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Allgemeine Zeitung. Nr. 103. Augsburg, 12. April 1840.

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zwei streng geschiedenen, sich feindlich gegenüberstehenden Theilen besteht: dem Küstenland und dem hohen Gebirge. Das catalonische Küstenland mit seinen großen, reichen Handelsstädten, zahlreichen Fabriken und seinem lebhaften Verkehr ist durch den vielfachen Contact mit dem Auslande durch und durch gangrenirt; eine revolutionäre, durchaus republicanische Tendenz ist hier vorherrschend; Reus, Tortosa, Lerida, Tarragona sind mit Jacobinerclubs und Freimaurerlogen angefüllt, und Barcelona ist einem großen Giftschwamm zu vergleichen, der gute Dünste an sich zieht und sie verpestet wieder von sich gibt. Barcelona kann die Zeit noch nicht vergessen, wo es unabhängig vom übrigen Spanien nur von seinen großen Grafen regirt ward: jenen kriegerischen Raimund, die befehlend zu den benachbarten Königen sprachen, auf Gleichheitsfuß mit den Carlovingischen Kaisern und fränkischen Königen unterhandelten, und um die Herrschaft des Mittelmeers mit den Normännern stritten. Die historischen Erinnerungen mögen überall schwinden, in Spanien bleiben sie in jugendlicher Frische; deßhalb hält es so schwer, Neuerungen in diesem Lande einzuführen. Einen seltsamen Contrast zum Küstenstrich bildet das Bergland. Die Communication zwischen beiden ist sehr gering. Wenige Straßen, nicht ein schiffbarer Strom, Verschiedenheit der Bedürfnisse machen sie unerheblich. Der Küstenbewohner Cataloniens handelt mit den benachbarten Küsten von Valencia, Murcia und Andalusien, schifft nach den weißen Felsen der Provence, nach Italien, wohl auch nach Afrika. Er verdingt sich als Matrose und Lastträger; doch selten kommt er im Innern seines Landes weiter als bis zu den spitzen Zacken des Montserrat, einmal in vielen Jahren nach diesem wunderbaren Berge zu wallfahrten. Wie wenig Spanier haben die Gebirgsthäler des obern Cataloniens besucht, längs des Segre, der beiden Nogueras (Ribagorzana und Pallaresa), des obern Cinea, die Quellen des Llobregat, die Schluchten der Grafschaft Paillasse, wo man nur das Rauschen der Gießbäche und das Hämmern der Eisenwerke vernimmt; tiefe Kessel antediluvianischer Form, wo es spät Morgen und früh Nacht wird, zum Guerrillakrieg geschaffen, in denen er erfunden ward und bis jetzt in seiner reinsten, ursprünglichen Form sich erhalten hat. Dieß Land und seine Bewohner haben nicht geändert, seit sie durch Jahrhunderte der römischen Weltherrschaft widerstanden, seit Hannibal ihnen die ersten fremden Heere zeigte und die ersten Brücken über ihre Ströme schlug; seit Pompejus die Legionen des Sertorius in ihren Thälern vernichtete, Karl der Große und Roland dort ihre Siege fochten und die Mauren nie in ihre Engpässe dringen konnten; sie sind abgeschlossen in ihrer Wildniß, auf sich selbst beschränkt, und die einzige Verbindung, die sie mit dem Auslande haben, trägt eben wieder zu ihrem wilden, kriegerischen Leben bei. Es ist der Schleichhandel im größten Maaßstabe, den sie in bewaffneten Banden, in beständiger Fehde mit französischen und spanischen Zollwächtern treiben. Die kleine Republik Andorra, unter französischem und spanischem Schutz und Suzeränetät des Bischofs von der Seu d'Urgel, und endlich das privilegirte Thal von Aran am nördlichen Abhange der Pyrenäen dienen ihnen als Entrepots und Sammelplätze.

