschädigung in Anspruch, gibt aber dem Verbote seine volle Zustimmung; bloß das Charivari, das gewöhnlich keinen Geist hat, wenn es nicht witzig ist, ja in der Regel entsetzlich dumm und grämlich aussieht, wenn es ein ernstes Gesicht machen will, erhebt sich ohne Einschränkung gegen die Ordonnanz und mit ihm, in eben so lächerlichem als unnatürlichem Bunde, lehnt sich auch Girardins Presse gegen den Ministerialbeschluß auf. Das Triumvirat, das sich in das Narrenreich des Charivari getheilt, klebt mit der Künstler- und Schriftstellerkaste, wie die Glieder mit dem Leibe, dem sie angehören, fest zusammen, und während es daher seine oft giftigen, oft nur geschärften Pfeile gegen die Nase Argouts oder die Brille des Hrn. Thiers absendet, leiht es den Erzeugnissen befreundeter Talente, ohne ängstliche Rücksicht auf ihren Werth, den Beistand seiner Trompete. Wenn die Herren wüßten, wie gut eine schickliche Verspottung der eigenen Persönlichkeit den Spötter kleidet, sie könnten einen kleinen Theil ihres unerschöpflichen Witzes zu einer Satyre gegen das Spiel der Reclame, das sie treiben, auf das liebenswürdigste verwenden. Der Aufsatz übrigens, in dem Altaroche, einer der Staatsmänner des Charivari, das Verbot Vautrins angreift, ist von besserem Gehalt, als die Masse der ernsten Artikel, die aus seiner und seiner Collegen Kanzlei hervorgehen, und die Beweisführung, dem Arsenal demokratischer Grundsätze entnommen, nicht ohne Schärfe. Wie im Charivari haust auch in Girardins Presse die Bande der Künstler und Romanenschreiber; das ist wohl das einzige, was beide gemein haben; sie hat daher dieselben Ursachen, wie jenes, zur Opposition in dieser Sache, und wird hierin noch von ihrem Ingrimm gegen das neue Ministerium unterstützt. Eine andere Frage ist, ob der Director der Porte St. Martin, den der Schlag allerdings mit gänzlichem Ruin bedroht, eine Entschädigung ansprechen könne. Die einsichtlose Nachsicht der Censur, sagen die Journale, hat den Mann zu großen Kosten für die Ausstattung eines Drama's veranlaßt, das eine höhere Behörde später zu unterdrücken sich gezwungen sah; der Nachtheil, der ihm daraus erwächst, ist daher nicht seine Schuld, sondern der des Gerichts beizumessen, das im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit die Erlaubniß zur Aufführung noch nicht einstudirter Stücke zu geben oder zu verweigern hat. Dagegen läßt sich nun schwerlich Erhebliches einwenden; nur wenn es wahr ist, wie ziemlich Eingeweihte behaupten, daß Stellen, welche die Censur entfernt hatte, bei der Vorstellung, dem Skandal zu Liebe, dennoch gesprochen wurden, möchten die rechtlichen Ansprüche des Directors sich bedeutend mindern. Das am meisten beachtenswerthe Factum in der ganzen Geschichte bleibt die Vereinigung so vieler, sonst sich so feindlicher Stimmen zur Verdammung eines unsittlichen Werkes. Im Leben mag wohl Mancher der Versuchung so schwer wie immer widerstehen; als Theorie oder Kunstgebilde aber ist das Laster den Meisten nachgerade zum Ekel geworden; man kommt endlich dahin, den uralten Satz, daß nur das Gute schön sey, einzusehen, und wohin auch die politische Entzweiung einen Jeden stellen mag, über die sittlichen Fragen ist die unendliche Mehrzahl einig. Während im Staate scheinbar Alles bricht, fügen sich in der Gesellschaft die Ringe wieder; weil die Elemente des Lebens in Frankreich durch gewaltsame Erschütterung in bebende Bewegung gerathen waren, und ohne Ordnung durch einander rollten, glaubte man schon alle Bande gelöst, und nahm für Fäulniß, was nur ein heftiger Anstoß, für innere Krankheit, was nur äußere Wirkung war. Im Auslande zumal wurde das Klageconcert allgemein; die Schadenfreude gab den Tact, die Uebertreibung schlug die große Trommel, jedes Vorurtheil spielte sein Instrument, jede Leidenschaft hatte ihre Stimme, und die leichtgläubige Menge sang im Chorus mit. Jedes Skandal der Gerichtsblätter, die geringfügigste Anekdote, das hohlste Stadtgerede, wurden als Anzeichen des nahen Untergangs gedeutet, welcher der französischen Gesellschaft bevorstehe; kam ein Proceß vor, dessen Held nicht eben den Preis Monthyon verdient hatte, riefen sogleich ein Duzend deutsche und englische Pharisäer: seht ihr, wie's in Frankreich zugeht, sey'n wir froh, daß wir nicht sind wie jene. Die Beiworte faul, entartet, nichtswürdig, in Verbindung mit dem Namen „Franzosen“ wurden bei manchem Schriftgelehrten jenseits des Rheins so häufig, wie schnellfüßig und göttlich, gepaart mit dem des Achilleus, bei Homer – kurz, wenn man die Leute hörte, lag Frankreich in den letzten Zügen. Sie mögen sich beruhigen, der Kranke ist stark auf dem Wege der Besserung. Schwedische Zustände. III. Der Adel. Stockholm, Anfang März. (Fortsetzung.) Unter den Excellenzen, welche hier auch den unconstitutionellen und in einem frei monarchischen Staat etwas sonderbar klingenden Titel von „Herren des Reichs“ usurpirt haben, unter den Ministern und sämmtlichen ordentlichen Mitgliedern des Staatsraths, unter den Generalen, endlich unter den Gouverneuren der Läne (Landshöfdingar) kommt kein einziger Name vor, der nicht von Adel wäre. Das hier sogenannte „Rathgeben“ (der Staatsrath), der oberste Kriegsbefehl, die ganze Provincialverwaltung sind mithin vom König ausschließlich in die Hände des Adels gelegt worden. Ebenso sind die sämmtlichen Präsidenten der Hofgerichte und der obersten Verwaltungscollegien, mit Ausnahme eines einzigen, lauter Adelige, wie auch die Generalpost-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 86. Augsburg, 26. März 1840, S. 0682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_086_18400326/9>, abgerufen am 30.04.2024.