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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Beide Schriften mit der Relation zusammen geben reichen Stoff
zum Nachdenken über die geistlichen und sittlichen Zustände, sowie
über die Gerechtigkeitspflege jener Zeit und verdienen mit Auf-
merksamkeit gelesen zu werden.

Des bekannten Kirchenräubers und Diebes Jacob Neumann Leben und
Uebelthaten
u. s. w. Von J. Ch. Wellmann, J. U. D. Secret
Jud. Francf.
1720.

Auch ein "denen Judicial-Actis genau extrahirtes" Werk.
Neumann ist eine merkwürdige Erscheinung. Er hat zwei-
undvierzig Kirchendiebstähle und zwölf andere Diebstähle ganz
allein, mehrere andere in Verbindung, namentlich mit dem aus
der Untersuchungshaft entsprungenen Jürgen Kupke, verübt, bis er
am 16. Jan. 1720 zu Frankfurt a. d. O. mit dem Rade hin-
gerichtet wurde. Eigenthümlich ist, wie Neumann bei seinen Dieb-
stählen mit dem Brunger Lewone zu legen und mit dem Krumm-
kopf das Eisenwerk aus dem Mauerwerk zu lösen verstand. Fast
alle seine Diebstähle sind in dieser Weise verübt, und Neumann
hat zuerst den Diebsgenossen und Richtern die ungeheuren Erfolge
des Bohrers gezeigt. Die Behandlung des reichen Actenstoffes
ist klar und belehrend, aber doch auch gerade im wesentlichsten
etwas zu mager gehalten 1), während Wellmann wiederum mit
behaglicher Breite seine ganze bei Aufrichtung des Rades gehaltene
Rede an die Gewerke, die Hegung des peinlichen Gerichts und
die Execution vollständig mittheilt.

1) Eine bei weitem bessere und vollständigere Darstellung gab Wellmann
später heraus: "Das von der göttlichen Regierung u. s. w. bewiesene Denck-
Mahl" (Frankfurt a. d. O. 1725), worin die von Neumann's Witwe, deren
Tochter und Sohn in Gemeinschaft mit der Witwe Sotmeyer und deren Sohn
und mit andern Complicen verübte Ansteckung der Lebusser Vorstadt zu Frank-
furt am 19. Mai 1723 dargestellt wird. Wenn schon die Darstellung dieses
lediglich aus Rache verübten Verbrechens, bei welchem acht Personen des Leben
verloren, nicht hierher gehört, so verdient doch das für jeden Criminalisten in-
teressante Werk hier mindestens einer Erwähnung.

Beide Schriften mit der Relation zuſammen geben reichen Stoff
zum Nachdenken über die geiſtlichen und ſittlichen Zuſtände, ſowie
über die Gerechtigkeitspflege jener Zeit und verdienen mit Auf-
merkſamkeit geleſen zu werden.

Des bekannten Kirchenräubers und Diebes Jacob Neumann Leben und
Uebelthaten
u. ſ. w. Von J. Ch. Wellmann, J. U. D. Secret
Jud. Francf.
1720.

Auch ein „denen Judicial-Actis genau extrahirtes“ Werk.
Neumann iſt eine merkwürdige Erſcheinung. Er hat zwei-
undvierzig Kirchendiebſtähle und zwölf andere Diebſtähle ganz
allein, mehrere andere in Verbindung, namentlich mit dem aus
der Unterſuchungshaft entſprungenen Jürgen Kupke, verübt, bis er
am 16. Jan. 1720 zu Frankfurt a. d. O. mit dem Rade hin-
gerichtet wurde. Eigenthümlich iſt, wie Neumann bei ſeinen Dieb-
ſtählen mit dem Brunger Lewone zu legen und mit dem Krumm-
kopf das Eiſenwerk aus dem Mauerwerk zu löſen verſtand. Faſt
alle ſeine Diebſtähle ſind in dieſer Weiſe verübt, und Neumann
hat zuerſt den Diebsgenoſſen und Richtern die ungeheuren Erfolge
des Bohrers gezeigt. Die Behandlung des reichen Actenſtoffes
iſt klar und belehrend, aber doch auch gerade im weſentlichſten
etwas zu mager gehalten 1), während Wellmann wiederum mit
behaglicher Breite ſeine ganze bei Aufrichtung des Rades gehaltene
Rede an die Gewerke, die Hegung des peinlichen Gerichts und
die Execution vollſtändig mittheilt.

