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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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und von seiner schon specifisch national ausgebildeten Sprache
entschiedenen Widerstand erfuhr.

So erscheint die ganze maccaronische Poesie als eine eigen-
thümliche Folie der romanischen Sprachen, auf welcher der be-
sondere Gehalt jeder einzelnen recht deutlich erkannt werden kann.
Eine sehr merkwürdige und noch von keinem Darsteller der mac-
caronischen Literatur speciell hervorgehobene Probe gibt Mo-
liere, welcher in der Promotionsscene am Schluß seines köstlichen
"Le malade imaginaire" die Maccaronea in der witzigsten und
ergötzlichsten Weise sogar auf das Theater brachte. Und doch
konnte nicht einmal ein Moliere die maccaronische Dichtung vom
Theater aus in das Volk gelangen lassen, welches ja überhaupt
nur über den Galimatias zu lachen verstand, während die
Höhergebildeten allein das Meisterstück scharfer Persiflage ganz zu
begreifen im Stande waren. Proben der maccaronischen Poesie
findet man in den "Facetiae Facetiarum", den "Nugae ve-
nales
" und bei Genthe S. 179--342 in reicher Auswahl.

Hat der national gewordene Sprachgeist jedes Gliedes der
romanischen Sprachgenossenschaft das Uebermaß des lateinischen
Antheils in der maccaronischen Poesie zurückgewiesen und nur dem
heitern Scherze und der rügenden Satire die poetische Geisel ge-
stattet, um seinem eigenen Ernste in der Abweisung jedes sprach-
lichen Unfugs behülflich zu sein: so war der Sprung, welchen,
freilich erst beinahe hundert Jahre nach Folengo, die maccaronische
Poesie auf das deutsche Sprachgebiet machte, ein toller Sprung
des lustigen Harlekin von der Bühne in das Parterre, bei wel-
chem alle Jllusion absichtlich zerstört und die buntscheckige Er-
scheinung recht deutlich betrachtet und erkannt werden sollte. Wie
man einen verwegenen und guten Witz einen "schlechten Witz"
zu nennen pflegt, so kann man die treffliche "Floia" den ersten
und besten schlechten Witz 1) nennen, den die maccaronische Poesie

1) Die herrlichen "Epistolae obscurorum virorum" gehören wol schwer-
lich zur maccaronischen Literatur. Sie enthalten mit sehr geringen Ausnahmen
nur Küchenlatein, freilich der köstlichsten und ergötzlichsten Art. Die 1858

und von ſeiner ſchon ſpecifiſch national ausgebildeten Sprache
entſchiedenen Widerſtand erfuhr.

So erſcheint die ganze maccaroniſche Poeſie als eine eigen-
thümliche Folie der romaniſchen Sprachen, auf welcher der be-
ſondere Gehalt jeder einzelnen recht deutlich erkannt werden kann.
Eine ſehr merkwürdige und noch von keinem Darſteller der mac-
caroniſchen Literatur ſpeciell hervorgehobene Probe gibt Mo-
lière, welcher in der Promotionsſcene am Schluß ſeines köſtlichen
Le malade imaginaire“ die Maccaronea in der witzigſten und
ergötzlichſten Weiſe ſogar auf das Theater brachte. Und doch
konnte nicht einmal ein Molière die maccaroniſche Dichtung vom
Theater aus in das Volk gelangen laſſen, welches ja überhaupt
nur über den Galimatias zu lachen verſtand, während die
Höhergebildeten allein das Meiſterſtück ſcharfer Perſiflage ganz zu
begreifen im Stande waren. Proben der maccaroniſchen Poeſie
findet man in den „Facetiae Facetiarum“, den „Nugae ve-
nales
“ und bei Genthe S. 179—342 in reicher Auswahl.