Daß mit diesen Leuten, halb Wilden auf der einen Seite, fanatischen Republicanern auf der andern, mit Mäßigung nicht durchzudringen ist, wird jeder unbefangene Forscher wenigstens sich selbst gestehen müssen, sollte er es auch nicht öffentlich bekennen wollen. Graf de Espanna zügelte dieses seltsame Volk mit Meisterhand, und als im Jahr 1830 einige Banden Bergbewohner den Namen des jetzigen Königs, damals Infanten Don Carlos, als Banner einer ungesetzlichen Insurrection und verbrecherischen Aufstandes gegen den damals regierenden Herrn mißbrauchen wollten, unterdrückte er schnell ihre meuterischen Versuche und setzte ihnen den Fuß auf den Nacken. Daher der Haß mancher übelberichteten oder irregeleiteten Royalisten. Merkwürdig ist, daß einer der Hauptchefs dieser sogenannten Carlisten vom Jahr 1830, Don Manuel Ibannez, der damals vom Grafen de Espanna eingefangen und auf die Galeeren von Ceuta und Melilla geschickt ward, derselbe kühne Häuptling ist, der unter dem Namen El Llarj de Copons die Ebenen von Tarragona noch jetzt mit Schrecken erfüllt. Er war bis zum letzten Augenblick des Grafen de Espanna treuester Freund, einer der wenigen, die an seinem Mord unschuldig sind.

Als Ferdinand VII im Jahr 1833 die Fundamentalgesetze des Reichs umstieß und seiner Tochter als Prinzessin von Asturien schwören ließ, kamen Carlistische Emissäre nach Barcelona und wandten sich, durch den damaligen Gouverneur dieser Stadt, Generallieutenant Grafen v. Villemur, an den Generalcapitän Grafen de Espanna, um ihn zu bewegen, dieser der Agonie des Königs entrissenen Ordonnanz nicht Folge zu leisten, mit den ihm zur Disposition stehenden Garde- *) und Linientruppen auf Madrid zu marschiren, und Ferdinand VII von der ihn umgebenden Camarilla zu befreien. Nicht Ein Mann in ganz Catalonien würde dem Aufrufe des Generalcapitäns Widerstand geleistet haben, und mit Einem Schlag würde ein sechsjähriger Bürgerkrieg, Ströme Blutes, Verwüstung der ganzen Halbinsel, unabsehbare Uebel verhindert worden seyn. Doch die strenge Gewissenhaftigkeit des Grafen de Espanna, seine tiefe Ehrfurcht vor den höchsten Attributen königlicher Majestät, so lange ein Schein von Leben noch die Krone über dem Haupte seines hinschwindenden Herrn hielt, ließ ihn, wenn gleich mit Kummer, doch fest alle Anträge zurückweisen. Unersetzliche Momente gingen verloren.

Da kam General Llauder, von Madrid nach Catalonien geschickt; de Espanna wurde abgesetzt; die Zügel der Regierung waren in Händen der Liberalen. Von Barcelona begab sich de Espanna nach Majorca, wo er bedeutende Güter durch seine Gemahlin besaß, Erbin eines der größten Häuser dieser Insel. Doch ließ man ihn nicht dort; er mußte nach Frankreich flüchten. Die stäte Besorgniß der spanischen Regierung, einen so gefährlichen Feind nah und frei zu wissen, veranlaßte das Ministerium Thiers ihm Tours als Gefängniß anzuweisen. In dieser Stadt kam ihm der erste Ruf seines Königs zu. Ein junger Spanier, Namens Gil de Barnabe, sein früherer Adjutant, der seitdem den ruhmvollen Tod gefunden, den er so lange vergeblich gesucht ( 15 Jul. 1837 bei Chiva), brachte ihm ein Schreiben des Königs, worin dieser ihn beschwor, sich an die Spitze Cataloniens zu stellen. Graf de Espanna, obwohl vorgerückten Alters und leidend, entschloß sich dem Wunsche seines Herrn nachzugeben. Namenlose Intriguen, das feige und venale Benehmen des Generals Guergue **) und manche andere Infamien, die es jetzt noch nicht an der Zeit ist aufzudecken, zwangen de Espanna sogleich nach seinem Eintritt den catalonischen Boden wieder zu verlassen.

Er fiel in die Hände eines französischen Gränzpostens, ward bis Perpignan escortirt und, nach unwürdiger Behandlung, in die Citadelle von Lille abgeführt. Hier saß er in schmachvoller Gefangenschaft, unter beständiger Aufsicht eines Gendarmen, der gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse entbehrend; und doch sann

*) Zwei Regimenter Fußgarde garnisonirten in Barcelona, so lange Graf de Espanna als commandirender General derselben zugleich Generalcapitän Cataloniens war.
