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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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dahin strebte, den Gottesdienst von dem schon längst dem Volke
unverständlich gewordenen Latein loszureißen, so war es Peter von
Dresden; er hatte rein deutsche Lieder für die Kirche gedichtet
und, da ihm diese Abweichung vom römischen Klerus gewehrt
wurde, sich selbst an den Papst gewandt, welcher mindestens die-
jenigen Lieder zuließ, welche Peter von Dresden abwechselnd Vers
um Vers mit Latein durchzogen hatte, um dem römischen Cultus
und dem deutschen Drange gleiche Genüge zu leisten. Diese herr-
lichen Lieder, unter denen die bekannten: In dulci jubilo; Puer
natus in Bethlehem; Quem pastores laudavere; In natali Do-
mini; Nobis natus hodie
u. s. w., welche man auch noch in den
meisten protestantischen Gesangbüchern des vorigen Jahrhunderts,
unter andern auch im lübeckischen vom Jahre 1723 findet, hat
auch Luther, der Schöpfer des deutschen Kirchengesangs, lobend
anerkannt und beibehalten ("auff daß man ja sehen möge, wie
dennoch allezeit Leute gewesen sind, die Christum recht erkandt
haben"). Das Nähere über diese Lieder findet man §. 104 fg. der
Abhandlung von Jakob Thomasius 1): "De Petro Dresdensi."
Die nun aber zugleich dabei von Genthe S. 14 erwähnten satiri-
schen Gedichte sind wieder gerade der Gegenbeweis seiner Behaup-
tung, da man sie, wie die Satiren der Alten, als scharfe Geiseln
erkennen muß, welche von Spott und bitterer, ja gehässiger Sa-
tire gegen die entartete, versunkene Geistlichkeit geschwungen wur-
den. Diese persiflirenden Knittelverse sind so feindselig, schmuzig
und herabwürdigend, daß man sich scheuen muß, von der Flut
derselben auch nur eine Probe zu geben. 2) Doch sieht man auch

1) Jch besitze diese sehr werthvolle Monographie nur in der Uebersetzung bei
J. C. Mieth: "Deliciarum manipulus" (Dresden und Leipzig 1703). Nr. 1
unter dem Titel: "M. Jac. Thomasii Curiöse Gedancken Vom Dreßdnischen
Peter. Aus dem Lat. ins Deutsche übersetzt von M. M. 1702."
2) Mehrere solche Gedichte sind enthälten in den sehr selten gewordenen
"Nugae venales, sive Thesaurus ridendi et jocandi ad Gravissimos Seve-
rissimosque Viros, Patres melancholicorum conscriptus
" (Ausgaben von
1691, 1694, 1720). Nur letztere ist in meinem Besitze. Obige Probe steht
S. 280.

dahin ſtrebte, den Gottesdienſt von dem ſchon längſt dem Volke
unverſtändlich gewordenen Latein loszureißen, ſo war es Peter von
Dresden; er hatte rein deutſche Lieder für die Kirche gedichtet
und, da ihm dieſe Abweichung vom römiſchen Klerus gewehrt
wurde, ſich ſelbſt an den Papſt gewandt, welcher mindeſtens die-
jenigen Lieder zuließ, welche Peter von Dresden abwechſelnd Vers
um Vers mit Latein durchzogen hatte, um dem römiſchen Cultus
und dem deutſchen Drange gleiche Genüge zu leiſten. Dieſe herr-
lichen Lieder, unter denen die bekannten: In dulci jubilo; Puer
natus in Bethlehem; Quem pastores laudavere; In natali Do-
mini; Nobis natus hodie
u. ſ. w., welche man auch noch in den
meiſten proteſtantiſchen Geſangbüchern des vorigen Jahrhunderts,
unter andern auch im lübeckiſchen vom Jahre 1723 findet, hat
auch Luther, der Schöpfer des deutſchen Kirchengeſangs, lobend
anerkannt und beibehalten („auff daß man ja ſehen möge, wie
dennoch allezeit Leute geweſen ſind, die Chriſtum recht erkandt
haben“). Das Nähere über dieſe Lieder findet man §. 104 fg. der
Abhandlung von Jakob Thomaſius 1): „De Petro Dresdensi.
Die nun aber zugleich dabei von Genthe S. 14 erwähnten ſatiri-
ſchen Gedichte ſind wieder gerade der Gegenbeweis ſeiner Behaup-
tung, da man ſie, wie die Satiren der Alten, als ſcharfe Geiſeln
erkennen muß, welche von Spott und bitterer, ja gehäſſiger Sa-
tire gegen die entartete, verſunkene Geiſtlichkeit geſchwungen wur-
den. Dieſe perſiflirenden Knittelverſe ſind ſo feindſelig, ſchmuzig
und herabwürdigend, daß man ſich ſcheuen muß, von der Flut
derſelben auch nur eine Probe zu geben. 2) Doch ſieht man auch

