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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1691 Jahr das Gespenst 2 Monath lang, viel Schrecken, Furcht
und wunderseltzame Schau-Spiele angerichtet hat". Bei keinem
Buche wird der Gedanke klarer als bei diesem Buche, daß ein
großer Theil verurtheilter Hexen und Zauberer im Grunde unge-
schickte Betrüger waren, die von dem Richter mit der Tortur zu
Hexen und Zauberern gepreßt wurden. 1) Ein schlagendes Kri-
terium für Ton und Haltung der beiden ersten Theile ist der
dritte Theil, der in völlig unerwartetem humoristischen Tone,
"viele seltzame so wohl betriegliche als list- und lustige und von
Menschen erdachte und practisirte Gespenster und Erscheinungen"
bringt, wie eine Darlegung besserer Einsicht und Unbefangenheit
nach einer derben zurechtweisenden Kritik. Er enthält eine Reihe
pikanter Gaunergeschichten, unter andern auch die aus Rollen-
hagen's "Hundstägigen Erquickstunden", II, 644, entlehnte Ge-
schichte von den pariser Bauchrednern, namentlich auch von dem
Euricles Berbanzon und seinen Betrügereien, wodurch man aller-
dings ein Bild der damaligen sittlichen Zustände bekommt.

Leben und Thaten der berühmtesten Straßen-Räuber Mörder und
Spitzbuben,
so in denen letzten funffzig Jahren in dem König-
reich England sind hingerichtet worden, Worinnen Jhre seltsame
Aventüren, listige Räncke, theils lustige Begebenheiten, theils
erschreckliche und grausame Thaten, nebst ihrem traurigen
Lebens-Ende mit historischer Feder beschrieben worden. 2) Von
Kapitän Alexander Smith. Aus dem Englischen über-
setzet. Franckfurt und Leipzig 1720.

Dieses sehr wichtige und merkwürdige Buch behandelt, wie der
Beutelschneider das französische, so das englische Gaunerthum, zeigt

1) Um sich in dieser Ansicht noch mehr zu bestärken, braucht man nur
des wackern Johann Reiche, "Unterschiedliche Schrieften von Unfug des Hexen-
processes" (Halle 1703) und besonders seine "Acta magica", S. 585--774,
zu lesen.
2) Die viel später 1787--90 in drei Bänden erschienene "Offenherzige
Schilderung der Müßiggänger und Taugenichtse in London", ist meistens nur
ein moralisches Räsonnement und liefert nur sehr geringe polizeigeschichtliche
und psychologische Ausbeute.

1691 Jahr das Geſpenſt 2 Monath lang, viel Schrecken, Furcht
und wunderſeltzame Schau-Spiele angerichtet hat“. Bei keinem
Buche wird der Gedanke klarer als bei dieſem Buche, daß ein
großer Theil verurtheilter Hexen und Zauberer im Grunde unge-
ſchickte Betrüger waren, die von dem Richter mit der Tortur zu
Hexen und Zauberern gepreßt wurden. 1) Ein ſchlagendes Kri-
terium für Ton und Haltung der beiden erſten Theile iſt der
dritte Theil, der in völlig unerwartetem humoriſtiſchen Tone,
„viele ſeltzame ſo wohl betriegliche als liſt- und luſtige und von
Menſchen erdachte und practisirte Geſpenſter und Erſcheinungen“
bringt, wie eine Darlegung beſſerer Einſicht und Unbefangenheit
nach einer derben zurechtweiſenden Kritik. Er enthält eine Reihe
pikanter Gaunergeſchichten, unter andern auch die aus Rollen-
hagen’s „Hundstägigen Erquickſtunden“, II, 644, entlehnte Ge-
ſchichte von den pariſer Bauchrednern, namentlich auch von dem
Euricles Berbanzon und ſeinen Betrügereien, wodurch man aller-
dings ein Bild der damaligen ſittlichen Zuſtände bekommt.