**) Einer der fünf im Februar 1839 durch Maroto zu Estella fusilirten Generale.

zwei streng geschiedenen, sich feindlich gegenüberstehenden Theilen besteht: dem Küstenland und dem hohen Gebirge. Das catalonische Küstenland mit seinen großen, reichen Handelsstädten, zahlreichen Fabriken und seinem lebhaften Verkehr ist durch den vielfachen Contact mit dem Auslande durch und durch gangrenirt; eine revolutionäre, durchaus republicanische Tendenz ist hier vorherrschend; Reus, Tortosa, Lerida, Tarragona sind mit Jacobinerclubs und Freimaurerlogen angefüllt, und Barcelona ist einem großen Giftschwamm zu vergleichen, der gute Dünste an sich zieht und sie verpestet wieder von sich gibt. Barcelona kann die Zeit noch nicht vergessen, wo es unabhängig vom übrigen Spanien nur von seinen großen Grafen regirt ward: jenen kriegerischen Raimund, die befehlend zu den benachbarten Königen sprachen, auf Gleichheitsfuß mit den Carlovingischen Kaisern und fränkischen Königen unterhandelten, und um die Herrschaft des Mittelmeers mit den Normännern stritten. Die historischen Erinnerungen mögen überall schwinden, in Spanien bleiben sie in jugendlicher Frische; deßhalb hält es so schwer, Neuerungen in diesem Lande einzuführen. Einen seltsamen Contrast zum Küstenstrich bildet das Bergland. Die Communication zwischen beiden ist sehr gering. Wenige Straßen, nicht ein schiffbarer Strom, Verschiedenheit der Bedürfnisse machen sie unerheblich. Der Küstenbewohner Cataloniens handelt mit den benachbarten Küsten von Valencia, Murcia und Andalusien, schifft nach den weißen Felsen der Provence, nach Italien, wohl auch nach Afrika. Er verdingt sich als Matrose und Lastträger; doch selten kommt er im Innern seines Landes weiter als bis zu den spitzen Zacken des Montserrat, einmal in vielen Jahren nach diesem wunderbaren Berge zu wallfahrten. Wie wenig Spanier haben die Gebirgsthäler des obern Cataloniens besucht, längs des Segre, der beiden Nogueras (Ribagorzana und Pallaresa), des obern Cinea, die Quellen des Llobregat, die Schluchten der Grafschaft Paillasse, wo man nur das Rauschen der Gießbäche und das Hämmern der Eisenwerke vernimmt; tiefe Kessel antediluvianischer Form, wo es spät Morgen und früh Nacht wird, zum Guerrillakrieg geschaffen, in denen er erfunden ward und bis jetzt in seiner reinsten, ursprünglichen Form sich erhalten hat. Dieß Land und seine Bewohner haben nicht geändert, seit sie durch Jahrhunderte der römischen Weltherrschaft widerstanden, seit Hannibal ihnen die ersten fremden Heere zeigte und die ersten Brücken über ihre Ströme schlug; seit Pompejus die Legionen des Sertorius in ihren Thälern vernichtete, Karl der Große und Roland dort ihre Siege fochten und die Mauren nie in ihre Engpässe dringen konnten; sie sind abgeschlossen in ihrer Wildniß, auf sich selbst beschränkt, und die einzige Verbindung, die sie mit dem Auslande haben, trägt eben wieder zu ihrem wilden, kriegerischen Leben bei. Es ist der Schleichhandel im größten Maaßstabe, den sie in bewaffneten Banden, in beständiger Fehde mit französischen und spanischen Zollwächtern treiben. Die kleine Republik Andorra, unter französischem und spanischem Schutz und Suzeränetät des Bischofs von der Seu d'Urgel, und endlich das privilegirte Thal von Aran am nördlichen Abhange der Pyrenäen dienen ihnen als Entrepots und Sammelplätze.