1) Eine bei weitem beſſere und vollſtändigere Darſtellung gab Wellmann
ſpäter heraus: „Das von der göttlichen Regierung u. ſ. w. bewieſene Denck-
Mahl“ (Frankfurt a. d. O. 1725), worin die von Neumann’s Witwe, deren
Tochter und Sohn in Gemeinſchaft mit der Witwe Sotmeyer und deren Sohn
und mit andern Complicen verübte Anſteckung der Lebuſſer Vorſtadt zu Frank-
furt am 19. Mai 1723 dargeſtellt wird. Wenn ſchon die Darſtellung dieſes
lediglich aus Rache verübten Verbrechens, bei welchem acht Perſonen des Leben
verloren, nicht hierher gehört, ſo verdient doch das für jeden Criminaliſten in-
tereſſante Werk hier mindeſtens einer Erwähnung.
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[226/0242] Beide Schriften mit der Relation zuſammen geben reichen Stoff zum Nachdenken über die geiſtlichen und ſittlichen Zuſtände, ſowie über die Gerechtigkeitspflege jener Zeit und verdienen mit Auf- merkſamkeit geleſen zu werden. Des bekannten Kirchenräubers und Diebes Jacob Neumann Leben und Uebelthaten u. ſ. w. Von J. Ch. Wellmann, J. U. D. Secret Jud. Francf. 1720. Auch ein „denen Judicial-Actis genau extrahirtes“ Werk. Neumann iſt eine merkwürdige Erſcheinung. Er hat zwei- undvierzig Kirchendiebſtähle und zwölf andere Diebſtähle ganz allein, mehrere andere in Verbindung, namentlich mit dem aus der Unterſuchungshaft entſprungenen Jürgen Kupke, verübt, bis er am 16. Jan. 1720 zu Frankfurt a. d. O. mit dem Rade hin- gerichtet wurde. Eigenthümlich iſt, wie Neumann bei ſeinen Dieb- ſtählen mit dem Brunger Lewone zu legen und mit dem Krumm- kopf das Eiſenwerk aus dem Mauerwerk zu löſen verſtand. Faſt alle ſeine Diebſtähle ſind in dieſer Weiſe verübt, und Neumann hat zuerſt den Diebsgenoſſen und Richtern die ungeheuren Erfolge des Bohrers gezeigt. Die Behandlung des reichen Actenſtoffes iſt klar und belehrend, aber doch auch gerade im weſentlichſten etwas zu mager gehalten 1), während Wellmann wiederum mit behaglicher Breite ſeine ganze bei Aufrichtung des Rades gehaltene Rede an die Gewerke, die Hegung des peinlichen Gerichts und die Execution vollſtändig mittheilt. 1) Eine bei weitem beſſere und vollſtändigere Darſtellung gab Wellmann ſpäter heraus: „Das von der göttlichen Regierung u. ſ. w. bewieſene Denck- Mahl“ (Frankfurt a. d. O. 1725), worin die von Neumann’s Witwe, deren Tochter und Sohn in Gemeinſchaft mit der Witwe Sotmeyer und deren Sohn und mit andern Complicen verübte Anſteckung der Lebuſſer Vorſtadt zu Frank- furt am 19. Mai 1723 dargeſtellt wird. Wenn ſchon die Darſtellung dieſes lediglich aus Rache verübten Verbrechens, bei welchem acht Perſonen des Leben verloren, nicht hierher gehört, ſo verdient doch das für jeden Criminaliſten in- tereſſante Werk hier mindeſtens einer Erwähnung.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/242>, abgerufen am 13.05.2024.