Leben und Thaten der berühmteſten Straßen-Räuber Mörder und
Spitzbuben,
ſo in denen letzten funffzig Jahren in dem König-
reich England ſind hingerichtet worden, Worinnen Jhre ſeltſame
Aventüren, liſtige Räncke, theils luſtige Begebenheiten, theils
erſchreckliche und grauſame Thaten, nebſt ihrem traurigen
Lebens-Ende mit hiſtoriſcher Feder beſchrieben worden. 2) Von
Kapitän Alexander Smith. Aus dem Engliſchen über-
ſetzet. Franckfurt und Leipzig 1720.

Dieſes ſehr wichtige und merkwürdige Buch behandelt, wie der
Beutelſchneider das franzöſiſche, ſo das engliſche Gaunerthum, zeigt

1) Um ſich in dieſer Anſicht noch mehr zu beſtärken, braucht man nur
des wackern Johann Reiche, „Unterſchiedliche Schrieften von Unfug des Hexen-
proceſſes“ (Halle 1703) und beſonders ſeine „Acta magica“, S. 585—774,
zu leſen.
2) Die viel ſpäter 1787—90 in drei Bänden erſchienene „Offenherzige
Schilderung der Müßiggänger und Taugenichtſe in London“, iſt meiſtens nur
ein moraliſches Räſonnement und liefert nur ſehr geringe polizeigeſchichtliche
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[219/0235] 1691 Jahr das Geſpenſt 2 Monath lang, viel Schrecken, Furcht und wunderſeltzame Schau-Spiele angerichtet hat“. Bei keinem Buche wird der Gedanke klarer als bei dieſem Buche, daß ein großer Theil verurtheilter Hexen und Zauberer im Grunde unge- ſchickte Betrüger waren, die von dem Richter mit der Tortur zu Hexen und Zauberern gepreßt wurden. 1) Ein ſchlagendes Kri- terium für Ton und Haltung der beiden erſten Theile iſt der dritte Theil, der in völlig unerwartetem humoriſtiſchen Tone, „viele ſeltzame ſo wohl betriegliche als liſt- und luſtige und von Menſchen erdachte und practisirte Geſpenſter und Erſcheinungen“ bringt, wie eine Darlegung beſſerer Einſicht und Unbefangenheit nach einer derben zurechtweiſenden Kritik. Er enthält eine Reihe pikanter Gaunergeſchichten, unter andern auch die aus Rollen- hagen’s „Hundstägigen Erquickſtunden“, II, 644, entlehnte Ge- ſchichte von den pariſer Bauchrednern, namentlich auch von dem Euricles Berbanzon und ſeinen Betrügereien, wodurch man aller- dings ein Bild der damaligen ſittlichen Zuſtände bekommt. Leben und Thaten der berühmteſten Straßen-Räuber Mörder und Spitzbuben, ſo in denen letzten funffzig Jahren in dem König- reich England ſind hingerichtet worden, Worinnen Jhre ſeltſame Aventüren, liſtige Räncke, theils luſtige Begebenheiten, theils erſchreckliche und grauſame Thaten, nebſt ihrem traurigen Lebens-Ende mit hiſtoriſcher Feder beſchrieben worden. 2) Von Kapitän Alexander Smith. Aus dem Engliſchen über- ſetzet. Franckfurt und Leipzig 1720. Dieſes ſehr wichtige und merkwürdige Buch behandelt, wie der Beutelſchneider das franzöſiſche, ſo das engliſche Gaunerthum, zeigt 1) Um ſich in dieſer Anſicht noch mehr zu beſtärken, braucht man nur des wackern Johann Reiche, „Unterſchiedliche Schrieften von Unfug des Hexen- proceſſes“ (Halle 1703) und beſonders ſeine „Acta magica“, S. 585—774, zu leſen. 2) Die viel ſpäter 1787—90 in drei Bänden erſchienene „Offenherzige Schilderung der Müßiggänger und Taugenichtſe in London“, iſt meiſtens nur ein moraliſches Räſonnement und liefert nur ſehr geringe polizeigeſchichtliche und pſychologiſche Ausbeute.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/235>, abgerufen am 13.05.2024.