Daß mit diesen Leuten, halb Wilden auf der einen Seite, fanatischen Republicanern auf der andern, mit Mäßigung nicht durchzudringen ist, wird jeder unbefangene Forscher wenigstens sich selbst gestehen müssen, sollte er es auch nicht öffentlich bekennen wollen. Graf de España zügelte dieses seltsame Volk mit Meisterhand, und als im Jahr 1830 einige Banden Bergbewohner den Namen des jetzigen Königs, damals Infanten Don Carlos, als Banner einer ungesetzlichen Insurrection und verbrecherischen Aufstandes gegen den damals regierenden Herrn mißbrauchen wollten, unterdrückte er schnell ihre meuterischen Versuche und setzte ihnen den Fuß auf den Nacken. Daher der Haß mancher übelberichteten oder irregeleiteten Royalisten. Merkwürdig ist, daß einer der Hauptchefs dieser sogenannten Carlisten vom Jahr 1830, Don Manuel Ibañez, der damals vom Grafen de España eingefangen und auf die Galeeren von Ceuta und Melilla geschickt ward, derselbe kühne Häuptling ist, der unter dem Namen El Llarj de Copons die Ebenen von Tarragona noch jetzt mit Schrecken erfüllt. Er war bis zum letzten Augenblick des Grafen de España treuester Freund, einer der wenigen, die an seinem Mord unschuldig sind.

Als Ferdinand VII im Jahr 1833 die Fundamentalgesetze des Reichs umstieß und seiner Tochter als Prinzessin von Asturien schwören ließ, kamen Carlistische Emissäre nach Barcelona und wandten sich, durch den damaligen Gouverneur dieser Stadt, Generallieutenant Grafen v. Villemur, an den Generalcapitän Grafen de España, um ihn zu bewegen, dieser der Agonie des Königs entrissenen Ordonnanz nicht Folge zu leisten, mit den ihm zur Disposition stehenden Garde- *) und Linientruppen auf Madrid zu marschiren, und Ferdinand VII von der ihn umgebenden Camarilla zu befreien. Nicht Ein Mann in ganz Catalonien würde dem Aufrufe des Generalcapitäns Widerstand geleistet haben, und mit Einem Schlag würde ein sechsjähriger Bürgerkrieg, Ströme Blutes, Verwüstung der ganzen Halbinsel, unabsehbare Uebel verhindert worden seyn. Doch die strenge Gewissenhaftigkeit des Grafen de España, seine tiefe Ehrfurcht vor den höchsten Attributen königlicher Majestät, so lange ein Schein von Leben noch die Krone über dem Haupte seines hinschwindenden Herrn hielt, ließ ihn, wenn gleich mit Kummer, doch fest alle Anträge zurückweisen. Unersetzliche Momente gingen verloren.

Da kam General Llauder, von Madrid nach Catalonien geschickt; de España wurde abgesetzt; die Zügel der Regierung waren in Händen der Liberalen. Von Barcelona begab sich de España nach Majorca, wo er bedeutende Güter durch seine Gemahlin besaß, Erbin eines der größten Häuser dieser Insel. Doch ließ man ihn nicht dort; er mußte nach Frankreich flüchten. Die stäte Besorgniß der spanischen Regierung, einen so gefährlichen Feind nah und frei zu wissen, veranlaßte das Ministerium Thiers ihm Tours als Gefängniß anzuweisen. In dieser Stadt kam ihm der erste Ruf seines Königs zu. Ein junger Spanier, Namens Gil de Barnabé, sein früherer Adjutant, der seitdem den ruhmvollen Tod gefunden, den er so lange vergeblich gesucht (✝ 15 Jul. 1837 bei Chiva), brachte ihm ein Schreiben des Königs, worin dieser ihn beschwor, sich an die Spitze Cataloniens zu stellen. Graf de España, obwohl vorgerückten Alters und leidend, entschloß sich dem Wunsche seines Herrn nachzugeben. Namenlose Intriguen, das feige und venale Benehmen des Generals Guergue **) und manche andere Infamien, die es jetzt noch nicht an der Zeit ist aufzudecken, zwangen de España sogleich nach seinem Eintritt den catalonischen Boden wieder zu verlassen.

Er fiel in die Hände eines französischen Gränzpostens, ward bis Perpignan escortirt und, nach unwürdiger Behandlung, in die Citadelle von Lille abgeführt. Hier saß er in schmachvoller Gefangenschaft, unter beständiger Aufsicht eines Gendarmen, der gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse entbehrend; und doch sann

*) Zwei Regimenter Fußgarde garnisonirten in Barcelona, so lange Graf de España als commandirender General derselben zugleich Generalcapitän Cataloniens war.