Hat der national gewordene Sprachgeiſt jedes Gliedes der
romaniſchen Sprachgenoſſenſchaft das Uebermaß des lateiniſchen
Antheils in der maccaroniſchen Poeſie zurückgewieſen und nur dem
heitern Scherze und der rügenden Satire die poetiſche Geiſel ge-
ſtattet, um ſeinem eigenen Ernſte in der Abweiſung jedes ſprach-
lichen Unfugs behülflich zu ſein: ſo war der Sprung, welchen,
freilich erſt beinahe hundert Jahre nach Folengo, die maccaroniſche
Poeſie auf das deutſche Sprachgebiet machte, ein toller Sprung
des luſtigen Harlekin von der Bühne in das Parterre, bei wel-
chem alle Jlluſion abſichtlich zerſtört und die buntſcheckige Er-
ſcheinung recht deutlich betrachtet und erkannt werden ſollte. Wie
man einen verwegenen und guten Witz einen „ſchlechten Witz“
zu nennen pflegt, ſo kann man die treffliche „Floia“ den erſten
und beſten ſchlechten Witz 1) nennen, den die maccaroniſche Poeſie

1) Die herrlichen „Epistolae obscurorum virorum“ gehören wol ſchwer-
lich zur maccaroniſchen Literatur. Sie enthalten mit ſehr geringen Ausnahmen
nur Küchenlatein, freilich der köſtlichſten und ergötzlichſten Art. Die 1858
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[78/0112] und von ſeiner ſchon ſpecifiſch national ausgebildeten Sprache entſchiedenen Widerſtand erfuhr. So erſcheint die ganze maccaroniſche Poeſie als eine eigen- thümliche Folie der romaniſchen Sprachen, auf welcher der be- ſondere Gehalt jeder einzelnen recht deutlich erkannt werden kann. Eine ſehr merkwürdige und noch von keinem Darſteller der mac- caroniſchen Literatur ſpeciell hervorgehobene Probe gibt Mo- lière, welcher in der Promotionsſcene am Schluß ſeines köſtlichen „Le malade imaginaire“ die Maccaronea in der witzigſten und ergötzlichſten Weiſe ſogar auf das Theater brachte. Und doch konnte nicht einmal ein Molière die maccaroniſche Dichtung vom Theater aus in das Volk gelangen laſſen, welches ja überhaupt nur über den Galimatias zu lachen verſtand, während die Höhergebildeten allein das Meiſterſtück ſcharfer Perſiflage ganz zu begreifen im Stande waren. Proben der maccaroniſchen Poeſie findet man in den „Facetiae Facetiarum“, den „Nugae ve- nales“ und bei Genthe S. 179—342 in reicher Auswahl. Hat der national gewordene Sprachgeiſt jedes Gliedes der romaniſchen Sprachgenoſſenſchaft das Uebermaß des lateiniſchen Antheils in der maccaroniſchen Poeſie zurückgewieſen und nur dem heitern Scherze und der rügenden Satire die poetiſche Geiſel ge- ſtattet, um ſeinem eigenen Ernſte in der Abweiſung jedes ſprach- lichen Unfugs behülflich zu ſein: ſo war der Sprung, welchen, freilich erſt beinahe hundert Jahre nach Folengo, die maccaroniſche Poeſie auf das deutſche Sprachgebiet machte, ein toller Sprung des luſtigen Harlekin von der Bühne in das Parterre, bei wel- chem alle Jlluſion abſichtlich zerſtört und die buntſcheckige Er- ſcheinung recht deutlich betrachtet und erkannt werden ſollte. Wie man einen verwegenen und guten Witz einen „ſchlechten Witz“ zu nennen pflegt, ſo kann man die treffliche „Floia“ den erſten und beſten ſchlechten Witz 1) nennen, den die maccaroniſche Poeſie 1) Die herrlichen „Epistolae obscurorum virorum“ gehören wol ſchwer- lich zur maccaroniſchen Literatur. Sie enthalten mit ſehr geringen Ausnahmen nur Küchenlatein, freilich der köſtlichſten und ergötzlichſten Art. Die 1858

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/112>, abgerufen am 07.05.2024.