1) Jch beſitze dieſe ſehr werthvolle Monographie nur in der Ueberſetzung bei
J. C. Mieth: „Deliciarum manipulus“ (Dresden und Leipzig 1703). Nr. 1
unter dem Titel: „M. Jac. Thomasii Curiöſe Gedancken Vom Dreßdniſchen
Peter. Aus dem Lat. ins Deutſche überſetzt von M. M. 1702.“
2) Mehrere ſolche Gedichte ſind enthälten in den ſehr ſelten gewordenen
Nugae venales, sive Thesaurus ridendi et jocandi ad Gravissimos Seve-
rissimosque Viros, Patres melancholicorum conscriptus
“ (Ausgaben von
1691, 1694, 1720). Nur letztere iſt in meinem Beſitze. Obige Probe ſteht
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[66/0100] dahin ſtrebte, den Gottesdienſt von dem ſchon längſt dem Volke unverſtändlich gewordenen Latein loszureißen, ſo war es Peter von Dresden; er hatte rein deutſche Lieder für die Kirche gedichtet und, da ihm dieſe Abweichung vom römiſchen Klerus gewehrt wurde, ſich ſelbſt an den Papſt gewandt, welcher mindeſtens die- jenigen Lieder zuließ, welche Peter von Dresden abwechſelnd Vers um Vers mit Latein durchzogen hatte, um dem römiſchen Cultus und dem deutſchen Drange gleiche Genüge zu leiſten. Dieſe herr- lichen Lieder, unter denen die bekannten: In dulci jubilo; Puer natus in Bethlehem; Quem pastores laudavere; In natali Do- mini; Nobis natus hodie u. ſ. w., welche man auch noch in den meiſten proteſtantiſchen Geſangbüchern des vorigen Jahrhunderts, unter andern auch im lübeckiſchen vom Jahre 1723 findet, hat auch Luther, der Schöpfer des deutſchen Kirchengeſangs, lobend anerkannt und beibehalten („auff daß man ja ſehen möge, wie dennoch allezeit Leute geweſen ſind, die Chriſtum recht erkandt haben“). Das Nähere über dieſe Lieder findet man §. 104 fg. der Abhandlung von Jakob Thomaſius 1): „De Petro Dresdensi.“ Die nun aber zugleich dabei von Genthe S. 14 erwähnten ſatiri- ſchen Gedichte ſind wieder gerade der Gegenbeweis ſeiner Behaup- tung, da man ſie, wie die Satiren der Alten, als ſcharfe Geiſeln erkennen muß, welche von Spott und bitterer, ja gehäſſiger Sa- tire gegen die entartete, verſunkene Geiſtlichkeit geſchwungen wur- den. Dieſe perſiflirenden Knittelverſe ſind ſo feindſelig, ſchmuzig und herabwürdigend, daß man ſich ſcheuen muß, von der Flut derſelben auch nur eine Probe zu geben. 2) Doch ſieht man auch 1) Jch beſitze dieſe ſehr werthvolle Monographie nur in der Ueberſetzung bei J. C. Mieth: „Deliciarum manipulus“ (Dresden und Leipzig 1703). Nr. 1 unter dem Titel: „M. Jac. Thomasii Curiöſe Gedancken Vom Dreßdniſchen Peter. Aus dem Lat. ins Deutſche überſetzt von M. M. 1702.“ 2) Mehrere ſolche Gedichte ſind enthälten in den ſehr ſelten gewordenen „Nugae venales, sive Thesaurus ridendi et jocandi ad Gravissimos Seve- rissimosque Viros, Patres melancholicorum conscriptus“ (Ausgaben von 1691, 1694, 1720). Nur letztere iſt in meinem Beſitze. Obige Probe ſteht S. 280.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/100>, abgerufen am 30.04.2024.