**) Einer der fünf im Februar 1839 durch Maroto zu Estella fusilirten Generale.
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zwei streng geschiedenen, sich feindlich gegenüberstehenden Theilen besteht: dem Küstenland und dem hohen Gebirge. Das catalonische Küstenland mit seinen großen, reichen Handelsstädten, zahlreichen Fabriken und seinem lebhaften Verkehr ist durch den vielfachen Contact mit dem Auslande durch und durch gangrenirt; eine revolutionäre, durchaus republicanische Tendenz ist hier vorherrschend; Reus, Tortosa, Lerida, Tarragona sind mit Jacobinerclubs und Freimaurerlogen angefüllt, und Barcelona ist einem großen Giftschwamm zu vergleichen, der gute Dünste an sich zieht und sie verpestet wieder von sich gibt. Barcelona kann die Zeit noch nicht vergessen, wo es unabhängig vom übrigen Spanien nur von seinen großen Grafen regirt ward: jenen kriegerischen Raimund, die befehlend zu den benachbarten Königen sprachen, auf Gleichheitsfuß mit den Carlovingischen Kaisern und fränkischen Königen unterhandelten, und um die Herrschaft des Mittelmeers mit den Normännern stritten. Die historischen Erinnerungen mögen überall schwinden, in Spanien bleiben sie in jugendlicher Frische; deßhalb hält es so schwer, Neuerungen in diesem Lande einzuführen. Einen seltsamen Contrast zum Küstenstrich bildet das Bergland. Die Communication zwischen beiden ist sehr gering. Wenige Straßen, nicht ein schiffbarer Strom, Verschiedenheit der Bedürfnisse machen sie unerheblich. Der Küstenbewohner Cataloniens handelt mit den benachbarten Küsten von Valencia, Murcia und Andalusien, schifft nach den weißen Felsen der Provence, nach Italien, wohl auch nach Afrika. Er verdingt sich als Matrose und Lastträger; doch selten kommt er im Innern seines Landes weiter als bis zu den spitzen Zacken des Montserrat, einmal in vielen Jahren nach diesem wunderbaren Berge zu wallfahrten. Wie wenig Spanier haben die Gebirgsthäler des obern Cataloniens besucht, längs des Segre, der beiden Nogueras (Ribagorzana und Pallaresa), des obern Cinea, die Quellen des Llobregat, die Schluchten der Grafschaft Paillasse, wo man nur das Rauschen der Gießbäche und das Hämmern der Eisenwerke vernimmt; tiefe Kessel antediluvianischer Form, wo es spät Morgen und früh Nacht wird, zum Guerrillakrieg geschaffen, in denen er erfunden ward und bis jetzt in seiner reinsten, ursprünglichen Form sich erhalten hat. Dieß Land und seine Bewohner haben nicht geändert, seit sie durch Jahrhunderte der römischen Weltherrschaft widerstanden, seit Hannibal ihnen die ersten fremden Heere zeigte und die ersten Brücken über ihre Ströme schlug; seit Pompejus die Legionen des Sertorius in ihren Thälern vernichtete, Karl der Große und Roland dort ihre Siege fochten und die Mauren nie in ihre Engpässe dringen konnten; sie sind abgeschlossen in ihrer Wildniß, auf sich selbst beschränkt, und die einzige Verbindung, die sie mit dem Auslande haben, trägt eben wieder zu ihrem wilden, kriegerischen Leben bei. Es ist der Schleichhandel im größten Maaßstabe, den sie in bewaffneten Banden, in beständiger Fehde mit französischen und spanischen Zollwächtern treiben. Die kleine Republik Andorra, unter französischem und spanischem Schutz und Suzeränetät des Bischofs von der Seu d'Urgel, und endlich das privilegirte Thal von Aran am nördlichen Abhange der Pyrenäen dienen ihnen als Entrepots und Sammelplätze.</p><lb/>
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[0818/0010] zwei streng geschiedenen, sich feindlich gegenüberstehenden Theilen besteht: dem Küstenland und dem hohen Gebirge. Das catalonische Küstenland mit seinen großen, reichen Handelsstädten, zahlreichen Fabriken und seinem lebhaften Verkehr ist durch den vielfachen Contact mit dem Auslande durch und durch gangrenirt; eine revolutionäre, durchaus republicanische Tendenz ist hier vorherrschend; Reus, Tortosa, Lerida, Tarragona sind mit Jacobinerclubs und Freimaurerlogen angefüllt, und Barcelona ist einem großen Giftschwamm zu vergleichen, der gute Dünste an sich zieht und sie verpestet wieder von sich gibt. Barcelona kann die Zeit noch nicht vergessen, wo es unabhängig vom übrigen Spanien nur von seinen großen Grafen regirt ward: jenen kriegerischen Raimund, die befehlend zu den benachbarten Königen sprachen, auf Gleichheitsfuß mit den Carlovingischen Kaisern und fränkischen Königen unterhandelten, und um die Herrschaft des Mittelmeers mit den Normännern stritten. Die historischen Erinnerungen mögen überall schwinden, in Spanien bleiben sie in jugendlicher Frische; deßhalb hält es so schwer, Neuerungen in diesem Lande einzuführen. Einen seltsamen Contrast zum Küstenstrich bildet das Bergland. Die Communication zwischen beiden ist sehr gering. Wenige Straßen, nicht ein schiffbarer Strom, Verschiedenheit der Bedürfnisse machen sie unerheblich. Der Küstenbewohner Cataloniens handelt mit den benachbarten Küsten von Valencia, Murcia und Andalusien, schifft nach den weißen Felsen der Provence, nach Italien, wohl auch nach Afrika. Er verdingt sich als Matrose und Lastträger; doch selten kommt er im Innern seines Landes weiter als bis zu den spitzen Zacken des Montserrat, einmal in vielen Jahren nach diesem wunderbaren Berge zu wallfahrten. Wie wenig Spanier haben die Gebirgsthäler des obern Cataloniens besucht, längs des Segre, der beiden Nogueras (Ribagorzana und Pallaresa), des obern Cinea, die Quellen des Llobregat, die Schluchten der Grafschaft Paillasse, wo man nur das Rauschen der Gießbäche und das Hämmern der Eisenwerke vernimmt; tiefe Kessel antediluvianischer Form, wo es spät Morgen und früh Nacht wird, zum Guerrillakrieg geschaffen, in denen er erfunden ward und bis jetzt in seiner reinsten, ursprünglichen Form sich erhalten hat. Dieß Land und seine Bewohner haben nicht geändert, seit sie durch Jahrhunderte der römischen Weltherrschaft widerstanden, seit Hannibal ihnen die ersten fremden Heere zeigte und die ersten Brücken über ihre Ströme schlug; seit Pompejus die Legionen des Sertorius in ihren Thälern vernichtete, Karl der Große und Roland dort ihre Siege fochten und die Mauren nie in ihre Engpässe dringen konnten; sie sind abgeschlossen in ihrer Wildniß, auf sich selbst beschränkt, und die einzige Verbindung, die sie mit dem Auslande haben, trägt eben wieder zu ihrem wilden, kriegerischen Leben bei. Es ist der Schleichhandel im größten Maaßstabe, den sie in bewaffneten Banden, in beständiger Fehde mit französischen und spanischen Zollwächtern treiben. Die kleine Republik Andorra, unter französischem und spanischem Schutz und Suzeränetät des Bischofs von der Seu d'Urgel, und endlich das privilegirte Thal von Aran am nördlichen Abhange der Pyrenäen dienen ihnen als Entrepots und Sammelplätze. Daß mit diesen Leuten, halb Wilden auf der einen Seite, fanatischen Republicanern auf der andern, mit Mäßigung nicht durchzudringen ist, wird jeder unbefangene Forscher wenigstens sich selbst gestehen müssen, sollte er es auch nicht öffentlich bekennen wollen. Graf de España zügelte dieses seltsame Volk mit Meisterhand, und als im Jahr 1830 einige Banden Bergbewohner den Namen des jetzigen Königs, damals Infanten Don Carlos, als Banner einer ungesetzlichen Insurrection und verbrecherischen Aufstandes gegen den damals regierenden Herrn mißbrauchen wollten, unterdrückte er schnell ihre meuterischen Versuche und setzte ihnen den Fuß auf den Nacken. Daher der Haß mancher übelberichteten oder irregeleiteten Royalisten. Merkwürdig ist, daß einer der Hauptchefs dieser sogenannten Carlisten vom Jahr 1830, Don Manuel Ibañez, der damals vom Grafen de España eingefangen und auf die Galeeren von Ceuta und Melilla geschickt ward, derselbe kühne Häuptling ist, der unter dem Namen El Llarj de Copons die Ebenen von Tarragona noch jetzt mit Schrecken erfüllt. Er war bis zum letzten Augenblick des Grafen de España treuester Freund, einer der wenigen, die an seinem Mord unschuldig sind. Als Ferdinand VII im Jahr 1833 die Fundamentalgesetze des Reichs umstieß und seiner Tochter als Prinzessin von Asturien schwören ließ, kamen Carlistische Emissäre nach Barcelona und wandten sich, durch den damaligen Gouverneur dieser Stadt, Generallieutenant Grafen v. Villemur, an den Generalcapitän Grafen de España, um ihn zu bewegen, dieser der Agonie des Königs entrissenen Ordonnanz nicht Folge zu leisten, mit den ihm zur Disposition stehenden Garde- *) und Linientruppen auf Madrid zu marschiren, und Ferdinand VII von der ihn umgebenden Camarilla zu befreien. Nicht Ein Mann in ganz Catalonien würde dem Aufrufe des Generalcapitäns Widerstand geleistet haben, und mit Einem Schlag würde ein sechsjähriger Bürgerkrieg, Ströme Blutes, Verwüstung der ganzen Halbinsel, unabsehbare Uebel verhindert worden seyn. Doch die strenge Gewissenhaftigkeit des Grafen de España, seine tiefe Ehrfurcht vor den höchsten Attributen königlicher Majestät, so lange ein Schein von Leben noch die Krone über dem Haupte seines hinschwindenden Herrn hielt, ließ ihn, wenn gleich mit Kummer, doch fest alle Anträge zurückweisen. Unersetzliche Momente gingen verloren. Da kam General Llauder, von Madrid nach Catalonien geschickt; de España wurde abgesetzt; die Zügel der Regierung waren in Händen der Liberalen. Von Barcelona begab sich de España nach Majorca, wo er bedeutende Güter durch seine Gemahlin besaß, Erbin eines der größten Häuser dieser Insel. Doch ließ man ihn nicht dort; er mußte nach Frankreich flüchten. Die stäte Besorgniß der spanischen Regierung, einen so gefährlichen Feind nah und frei zu wissen, veranlaßte das Ministerium Thiers ihm Tours als Gefängniß anzuweisen. In dieser Stadt kam ihm der erste Ruf seines Königs zu. Ein junger Spanier, Namens Gil de Barnabé, sein früherer Adjutant, der seitdem den ruhmvollen Tod gefunden, den er so lange vergeblich gesucht (✝ 15 Jul. 1837 bei Chiva), brachte ihm ein Schreiben des Königs, worin dieser ihn beschwor, sich an die Spitze Cataloniens zu stellen. Graf de España, obwohl vorgerückten Alters und leidend, entschloß sich dem Wunsche seines Herrn nachzugeben. Namenlose Intriguen, das feige und venale Benehmen des Generals Guergue **) und manche andere Infamien, die es jetzt noch nicht an der Zeit ist aufzudecken, zwangen de España sogleich nach seinem Eintritt den catalonischen Boden wieder zu verlassen. Er fiel in die Hände eines französischen Gränzpostens, ward bis Perpignan escortirt und, nach unwürdiger Behandlung, in die Citadelle von Lille abgeführt. Hier saß er in schmachvoller Gefangenschaft, unter beständiger Aufsicht eines Gendarmen, der gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse entbehrend; und doch sann *) Zwei Regimenter Fußgarde garnisonirten in Barcelona, so lange Graf de España als commandirender General derselben zugleich Generalcapitän Cataloniens war. **) Einer der fünf im Februar 1839 durch Maroto zu Estella fusilirten Generale.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 103. Augsburg, 12. April 1840, S. 0818. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_103_18400412/10>, abgerufen am 29.04.2024.